Ihn besorgten zwei Dinge, sagte Gabriel der "Süddeutschen Zeitung": "Das eine ist die Vermutung der Neonazis wie in Heidenau, dass sie dem sogenannten gesunden Volksempfinden Ausdruck verleihen und dass sie sich dabei für nichts mehr zu schade sind - also mittlerweile auch unter Klarnamen übelste Hetzparolen verbreiten." Noch mehr Sorgen mache ihm aber, "dass in der Mitte der Gesellschaft der Anteil derjenigen wächst, die Politik, Politiker und Parteien verachten".Nun sage noch einer, dass unser Siggi das Herz nicht auf der Zunge trägt. Schon schlimm, dass es Neonazis gibt - aber viel schlimmer: Die Leute können die Politiker nicht leiden. Also mich! Diese Reaktion erinnert an einen anderen bekannten deutschen Staatsmann vor fast 25 Jahren.
Überhaupt ist es auffällig, dass Gabriel mit dem Pack durchzukommen scheint, ja gar damit punktet. Denn seit Strauß mit seinen "roten Ratten", der damals auch innerhalb der Union für seine Wortwahl scharf kritisiert wurde, hat es kaum ein Politiker der ersten Reihe mehr gewagt, sich derart zu äußern. Aber Chapeau, er hat die Stimmung richtig eingeschätzt und vorausgesehen, dass ein Politiker momentan am meisten gewinnen kann, wenn er seinen Stil denen anpasst, die er eigentlich genau dafür ächten will.
Denn die Beobachtung ist ja nicht falsch, dass immer mehr Hass und Verachtung wahrnehmbar ist. Aber dazu stellt sich die Frage:
Beißen die bellenden Hunde auch? Ich glaube, in den seltensten Fällen. Denn die Mehrheit, die aktuell jeder hinter sich zu wähnen scheint, der sich politisch äußert, ist im Grunde genommen weder an der Revolution noch an der nationalen Erweckung interessiert. Es ist das gute alte "Man müsste halt mal...".
In einem Staat, der die Meinungsfreiheit ernst nimmt, müsste es reichen, entstehende Straftaten zu verfolgen, ohne an die Gesinnung der Menschen ran zu wollen. Im übrigen ist der Staat ja nicht unschuldig daran, denn was im öffentlich-rechtlichen Fernsehen an Politikerverachtung von heute-show über Anstalt bis Böhmermann mit dem Segen des Staates und aus der Kasse der Demokratieabgabe in die Wohnstuben gebracht wird, ist ja auch nicht ohne.
Zum anderen ist ja der Hass kein Alleinstellungsmerkmal der Rechten, wie es jetzt dargestellt wird. Bei den meisten Hassobjekten wie Banken, Konzernen, Amis sind sich die Rechten und Linken ja sogar einig, wie Querfront-Veranstaltungen wie die "Montagsdemos" belegen.
Doch wie weit reichen menschenverachtende Äußerungen in die "Mitte der Gesellschaft", und wie entstehen sie?
Hier gibt Llarian folgende Analyse an:
Ich neige deshalb zu der Vermutung, dass ein Großteil der Probleme des „Packs“ sich vor allem aus zwei Quellen speist: Zum einen die räumliche Nähe zu einem eventuellen entstehenden Problembezirk. Zum anderen aus der realen Gefahr in Zukunft durch Flüchtlinge schlechter gestellt zu sein. Sei es dadurch, dass der Sozialstaat durch die zusätzliche Last natürlich bei denen sparen muss, die heute von ihm leben, sei es auch dadurch, dass Menschen, die heute schon Schwierigkeiten haben einen Job zu finden (weil sie nicht viel gelernt haben und/oder nicht viel anzubieten haben), sich durch zusätzliche Konkurrenz am Arbeitsmarkt bedroht sehen.Ich glaube, dass das stimmt - und auch wieder nicht. Für die strukturschwachen Gebiete im Osten mit ihren Nazis mag das gelten. Aber selbst die müssen sich die Frage stellen, ob es ihnen im Realsozialismus besser gegangen ist. Denn wenn konkrete materielle Motive hinter dem Hass stecken, dann entspringen sie meistens einer enormen Fehleinschätzung des eigenen Wohlstandes. Ich glaube einfach nicht, dass der gemeine Facebooknazi seine Hassparolen aus einem türkischen Internetcafé absondert. Sondern vom eigenen Smartphone oder Rechner. Ich glaube nicht, dass er tatsächlich zusehen muss, wie der Flüchtling in der Forbes-Liste an ihm vorbeizieht. Das bildet er sich nur ein.
Nein, ich glaube, dass die Ursachen und Dünke (Matzbach), die dazu führen, dass Menschen mit Hassparolen um sich werfen, deutlich diffuser sind. Allen gemein ist, dass sie sich in irgendeiner Form zu kurz gekommen fühlen und Angst haben, in Zukunft noch kürzer treten zu müssen.
Da sind der promovierte Geisteswissenschaftler, der in seinem Fach keine Stelle findet und sich einer Lohnarbeit aussetzen muss, die unter seinem gefühlten Niveau ist, der Rentner, der trotz faktischer Deflation genau weiß, dass zu DM-Zeiten alles billiger war, der Öko, den sein Leben ob des Klimawandels nicht freut, sich alle einig: Die da oben kümmern sich nur um die anderen und nicht um mich.
Die Politikerverachtung ist ja nichts als eine enttäuschte Liebe zu Papa Staat. Aber da der Respekt und auch der Glaube an die Allmacht des Papas zu groß ist, wendet sich der Hass auch gleichzeitig gegen die, von denen man glaubt, dass sie die Gunst des Papas unverdient erhalten. So hasst der verhinderte Postdoc vermutlich alle BWLer, die ordentlich Asche machen, obwohl sie Derrida für einen lateinamerikanischen Tanz halten.
Auch dieses Verhalten ist zutiefst menschlich und im Buch alles Menschlichen dargelegt:
Doch er erwiderte dem Vater: So viele Jahre schon diene ich dir, und nie habe ich gegen deinen Willen gehandelt; mir aber hast du nie auch nur einen Ziegenbock geschenkt, damit ich mit meinen Freunden ein Fest feiern konnte. Kaum aber ist der hier gekommen, dein Sohn, der dein Vermögen mit Dirnen durchgebracht hat, da hast du für ihn das Mastkalb geschlachtet. (Lk 15)Zumindest denjenigen unter den Hasserfüllten, die sich auf das christliche Abendland stützen, könnte man mal einen Blick ins Evangelium nahelegen.
Denn hierin liegt der Grund, dass sich aus dem Gefühl der eigenen Benachteiligung geradezu zwangsläufig dreierlei folgt. Wut und Ablehnung der angeblichen Benachteiliger und Hass und Überlegenheitsgefühl gegenüber den angeblich Bevorzugten. Ob eine tatsächlich nachweisbare Bevorzugung stattfindet, ist dabei gar nicht relevant - das Gefühl ist entscheidend (hier könnte man durchaus etwas Häme über die Politiker ausschütten, deren langjähriges Erfolgsrezept, mit Gefühlen und Stimmungen Politik zu machen, ihnen jetzt auf die Füße fällt).
Als drittes schließlich werden alle als Verräter angesehen, die nicht auf der Seite des Benachteiligten stehen. Daraus entwickelt sich dann die Gruppendynamik, die es so schwer macht, eine unparteiische Haltung einzunehmen. Denn je nach Umfeld wird die selbe Aussage einmal als dumpfer Hass und das andere Mal als klare Kante interpretiert.
Die Flüchtlinge sind dabei nur eine mögliche Projektionsfläche, aber sie passen schön ins Bild. Man stelle sich einmal vor, der eine Bruder im Gleichnis ist leiblich und der andere adoptiert. Dann würde schon eine Gleichbehandlung ausreichen, um die Wut zu befördern. Die Neonazis sind wütend, dass der Papa die adoptierten Kinder nicht nur gleich behandelt wie die leiblichen, sondern auch noch mehr hinzuadoptiert.
In der liberalen Diskussion wird häufig von einer Neiddebatte gesprochen. Das trifft es aber nicht ganz richtig. So wie viele Menschen "scheinbar" sagen, wenn sie "anscheinend" meinen, verhält es sich auch mit "Neid" und "Missgunst". Während Neid ja durchaus ein Antreiber sein kann, aus eigener Kraft mit dem Beneideten gleichzuziehen, so ist die Missgunst ein Gefühl, das mit dem Hass einhergeht. Wen ich nicht leiden kann, dem gönne ich das Schwarze unter den Fingernägeln nicht (und zwar unabhängig, ob der es verdient hat oder nicht), und wenn jemand etwas bekommt, das ich ihm nicht gönne, sinkt er in meiner Achtung ins Bodenlose.
Es ist kein Wunder, dass in den Jammereien und Hassparolen so oft die Metapher des Kuchenstücks vorkommt - wobei sich da Linke und Rechte nichts schenken - kürzlich las ich folgende Parole:
Ein Banker, ein Bildzeitungsleser und ein Asylbewerber sitzen am Tisch mit 20 Keksen. Der Banker nimmt sich 19 Kekse und sagt zum Bildzeitungsleser: "Pass auf, der Asylbewerber nimmt Dir Deinen Keks weg".Dieses Beispiel ist toll, weil es zum einen belegt, dass die gleichen Muster auf der Linken wie auf der Rechten existieren. Hier mit ein bisschen Umstellung die rechte Version:
Angela Merkel, ein Banker, ein deutscher Familienvater und ein Asylbewerber sitzen am Tisch mit 20 Keksen. Der Banker nimmt sich 19 Kekse. Da sagt Merkel zum Familienvater: "Für Dich ist kein Keks mehr da, den bekommt der Asylbewerber".Es zeigt vor allem die Verquickung von konkreten und abstrakten Feindbildern auf beiden Seiten. So liegt es ja geradezu auf der Hand, dass ein Benachteiligungsgefühl zum Hass auf die Gesellschaft führt und der Hass auf die Gesellschaft sich an konkreten Gruppen entlädt.
Ob darin sozialer Sprengstoff liegt ist schwer zu sagen. Ich neige ja dazu, dem geschätzten Foristen Frank2000 beizupflichten, wenn er auf die überwiegende schweigende Mehrheit verweist.
Aber es ist nicht abzustreiten, dass dieses Phänomen die Stimmung in einem Land ganz schön versauen kann.
Meister Petz
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