26. Mai 2009

Marginalie: Guantánamo wird geschlossen. Wohin kommen jetzt eigentlich gefangene Terroristen? Nebst einer Erinnerung an den Höhepunkt des Irakkriegs

Auf dem Höhepunkt der Gewalt im Irak, im Januar 2007, als im Irak der Bürgerkrieg drohte, brachte der Senator Barack Obama im US-Senat einen Gesetzesentwurf ein, der zu den unverantworlichsten in der amerikanischen Geschichte gehört.

Dieser Iraq War De-Escalation Act, den ich in diesem Artikel im Detail analysiert habe, sah vor, daß die USA den vollständigen, einseitigen und bedingungslosen Abzug ihrer Truppen verkünden sollten. Beginn 1. Mai 2007. Vollständiger Abzug aller Kampftruppen bis zum 31. März 2008.

Es gibt keinen vernünftigen Zweifel daran, daß dieses Gesetz, hätte es der US-Senat gebilligt und wäre ihm der Präsident gefolgt, nicht nur eine schmähliche Niederlage der USA bedeutet hätte, sondern auch den Bürgerkrieg im Irak und die Errichtung einer Herrschaft der Kaida über die Provinz Anbar; mit Ausbildungslagern für Terroristen, wie sie einst in Afghanistan bestanden.

Dem Senator Obama waren diese Folgen natürlich bekannt. Was ihn veranlaßte, dennoch den Iraq War De-Escalation Act einzubringen, kann man nur vermuten.

Es ging damals eine Anti- Kriegsstimmung durchs Land, Obama war noch ein weithin unbekannter Senator. Die Vermutung liegt nahe, daß er sich an die Spitze der Bewegung für den Abzug aus dem Irak setzen und damit nationale Bekanntheit erlangen wollte. Die militärischen, die außenpolitischen Folgen seines Gesetzes erschienen ihm offenbar gegenüber diesem Karriereziel weniger bedeutsam.

Aus dem Gesetz ist damals zum Glück nichts geworden; es blieb schon im Auswärtigen Ausschuß des Senats hängen. Aus dem Senator Barack Obama ist bekanntlich etwas geworden.



Ich erinnere an diesen Vorgang, weil sich jetzt in Bezug auf Guantánamo etwas Ähnliches abspielt, wenn auch von ungleich geringeren Dimensionen. Nur ist Obama jetzt in einer Position, in der er nicht nur ein Gesetz vorschlagen, sondern in der er Entscheidungen treffen kann.

Eine solche Entscheidung war der Beschluß zur Schließung des Gefangenenlagers in Guantánamo. Wie der Iraq War De-Escalation Act war es eine populäre Entscheidung, als Obama sie verkündet hat. Wie dieser Gesetzentwurf war es eine Entscheidung, die offenbar ohne Rücksicht auf die Folgen getroffen wurde.

Daß die USA sich damit das Problem einhandeln würden, wo man denn die Gefangenen aus Guantánamo hinbringen soll, war von vornherein klar; ich habe im November 2008 darüber berichtet. Sie einfach zu entlassen, ist ein schöner, friedfertiger Gedanke. Nur findet man dann nicht wenige der Entlassenen als Terroristen wieder.

Aber es gibt noch ein viel gravierenderes Problem; darüber haben am vergangenen Wochenende Eric Schmitt und Mark Mazzetti in der New York Times berichtet: Es geht ja nicht nur um die Unterbringung der bisherigen Gefangenen. Es geht auch darum, was man mit neuen Gefangenen macht, die bisher nach Guantánamo kamen. Mit solchen, die im Gefecht gefangen genommen wurden; vor allem aber auch mit Terroristen, denen die Geheimdienste nachspürten und deren Festnahme gelang.

Unter Präsident Bush kamen sie überwiegend nach Guantánamo. Und jetzt? Die Antwort ist einigermaßen ernüchternd, vermutlich selbst für einen Fan des Präsidenten Obama: Man überläßt sie einfach ausländischen Geheimdiensten; diese sollen sie festhalten, sie verhören, sich halt um sie kümmern.

Teilweise hatten die USA auch schon gegen Ende der Amtszeit von Präsident Bush mit dieser Praktik begonnen; aber unter Obama ist sie nun derart zum Standard geworden, daß seit dessen Amtsantritt kein einziger Verantwortlicher der Kaida mehr in die USA verbracht worden ist.

Gejagt und gefangen werden sie wie eh und je. In den vergangenen zehn Monaten wurden beispielsweise nach Informationen der NYT ungefähr ein halbes Dutzend Verantwortliche der Kaida im Nahen Osten gefangen genommen. Sie werden jetzt von den Geheimdiensten von vier Ländern dieser Region festgehalten. In diesem Jahr gelang Pakistan die Gefangennahme von zwei Kaida- Anführern; einem aus Saudi- Arabien und einem Jemeniten. Unter Präsident Bush wären sie nach Guantánamo überstellt worden; jetzt bleiben sie in der Obhut des pakistanischen Geheimdienstes.

Das also ist der Fortschritt in Sachen Menschenrechte, den Präsident Obama mit der Schließung von Guantánamo zu verantworten hat: Gefangene Terroristen werden jetzt von Geheimdiensten festgehalten, deren Verhältnis zu den Menschenrechten etwas bedenklicher sein dürfte als das, was der Regierung Bush angelastet wurde.



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