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8. Juni 2009

Europawahlen: Warum dieser Absturz der Sozialdemokratie? Und wie haben eigentlich die Kleinen im einzelnen abgeschnitten?

Nicht nur in Deutschland haben die Sozialdemokraten bei diesen Wahlen mit 20,8 Prozent ein miserables Resultat erzielt. Ihre Genossen in Frankreich erreichten nur 16,8 Prozent; kaum mehr als die Grünen (16,2 Prozent). In Italien kam die Vereinte Linke (PD) aus früheren Sozialdemokraten und früheren Kommunisten auf gerade einmal 27,5 Prozent; weit hinter Berlusconis PdL mit 39 Prozent. In Österreich schaffte die SPÖ, deren Kanzler Kreisky einst über mehr als ein Jahrzehnt mit absoluter Mehrheit regiert hatte, noch 23,8 Prozent.

Ähnlich in Schweden, das einmal das sozialdemokratische Land schlechthin gewesen ist: 26 Prozent wählten dort noch die Sozialdemokraten. Und in Großbritannien rangiert Labour, das noch immer über die absolute Mehrheit im Unterhaus verfügt, mit ganzen 15,3 Prozent jetzt sogar hinter der europafeindlichen UKIP.

Was ist da los?



Wie die Sozialdemokraten und die Kommunisten abschneiden würden, das schien mir einer der drei interessanten Aspekte dieser Wahlen zu sein. Wie reagieren die Wähler auf die gegenwärtige Krise? Wollen sie, wie viele in der Krise Ende der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, das Ende des Kapitalismus, oder wollen sie nur einen besseren Kapitalismus?

Das Wahlergebnis gibt eine klare Antwort: Die Linke hat dramatisch verloren. Und keineswegs wurden die Verluste der Sozialdemokraten durch Gewinne der Kommunisten kompensiert. Im alten Europaparlament mit 785 Sitzen hatten Sozialisten und Kommunisten zusammen 256 (214 + 41) Mandate; jetzt sind es, bei 736 Sitzen, noch 192 (159 + 33).

Die Wähler haben in ihrer Mehrheit verstanden, daß die Rezepte der Sozialisten und der Kommunisten nicht aus der Krise führen. Wenn es um die Wirtschaft geht, dann vertrauen sie denen, die etwas von Wirtschaft verstehen. Das ist die klare Botschaft dieser Wahlen.

Mit einem so drastischen Einbruch der Sozialdemokratie europaweit hatte ich freilich nicht gerechnet. Hier könnte noch ein anderer Faktor ins Spiel gekommen sein, den ich in dem Artikel vor den Wahlen auch schon angesprochen habe: Europawahlen sind Gesinnungs- und Stimmungswahlen. Da es im Grund um nichts geht, braucht man nicht pragmatisch abzustimmen.

Und mit einer sozialdemokratischen Gesinnung läßt sich nun kein Staat mehr machen. Im vorigen Jahrhundert, vor allem in den sechziger bis achtziger Jahren, gab es so etwas wie eine Begeisterung für das sozialdemokratische Gesellschaftsmodell. Damals konnten die Sozialdemokraten mobilisieren; viel mehr als die Konservativen und die Liberalen.

Davon ist nichts geblieben. Das liberale Gesellschaftsmodell mag in einer Krise stecken; das sozialdemokratische aber ist gescheitert. Daß Umverteilung, weniger Wachstum, mehr Gleichheit das richtige Rezept sind, um gegen China, Indien und die anderen globalen Herausforderer zu bestehen, glaubt kaum noch jemand.

Wer heute noch sozialdemokratisch wählt, der tut das nicht aus Begeisterung für die Ideen der Sozialdemokratie, sondern weil er sich den einen oder anderen Vorteil erhofft; Schutz gegen Entlassung vielleicht. Aber aus solchen pragmatischen Motiven geht man eben nicht zur Europawahl.



Weil die Europwahlen Gesinnungs- und Stimmungswahlen sind, werden auch gern kleine Parteien gewählt, denen man bei nationalen Wahlen aus Vernunftgründen seine Stimme nicht geben würde. Das war schon immer so; 1979 erzielten die Grünen, damals noch gar nicht als Partei konstituiert, bei den Europawahlen einen ersten Achtungserfolg.

Gestern haben rund zehn Prozent der deutschen Wähler ihre Stimme einer kleinen Partei gegeben. Aber seltsam - kaum irgendwo findet man aufgeschlüsselt, wem eigentlich. Zuverlässig wie immer hilft da wahlrecht.de.

Die kleinen Parteien sind wirklich Splitterparteien. Keine hat auch nur zwei Prozent erreicht. Am besten haben noch die Freien Wähler abgeschnitten, mit 1,7 Prozent. Dann folgen die Republikaner mit 1,3 Prozent.

Dann kommen die Single-Issue-Parteien; Parteien, die sich einem einzigen Thema verschrieben haben: Die Tierschutzpartei mit 1,1 Prozent, die Familienpartei mit 1,0 Prozent, die Internet-Partei "Piraten" mit 0,9 Prozent, die Rentnerpartei mit 0,8 Prozent, die ÖDP, die im Unterschied zu den Grünen wirklich eine Umweltpartei ist, mit 0,5 Prozent.

Und dann? Dann kommen alle diese Gruppen und Grüppchen, die es auch noch gibt. Die DKP gibt es noch, eine Frauenpartei gibt es noch, sogar - Sie erinnern sich? - das Büso der unvergeßlichen Helga Zepp-Larouche. Ergebnis 10.920 Stimmen, gleich 0,0 Prozent.

Warum nicht? Auch das gehört zur Demokratie, daß auch noch das kleinste Grüppchen sich im öffentlichen Raum artikulieren darf.

Sogar die Rechtsextremen. Vor fünf Jahren war für sie die NPD angetreten, diesmal die DVU. Sie erhielt ganze 0,4 Prozent. Das ist aus meiner Sicht der erfreulichste Aspekt dieser Wahl.



Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Fahnen vor dem Gebäude der Europäischen Kommission. Autor: Xavier Häpe; frei unter Creative Commons Attribution 2.0 License.

7. Juni 2009

Europawahlen: Welches sind die interessanten Aspekte?

Das, was eine Wahl normalerweise interessant macht, fehlt den Europawahlen. In der Regel entscheidet der Wähler mit seiner Stimme darüber, wer ihn künftig regiert und/oder wie stark die einzelnen Partner einer regierenden Koalition sind. Bei Europawahlen tut er das nicht. Die Kommission - so etwas wie die Regierung Europas - wird nicht gewählt, sondern sie wird von den Regierungen bestimmt.

Unter dem Gesichtspunkt, wer in Europa die Macht haben wird, sind diese Wahlen ungefähr so relevant wie einst die Veranstaltungen, die den Namen "Wahlen" trugen, für die Macht in der DDR. Dennoch sind sie nicht bedeutungslos. In gewisser Weise haben sie sogar eine Bedeutung, die anderen Wahlen fehlt.

Normalerweise nämlich entscheidet der Wähler pragmatisch. Auch wenn wir es nicht zugeben - die meisten von uns wählen primär nach dem Gesichtspunkt, von welcher Partei wir uns die größen Vorteile und die geringsten Nachteile für uns selbst erhoffen.

Der um seine Existenz kämpfende Mittelständler, der die SPD wählt, ist eine seltene Ausnahme. Wenn viele eingebürgerte Türken - fast ein Viertel - die Grünen wählen, dann vermutlich nicht, weil sie besonders umweltbewußt sind oder für die Ehe zwischen Homosexuellen eintreten, sondern weil sie ihre eigenen Interessen bei den Grünen am besten aufgehoben sehen.

Dieses Beispiel zeigt, wie sich bei Wahlen Interessen und politische Anschauungen überlagern können. In der verlinkten Umfrage entschieden sich nicht nur 23 Prozent der eingebürgerten Türken für die Grünen, sondern auch noch 55 Prozent für die SPD. Fast 80 Prozent also Linke, ausgerechnet bei den Einwanderern? Natürlich nicht. In der Türkei würden viele von denjenigen, die hier aus Eigeninteresse links wählen, sich vermutlich für eine konservative Partei entscheiden.

Das ist ein extremes Beispiel. Aber bei jeder nationalen Wahl, bei allen Wählern spielen solche pragmatischen Aspekte mehr oder weniger eine Rolle. Bei den Europawahlen aber entfallen sie, just wegen ihrer Bedeutungslosigkeit für die politische Macht. Man kann an ihnen also besser ablesen, was die Wähler wirklich denken.



Hier nun scheint mir in Bezug auf das heutige Wahlergebnis dreierlei interessant zu sein:

Erstens das Abschneiden der euroskeptischen Parteien. Sie waren bisher numerisch bedeutungslos; im bisherigen Parlament stellten sie gerade einmal 22 von 785 Abgeordneten. Inzwischen dürfte vielen Bürgern bewußt geworden sein, daß man für Europa und trotzdem gegen die aktuelle Entwicklung hin zu einem unkontrollierbaren Bürokratenstaat sein kann. Ich bin gespannt, wieviele Sitze die Euroskeptiker diesmal erreichen. Ich hätte sie gewählt, wären sie in Deutschland angetreten.

Zweitens bin ich gespannt auf das Abschneiden der Sozialisten und der Kommunisten.

Viele hatten erwartet, daß die gegenwärtige Krise ihre Stunde sein würde. Hat denn der von ihnen verdammte Neoliberalismus nicht eklatant versagt? Werden die Bürger ihr Heil also jetzt nicht wieder im Sozialismus suchen? So, wie in der Krise am Ende der Zwanziger Jahre die Sozialisten der einen oder der anderen Couleur massenhaft Zulauf hatten?

Sollten die Sozialisten und die Kommunisten diesen Erfolg nicht haben, dann wäre das aus meiner Sicht ein Zeichen dafür, daß die Bürger Europas seither politisch reifer geworden sind. Daß sie verstanden haben, daß das Mittel gegen eine Krise des Kapitalismus nicht dessen Abschaffung ist, sondern ein besserer Kapitalismus. Ich hoffe, daß gerade in der jetzigen Krise die Konservativen und die Liberalen gut abschneiden. Das wäre ein Grund zum Optimismus.

Dem dritten Punkt habe ich schon vor vier Wochen einen Artikel gewidmet: Werden in Deutschland die Grünen vor der FDP liegen?

Seit Anfang dieses Jahres hat die FDP einen demoskopischen Höhenflug. Ich hoffe, daß er bis zum 27. September anhalten wird, habe aber meine Zweifel. In den (wenigen) Umfragen zur Europawahl liegen aber mit einer Ausnahme (ein Gleichstand) die Grünen vor der FDP.

Das ware für die FDP ein denkbar schlechter Start ins Wahljahr 2009. Ich habe mich deshalb entschlossen, die FDP zu wählen, und ich habe, um es mir leichter zu machen, das Bild der Silvana Koch- Mehrin in meinem kognitiven System durch dasjenige des respektablen Alexander Graf Lambsdorff überschrieben; übrigens ein Neffe von Otto Graf Lambsdorff.

Falls Sie heute zur Wahl gehen wollen und noch unentschlossen sind, bitte ich Sie, das Argument in dem Artikel von vor vier Wochen zu erwägen:

In Deutschland von Bedeutung sind die heutigen Wahlen nur insofern, als sie die Startbedingungen für das Wahljahr bestimmen. Wenn man möchte, daß die FDP gut ins Ziel kommt, dann sollte man auch dazu beitragen, daß sie gut startet.



Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Fahnen vor dem Gebäude der Europäischen Kommission. Autor: Xavier Häpe; frei unter Creative Commons Attribution 2.0 License.

29. Mai 2009

Marginalie: Stell dir vor, es sind Europawahlen und keiner geht hin. Nebst einer Anmerkung zur Lage der FDP

Heute in einer Woche laufen in einigen Ländern schon die Europawahlen; wir in Deutschland wählen dann bekanntlich am Sonntag. Also Endspurt, Wahlfieber? Eine Umfrage nach der anderen?

Ach nein. Stell' dir vor, es sind Europawahlen, und keiner geht hin. Das scheint die allgemeine Stimmung zu sein.

Ein einziges Institut hat eine aktuelle Umfrage publiziert; Infratest dimap für die ARD. Die Werte unterscheiden sich kaum von den Anfang des Monats gemessenen:

Die Union kann auf einen klaren Wahlsieg hoffen (39 Prozent); die SPD ist mit 26 Prozent weit abgeschlagen. Wie schon bei den Umfragen im April, über die ich Anfang des Monats in diesem Artikel berichtet habe, ist das Stärkeverhältnis von FDP und Grünen umgekehrt wie bei Umfragen zur Bundestagswahl: 12 Prozent für die Grünen, nur 9 Prozent für die Liberalen.

Nimmt man allerdings die letzten Europawahlen am 13. 6. 2004 als Vergleichswert, dann dürfte die FDP zulegen (damals nur 6,1 Prozent), während die Grünen sich ungefähr halten würden.

Auch die Werte für die beiden großen Parteien relativieren sich, bezieht man sie auf die letzte Europawahl. Damals war die Regierung Schröder auf einem Tiefpunkt ihrer Popularität. Die SPD erreichte nur 21,5 Prozent, die Union aber traumhafte 44,5 Prozent.

Man kann also unschwer vorhersagen, wie die Kommentare am Wahlabend ausfallen werden: Die Union wird sich freuen, daß sie weit vor der SPD liegt. Die SPD wird argumentieren, daß sie gegenüber 2004 kräftig zugelegt hat, während die Union ebenso deutlich verloren habe.



Und warum liegt die FDP in dieser Umfrage erneut so viel niedriger, als es die national gemessenen Werte weit über 10 Prozent eigentlich erwarten lassen?

Ich habe in dem vorausgehenden Artikel argumentiert, daß unter den Anhängern der FDP besonders viele Euroskeptiker sein dürften, denen die Bevormundung durch Brüssel nicht gefällt.

Vielleicht sollte man die Sache aber auch anders herum sehen: 9 Prozent, das ist für die FDP, betrachtet man Umfragen und Wahlergebnisse über einen längeren Zeitraum, ja eigentlich ein ganz normaler Wert. Vielleicht sollte man sich eher fragen, warum die FDP national im Augenblick deutlich höher liegt.

Dieser Höhenflug begann, wie man hier sehen kann, recht plötzlich im Januar dieses Jahres; bis dahin hatten über viele Monate die Grünen, die Liberalen und die Kommunisten gleichauf bei um die 10 Prozent gelegen. Die Vermutung liegt nahe, daß damals - es begann die Diskussion um staatliche Interventionen, gar um ein Verstaatlichungs- Gesetz - liberal denkende Unions- Wähler zur FDP gewechselt sind.

Aber eben nur auf der nationalen Ebene, aus diesem konkreten Motiv heraus. Sie können ebenso schnell wieder bei der Union sein, wie sie von ihr weg waren. Die Weigerung der FDP, sich auf dem Parteitag in Hannover auf eine Koalition mit der Union festzulegen, könnte das beschleunigen. Wer von der Union zur FDP wechselte, weil die Union ihm nicht mehr liberal genug erschien, der wird schwerlich das Risiko eingehen, mit seiner Stimme indirekt einen Kanzler Steinmeier zu wählen; dazu Minister wie Künast und Trittin.

Sieht man sich die verlinkte Grafik an, dann kann man durchaus den Eindruck gewinnen, daß sich die FDP bereits wieder in Richtung auf ihre traditionellen Werte bewegt. Die nächsten Umfragen werden das genauer zeigen.

In der aktuellen Umfrage zur Europawahl haben Union (39 Prozent) und FDP (9 Prozent) zusammen 48 Prozent. In der letzten nationalen Umfrage desselben Instituts (Infratest dimap vom 15. 5.) hatten Union (35 Prozent) und FDP (13 Prozent) zusammen ebenfalls 48 Prozent. Das bürgerliche Lager ist bemerkenswert stabil. Nur daß Guido Westerwelle es nicht als ein bürgerliches Lager sehen möchte.



Ich habe Anfang des Monats allen Liberalen empfohlen, zur Europawahl zu gehen, um die FDP zu stärken. Ich möchte diese Empfehlung jetzt bekräftigen. Ein Wahlergebnis von 9 Prozent wäre für die FDP ein denkbar schlechter Start in dieses Wahljahr.



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6. Mai 2009

In gut vier Wochen sind Europawahlen. Hier meine Wahlempfehlung

Morgen in vier Wochen beginnt die Europawahl mit der Öffnung der Wahllokale in Großbritannien und Holland. Die anderen Länder folgen in den Tagen darauf; zur Schlußgruppe gehören wir in Deutschland mit der Wahl am Sonntag, dem 7. Juni. Erst am Sonntag Abend werden europaweit die Resultate veröffentlicht.

Gut einen Monat vor Wahlen ist normalerweise der Wahlkampf längst in seiner heißen Phase. Von den Europawahlen wird man das nicht sagen können, jedenfalls nicht in Deutschland. Keine Wahlspots, kaum Berichterstattung über die Wahlen, nur zögerlich Plakatwerbung. Es gehört keine prophetische Gabe dazu, vorherzusagen, daß die Wahlbeteiligung dürftig sein wird.

Zum ersten Mal, seit ich wahlberechtigt wurde, habe auch ich mir überlegt, ob ich überhaupt zur Wahl gehen werde.

Eigentlich sehe ich es als meine staatsbürgerliche Pflicht an, von meinem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Denn welches Recht habe ich zur Kritik, wenn ich meine Mitwirkung am demokratischen Entscheidungsprozeß verweigere? Der bewußte Wahlverweigerer kommt mir als ein Kritikaster vor, der herummeckert, es aber ablehnt, selbst etwas zu tun.

Anders ist es natürlich bei denjenigen, die sich schlicht nicht für Politik interessieren. Sie haben nicht nur das Recht, dies durch Wahlenthaltung zum Ausdruck zu bringen; sondern es erscheint mir auch angemessen, wenn sie sich so verhalten. Denn was nutzt dem Gemeinwesen die Stimme eines Bürgers, der gar nicht verantwortlich entscheiden kann, weil er von dem, worüber er entscheidet, nichts weiß?

Ob jemand aus Desinteresse oder als bewußte Demonstration dem Wahllokal fernbleibt, kann man freilich nicht wissen. Schon deshalb ist das demonstrative Nichtwählen keine sehr weise Entscheidung - just das Demonstrative daran bleibt ja unbemerkt. Es ist so wirksam wie ein Wahlplakat, das jemand im eigenen Schlafzimmer aufhängt.

Dies gesagt - es gibt für mich Gesichtspunkte, die dafür sprechen, diesen Wahlen fernzubleiben. Denn das Wählen setzt voraus, daß man grundsätzlich mit der Institution einverstanden ist, über deren Zusammensetzung man mitbestimmt; und mit dem Verfassungsrahmen, in den sie eingebettet ist.

Mit der Bundesrepublik Deutschland, mit ihren Institutionen, mit ihren Parlamenten bin ich einverstanden. Mit der Art, wie Europa sich institutionell entwickelt hat und wie es sich auf der Grundlage der Verträge von Lissabon weiterentwickeln soll, bin ich nicht einverstanden.



Die Gründe für diese Haltung habe ich in früheren Artikeln dargelegt, die sich u.a. mit den unklaren Vorstellungen über die Struktur Europas, mit der problematischen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und immer wieder mit dem Versuch der Brüsseler Etatisten befaßt haben, bis hin zu lächerlichen Kleinigkeiten ins Leben der EU-Bürger hineinzuregieren. Der Gipfel, sozusagen, war eine EU-Richtlinie mit dem Ziel, das Seilbahn- Wesen in der Europäischen Union zentral zu regulieren. Dieser Richtlinie und ihrer hanebüchenen juristischen Begründung habe ich im September vergangenen Jahres einen längeren Artikel in zwei Teilen gewidmet.

Dieses Europa der Etatisten nun also wollte sich bekanntlich eine Verfassung geben. Als diese von den Franzosen und den Holländern abgelehnt wurde, hat man das nicht respektiert. Genauer: Man hat es nur formal respektiert und den Inhalt umformuliert; ihn in die Form der Verträge von Lissabon gegossen, die nun keiner Zustimmung durch ein Referendum mehr bedurften; mit Ausnahme Irlands.

Dieses neue Europa basiert, mit anderen Worten, auf einer Trickserei, mit der der Volkswille umgangen wurde. Auch der Wille der Iren soll offenbar übergangen werden. Man wird wohl einfach noch einmal abstimmen lassen, nach dem Prinzip: Wir wählen so oft, bis das richtige Ergebnis herauskommt. So ruiniert man das Vertrauen in Institutionen.

Kurz, dieses Europa, dessen Parlament in einem Monat gewählt wird, ist nicht das politische Europa, dem ich so zustimmen kann, wie ich mit der Bundesrepublik Deutschland einverstanden bin. Verpflichtet fühle ich mich deshalb nicht, zur Wahl zu gehen.



Ich werde es gleichwohl tun. Zum einen aus dem schon genannten Grund: Demonstrative Wahlenthaltung ist nicht als demonstrativ erkennbar; sie wird unter die allgemeine "Wahlmüdigkeit" subsumiert.

Zum anderen geht es ja gar nicht primär um Europa.

An der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments wird sich nach Umfragen nicht viel ändern; sie ist im übrigen ziemlich egal. Es gibt dort keine Regierungs- und keine Oppositionsparteien. Wenn sich aufgrund der jetzigen Wahlen die Proportionen zwischen den Fraktionen (den Christdemokraten/Konservativen, den Sozialisten, den Liberalen, den Grünen, den Kommunisten und den Euroskeptikern) geringfügig verschieben sollten, dann ist das ohne jeden Belang.

Allenfalls ein gutes Abschneiden der beiden Fraktionen der Euroskeptiker (der Union für ein Europa der Nationen und der Fraktion Unabhängigkeit und Demokratie) könnte eine gewisse Wirkung haben.

Würde in Deutschland eine ernstzunehmende, demokratische euroskeptische Partei zur Wahl antreten - sie hätte meine Stimme. Aber seltsam - während europaweit Euroskeptiker auf den Stimmzetteln stehen werden, sucht man sie in Deutschland vergeblich.

Man kann sie sich bereits ansehen, die Stimmzettel; der Bundeswahlleiter stellt Muster als PDF-Datei zur Verfügung. Weder die EUDemokraten noch Libertas werden in Deutschland zur Wahl stehen.

Diese Stimmzettel sind auch sonst ganz interessant. Sie sind lang; nicht weniger als 31 Parteien oder sonstige Vereinigungen befinden sich darauf. Deren Reihenfolge ist von Bundesland zu Bundesland verschieden; je nach den Ergebnissen früherer Wahlen. Meist steht die Union auf Platz eins, in Bremen aber die SPD, und in Brandenburg sind es gar die Kommunisten.

An dieser Äußerlichkeit wird derjenige Umstand deutlich, der mich veranlaßt, wählen zu gehen: Die wahre Bedeutung dieser Wahlen liegt nicht auf der europäischen Ebene, sondern auf der nationalen. Und das gilt besonders für Deutschland.

Denn mit den Europawahlen wird dieses "Superwahljahr" eröffnet. Sie haben damit so etwas wie eine prägende Wirkung. Wer in diesen Wahlen gut abschneidet, der wird Aufwind für die nachfolgenden Wahlen bekommen. Wer patzt, der geht aus einer schlechten Position in die Wahlen dieses Jahres.

Wie sind die Aussichten der einzelnen Parteien? Es liegen bisher zwei Umfragen vor; beide von Anfang April. Sie zeigen übereinstimmend für die Union und die SPD ungefähr die Werte, die diese auch bei den Umfragen zum Bundestag erreichen. Überraschend aber sind die Zahlen für die Grünen und die FDP: In beiden Umfragen liegen die Grünen bei 13 Prozent und die FDP nur bei 10 Prozent - also eine deutliche Umkehrung der Verhältnisse bei der Sonntagsfrage.

Natürlich kann es sich bei nur zwei vorliegenden Umfragen um Stichprobenfehler handeln. Aber ein solches Ergebnis würde sich auch unschwer interpretieren lassen: Viele Wähler der Grünen dürften gemerkt haben, wie prächtig sich "grüne Inhalte" über den Transmissionsriemen EU - nämlich via Verordnung oder via Richtlinie - durchsetzen lassen. Unter den Wählern der FDP hingegen dürften viele Euroskeptiker sein, die genau aus diesem Grund der EU ablehnend gegenüberstehen. Wer freiheitlich denkt, kann in der Tat dieser EU und ihrem Entwicklungstrend nicht zustimmen. Also dürfte das Interesse an den Europawahlen bei den Wählern der Grünen höher sein als bei denjenigen der Liberalen.



Und damit bin ich bei meinem Fazit, das Sie, lieber Leser, nun nicht mehr verwundern wird: Ich werde zur Wahl gehen, und ich werde die FDP wählen. Ein deutlich schlechteres Abschneiden, als ihr die momentanen Umfragen für den Bundestag vorhersagen, wäre ein miserabler Auftakt für dieses Wahljahr. Erst recht dann, wenn die FDP auch noch deutlich von den Grünen überholt werden würde.

Ich bitte Sie, die Überlegungen, die ich in diesem Artikel vorgetragen habe, zu prüfen, und würde mich freuen, wenn Sie dann zur selben Entscheidung kämen.



Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Fahnen vor dem Gebäude der Europäischen Kommission. Autor: Xavier Häpe; frei unter Creative Commons Attribution 2.0 License.