4. Dezember 2015

Der Datenkrake (3): Es gibt nichts Gutes, außer der Staat tut es

Facebook-Gründer Mark Zuckerberg hat angekündigt, nach und nach 99% seiner Facebook-Anteile (aktuell im Wert von ca. 45 Mrd. USD) in eine wohltätige Stiftung zu überführen. Damit folgt er einem uramerikanischen Prinzip, das von den Öl- und Industriemagnaten des Gilded Age wie Carnegie oder Rockefeller begründet wurde und durch den Giving Pledge von Warren Buffet und Bill und Melinda Gates in jüngster Zeit neu belebt wurde: Der Idee, große Vermögen für wohltätige Zwecke einzusetzen.

In Deutschland kommt das gar nicht gut an. Nicht, dass die Deutschen etwas dagegen hätten, dass die Reichen ihr Geld abgeben. Allerdings hat die Sache für den Geschmack des Bundesamts für das Weltgenesungswesen zwei eklatante Schönheitsfehler - es findet zum einen freiwillig und zum anderen ohne Beteiligung des Staates statt. Ganz zu schweigen vom Geburtsfehler: Es dürfte überhaupt nicht passieren, dass jemand 45 Mrd. hat. Und so versprüht der Großteil der Artikel in den Medien Gift und Galle gegen Zuckerberg, und die Kommentarspalten schäumen über vor Hass.  

Die Argumente sind vorhersehbar: Zum einen wird die persönliche Motivation der Wohltätigkeit in Zweifel gezogen: PR-Gag, er behält immer noch mehr als 1000 Krankenschwestern in ihrem Leben verdienen, er verdient sein Geld mit einer Plattform für Nazis usw. - das ist nicht weiter interessant, weil es einfach dem üblichen missgünstigen Kleingeist entspringt.

Die andere Argumentationslinie geht in die Richtung: Zuckerberg sollte das Geld lieber versteuern, anstatt es in eine steuerbefreite Wohltätigkeitsorganisation einzuzahlen, wo er selber den Verwendungszweck bestimmen kann. Denn, so das Argument: es unterliege dann demokratischer Kontrolle und würde entsprechend der Bedürfnisse aller verwendet. 

Diese These zieht sich von ganz links bis ganz rechts durchs komplette politische Meinungsspektrum. Am prägnantesten wurde es (allerdings schon anlässlich des Giving Pledge) vom Hamburger Reeder Peter Krämer formuliert:
"Ich finde die Initiative aus den USA sehr problematisch", fasste Peter Krämer, Chef der Hamburger Reedereien Marine Service und Chemikalien Seetransport, das Grundgefühl zusammen. Die reichen Amerikaner würden vor allem spenden, um ihr Geld nicht dem Staat geben zu müssen. "Das ist inakzeptabel", sagte Krämer dem Spiegel. Das Ganze sei schlicht ein schlechter Machttransfer vom Staat zu den Milliardären. "Diese Leute haben nicht die Autorität zu entscheiden, wohin gigantische Summen im Land fließen sollen."
Interessanterweise sind auch die Kommentarspalten sich ziemlich einig - und das zeigt eine merkwürdige Widersprüchlichkeit: Auf der einen Seite wird dort - ebenfalls von links bis rechts - täglich das Klagelied über die landesverräterischen Politiker (insbesondere Regierung Merkel), die nicht im Sinne der Bürger handeln, angestimmt. Auf der anderen Seite aber ist Wohltätigkeit nur dann gegeben, wenn sie aus der Hand des Staates kommt. Aber was ist denn, wenn Mutti das Geld jetzt für mehr Asylanten ausgibt? Immerhin davon hat Zuckerberg kein Wort gesagt. 

Jeder, der sich mit dem politischen Jargon auskennt, weiß, dass der Begriff "demokratische Kontrolle" bis weit in die Sozialdemokratie lediglich ein Euphemismus für Enteignung ist. Und jeder, der schon einmal mit der Ineffizienz des Sozialstaates in Berührung gekommen ist, kann sich nur freuen, wenn jemand, der offensichtlich ein gutes Händchen für Geschäfte hat, an die Stelle der sich selbst verwaltenden Wohlfahrtsbürokratie tritt. 

In den USA wird die Debatte selbst in den linken Medien wie der Washington Post differenzierter geführt. Vor allem taucht dort ein Punkt auf, der in der deutschen Diskussion nie genannt wird:
There’s nothing necessarily wrong with the American system of tax-subsidized charity, of course. As de Tocqueville argued, promoting charity has the benefit of improving social cohesion. He wrote that when the government taxes and gives to the poor, people feel slighted. When people voluntarily give to the poor, they feel better about themselves 
Es liegt natürlich kein grundsätzlicher Fehler im amerikanischen System der steuerbegünstigten Wohltätigkeit. Wie Toqueville argumentierte, hat die Förderung der Wohltättigkeit den Vorteil, dass der Zusammenhalt in der Gesellschaft gestärkt wird. Er schrieb, wenn die Regierung besteuert und das Geld den Armen gibt, fühlen sich die Menschen gedemütigt. Wenn die Menschen den Armen freiwillig geben, fühlen sie sich selbst besser.
In Deutschland ist die Situation genau umgekehrt. Der Historiker Marcus Gräser hat den Unterschied auf die griffige Formel von Wohlfahrtsstaat vs. Wohlfahrtsgesellschaft gebracht. Denn hierzulande fühlt man sich eher gedemütigt, wenn man eine freiwillige Zuwendung erhält anstatt einen Rechtsanspruch auf eine Sozialleistung. So wird auch so eine brave und unverdächtige Organisation wie die Tafeln völlig selbstverständlich vom Justemilieu kritisiert wird, weil sie den Sozialstaat untergraben würde: 
Es könne sich "am Ort der Abspeisung niemand mehr als gleichwertiges Mitglied der Gesellschaft fühlen“.
Deshalb hat auch das bedingungslose Grundeinkommen gerade in Deutschland so viele Fans. Im Wohlfahrtsstaat bemisst sich der gefühlte Wert eines Menschen daran, wieviel der Staat ihm zugesteht - und so  ist nach Meinung vieler die ideale Gesellschaft die, in der jeder das Gleiche zugewiesen bekommt.

Die Wohlfahrtsgesellschaft dagegen kennt eine materielle Wertschätzung auf individueller Basis, die direkt der christlichen Lehre entspringt: Weil ich den Wert des anderen anerkenne, gebe ich ihm eine Zuwendung; und weil der andere diese Anerkennung wiederum anerkennt, fühlt er sich dadurch nicht gedemütigt. Das ist bei uns selbst im christlichen Milieu, das vom "Dem-Kaiser-was-des-Kaisers-ist"-Luthertum geprägt ist, völlig fremd. 

In der Bibel fordert Jesus seine Jünger auf, das Geld den Armen zu geben, und wird dafür kritisiert, mit den Steuereintreibern an einem Tisch zu sitzen. Würden die Evangelien heute in Deutschland verfasst, wäre es umgekehrt.


Meister Petz

© Meister Petz. Titelvignette: An illustration from the original 1870 edition of Twenty Thousand Leagues Under the Sea by author Jules Verne. Für Kommentare bitte hier klicken.