20. November 2015

Die Stunde der Bürgerrechtsfeinde


­"Those who would give up essential Liberty to purchase a little temporary Safety, deserve neither Liberty nor Safety."
 
                                                                             --- Benjamin Franklin, 1755

Zugegeben, das obige Zitat dürfte inzwischen eins der durchgenudeltsten (und damit meist aus dem Kontext gerissenesten) Zitate der letzten Jahrzehnte sein. Was allerdings wenig an seiner Aussage ändert.
Es war tatsächlich nur eine Frage der Zeit bis nach den Morden von Paris die Schlapphüte, Totalüberwacher, Kommunikationsspeicherer und Polizeistaatler aus ihrem Bau kriechen würden und Morgenluft wittern. Allerdings hat nicht einmal dieser Autor damit gerechnet, dass es so schnell gehen würde. Man muss das Eisen wohl schmieden so lange es heiß ist, und will man Bürgerrechte eindampfen, so muss dies im Angesicht von Panik und Angst geschehen, damit nicht all zu viele Leute darüber nachdenken, was man tatsächlich erreichen will.
Die FAZ macht hier den Anfang und stellt die schöne wie demaskierende Frage: „Darf es so was in Zukunft noch geben ?“ 

Tja, darf es das ? Es ist bezeichnend für den ansonsten auch nicht unbedingt durch kluge Artikel auffallenden Herrn von Blumencron, dass er zwar durchaus darüber im Bilde ist, dass die ganze Überwacherei von Terroristen vergleichsweise einfach umgangen werden kann, er aber keinen Gedanken daran verschwendet, was eine totale Überwachung eigentlich bedeutet, bzw. wo solche Möglichkeiten hinführen.
Edward Snowden, unabhängig von dem was man von ihm persönlich denkt, hat uns mehr als eindrucksvoll demonstriert, was ein entfesselter Geheimdienst so treibt, wenn er keine entsprechende Beschränkung erfährt und das Ergebnis ist in nahezu jedweder Betrachtung einfach nur erschreckend. Manche Leute betrachten 1984 offenkundig nicht als mahnende Dystopie sondern als Betriebsanleitung. Und das die exakt selben (!) Leute, die bis heute dafür nicht bestraft worden sind, ja mit aller Sicherheit nicht mehr bestraft werden, jetzt die nächsten Bürgerrechte zu schleifen suchen, ist noch weit erschreckender. 
Aus technischer Sicht erlaube ich mir zu sagen, dass das Vorhaben vollkommen sinnlos ist. Eine effektive Verschlüsselung ist so kompliziert nicht, ein mögliches Stichwort wäre One-Time-Pad und eine Entschlüsselung ist ohne das Pad nicht möglich. Terroristen sind auch nicht blöde, wenn sie damit rechnen müssen, dass ihre Kommunikation gelesen wird, dann verwenden sie entweder eine sichere oder lassen es ganz bleiben. Das kann man einem zehnjährigen Kind erklären und selbst wenn man den durchschnittlichen Terroristen für ziemlich blöde hält, so kann man wohl davon ausgehen, dass er soviel Verstand noch aufbringt.
Nun ist das mit aller Sicherheit auch dem geneigten Schlapphut bewusst. Denn auch die sind nicht ganz blöde. Warum also die totale Überwachung? Nun, eine exakte Antwort zu geben ist schwierig, denn da der eigentliche Forderer ungern seine Motive klar benennt, bleibt das ganze am Ende immer ein bisschen Spekulation. Aber auch ohne zu spekulieren kann man zumindest eine Antwort darauf geben, was diese totale Überwachung ermöglicht. Und das ist Kontrolle. Und zwar weniger über Terroristen als über ganz "normale" Leute. Vor allem Leute, die einem im Zweifelsfall nicht genehm sind. Die Stasi hat sich nicht damit beschäftigt Terroristen oder Verbrecher zu fangen (naja, im Sprachgebrauch der Stasi vielleicht doch). Sondern damit vor allem Leute zu überwachen, die mit dem System nicht einverstanden waren.
Wollen Sie ein paar Beispiele, was mit dieser Überwachung möglich ist ? Nun, Sie können beispielsweise feststellen, wer alles zur letzten Pegida-Demo gegangen ist. Das ist doch nett, oder? Ebenso können Sie feststellen (um mal die politische Seite zu wechseln), wer alles bei der letzten „Freiheit statt Angst“ Demo mitgelaufen ist. Oder Sie könnten feststellen mit wem der böse Herr Bachmann so in den letzten Jahren Kontakt hatte. Vielleicht können Sie ihm nachweisen, dass er den „Mann mit dem Galgen“ persönlich kennt? Oder Sie können feststellen, wann der Herr Z., der so seltsame Kontobewegungen in den letzten Jahren hatte, nach Luxemburg gefahren ist. Oder vielleicht reicht es auch nur festzustellen, dass das Handy von diesem Journalisten, der immer so Whistleblower-Artikel geschrieben hat, zufällig immer ein paar Tage vor einem Artikel in der Nähe eines anderen Handys von einem Mitarbeiter der Bundesregierung gewesen ist. Oder dies oder das oder jenes. Die Möglichkeiten sind wirklich klasse, jeder der sich schon einmal mit Datamining beschäftigt hat findet ein ganzes Schlaraffenland an Möglichkeiten. 

Freilich hat das alles wenig mit Terrorismus zu tun und freilich hat das ganze auch wenig mit Freiheit zu tun, aber wen juckt, wenn „wir doch endlich einmal etwas tun“? Auch muss man natürlich die Dutzende von verhinderten Anschlägen bedenken, die die NSA durch ihre Überwachung verhindert hat (deren Offenlegung freilich aus naheliegenden Gründen nicht möglich ist.). So lange allerdings die größten Advokaten eines Polizeistaates mit dem grundsätzlich alles überwindenden Argument "Vertrauen Sie uns, das ist schon so." auftreten, so lange nimmt sich dieser Autor die Freiheit genauso sehr an diese Anschläge zu glauben wie an die Legion von Geldbörsen mit hohen Bargeldsummen, die derzeit landauf, landab von Flüchtlingen aufgefunden und abgegeben werden.

Llarian


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