30. Oktober 2015

Sterbende Dörfer

Wenn über den demographischen Wandel in Deutschland gesprochen wird, dann wird das meist an zwei Themen festgemacht. Einerseits wird die Zukunft der Rentenversicherung diskutiert, also ob die Renten für eine größer werdende Zahl von Alten von weniger werdenden erwerbstätigen Jungen bezahlt werden können. Andererseits wird der zum Teil drastische Bevölkerungsrückgang in verschiedenen Regionen angeführt, insbesondere im ländlichen Raum.

Besonders dramatisch ist die Lage in Ostdeutschland abseits weniger Ballungszentren, in Nordhessen, Nordostbayern und einigen Regionen Westfalens und Niedersachsens. Immer häufiger sind die Berichte über Dörfer, in denen nur noch ein Bruchteil der früheren Bevölkerungszahl wohnt und in denen Schulen und Infrastruktureinrichtungen geschlossen werden müssen.

Nur: Mit dem demographischen Wandel hat das eigentlich fast nichts zu tun.
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Denn es ist ja nicht so, daß die Bevölkerungszahl Deutschlands ingesamt schon zurückgegangen wäre. Was immer die Demographie für die nächsten Jahrzehnte bringen mag - derzeit haben wir einen historischen Höchststand. Auch ist die Kinderzahl von jungen Familien in den Dörfern nicht geringer als in den Großstädten - eher im Gegenteil.

Das Problem ist ein völlig anderes: Die aktive Generation, also auch die jungen Familien, ziehen von den abgelegenen Dörfern in die Ballungszentren.
Wobei "abgelegen" der Knackpunkt ist. In der Nähe prosperierender Städte wie im Rhein-Main-Gebiet, im Umkreis Stuttgarts, Hamburgs oder Münchens wachsen die Dörfer immer noch. Aber das sind halt keine wirklichen Dörfer mehr, sondern eigentlich nur Wohnvororte der jeweiligen Zentren.

Der Grund für diese Binnenmigration ist offensichtlich: Es sind die Arbeitsplätze. Die finden sich halt in München und Frankfurt, aber kaum noch in der Uckermark oder am Edersee.
Nicht der demographische Wandel ist das Problem der sterbenden Dörfer, sondern die veränderten wirtschaftlichen Strukturen.

Denn Menschen können nur dort leben, wo sie sich auch ihren Lebensunterhalt verdienen können. Ohne ökonomische Basis kann keine Siedlung überleben.
Und die ökonomische Basis der vielen Dörfer bestand aus der Landwirtschaft. Die inzwischen fast keine Arbeitsplätze mehr bietet. Die Arbeit, von der früher ein Dutzend Dörfer leben konnte, wird heute von wenigen Großlandwirten oder einer Genossenschaft erledigt. Ansonsten bleibt in manchen Regionen noch der Tourismus, in ganz wenigen Dörfern gibt es Sondereffekte.

Es ist daher ziemlich sinnlos wenn nun Bürgermeister und Landesregierungen um die verbleibende und schrumpfende Bevölkerung konkurrieren und mit teilweise absurden Subventionen versuchen, wieder Einwohner aufs Land zu locken. Und es ist genauso unrealistisch zu erwarten, Migranten von außen würden die Lücken füllen.
Im Gegenteil: Wer neu nach Deutschland kommt, schaut natürlich nur auf die wirtschaftlichen Möglichkeiten. Da kann es keine Heimatgefühle geben, die bei manchen Dorfbewohnern noch einen für das eigentlich irrational gewordene Bleiben sorgen. Abgesehen von den Heimatgefühlen sind viele Alteinwohner natürlich auch durch ihren immer mehr im Wert fallenden Immobilienbesitz "gefangen".

Es führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei: Die meisten Dörfer in Deutschland sind schlicht überflüssig geworden und werden verschwinden. Weder Einwanderung noch eine eventuelle deutliche Steigerung der Kinderzahl werden daran etwas ändern. Das Sterben der Dörfer ist auch kein deutsches Phänomen, in den meisten europäischen Ländern gibt es ähnliche Tendenzen.

Es kann eigentlich nur noch darum gehen, die Entsiedelung der Fläche vernünftig zu gestalten. Das heißt Infrastruktur zügig aufzugeben, wenn der Unterhalt zu teuer wird. Und sich auf den Erhalt der wenigen Siedlungen zu konzentrieren, die noch überlebensfähig sind.
Weiterhin krampfhaft an der Beibehaltung möglichst aller existierenden Gemeinden festzuhalten wird nur dafür sorgen, daß das Geld dann nirgends für befriedigende Strukturen reicht, die Attraktivität der Dörfer noch schneller sinkt und damit der Gesamtprozeß verstärkt wird.

R.A.

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