13. August 2015

Das Universum stirbt


Eigentlich handelt es sich bei der Meldung, die uns aus den Kreisen der Wissenschaft über das Universum erreicht, um eine Nachricht, die alleroptimalst geeignet scheint, das Sommerloch mit leichtem Wellenschlag zu beleben, eine roßbreitenähnliche mediale Kalmenzone, in der sonst nur das Ungeheuer von Loch Ness, die Kleinen Grünen Männchen (als es sie, Jahrzehnte ist das her, noch gab), Claudia Roth oder ähnliche Phänomene für folgenlose Kurzweil sorgten, deren Irrlichtern ohne Bedeutung für das wirkliche Leben in der sublunaren Sphäre am Grunde des Luftozeans ist. Somit handelt es sich auch um das natürliche Biotop der Astronomie, jedenfalls den Teil der Sternenguckerei, von dem die Großen Medien glauben, daß es für das breite Publikum von interesse sein könnte. Vom amerikanischen Regisseur Cecil B. DeMille, dem Vater des Breitwandspektakels, stammt der Ratschlag, daß ein guter Film mit einem Erdbeben anzufangen und sich dann langsam zu steigern habe: "Start with an earthquake and work to a climax." Großformatiger als mit dem gesamten Universum kann man wirklich nicht beginnen, und sein Untergang stellt die denkbar dramatischste Wendung dar.

Und so lauteten denn auch die Aufmacher in diversen Medienportalen wie folgt:
"The Universe Is Dying" (IFL Science, 10. August 2015)
"The universe is slowly dying" (CNN, 11. 8.)
"How astronomers confirmed the universe is slowly dying" (USA Today, 10.8.)
"It's Official: The Universe Is Dying Slowly" (Scientific American, 11.8.)
Bei den deutschen Medien findet das sich, wie üblich, in wörtlicher Übernahme:
"Prozess hat bereits begonnen: Universum stirbt langsamen Tod" (n-tv)
"Immer weniger Energie! Das Universum schläft ein" (BILD)
"Forscher: Universum wird auf immer und ewig einnicken" (T-Online)









Um welche dramatische, grundstürzende Erkenntnisse handelt es sich? Leider stellt sich bei der näheren Betrachtung der Pressemitteilung, auf der diese Meldungen fußen, derselbe Effekt ein, der auch für so viele Berichte über die sonstige Sommerlochfauna typisch ist: die Aufregung verpufft, das vermeintliche extraterrestrische Flugobjekt war nur die Venus oder ein Wetterballon. Oder, um einen mediengerechten Aufmacher zu geben:
*Unfug* *Nonsens* *Kappes*
oder, da selbst auf Klingonisch abgefasste wissenschaftliche Arbeiten ein englisches Abstract aufweisen:
*Bollocks*.

Zu einem Abstract gehört auf eine knappe Zusammenfassung des Inhalts: "Im Folgenden zeigt der Verfasser, daß es sich bei den referierten Forschungsergebnissen um Resultate handelt, (a) deren Relevanz für die Entwicklung des Universums ohne Signifizanz ist und (b) deren Präsentation eine Mißachtung wissenschaftlich akzeptierter Standards darstellt."

Ad b) en détail: die Präsentation
Die Medienberichte beziehen sich keineswegs auf eine Arbeit, die in einem Fachjournal erschienen ist. Vielmehr handelt es sich um die Ankündigung, daß sie von ihren Verfassern zur Veröffentlichung eingereicht worden ist. Das aber heißt, daß sie erst den Prozess der Peer Review, also der anomynisierten Begutachtung durch zwei oder drei Fachkollegen, durchlaufen muß, auf deren Einwände und oftmals schwerwiegenden Änderungwünsche hin überarbeitet werden muss. Und es ist durchaus nicht selten, daß auf diese Begutachtung hin die Veröffentlichung von der entsprechenden Zeitschrift abgelehnt wird. Das kann mitunter in akademischen Kabalen begründet liegen, wenn zum Beispiel ein "klimaskeptischer" Aufsatz von einem Journal ablehnt wird, dessen Redaktion keinen Zweifel an der Theorie des menschengemachten Klimawandels zulässt. Oft erfolgt die Ablehnung aber auch aufgrund gravierender Mängel der Arbeit, unzureichender Belege oder zu dürftiger Methodik.)

In den 1990er Jahren gab es eine Reihe von Beispielen für solche "Science by press release", also Wissenschaft per Pressemitteilung, bei denen vermutete Meilensteine des wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts auf einer Pressekonferenz verkündet wurden, ohne daß sie durch auf Herz und Nieren getestete Arbeiten bestätigt waren oder die dort verkündeten Resultate in unabhängig durchgeführten Experimenten reproduziert worden waren. Am notorischsten war hier die im Frühjahr 1989 erkündete "kalte Fusion" von Stanley Pons und Martin Fleischmann, aber auch die "Entdeckung" von vermeintlichen fossilen Lebensspuren in einem vom Mars stammenden und in der Antarktis gefundenen Meteoriten, die die NASA 1996 vor dem Weißen Haus im Beisein von US-Präsident Bill Clinton bekanntgab.

Im vorliegenden Fall handelt es sich um die Ankündigung, daß vier Forscher, die am International Centre for Radio Astronomy Research (abgekürzt ICRAR) in Westaustralien, eine Arbeit mit dem Titel "‘Galaxy And Mass Assembly (GAMA): Panchromatic Data Release (far-UV—far-IR) and the low-z energy budget’" zu Begutachtung bei den Monthly Notices der Royal Astronomical Society eingereicht haben. Hinter dem kryptischen Titel verbirgt sich die Auswertung von rund dreißigtausend Aufnahmen von weit entfernten Galaxien, die im Rahmen dem GAMA-Projekts (des Galaxy and Mass Assembly) in den verschiedensten Bereichen der elektromagnetischen Spektrums von vier irdischen und zwei Satellitenteleskopen gesammelt worden sind. Die Entfernung dieser "Welteninseln" (zu denen auch unsere eigene Galaxis, die Milchstraße, und die beanchbarte Andromedagalaxie gehören) lassen sich ermitteln, indem man die Rotverschiebung des von ihnen ausgesendeten Lichts bestimmt. Zur Erläuterung dieses sogenannten "Dopplereffekts" verwenden die Physiker immer gern das vergleichbare Beispiel einer Feuerwehrsirene, die das im hörbaren Bereich vorführt: bewegt sich die auf den Betrachter zu, werden die (in diesem Fall akustischen Luftschwingungen) "gestaucht" und der Ton klingt höher; entfernt es sich, wird er tiefer. Beim Licht (und ebenso in allen anderen Bereichen des Spektrum, im Radio- oder Röntgenbereich) läuft es ebenso, weswegen das Licht von Sternen (oder Sternansammlungen wie Galaxien) "rotverschoben", also weniger energiereich erscheint. Die Elemente, die diese Strahlung verursachen, prägen dem Spektrum eigene, für jedes Element charakteristische starke Linien, Emissionslinien auf, oder verschlucken, absorbieren Strahlung in ganz bestimmten Bereichen. Beim Wasserstoff, der gut neunzig Prozent der leuchtenden Materie des sichtbaren Universums ausmacht, liegt die markanteste "Schluckstelle", das sogenannte "Wasserstoffloch", bei einer Wellenlänge von 1480 Ångström. Aus dem Maß, in dem solche Fingerabdrücke in den aufgenommenen Spektren verschoben sind, läßt sich ermitteln, wie schnell sich eine Galaxie vom Betrachter, also uns, entfernt. Und da man mittlerweile recht gute Richtwerte hat, im welchem Maß das Universum expandiert, kann man daraus die Entfernung ableiten - und damit die Zeit, zu der sie das Licht ausgesendet haben, das wir heute sehen. Aus den von den Forschern ausgewerteten Aufnahmen ergibt sich nun, daß die Entwicklung, die Galaxien im Laufe der Zeit durchmachen, keineswegs gleichbleibend ist. Wie es scheint, zeigen Galaxien zu einem Zeitpunkt vor etwa zwei Milliarden Jahren die höchste Leuchtkraft, bei "jüngeren" fällt das ab, und zwar in doppelt so starkem Maß, wie es nach den bisherigen Modellen der Fall sein sollte, seit diese "Verdunkelung des Universums" Ende der 90er Jahre entdeckt wurde. Und diese Verdunkelung, so die Forscher, zieht sich durch alle Bereiche des Spektrum hindurch. Der Schluß, den sie daraus ziehen, ist, daß die Sterne wesentlich eher "verlöschen", dass das Universum viel früher kalt und leer erscheinen wird, als man bislang angenommen hatte. In einer Reihe der oben verlinkten englischen Zeitungsmeldungen wird das im 30 Milliarden Jahren der Fall sein - allerdings ist davon in der Pressemitteilung der ICRAR nirgendwo die Rede. Statt dessen greift Professor Simon Driver, der dafür verantwortlich zeichnet, zu einer griffigen Metaphorik, die den Laien erfreulicherweise mit Fachchinesisch verschont:
 
“The Universe is fated to decline from here on in, like an old age that lasts forever. The Universe has basically plonked itself down on the sofa, pulled up a blanket and is about to nod off for an eternal doze,” Professor Driver says.
"Von jetzt an ist dem Universum ein Siechtum bestimmt, wie ein Greisenalter ohne Ende. Im Grund hat sich das Weltall aufs Sofa gehauen, sich die Wolldecke über die Füße gezogen und ist dabei, ins ewige Koma zu versacken."
 
Diese unprätentiöse Direktheit eines oft zu unrecht als weltfremd und verkopft beleumdeten Wissenschaftlers erinnert erfrischend an an diese aufgeweckte junge Dame, der es gelungen ist, die Menschheitsgeschichte in weniger als 80 Sekunden auf den Punkt zu bringen.
 
*      *     *
 
Ad b) en gros: Frage ans Universum: "Wo sehen Sie sich in 10^19 Jahren?"
Daß sich die Leuchtkraft von Galaxien im Lauf der Zeit (wir sprechen hier von Zeiträumen, die Hunderte von Millionen von Jahren umfassen) ändern, ist bei näherer Betrachtung keine Überraschung. Was da leuchtet, also Strahlung aussendet, vom langwelligen Infrarot bis hin zu harten Gammastrahlung, sind Gase, zu neun Zehnteln, wie erwähnt, Wasserstoff, rund 9 Prozent Helium und ein Rest an schwereren Elementen. Das verdichtet sich schnell zu Sternen, die ihrerseits dadurch leuchten, daß der Wasserstoff in ihnen zu Helium fusioniert. In den Endphasen des Lebens (oder "Lebens", um falsche Assoziationen zu vermeiden) werden dort, durch die sogenannte Nukleosynthese, sämtliche weiteren chemischen Elemente gebildet, aus denen sich die Materie zusammensetzt, auch jeder Leser und jeder Astronom. Jedes einzelne Atom, das schwerer als ein Heliumatom ist, ist, ganz wortwörtlich, die Asche eines erloschenen Sterns. (Kleines Detail: die Nukleosynthese erzeugt nur Elemente bis zum Eisen; alle schwereren Elemente enstehen durch Neutroneneinfang, wenn ein Stern mit mehr als achtfacher Sonnenmasse am Ende seines Lebenswegs als Supernova explodiert). Die Menge dieses Ausgangsbaustoffes ändert sich nicht. Zunächst liegt das als reines Gas (Wasserstoff plus Helium) vor, dann immer mehr im Form von Sternen (und im kleinen Maß auch als Staub, aus dem sich Planeten bilden. Das fällt aber mengenmäßig nichts nennenswert ins Gewicht). Nach und nach reichert sich diese interstellare Materie mit "Metallen" an (so nennen die Astronomen, sehr zum Verdruß der Chemiker, alle Elemente, die schwerer als Helium sind); das freie Gas reduziert sich und wird in Sternen gebunden, die Sternentstehungszonen, zumindest bei den großen Galaxien, die auf den Photos oft beindruckende Spiralarme aufweisen, wandern "nach außen", vom galaktischen Zentrum fort. Diese Spiralarme sind nicht etwa dichtere Ansammlungen von Sternen, zwischen denen weitgehende Leere herrscht (selbst SF-Autoren verwenden oft dieses Bild; es ist halt eindrucksvoll): zwischen den Spiralarmen ist die Sterndichte in unserer Milchstraße nur in gut 10% geringer als in ihnen: sie leuchten, weil es sich um Sternentstehungsbereiche handelt und die intensive Strahlung das interstellare Gas zum Leuchten anregt.
 
In welchem Maß die Änderung der Gesamthelligkeit einer Galaxie sich hier im Lauf der Zeit ändert, ist weitgehend unbekannt. Modellrechnungen auf Großrechnern sind nur so gut wie die Grundannahmen, die in die Algorithmen einfliessen; und bei der Einbeziehung bislang übersehener Faktoren oder einer anderen Einschätzung von deren Größenordnungen kommen spätere Durchrechnungen zu ganz anders dimensionierten Resultaten. In den populären Wissenschaftszeitschriften wie "Bild der Wissenschaft" oder den "normalen" Zeitschriften oder Netzportalen wird so etwas gern als Revolution der Erkenntnis, als Paradigmenwechsel dargestellt. Das ist nicht die Schuld der Redaktionen, auch nicht, zumindest nicht allein, der beteiligten Wissenschaftler, die auf dem Markt der knappen Aufmerksamkeit nicht gut damit fahren, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen und die nun einmal von Eitelkeit so wenig frei sind wie der Rest der Menschheit. "Klappern gehört", auch hier, "zum Handwerk." Aber es sollte Anlaß sein, solchen Meldungen zunächst einmal nicht nicht allzuviel Gewicht beizumessen. Wenn hier wirklich den Warpantrieb erfunden  oder ET beim nach-Hause-Telefonieren belauscht worden ist, wird man das noch früh genug erfahren. Womit wir wieder beim Sommerloch wären. Anders als die Meldung von Professor Driver nahelegt, wird bei diesem Erkenntniszuwachs keine einzige der Grundannahmen über die weitere Karriere des Weltalls, und schon gar nicht seinen Ruhestand, tangiert.
 
Die Fusionsprozesse, die in Sternen ablaufen, sind einigermaßen sicher in der Theorie und durch jahrzehntelange Beobachtungen fundiert. Ein Stern, der die Masse unserer Sonne aufweist, hat eine Lebenserwartung von 10 bis zwölf Milliarden Jahren; am Ende wird er zu einem roten Riesenstern (mit einem Durchmesser, der dem der Erdbahn entspricht), bevor er als weißer Zwergstern langsam verlöscht. Kleine Sterne, die gut 90 Prozent der stellaren Population ausmachen, können dagegen, weil sie ihren Brennstoff nur auf Sparflamme verbrauchen, Hunderte von Milliarden lang leuchten. Das tun sie allerdings sehr schwach. Es läßt sich ausrechnen, daß in diesen Zeiträumen irgendwann die Menge des freien Gases, des Baustein für neue Sterne, zur Neige geht, daß, ebefalls in diesen unvorstellbaren Zeiträumen, ausgekühlten Sternleichen, Neutronensterne und Schwarze Löcher den Löwenanteil an Gravitations-Senken stellen. Ob dies "erst" in Tausenden von Jahrmilliarden den Fall sein wird oder in Hunderten: das ist eher eine Frage der ästhetischen Einstellung als "gesicherter Erkenntnis". Vielen Betrachtern ist die Vision eines erkalteten, von erloschenen Sternen durchzogenen, toten Universums ohne Aussicht auf Ende oder Leben nachweislich eine entsetzliche Vision - die allerdings den Erkenntnissen der modernen Astrophysik weit voraus geht. Die Großmutter im Georg Büchners "Woyzeck" bringt diesen Schrecken zum ersten Mal unverstellt zum Ausdruck:
 
...war alles tot, und war niemand mehr auf der Welt. Alles tot, und es is hingangen und hat gesucht Tag und Nacht. Und weil auf der Erde niemand mehr war, wollt's in Himmel gehn, und der Mond guckt es so freundlich an; und wie es endlich zum Mond kam, war's ein Stück faul Holz. Und da is es zur Sonn gangen, und wie es zur Sonn kam, war's ein verwelkt Sonneblum. Und wie's zu den Sternen kam, waren's kleine goldne Mücken, die waren angesteckt, wie der Neuntöter sie auf die Schlehen steckt. Und wie's wieder auf die Erde wollt, war die Erde ein umgestürzter Hafen. Und es war ganz allein.


Nicht zuletzt war nach der Entdeckung der Expansion der Weltalls, mit dem Urknall, dem "Big Bang" als Auslöser, die Vision eines zyklischen Universums, daß irgendwann in seiner Expansion zum Stillstands kommen würde, in sich zusamenfallen würde und in einer neuen Ur-Explosion den Zyklus von Neuem beginnen könnte, vielen Astrophysikern durchaus aus ästhetischen Erwägungen heraus, genehmer. Die empirischen Daten, soweit sie aus Beobachtungen und Messungen abgeleitet werden konnten, haben diese Modellvorstellung freilich nie getragen. Immer schien es, als ob das All nur ein Viertel oder (in späteren Messungen) nur ein Zehntel der Masse aufweisen würde, um der Ausdehnung entgegen zu wirken. 1998, dem letzten annus mirabilis der Physik, gelang der Nachweis (mit dem niemand gerechnet) hatte, daß diese Ausdehnung nicht sich etwa abschwächt oder aber gleichbleibt, sondern sich, im Gegenteil, sogar beschleunigt. (Die Ursache dafür zu klären, dürfte dem Entdecker mit Sicherheit die Anwartschaft auf einen Nobelpreis garantieren). Heute können wir ziemlich sicher sein, daß das Universum ewig weiterexpandieren wird, daß kein Ende in Sicht ist, niemals. Der Physiker Freeman Dyson, Physiker am Institute for Advanced Sciences in Princeton und einer der originellsten Denker in diesen Grenzbereichen zwischen Naturwissenschaft, Spekulation und Philosophie, hat 1979 in einem langen Aufsatz zum ersten Mal überschlagen, unter welchen Bedingungen Leben, und vor allem: intelligentes Leben, in einem Universum, das sich so entwickelt, möglich sein könnte. Dyson kam zu keinem abschließenden Schlußpunkt. "Leben" in der heutigen Form, auf biologischer Basis, sauerstoffatmend, auf Kohlenstoff aufbauend, dürfte in einem so erkaltenden Kosmos "bald" an seine Grenzen stoßen; allerdings dürfen wir von Millionen von Milliarden ausgehen, bis dies nicht mehr möglich sein wird. Aber Leben, daß auf anderer Basis "funktioniert", das als Voraussetzung die Speicherung und Weitergabe von Information hat, auch wenn dies auf Quantengattern oder Siliziumkristallen erfolgt: da eröffnen sich viele Möglichkeiten, um das zumindest als Denkmöglichkeit in Aussicht zu stellen.
 
Die Physiker Fred Adams und Gregory P. Laughlin, die 1999 in ihrem Buch "The Five Ages of the Universe" Dysons Ansatz umfassender und systematischer ausgeweitet haben, haben dafür das Konzept der "kosmischen Dekade" eingeführt: Zeitabschnitte, in denen sich die grundlegenden Aktivitäten in Kosmos ändern, von den ersten drei Minuten nach dem Urknall, als die Grundkonstanten der Physik und die Gesamtheit der Materie geformt wurden, über die zweite Ära, die der Sternentstehung (die sie von 10 hoch 6, also einer Million, bis zehn hoch 14, also 100 Billionen Jahren), danach die "degenerierte Ära", in der der Zerfall der Materiestruktur die Trägermatrices des Informationstransfers darstellen könnte (10^15, also 1 Billiarde, bis 10^39, mithin 1.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000 Jahre), darauf das Zeitalter der schwarzen Löcher: die baryonische Materie, wie wir sie kennen, ist zerfallen, das Universum ist weiträumig von schwarzen Löchern bevölkert, die langsam mittels Hawking-Strahlung  verdunsten, welche die Energiequelle bildet  (10^40 bis 10^100 Jahre: das schreib' ich jetzt aber nicht aus...;-)), und abschließend die Dunkle Ära: jenseits der zehn hoch hunderteins Jahre - in denen selbst sie keine Möglichkeit für irgendeine Form organisierter Aktivität mehr imaginieren konnten. Alle diese Abschnitte sind logarithmisch: Am Ende beansprucht die Aktivität, die momentan im Bruchteil von Sekunden stattfindet, Milliarden unserer heutiger Jahre.
 
Einem heutigen Menschen, zumal einem, der es nicht gewohnt ist, sich die extremen Visionen der Science Fiction, wie sie sich in solchen Panoramen zeigen, erscheint eine derartige Aussicht wahrscheinlich genau so schrecklich und grausam wie die eines leeren Kosmos, in dem das faule Holz am absoluten Nullpunkt gefroren ist. Allerdings dürfte den Vorfahren der Menschen, bevor sie aus den warmen Flachmeeren aufs Land zogen, die Aussicht auf Tiefkühlmenüs und Transkontinentalflüge, Facebook und DNS-Analyse nicht weniger grauslich erschienen sein (wenn sie denn die neuronale Ausstattung dafür gehabt hätten.)
Ob dieser Paradigmenwechsel, samt dem "Verdunkeln des Kosmos" aber nun in 10^10 oder 10^20 Jahren (so wie wir zufällig das Jahr auf einem kleinen Planeten irgendwo in einer etwas größergeratenen Galaxis, rund 13,7 Milliarden nach dem Urknall, rechnen), sub specie eternitate, das Wortspiel sei hier einmal erlaubt, nicht wirklich von Bedeutung sein.

*    *    *
PS: Mit Sicherheit wird das "Verdunkeln des Weltalls" nicht in der Weise stattfinden wie in "The Nine Billion Names of God," der bekanntesten Science-Fiction-Erzählung von Arthur C. Clarke aus dem Jahr 1953. In der Geschichte geht es um einen Mönchsorden in einem Hochtal des Himayala, der davon überzeugt ist, daß ihr Daseinszweck (und der des gesamten Menschheit) darin besteht, alle Namen des Höchsten Wesens, des unbekannten Schöpfers, zu artikulieren, in schriftlicher Form zu fixieren; wenn alle denkbaren Kombinationen aller Lettern des Alphabets zu Papier gebracht werden, müssen auch alle diese Namen darunter sein. (Mithin handelt es sich hierbei um eine Unterabteilung der Universalbibliothek von Jorge Luis Borges, die sämtliche möglichen Bücher umfasst.) Von Hand erstellt, würde die Aufgabe Jahrhunderte beanspruchen; aber es gibt jetzt die ersten elektronischen symbolverarbeitenden Universalrechner. Eine solche Maschine, in New York von einer Firma gemietet, hinter der sich unverkennbar IBM verbirgt, die sich davon gute und originelle Publicity verspricht, wird in die Berge geflogen und spuckt, von einem Generator betrieben, zwei Monate Rolle um Rolle endloser Neukombinationen von Lettern aus: die gut neun Milliarden Namen des Titels. Kurz vor dem Ende der Mission machen sich die beiden westlichen Wartungstechniker heimlich auf den Abstieg. Wer weiß, ob die Mönche den Fehlschlag ihrer irrigen Bemühungen nicht ihnen anlasten?
 
George turned in his saddle and stared back up the mountain road. This was the last place from which one could get a clear view of the lamasery. The squat, angular buildings were silhouetted against the afterglow of the sunset: here and there, lights gleamed like portholes in the side of an ocean liner. Electric lights, of course, sharing the same circuit as the Mark V. How much longer would they share it? wondered George. Would the monks smash up the computer in their rage and disappointment? Or would they just sit down quietly and begin their calculations all over again?”
He knew exactly what was happening up on the mountain at this very moment. The high lama and his assistants would be sitting in their silk robes, inspecting the sheets as the junior monks carried them away from the typewriters and pasted them into the great volumes. No one would be saying anything. The only sound would be the incessant patter, the never-ending rainstorm of the keys hitting the paper, for the Mark V itself was utterly silent as it flashed through its thousands of calculations a second.
 
George drehte sich im Sattel um und schaute den Bergpfad hinauf. Hier war die letzte Stelle, die einen freien Blick auf das Lama-Kloster bot. The flachen Gebäude zeichneten sich vor dem Nachglühen des Sonnenuntergangs ab; da und dort leuchteten Lichter wie die Bullaugen eines Schiffes. Elektrische Lichter, die vom selben Strom gespeist wurden wie die Mark V. George fragte sich, wie lange wohl noch. Würden die Mönche in ihrer Enttäuschung den Rechner zertrümmern? Oder würden sie sich einfach ruhig hinsetzen und von vorn beginnen?
Er wusste genau, was gerade oben auf dem Berg vor sich ging. Der Hohe Lama und seine Gehilfen saßen dort in ihren Seidenroben, überflogen die Ausdrucke, die die Novizen von den Druckern brachten und klebten sie in die großen Bücher ein. Niemand sprach ein Wort. Das einzige Geräusch war das ewige Klappern, das unablässige Hämmern der Druckköpfe, denn die Mark V blieb völlig still, während sie in jeder Sekunde ihre Tausende von Berechnungen durchführte.
 
The swift night of the high Himalayas was now almost upon them. Fortunately, the road was very good, as roads went in that region, and they were both carrying torches. There was not the slightest danger, only a certain discomfort from the bitter cold. The sky overhead was perfectly clear, and ablaze with the familiar, friendly stars. At least there would be no risk, thought George, of the pilot being unable to take off because of weather conditions. That had been his only remaining worry.
He began to sing, but gave it up after a while. This vast arena of mountains, gleaming like whitely hooded ghosts on every side, did not encourage such ebullience. Presently George glanced at his watch.
“Should be there in an hour,” he called back over his shoulder to Chuck. Then he added, in an afterthought: “Wonder if the computer’s finished its run. It was due about now.”
Chuck didn’t reply, so George swung round in his saddle. He could just see Chuck’s face, a white oval turned toward the sky.
“Look,” whispered Chuck, and George lifted his eyes to heaven. (There is always a last time for everything.)
Overhead, without any fuss, the stars were going out.
 
Die rasche Dämmerung des Hochgebirges hatte sie fast verschluckt. Zum Glück war der Pfad gut markiert, und sie hatten beide Fackeln bei sich. Es bestand keine Gefahr; nur die beißende Kälte machte sich unangenehm bemerkbar. Der Himmel über ihnen war vollkommen klar, und mit den altbekannten tröstlichen Sternen übersät. Wenigstens würde der Pilot nicht durch schlechtes Wetter vom Start abgehalten werden, dachte George. Das war seine hartnäckigste Sorge gewesen.
Er fing an zu singen, gab es aber nach kurzer Zeit auf. Das weite Panorama der Berge, die wie weiße Gespenster zu allen Seiten aufragten, ließ keinen solchen Übermut zu. Schließlich sah George auf die Uhr.
"In einer Stunde sind wir unten," rief er Chuck über die Schulter zu. Dann setzte er hinzu: "Ob der Computer fertig ist? Das sollte jetzt soweit sein."
Chuck gab keine Antwort, und George drehte sich im Sattel um. Er konnte Chucks Gesicht ausmachen, ein helles Oval, das auf den Himmel gerichtet war.
"Schau doch nur," flüsterte Chuck, und George hob die Augen zum Himmel. Alles tut der Mensch irgendwann zum letzten Mal.
Über ihren Köpfen erloschen lautlos die Sterne.
 
 
Literatur:
- Freeman J. Dyson, "Time Without End: Physics and Biology in an Open Universe," Reviews of Modern Physics, Vol. 51, No. 3, July 1979
- Fred Adams, Gregory P. Laughton, The Five Ages of the Universe. New York. Free Press, 1999.
- Arthur C. Clarke, "The Nine Billion Names of God," zuerst erschienen in Stars Science Fiction Stories, hg. Frederik Pohl. New York: Bantam books, 1953 



 








Ulrich Elkmann



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