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6. Juli 2009

Mutmaßungen über Sarah. Oder: Jagdszenen aus den Niederungen der Publizistik. Nebst einer Bemerkung über die Beherrschung des Englischen

Sarah Palin - Sie erinnern sich? Palin war letztes Jahr die Überraschung des amerikanischen Wahlkampfs; von John McCain zur Kandidatin für die Vizepräsidentschaft der USA berufen.

Sie war, Sie erinnern sich, die Kandidatin, die sich "als wandelnde Lachnummer" entpuppte. Politisch aber war sie "so unbeleckt und rhetorisch so unbegabt, dass McCains Team sie panisch einem Crash- Kurs unterzog". Das war die Frau, die ein "desaströses Interview" gab, die für eine Witzsendung "Kanonenfutter" war; kurz ein "politisches Pin-up-Girl".

Das sind alles Zitate aus dem Artikel, in dem Marc Pitzke in "Spiegel- Online" am Samstag über den Rücktritt von Sarah Palin als Gouverneurin von Alaska berichtete. Wohlgemerkt: Kein Kommentar, sondern der Bericht eines Amerika- Korrespondenten von "Spiegel- Online".

Pitzke ist gewiß eine besonders unappetitliche Erscheinung im deutschen Journalismus. Schon während des Wahlkampfs hat er mit den miesesten Tricks gegen Palin gearbeitet; beispielsweise, indem er eine Äußerung von ihr bis zur Unverständlichkeit schlecht übersetzte. Aber in der Tendenz lagen und liegen viele Berichte über Sarah Palin nicht so sehr weit entfernt von dem, was Pitzke für Berichterstattung hält (und was "Spiegel- Online" ihm als solche durchgehen läßt).

Ist es in den USA anders? Nicht unbedingt. Nur, daß es in den USA undenkbar wäre, in einem führenden Medium derart Meinung und Berichterstattung zu vermengen. Nur, daß diese Herabwürdigung von Sarah Palin nicht flächendeckend zu finden ist. Sondern auf der Linken, besonders bei weiblichen Kommentatoren.



Ein Beispiel ist die Art, wie ebenfalls am Samstag in der New York Times Maureen Dowd die Zicke rausließ und Palin mit einem Aufwand an offenen und versteckten Bosheiten fertigzumachen versuchte, wie das - sagt ein Klischee, dem ich mich hier nicht verschließe - wohl nur eine Frau mit einer Frau machen kann.

Palin zeige ein "erratic and egoistic behavior", ein launisches und egoistisches Verhalten. Was sie darbiete, das sei "girlish burbling", das Geplapper eines kleinen Mädchens.

Oder: "The White House can drive its inhabitants loopy. So at least Sarah Palin is ahead of the curve on that one". Das Weiße Haus könne seine Bewohner ausrasten lassen. Zumindest in dieser Hinsicht habe Palin schon die Kurve gekriegt.

Oder: "The musher must jump out of the dogsled when warmer climes call." Die Steuerfrau des Hundeschlittens müsse ja schließlich aus dem Schlitten springen, wenn wärmeres Klima rufe.

Und in diesem Zusammenhang zitiert die zungenfertige Kommentatorin einen Satz, der auch dem "Spiegel- Online"- Korrespondenten Marc Pitzke aufgefallen ist. Einen Satz der Pressesprecherin von Sarah Palin, Meg Stapleton: "The world is literally her oyster."



Jetzt lachen Sie bitte mit, lieber Leser. Als ich den Artikel von Pitzke am Samstag das erste Mal las und ihn für einen Beitrag in ZR vormerkte, da stand dort als Übersetzung dieses Satzes: "Die Welt ist eine Auster."

Die Welt eine Auster? Ja, warum nicht? Warum nicht auch eine Schildkröte oder ein Eichhörnchen? Bei all dem Unsinn, den Pitzke schreibt, könnte man einen solchen Aberwitz ja glatt überlesen.

Irgendwer bei "Spiegel- Online" hat ihn aber nicht überlesen, sondern herauszufinden versucht, was die Redewendung "The world is her oyster" denn wohl wirklich bedeuten könnte. Vielleicht hat er sich bei LEO informiert; jedenfalls ziert den Artikel von Pitze jetzt ein redaktioneller Kommentar:
Korrektur: Die ursprüngliche Version dieses Textes enthielt bei einer zitierten Redewendung einen Übersetzungsfehler. So sagte Palins Sprecherin über die Politikerin: "Die Welt liegt ihr zu Füßen" (nicht: "Die Welt ist eine Auster.").
Das ist nun freilich nicht mehr ganz so absurd wie die Übersetzung des Meisters der englischen Sprache Marc Pitzke, aber es liegt im jetzigen Kontext noch immer daneben.

Meg Stapelton reagierte auf die Frage, was denn Sarah Palin jetzt vorhabe. Und sie antwortete mit dieser Redewendung, die bedeutet: Sie hat alle Möglichkeiten. Ihr stehen alle Türen offen. Die Welt steht ihr offen.

Denn das ist der Sinn. Die Redewendung geht, wie man zum Beispiel im britischen Independent nachlesen kann, auf die Zeit zurück, als Austern noch reichlich vorhanden und an der Küste so etwas wie die Nahrung des Kleinen Mannes waren. Jeder konnte also damals beim Sammeln von Austern hoffen, eine Perle zu finden. Jedem stand dieses Glück offen. Zu Füßen lag ihm freilich die Welt damit nicht.



Was hat es nun, wenn man allen diesen Schmutz und diese Inkompetenz hinter sich läßt, tatsächlich mit dem Rücktritt von Sarah Palin auf sich?

Sie hat es gesagt: In einer frei gesprochenen, einer sympathischen, einer offenen Rede, die freilich Marc Pitzke als einen "ungebremste[n] Gedankenstrom ohne Punkt und Komma, frei von lästiger Syntax und voller Bandwurmsätze, die mittendrin beginnen und auf halbem Wege verenden" wahrgenommen hat.

Urteilen Sie selbst, lieber Leser. Hier finden Sie den Wortlaut der Rede; und zum Beispiel hier können Sie sich das Video ansehen. Eine Rede, nicht vom Teleprompter abgelesen, wie es der jetzige Präsident selbst bei kleinsten Anlässen zu tun pflegt, sondern frei gesprochen. Finden Sie, daß Marc Pitzke fair berichtet?

Wenn Sie die Rede gelesen oder gehört haben, dann wissen Sie, warum Sarah Palin zurücktritt. Sie begründet diesen Schritt so deutlich, wie man das überhaupt nur kann:
Some say things changed for me on August 29th last year – the day John McCain tapped me to be his running-mate – I say others changed. Let me speak to that for a minute.

Political operatives descended on Alaska last August, digging for dirt. The ethics law I championed became their weapon of choice. Over the past nine months I've been accused of all sorts of frivolous ethics violations – such as holding a fish in a photograph, wearing a jacket with a logo on it, and answering reporters’ questions.

Every one – all 15 of the ethics complaints have been dismissed. We’ve won! But it hasn't been cheap - the State has wasted thousands of hours of your time and shelled out some two million of your dollars to respond to “opposition research” (...)

It’s pretty insane – my staff and I spend most of our day dealing with this instead of progressing our state now. I know I promised no more “politics as usual,” but this isn’t what anyone had in mind for Alaska. (...)

So I choose, for my State and my family, more "freedom" to progress, all the way around... so that Alaska may progress... I will not seek re-eelction as Governor.

Einige meinen, die Dinge hätten sich für mich am 29. August des vergangenen Jahres geändert - an dem Tag, als John McCain mich zu seiner Kandidatin für die Vizepräsidentschaft ernannte. Ich meine, andere haben sich verändert. Lassen Sie mich dazu kurz etwas sagen.

Politische Funktionäre haben sich vergangenen August nach Alaska aufgemacht, um nach Schmutzigem zu graben. Das Ethik- Gesetz, für das ich eingetreten war, wurde ihre Waffe der Wahl. In den vergangen neun Monaten wurde ich aller Arten der mutwilligen Verletzung von Ethik- Richtlinien beschuldigt - zum Beispiel, auf einem Foto einen Fisch hochgehalten zu haben, eine Jacke mit einem Logo darauf getragen und die Fragen von Reporten beantwortet zu haben.

Diese 15 Anklagen wegen Verletzung der Ethik- Richtlinien sind sämtlich abgewiesen worden. Wir haben gewonnen! Aber das war nicht billig - der Staat hat Tausende von Stunden Ihrer Zeit verschwendet und ungefähr zwei Millionen Ihrer Dollars zum Fenster hinausgeworfen, um auf die "Nachforschungen der Opposition" zu reagieren. (...)

Es ist einigermaßen krank. Meine Mitarbeiter und ich verbringen den größten Teil unseres Arbeitstags damit, uns mit dem herumzuschlagen, statt unseren Staat jetzt voranzubringen. Ich weiß - ich versprach, daß es keine "Politik wie gehabt" mehr geben würde. Aber an so etwas hat niemand für Alaska gedacht. (...)

Folglich habe ich für meinen Staat und für meine Familie mehr "Freiheit" zum Vorankommen gewählt. Damit Alaska vorankommt. Ich werde mich nicht der Wiederwahl als Gouverneurin stellen.
Palin erläutert dann, warum sie ihre Amtszeit nicht zu Ende bringen will: Weil sie keine lame duck sein will; eine Amtsinhaberin, die nicht mehr zur Wiederwahl steht und also in ihren Entscheidungen gehandicapt ist.



Und was wird da alles spekuliert!

Den meisten deutschen Medien ist auf irgendeinem geheimnisvollen Weg die Einsicht zugewachsen, daß Palin sich in Wahrheit eine günstige Ausgangs- Position verschaffen will, um 2012 (!) für die Präsidentschaft zu kandidieren. Bisher hat noch kein Gouverneur, der sich um die Präsidentschaft bewarb, deshalb mehr als drei Jahre vor den Wahlen sein Amt aufgegeben; warum auch?

Oder ist sie vielleicht krank, oder ihr Mann Todd? Oder ist sie gar schwanger? Oder will sie einen gutbezahlten Job in der Industrie annehmen? Oder läuft gegen sie, wie jetzt kolportiert wird, am Ende ein Strafverfahren?

Ja, das ist alles möglich. Für keine dieser Spekulationen gibt es aber auch nur den Schatten eines Hinweises. Nada.

Wie wäre es, wenn man, solange nichts dagegen spricht, einfach Sarah Palin glauben würde, was sie sagt? Daß sie nämlich sich, ihren Mann, ihre Kinder nicht länger dieser Schmutzkampagne aussetzen wollte?



Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Sarah Palin im Juni 2007. Von der Autorin Tricia Ward unter GNU Free Documentation License freigegeben.

30. Oktober 2008

Kurioses, kurz kommentiert: Einstechen auf Nicolas Sarkozy und ein aufgehängter Barack Obama. So empörend kann Halloween sein!

Nicolas Sarkozy, débouté mercredi 29 octobre, de sa demande d'interdiction de la poupée vaudou à son effigie, commercialisée par la société Tear Prod, a fait appel de cette décision de référé, a-t-on appris auprès de son avocat et de la cour d'appel de Paris.

(Nicolas Sarkozy, dessen Antrag am Mittwoch, dem 29. Oktober, abgewiesen wurde, eine ihn verkörpernde Vodoo- Puppe zu verbieten, die von dem Unternehmen Tear Prod vertrieben wird, hat gegen diese Gerichts- Entscheidung im Eilverfahren Widerspruch eingelegt. Dies verlautete von seinem Rechtsanwalt und dem Pariser Appellationsgericht.)

Aktuell zu lesen auf der WebSite des Nouvel Observateur.

Kommentar: Morgen, am 31. Oktober, ist zwar auch das Reformationsfest (aber wen interessiert das noch?), vor allem aber ist Halloween.

Ein "Fest", das es in Deutschland erst seit zehn, zwanzig Jahren gibt. Nun, warum nicht. Vielleicht tun sich ja die verbliebenen Protestanten und die Neuen Heiden zusammen und betreiben es gemeinsam, daß der 31. Oktober gesetzlicher Feiertag wird. Zusammen mit Allerheiligen, das freilich nur im Katholischen gesetzlich verankert ist, würde das doch schöne Brückentage geben; jedenfalls in diesem Jahr.

Pünktlich zu Halloween nun also hat sich der französische Staatspräsident mit Hilfe einer Vodoo- Puppe lächerlich gemacht. Die Puppe, die er gern verboten sähe, wurde freilich nicht einfach so vertrieben, sondern zusammen mit nicht weniger als zwölf Nadeln, schön verpackt in einer Schatulle, zusammen mit einer Gebrauchsanweisung samt Hintergrund- Material von 56 Seiten.

Man kann sich vorstellen, was Sarkozy alles passieren kann, wenn dieses hübsche Set unter die Leute kommt und wenn sie die Gebrauchsanweisung befolgen, die "invite le lecteur à planter des aiguilles sur la poupée à son effigie pour 'conjurer le mauvais œil'; die den Leser auffordert, Nadeln in die Puppe zu stechen, um "den bösen Blick zu bannen".

Wer weiß, was den Franzosen von ihrem Staatspräsidenten überhaupt noch bleibt, wenn erst einmal sein böser Blick gebannt ist.



Halloween also in Europa. Halloween natürlich erst recht in den USA. AP meldete in der vergangenen Nacht, daß auf dem Campus der University of Kentucky eine Puppe gefunden wurde, die Barack Obama darstellen sollte. Sie trug eine Halloween- Maske, die Obama nachempfunden war. Anders als der Sarkozy- Puppe waren ihr keine Nadeln beigefügt, sondern sie hatte einen Strick um den Hals, und sie war auch bedeutend größer, nämlich lebensgroß.

Zuvor war schon, so heißt es in der Meldung, in West Hollywood (Californien) eine Puppe gefunden worden, die Sarah Palin darstellen sollte; auch sie mit einem Strick um den Hals. Daneben John McCain, er allerdings dabei, auf einer Art Scheiterhaufen verbrannt zu werden.

Kindereien das eine wie das andere. Ein Staatspräsident macht sich lächerlich, indem er, sozusagen prall gefüllt mit der Würde seines Amtes, Anzeige erstattet. Und Barack Obama? Er verhält sich bisher souverän und schweigt. Auch sein Team hat bisher keine Stellungnahme abgegeben.

Umso lauter ist die Betroffenheits- Rhetorik auf dem Campus und in Lexington, wo die Universität von Kentucky liegt. Der Lexington Herald berichtet im Detail, wer alles seiner Empörung Ausdruck verliehen hat. Der Gouverneur von Kentucky und der Bürgermeister von Lexington haben sich bereits bei Obama entschuldigt; ganz so, als steckten sie hinter dem makabren Scherz.

Der stellvertretene Sicherheitschef von Lexington, Anthony Beatty, erklärte, die Polizei ermittle und untersuche, ob die ruchlose Tat vielleicht von Überwachungs- Kameras erfaßt worden sei. Es gebe noch keine Verdächtigen.

Und es sei auch noch unklar, welchen Gesetzesbruchs man eigentlich die Täter beschuldigen werde, wenn sie gefaßt seien ("It's difficult to say what type of charges the culprits may face until police can interview whoever did it").

Die für den Schutz der Kandidaten Obama und McCain zuständige Bundesbehörde ist eingeschaltet und ermittelt ebenfalls.



"Tiefer hängen", soll der Alte Fritz gesagt haben, als er an einer Schmähschrift gegen ihn vorbeiritt, die man an einer Wand aufgehängt hatte. Tiefer, damit alle sie lesen können.

Das war freilich noch zur Zeit des Feudalismus.



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19. Oktober 2008

Kurioses, kurz kommentiert: "Debakel", "Peinliche Panne". Warum löst Sarah Palin Haß und Häme aus? Man könnte ins Psychologisieren kommen ...

  • Saturday-Night-Live-Debakel: Sarah Palin floppt in der Comedy-Show

  • Kampf ums Weiße Haus: Obama hängt McCain bei Wahlwerbung ab

  • Wahlempfehlung: US-Zeitungen schlagen sich auf Obamas Seite

  • US-Wahlkampf: Ex-US-Außenminister Powell will Obama wählen

  • Peinliche Panne: US-Regierung weiht Palin nicht in Irak-Pläne ein
  • Dies waren heute am frühen Nachmittag die fünf ersten Schlagzeilen bei "Spiegel- Online".

    Kommentar: Daß "Spiegel- Online" über den US-Wahlkampf ungefähr so ausgewogen berichtet, wie einst Karl- Eduard von Schnitzler die Verhältnisse in der Bundesrepublik dargestellt hat, ist nun gewiß keine Neuigkeit mehr. Daran noch einen Gedanken zu wenden wäre albern.

    Aber woher rührt diese besondere Haß, diese Häme, die sich gegen Sarah Palin richtet? Allein am Politischen kann es nicht liegen; in dieser Hinsicht ist sie nicht auffälliger konservativ als, sagen wir, der freundliche Pastor Huckabee.

    Es muß wohl etwas mit der Person zu tun haben.

    Sarah Palin wirkt ausgesprochen selbstsicher, ja selbstbewußt. Insofern entspricht sie dem Rollenklischee der emanzipierten Frau.

    Aber zugleich torpediert sie dieses Rollenklischee: Sie ist nicht den mühsamen Weg der Karrierefrau gegangen. Was sie erreicht hat, das ist ihr fast zugeflogen. Sie ist emanzipiert, ohne sich so zu verhalten, wie der Feminismus das emanzipierten Frauen verordnet. Sie ist einerseits eine konservative Mutter, andererseits jagt und fischt sie im wilden Alaska, ganz wie ein Mann.

    Damit polarisiert Sarah Palin. Sie irritiert, weil man sie nicht mit dem Klischee des Heimchens am Herd abtun kann. Ihre Selbstsicherheit tut ein übriges, um Klischees, ja Archetypen zu aktivieren.

    Das sind - so könnte man psychologisieren - je nach persönlicher psychischer Konstitution desjenigen, der auf Palin reagiert, positive Klischees, wie ich sie hier beschrieben habe. Oder eben auch negative, die in Richtung Amazone, Domina und Flintenweib gehen; dergleichen. Nicholas Ray hat mit der Figur der Vienna in "Johnny Guitar" diesen Archetypen perfekt auf die Leinwand gebracht.



    Was ist von solchem Psychologisieren zu halten? Ich finde es amüsant, aber man sollte es - siehe die Kategorie, unter die ich diesen Artikel stelle - doch mehr unter "Kurioses" ablegen. Das sind Gedankenspiele, nicht beweisbar und nicht widerlegbar.

    Aber gelegentlich ein wenig spielen, das macht ja nicht nur Spaß, sondern es kann auch die eine oder andere Erkenntnis befördern. Finden Sie nicht?



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    13. Oktober 2008

    Zitate des Tages: Die heimtückische Naivität der Sarah Palin. Nebst einer Anmerkung über die Rollenspiele Barack Obamas

    Sarah Palins Naivität ist so bodenlos, dass man fast schon glauben mag, es stecke doch böse Absicht dahinter. (...) Ohne Hemmungen behauptet sie, Obama würde sich "mit Terroristen abgeben" und versucht ihm eine enge Verbindung zu dem Bombenleger William Ayers aus den siebziger Jahren anzuhängen. Nun hat Ayers in der Vergangenheit tatsächlich ein paar schlimme Dinge angestellt - aber Obama kennt den Mann (der heute als Universitätsprofessor in Chicago lehrt) nur flüchtig.

    Peter Ross Range am 12. Oktober 2008 in "Spiegel- Online" unter der Überschrift "Palins Naivität kann so heimtückisch sein".


    Obama's political career was launched with Ayers giving him a fundraiser in his living room.

    (Obamas politische Karriere nahm ihren Anfang, als Ayers für ihn in seinem Wohnzimmer eine Finanzierung organisierte.)

    Charles Krauthammer, Träger des Pulitzer- Preises, in der Washington Post vom 10. Oktober 2008.


    Senator Obama served on a board with Mr. Ayers for a period of time, the Woods Fund, which was a paid directorship position.

    (Senator Obama amtierte zusammen mit Mr. Ayers eine zeitlang in demselben Verwaltungsrat, dem [des] Woods Fund. Dies war eine bezahlte Direktorenstelle.)

    Senatorin Hillary Clinton, zitiert in The Nation in der Ausgabe vom 1. Mai 2008.


    From 1995 to 1999, he [Obama] led an education foundation called the Chicago Annenberg Challenge (CAC), and remained on the board until 2001. The group poured more than $100 million into the hands of community organizers and radical education activists. The CAC was the brainchild of Bill Ayers.

    (Von 1995 bis 1999 leitete er [Obama] eine Bildungs- Stiftung namens Chicago Annenberg Challenge (CAC) und blieb bis 2001 im Verwaltungsrat. Die Gruppe pumpte mehr als $100 Millionen Dollar in die Hände von Gemeinde- Organisatoren und extremistische Bildungs- Aktivisten. Das CAC war das geistige Kind von Bill Ayers.)

    Stanley Kurtz im Wall Street Journal vom 23. September 2008.



    Kommentar: Die Beziehungen zwischen Ayers und Obama in dessen Chicagoer Zeit hat Stanley Kurtz für das National Review in einer dreiteiligen Serie anhand von Dokumenten, deren Freigabe er unter dem Freedom of Information Act erzwang, penibel recherchiert. Diese und weitere Informationen hat er für einen Artikel im Wall Street Journal vom 23. September verarbeitet.

    Ayers war einer der drei Antragsteller für die Finanzierung des Chicago Annenberg Challenge (CAC), jener Organisation, deren Leiter des Direktoriums (Chairman of the Board) dann Obama wurde.

    Ayers war eines von fünf Mitgliedern der Kommission, die Obama für diesen Posten auswählte.

    In seiner Funktion als Leiter des Direktoriums war Obama für die Finanzen des CAC zuständig. Das zweite Gremium neben dem Direktorium war die "Collaborative" des CAC, die für die Bildungspolitik zuständig war. Einer der beiden Leiter dieses Gremiums war Ayers.

    Soviel zu den Fakten und zu der "flüchtigen Bekanntschaft".

    Die aus meiner Sicht beste Bewertung dieser Fakten hat - wie so oft - Charles Krauthammer in dem zitierten Kommentar in der Washington Post vom vergangenen Freitag formuliert, in dem es auch um Obamas Beziehungen zu zwei anderen fragwürdigen Gestalten, dem Pastor Wright und dem Geschäftsmann Rezko geht:
    Why are these associations important? (...) They tell us two important things about Obama.

    First, his cynicism and ruthlessness. He found these men useful, and use them he did. (...)

    Second, and even more disturbing than the cynicism, is the window these associations give on Obama's core beliefs. He doesn't share the Rev. Wright's poisonous views of race nor Ayers's views, past and present, about the evil that is American society. But Obama clearly did not consider these views beyond the pale. For many years he swam easily and without protest in that fetid pond.

    Warum sind diese Verbindungen wichtig? (...) Sie sagen uns zwei wichtige Dinge über Obama.

    Erstens, sein Zynismus und seine Skrupellosigkeit. Er fand diese Männer nützlich, und er benutzte sie. (...)

    Noch beunruhigender als der Zynismus ist zweitens der Einblick, den diese Verbindungen in Obamas Grundüberzeugungen geben. Er teilt nicht die vergiftenden Auffassungen des Pastors Wright zur Rassenthematik und die Auffassungen, die Ayers zur amerikanischen Gesellschaft hatte und hat, nämlich daß sie das Böse ist. Aber Obama sah diese Auffassungen eindeutig nicht als außerhalb jeder Diskussion stehend an. Jahrelang schwamm er leichthin in diesem übelriechenden Tümpel, ohne zu widersprechen.



    Barack Obama erschien mir am Anfang des Vorwahlkampfs nur als ein begnadeter, charismatischer Redner. Als ich dann merkte, wie er diese Fähigkeiten einsetzte, um sich den Massen als Erlöser darzustellen, sah ich ihn auch als einen bedenkenlosen Populisten.

    Dann hat mich verblüfft, wie er von einem Tag auf den anderen von Erlöser auf Staatsmann umschaltete. Sobald er Hillary Clinton geschlagen hatte, war es vorbei mit der Heilung der USA; jetzt gab Obama sich seriös.

    Da wurde mir zum ersten Mal das Chamäleonhafte Obamas klar, diese unglaubliche Fähigkeit, von der einen Rolle in die andere zu schlüpfen. Ein Opportunist.

    Inzwischen scheint mir, daß Obama nie etwas anderes gemacht hat, als die Rollen zu wechseln.

    Er war der perfekte Schüler in Indonesien, angepaßt an seine islamische Umwelt, ohne selbst Moslem zu sein.

    Er war der perfekte Affirmative- Action- Student in Harvard. Er schaffte es, das Harvard Law Review perfekt zu leiten, ohne selbst einen einzigen wissenschaftlichen Artikel darin zu publizieren.

    Er war ultralinks, als er das CAC leitete.

    Er war der charismatische Erlöser, als er diese Pose gegen die spröde Hillary Clinton brauchen konnte. Er ist jetzt der verantwortungsbewußte, bedächtige Obama, gegen den John McCain schon fast wie ein jugendlicher Feuerkopf aussehen soll.

    Jeder dieser Rollenwechsel gelang Obama perfekt. Er wird auch die Rolle des 44. Präsidenten der USA perfekt geben können.

    Nur, was wird sein, wenn in diesem Amt Charakter gefragt ist, statt Rollenspiel?



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    8. Oktober 2008

    Der 44. Präsident der USA (24): Obama/Palin werden gewinnen (Teil 2)

    Im Augenblick spricht - das war der Inhalt des ersten Teils - alles für einen Sieg Barack Obamas über John McCain.

    Alle Institute sehen Obama seit etlichen Tagen deutlich vorn. Sie unterscheiden sich nur in der Höhe des Vorsprungs; Daily Kos, das allerdings als Freund der Demokraten gilt, hat ihn gestern mit nicht weniger als 11 Prozentpunkten (52 zu 41) gemessen.

    Im gestrigen Poll of Polls von Pollster.com, dem gemittelten Ergebnis aller großen Institute, lag Obama mit 49,8 Prozent mehr als sechs Punkte vor McCain (43,6 Prozent). Auf dieser Verlaufsgrafik können Sie sehen, wie stark sich die Schere in den vergangenen Tagen geöffnet hat.

    Das Rennen scheint gelaufen. Zwar ist es bei früheren Wahlen immer einmal wieder vorgekommen, daß wenige Wochen vor der Wahl des Präsidenten die Stimmung kippte. Aber dieses Ereignis haben wir im Grunde schon hinter uns: Mit dem Offenbarwerden der Finanzkrise kippte die Stimmung zugunsten von Obama.

    Eine erneute so ausgeprägte Wende wäre nach allen bisherigen Erfahrungen nur dann zu erwarten, wenn es zu einem ganz ungewöhnlichen Ereignis käme, das McCain favorisiert.

    Denn zunehmend profitiert Obama jetzt auch von einem Bandwagon Effect wie am Ende seines Vorwahlkampfs gegen Hillary Clinton: Je mehr er wie der Sieger aussieht, umso mehr schwenken Unentschlossene auf seine Seite.

    Sein Sieg ist jetzt ein Selbstläufer: Sozusagen nach dem ersten Newton'schen Gesetz wird er, wenn keine starke Kraft mehr auf das Geschehen einwirkt, seinen Zustand der Bewegung bis zum 4. November beibehalten. Den der Bewegung hinein ins Oval Office, in dem der Schreibtisch des Präsidenten steht.



    Mit ihm wird dann sein Running Mate Joe Biden ins Weiße Haus gelangen. Was also soll das "Obama/Palin" im Titel dieses Artikels?

    Ich halte es für wahrscheinlich, daß Sarah Palin zwar nicht als Siegerin an der Seite von McCain ins Weiße Haus einzieht, daß sie aber neben Obama die große Gewinnerin dieser Wahlen sein wird.

    Sie erschien Ende August auf der Bühne des Wahlkampfs so überraschend, so strahlend, wie in manchen Aufführungen der "Zauberflöte" die "Königin der Nacht" erscheint. Und ein wenig war sie auch die Eliza aus "My Fair Lady" - aus ihrem hinterwäldlerischen Alaska hineinbefördert in die Glitzerwelt Washingtons; hineingebeamt ins Gewitter der Blitzlichter. Der Erbarmungslosigkeit von Medien ausgesetzt, die ihren Ehrgeiz darein setzten, jeden noch so kleinen Versprecher von ihr, jeden Gaffe aufzuspüren und auszuschlachten.

    Sie meinen, ich fände da allzu lyrische Töne? Ich würde die banale Wahl einer Kandidatin für das Amt des Vizepräsidenten zum kulturellen Ereignis verklären?

    Ja, so klingt das ein wenig. Es soll so klingen, weil das, so scheint es mir, die Sache charakterisiert: Sarah Palin hat mit Barack Obama gemeinsam, daß sie Bilder aktiviert, die wir im Kopf haben. Und sie kann das - wie Obama - nicht nur deswegen, weil solche Bilder (vielleicht gar Archetypen) auf sie passen; sondern weil sie auch eine persönliche Ausstrahlung hat, die faszinieren kann.

    Sie hat diese Ausstrahlung, diese Präsenz bei ihren Auftritten, diese Selbstbewußtheit, die auch Obamas Erfolgsrezept sind.

    Das hat sie auf dem Parteitag gezeigt, und das war vergangenen Donnerstag wieder da, als sie mit Biden debattierte.



    Wer hat diese Debatte "gewonnen"? Seltsame Frage, recht betrachtet. Aber sie ist so selbstverständlich geworden, daß nicht nur alle Demoskopen sie stellen, sondern daß sogar ein Kommentator den "Kampf" in Runden einteilte und jede wertete, wie beim Boxen. Nicht weniger als achtzehn Runden teilte er ab, und am Ende stand es für ihn 9 : 9.

    Vielleicht nicht so falsch. Sofort nach der Debatte machten sich natürlich die Demoskopen ans Werk; mit ziemlich ähnlichen Ergebnissen:

    Fragte man allgemein, wer "besser" war, dann erwies sich Biden als der Sieger. Bei CNN beispielsweise sahen ihn 51 Prozent vorn, gegen 36 Prozent für Sarah Palin. Ähnlich war das Zahlenverhältnis bei CBS; nur daß es dort mehr Antworten "gleich gut" gab (33 Prozent). Von denen, die sich festlegten, favorisierten 46 Prozent Biden und 21 Prozent Palin.

    Das Bild sieht anders aus, wenn man die Wahrnehmung der beiden Debattierenden in Relation zu den Erwartungen setzt. In der CNN- Umfrage sagten nicht weniger als 84 Prozent, daß Palin besser gewesen sei als erwartet. Von Biden sagten das 64 Prozent.

    CBS verglich "vorher- nachher"- Urteile über die beiden Kontrahenten. Vor der Debatte meinten von noch nicht festgelegten Zuschauern 43 Prozent, daß Palin über die wichtigen Themen Bescheid wisse; danach waren es 66 Prozent. Daß sie die Voraussetzung für eine Vizepräsidentin habe, meinten vorher 39 und nach der Debatte 55 Prozent.

    In beiden Bereichen lagen die Werte für Biden vor und nach der Debatte weitaus höher, änderten sich aber kaum durch die Debatte. Mit anderen Worten: Für ihn hatte dieser Disput sich weniger gelohnt als für Sarah Palin.

    Man kann das so zusammenfassen: Die Debatte am vergangenen Donnerstag hat zwar Joe Biden gewonnen, aber mehr genutzt hat sie Sarah Palin.



    Mehr genutzt wozu? Sehr wahrscheinlich, wie erläutert, nicht, um das Amt der Vizepräsidentin zu erlangen. Jedenfalls nicht jetzt.

    Aber mit Palin ist ein Stern am Himmel von Washington, D.C., aufgegangen.

    Viele, die einmal Präsident oder Vizepräsident werden wollten, verschwinden, wenn es damit nichts geworden ist, in der Versenkung - wer kennt zum Beispiel noch Jack French Kemp, der 1996 der Kandidat der Republikaner für die Vizepräsidentschaft war?

    Das wird Palin nicht passieren. Sie ist schon jetzt eine nationale Figur. Was man ihr jetzt noch negativ attribuiert - mangelnde Erfahrung auf der nationalen Ebene -, das wird sie leicht ausräumen können, wenn sie sich entschließt, für den Senat zu kandidieren.

    Im American Thinker schrieb Kyle-Anne Shiver am Tag nach der Debatte:
    When I saw Sarah Palin make her national debut at the RNC convention, and again in her first major debate last night, I found her to be quite the American version of Margaret Thatcher. Thatcher, too, faced scathing derision from her country's press and from her opposition, much of it focused on the issues of small town vs. big city and commoner vs. elite. (...)

    Despite her harping critics, Maggie Thatcher proved to be a most able leader upon the world stage, even at a time of rather perilous threats on many fronts. When besieged by naysayers, she once remarked, "If my critics saw me walking over the Thames they would say it was because I couldn't swim." And after watching Sarah Palin last night, I would say that she agrees with Maggie.

    Als ich Sarah Palin sah, wie sie auf dem Parteitag der Republikanischen Partei ihr nationales Debüt hatte, und dann wieder in ihrer ersten Debatte gestern Abend, fand ich, daß sie so so ziemlich die amerikanische Margaret Thatcher ist. Auch Frau Thatcher sah sich beißendem Hohn von der Presse ihres Landes und seitens der Opposition ausgesetzt, und viel davon konzentrierte sich auf die Themen Kleinstadt gegen Großstadt und einfache Leute gegen Elite. (...)

    Als sie wieder einmal von Neinsagern bedrängt wurde, sagte sie: "Wenn meine Kritiker mich auf der Themse wandeln sehen würden, dann würden sie sagen, daß ich das nur mache, weil ich nicht schwimmen kann". Nachdem ich gestern Sarah Palin sah, würde ich sagen, daß es bei ihr ist wie bei Maggie.
    Mir gefällt dieser Vergleich mit Maggie Thatcher, auch wenn Sarah Palin erst noch zeigen muß, daß sie ihn verdient. Den Jesus- Witz jedenfalls hätte sie auch machen können, und sie hätte dabei unschuldig- aggressiv gelächelt.



    Nachtrag: Einen Kommentar zur Debatte Obama/McCain in der vergangenen Nacht finden Sie hier.



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    3. Oktober 2008

    Zitat des Tages: Sarah Palin, der Klimawandel und ein Editorial der "Washington Post". Nebst einem Satz von Lichtenberg

    Yet her answers on many issues remained puzzling. On climate change, for instance, Ms. Palin acknowledged that "there are real changes going on in our climate. And I don't want to argue about the causes. What I want to argue about is, how are we going to get there to positively affect the impacts?" But understanding the causes of climate change is essential to determining what should be done to address it.

    (Jedoch blieben ihre Antworten zu vielen Themen verwirrend. Zum Klimawandel beispielsweise gab Palin zu, daß "in unserem Klima echte Veränderungen stattfinden. Über die Ursachen möchte ich nicht streiten. Worüber ich diskutieren möchte, das ist: Wie können wir die Auswirkungen positiv beeinflussen?" Dabei ist es doch unabdingbar, die Ursachen des Klimawandels zu verstehen, um zu entscheiden, was getan werden sollte, um ihm zu begegnen.)

    Die Washington Post heute in einem Editorial zu der Debatte zwischen Palin und Biden in der vergangenen Nacht.

    Kommentar: Wenn jemand von dem, was ein anderer sagt, verwirrt ist, dann muß das nicht unbedingt an diesem anderen liegen. (Für den Fall der Verwirrung durch Lektüre hat das Lichtenberg so formuliert: "Wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstoßen und es klingt hohl, ist das allemal im Buch?").

    Was Sarah Palin gesagt hat, ist vollkommen klar und vernünftig: Statt darüber zu streiten, woher die globale Erwärmung rührt, sollte man lieber Maßnahmen ergreifen, um ihre Auswirkungen positiv zu beeinflussen. Deiche erhöhen, beispielsweise. Aber auch die Landwirtschaft in Grönland entwickeln und die Erschließung von Bodenschätzen in der Arktis vorbereiten. Dergleichen.

    Palin hat mit dieser Bemerkung auf die Schwäche der gegenwärtigen Debatte hingewiesen, die auf die Ursachen der globalen Erwärmung fixiert ist, statt sich um die Bewältigung ihrer Folgen zu kümmern.

    Daß es sinnvoll ist, Deiche zu erhöhen, egal, ob der Klimawandel nun menschengemacht ist oder natürliche Ursachen hat, daß man folglich hierfür die Ursachen eben gerade nicht unbedingt kennen muß - das sollte doch eigentlich auch den Redakteuren der Washington Post einleuchten.



    Auf die Debatte Palin-Biden werde ich noch zurückkommen. Wer sich über ihren Verlauf informieren möchte, dem empfehle ich vorerst den Bericht im Weekly Standard und, zuverlässig und informativ wie immer, den Live Ticker von Florian Heinhold in Pennsylvania Avenue.



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    1. Oktober 2008

    Zitat des Tages: Wen hörte Sarah Palin als Zweitkläßlerin?

    I've been hearing his speeches since I was in the second grade.

    (Ich höre seine Reden, seit ich Zweitklässerin war).

    Sarah Palin über ihren Konkurrenten Joe Biden, dem sie morgen Nacht in einem TV-Duell gegenüberstehen wird; zitiert im heutigen Wall Street Journal.

    Kommentar: Der Artikel im WSJ hat die Überschrift: "Palin Proved to Be Formidable Foe in Alaska Debates" - In Debatten in Alaska erwies Palin sich als eine gefürchtete Gegnerin.

    Wer meint, daß Joe Biden sie mühelos an die Wand debattieren wird, der sollte diesen Artikel lesen.

    Das Zitat ist im übrigen bezeichnend für Palin: Kurz und bissig. In einem kleinen Satz bringt sie unter, wie alt ihr Gegner im Vergleich zu ihr ist - und daß er gern und viel redet. Und macht zugleich auch noch darauf aufmerksam, daß er natürlich der gewieftere Rhetoriker ist.

    Seit Palins Nominierung versuchen die demokratischen Strategen ihr das Etikett des geistig unbedarften, bigotten Trampels aus der Provinz anzuheften.

    Für die Debatte kann ihr das nur nützen. Die meisten Wähler erwarten nicht viel von ihr. Wenn sie nur Biden einigermaßen Paroli bietet, wird das schon als Erfolg gewertet werden.



    Allerdings hat das Team McCain/Palin einen Erfolg auch bitter nötig. Gut einen Monat vor den Wahlen hat sich Obamas Vorsprung in den Umfragen stabilisiert. Schlimmer noch für McCain: Es ist jetzt deutlich zu sehen, daß der Aufschwung McCains Anfang September nur die vorübergehende Umkehrung eines langfristigen Trends zugunsten von Obama gewesen ist. Eine Schwalbe, auf die kein Sommer folgte.

    Nimmt man hinzu, daß das Thema Wirtschaft die kommenden Wochen beherrschen wird und daß Obama in diesem Bereich als kompetenter eingeschätzt wird als McCain (warum auch immer), dann sieht es in der Tat düster aus für McCain und Palin.

    Im Grunde können sie nur noch gewinnen, wenn etwas ganz Unerwartetes geschieht - sei es, daß Obama einen tödlichen Fehler macht, sei es, daß es zu einer außenpolitischen Krise kommt. Diese müßte freilich schon gewaltig sein, um in der Bewertung der Amerikaner das Thema Wirtschaftskrise auf den zweiten Platz zu verweisen.



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    28. September 2008

    Kurioses, kurz kommentiert: If Marc Pitzke really English can?

    Im Vergleich mit dem, was Marc Pitzke in "Spiegel- Online" aus den USA berichtet, war der "Schwarze Kanal" des Karl- Eduard von Schnitzler ein Muster an Objektivität. Darüber ist nichts mehr zu sagen. Aber die Mittel, mit denen Pitzke zu diffamieren versucht, sind doch gelegentlich einen kleinen, kurzen Kommentar wert. So kurios sind sie.

    Diesmal geht es um ein Interview, das Sarah Palin der Star- Journalistin Katie Couric von CBS gegeben hat.

    Daraus zitiert Pitzke in der heutigen Folge seiner Serie gegen Sarah Palin unter anderem diesen Satz:
    ... unsere Nachbarn nebenan sind fremde Länder, dort in dem Staat, von dem ich die Exekutive bin.
    Wer stottert da herum? Sarah Palin, will uns Pitzkes Artikel sagen. Aber er zitiert ja nicht Sarah Palin im Wortlaut, sondern er hat eine Übersetzung angefertigt, der in den USA lebende Marc Pitzke.

    Und was hat Palin auf Englisch gesagt? Es geht in dieser Passage des Interviews darum, daß Alaska als einziger US-Bundesstaat nicht andere Bundesstaaten, sondern zwei ausländische Staaten zu Nachbarn hat, nämlich Rußland und Canada. Dazu sagt Palin:
    ... our next door neighbors are foreign countries. They're in the state that I am the executive of.
    Zu deutsch also:
    ... unsere unmittelbaren Nachbarn sind ausländische Staaten. Das sind sie in dem Staat, dessen Regierungschefin ich bin.
    Verstehen Sie jetzt, warum ich Pitzke für einen schlimmeren Agitator halt als den seligen Sudel- Ede?

    Pitzke will uns glauben machen, Palin hätte herumgestottert, eines verständlichen englischen Satzes nicht mächtig. Und was macht er zu diesem Zweck, der Sudel- Marc? Er übersetzt einen Satz, der in gesprochenem Englisch völlig normal ist, so grottenschlecht, daß er wie herumgestottert klingt.

    Und sehen Sie, so plump, so auf Goebbels- Niveau, hätte das selbst Karl- Eduard von Schnitzler nicht gemacht.



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    24. September 2008

    Der 44. Präsident der USA (22): Die Entwicklung der Umfragedaten. Was Sie dazu in "Spiegel-Online" nicht lesen können

    Wenn "Spiegel- Online" aus den USA oder über die USA berichtet, dann kann man im Allgemeinen davon ausgehen, daß der Artikel entweder einseitig ist oder überholt; oder auch beides.

    Heute Mittag machte "Spiegel- Online" mit einer Meldung auf, die inzwischen wieder ins Ausland- Ressort befördert, aber, soweit ich sehe, nicht geändert wurde. Unter der Überschrift "Obama geht in neuer Umfrage deutlich in Führung" heißt es darin:
    Es geht aufwärts für den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Barack Obama. Nach Wochen des Gleichstands zwischen ihm und seinem republikanischen Rivalen John McCain scheint die Wende geschafft.
    Wer die Berichterstattung über den US-Wahlkampf hier in ZR verfolgt, der weiß, daß es weder "Wochen des Gleichstands" gegeben hat, noch daß es jetzt plötzlich für Obama "aufwärts geht". Die Fakten waren und sind anders:
  • Wie man zum Beispiel bei Gallup Daily Tracking oder im Poll of Polls von Pollster sehen kann, begann sich der Abstand zwischen dem führenden Obama und McCain seit Obamas Orient- und Europa- Reise allmählich zu verringern.

  • Nach dem Parteitag der Republikaner und der Nominierung von Sarah Palin gab es einen Umschwung zugunsten von McCain, über den ich vor genau zwei Wochen in einem dreiteiligen Artikel berichtet habe.

  • In einem weiteren Artikel habe ich am 12. September drei Gründe dafür genannt, daß es für McCain dennoch schief gehen könnte. Vor allem habe ich darauf hingewiesen, daß noch unklar ist, ob die Nominierung von Sarah Palin ihm am Ende mehr nützt oder schadet. Das war noch vor der aktuellen Finanzkrise.

  • Vor einer Woche, am 18. September, war bereits offensichtlich, daß Obama McCain wieder überholt hatte. Die wahrscheinlichen Gründe dafür waren - hier nachzulesen - erstens die Finanzkrise und zweitens die sinkende Popularität von Sarah Palin. Außerdem ging vor einer Woche der Convention Bounce zu Ende; der Aufschwung, den jede Partei nach einem erfolgreich verlaufenen Parteitag hat.
  • Das ist jetzt also eine Woche her. Seither haben sich die Umfragen keineswegs zugunsten von Obama verändert.

    Im Gallup Daily Tracking hat sich der Abstand zwischen dem 17.9. und dem 22.9. folgendermaßen entwickelt: 4, 5, 6, 4, 5, 3 Prozentpunkte zugunsten von Obama. Im Überblick von Pollster über alle größeren Umfragen entwickelte sich die Differenz zwischen der Umfrage von Gallup (17. bis 19. September) und der gegenwärtig aktuellsten von Daily Kos (21. bis 23. September) wie folgt: 4, 1, 1, 7, 4, 1, 9, 3, 2, -2, 6, 2, 4 Prozentpunkte.

    Wer da einen Trend zugunsten von Obama hineinlesen will, der muß schon die Qualitäten eines Redakteurs von "Spiegel- Online" haben.



    Für Kommentare zu diesem Artikel gibt es einen Thread in "Zettels kleinem Zimmer". Dort findet man auch eventuelle Aktualisierungen und Ergänzungen.

    18. September 2008

    Der 44. Präsident der USA (20): Ende des Palin-Hasses? Nicht ganz ...

    "Ende des Palin- Hasses?" hatte ich mich verlesen. Aber in "Spiegel- Online" stand: "Ende der 'Palin- Hausse'?: Finanzkrise holt Wahlkampf ein". Als Hinweis auf ein Video.

    Nein, auf ein Ende des Palin- Hasses wird McCain nicht rechnen dürfen. Der sitzt zu tief; da geht es um die Arroganz gegenüber einer Frau, die erfolgreich ist, ohne sich dem feministischen Rollenklischee der emanzipierten Frau zu fügen.

    Wie ist das nun aber mit der Palin- Hausse? Es sieht aus, als sei in der Tat der Höhenflug des Tickets McCain/Palin erst einmal vorbei.

    Im Poll of Polls von Pollster liegt jetzt Obama wieder vorn, erstmals seit dem Parteitag der Republikaner. Auch im Gallup Daily Tracking hat Obama gestern zum ersten Mal seit dem 3. September McCain wieder überholt.

    Es ist zu früh, zu sagen, ob das schon eine längerfristige Trendwende ist. Aber es könnte so sein, und zwar aus - schreibt der sehr zuverlässige Wahlblog FiveThirtyEight - drei Gründen:

    Erstens schadet die jetzige Turbulenz auf den Finanzmärkten McCain, denn sie wird natürlich überwiegend dem freien Markt zugerechnet, für den er mehr steht als Obama.

    Zweitens war der bisherige Höhenflug McCains zumindest zum Teil der übliche Convention Bounce, der Zuwachs, den jede Partei für einige Tage nach ihrem Parteitag mit aller seiner Publicity hat. Vielleicht diesmal wegen der überraschenden Nominierung von Palin etwas länger als üblich.

    Und drittens, schreibt FiveThirtyEight, könnte in der Tat Sarah Palin eine Rolle spielen. Von allen vier Kandidaten auf den beiden Ticktes hat sie inzwischen die schlechtesten Zustimmungswerte. Die Differenz zwischen positiver und negativer Beurteilung beträgt nur noch +7 Punkte; vor einer Woche lag sie noch 10 bis 15 Punkte höher.

    Die Kampagne gegen Palin ist offenbar nicht ohne Wirkung geblieben. (Obama- Anhänger sagen natürlich: Die Leute mögen sie jetzt weniger, weil sie mehr über sie erfahren haben). Sarah Palin polarisiert jetzt; wie früher Hillary Clinton, die zwar viele begeisterte Anhänger, aber auch besonders viele rigorose Gegner hatte.



    Man kann die Daten freilich auch anders sehen: Da kracht es im kapitalistischen Finanzsystem wie schon lange nicht mehr - und McCain/Palin liegen immer noch nur zwei Prozentpunkte hinter Obama/Biden.

    Wenn gewählt wird, dann wird die jetzige Krise vermutlich vergessen sein. Bis dahin ist ein Unterschied von zwei Prozentpunkten leicht aufgeholt.



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    12. September 2008

    Zettels Meckerecke: Die toten Körper der Sarah Palin. Über linke Arroganz

    Die beste und vermutlich eine der kürzesten Antworten auf die Frage "Was ist links?" lautet: Arroganz.

    Konservative und Liberale mögen die Dummheit verachten. Den Dummen werden sie im allgemeinen nicht herabsetzen; sie wissen ja, daß Dummheit keinem von uns fremd ist.

    Liberale und Konservative halten vielleicht wenig von Unbildung. Aber nur bei Linken habe ich es bisher gefunden, daß Ungebildete erbarmungslos herabgesetzt werden. Die "Stammtische", die "tumben". Noch nicht einmal Abitur haben sie, die Brüder.

    Kurz: Schneidende, erbarmungslose Arroganz, intellektuelle Überheblichkeit, das Niedermachen aller, die nicht der eigenen Subkultur angehören, habe ich eigentlich immer nur bei Linken angetroffen.



    Lesen Sie bitte einmal diese Sätze:
    Doch Sarah Palin, John McCains Vize- Kandidatin, hat auf ihrem Weg zur Macht einen großen Bogen um die Institutionen der Elitenbildung gemacht. Statt Harvard oder Yale weist ihr Lebenslauf folgende Stationen auf: Schönheitskönigin, Elternsprecherin - und Karibu- Jägerin. Fallen die amerikanischen Frauen mit Palin in eine archaische Zeit der Jäger und Sammler zurück? (...)

    Doch Sarah Palin kommt aus Wasilla, Alaska. Nicht einmal 7000 Einwohner hat das Örtchen. Für sie ging es nie um akademische Abschlüsse oder intellektuelle Diskurse. (...)

    Palin wie paläolithisch. Das ist mehr als nur ein billiges Bonmot: Palins Speisekammer ist vollgestopft mit von ihr selbst erlegten Exemplaren der gesamten Tierwelt der alaskischen Tundra. (...)

    Sarah Palin (...) hat lediglich einen Abschluss in Kommunikationswissenschaften, den sie umständlich zwischen nicht weniger als fünf verschiedenen Colleges zwischen Hawaii und Idaho zusammengeklaubt hat. Kein glanzvoller Bildungsweg. (...)

    Man kann gar nicht stark genug betonen, wie sehr Sarah Palin sich von Frauen wie Abigail Adams, Eleanor Roosevelt oder Hillary Clinton unterscheidet, - und wie sehr sie sich politisch von dem zivilisatorischen Projekt abhebt, für das diese First Ladies standen. (...)

    Ihre öffentliche Karriere begann als Schönheitskönigin von Wasilla. Physische Disziplin lernte sie von ihrem Vater auf der Jagd, wenn sie Elche abschoss. Ihren beruflichen Anfang machte sie als Sportreporterin. Dann kam die mittlerweile fünffache Mutterschaft - ehe ihre politische Karriere als Bürgermeisterin überhaupt erst anfing.

    Nicht Bücher sondern Jagdgewehre prägten ihre Kindheit, tote Körper von im wilden Nordwesten Alaskas erlegten Tieren. (...)
    Die diesen Schwulst in "Spiegel- Online" schrieb, eine gewisse Anjana Shrivastava, wurde freilich nicht von Jagdgewehren, sondern von Büchern geprägt:
    Anjana Shrivastava wurde in Großbritannien geboren, und zog als Kind in die Vereinigten Staaten. Sie studierte Geschichte an der Harvard Universtät, und war danach Essayistin für den Wall Street Journal Europe.

    In Deutschland hat sie unter anderem für die "Berliner Zeitung" und die "Netzeitung" geschrieben. Zur Zeit schreibt sie ein Buch über Franz Kafka im Jahre 1923.
    So lesen wir es in der "Welt".



    Ein blamabler, ein in seiner Arroganz skandalöser Text dieser Kafka- Philologin? Vielleicht. Aber zwei Caveats sind angebracht.

    Erstens ist dieser Text offensichtlich entweder aus dem Englischen übersetzt, und zwar schlecht; oder die Autorin beherrscht das Deutsche nur mangelhaft.

    "Palins Speisekammer ist vollgestopft mit von ihr selbst erlegten Exemplaren der gesamten Tierwelt der alaskischen Tundra." Das sollen wir glauben, daß Palin nicht nur Schönheitskönigin war und es versäumte, in Harvard oder Yale zu studieren, sondern daß sie auch noch Jagdtrophäen - in der Speisekammer aufbewahrt?

    Gemach. Im Englischen stand vermutlich "larder", was allerdings Speisekammer heißen kann, hier aber offensichtlich Abstellraum. Und "dead body" mit "toter Körper" statt mit "Leiche" zu übersetzen - das läßt doch ein wenig darauf schließen, daß die Übersetzerin ihre Kunst nicht in Yale oder Havard gelernt hat, sondern, sagen wir, in Colleges zwischen Hawaii und Idaho.

    Was sonst alles noch an dem Text falsch übersetzt oder von einer Autorin geschrieben ist, die das Deutsche nicht ausreichend beherrscht, ist naturgemäß schwer zu sagen.

    Zweitens läßt die Autorin es - wie es scheint; sofern die Übersetzung das richtig wiedergibt - augenzwinkernd offen, ob sie sich eigentlich mit ihrer Charakterisierung von Sarah Palin als steinzeitliche Landpomeranze identifiziert, oder ob sie nur die Reaktion der intellektuellen Damen von der Ostküste beschreibt.

    Das macht freilich keinen großen Unterschied. Denn Frau Shrivastava schreibt genau wie eine intellektuelle Dame von der Ostküste.

    Der Text ist diffamatorisch, so oder so.



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    Der 44. Präsident der USA (19): McCain im Aufwind dank Palin. Drei Gründe, warum es trotzdem schief gehen könnte

    Im Augenblick spricht alles dafür, daß John McCains Wahlkampf mit dem Parteitag in St. Paul, Minnesota, und mit der Nominierung von Sarah Palin einen Aufschwung genommen hat, den in diesem Ausmaß kaum jemand erwartet hatte.

    Noch Ende August lag Obama in fast allen Umfragen deutlich vorn (CBS, 31. August: 48 zu 40 für Obama; Diageo, 31. August: 48 zu 39; Rasmussen, 30. August: 49 zu 46; Gallup, 29. August: 49 zu 41. Das Datum ist jeweils der letzte Tag der Umfrage).

    Jetzt hat sich das umgekehrt. Bei nahezu allen Instituten hat McCain seinen Gegner überholt; im Durchschnitt liegt er jetzt mit 47,2 zu 44,9 Prozent vor Obama. Was, als es sich andeutete, noch eine Zufallsschwankung hätte sein können, hat sich mit dem Hinzukommen weiterer Daten verfestigt: McCain ist jetzt der Frontrunner, der Führende im Rennen.

    Nein, so ist es eigentlich nicht ganz richtig formuliert: Nicht McCain liegt vor Obama, sondern das Team McCain / Palin hat das Team Obama / Biden überholt. Denn es gibt etliche Anzeichen dafür, daß McCain den jetzigen Aufwind vor allem seiner Partnerin Sarah Palin verdankt. Auf eines dieser Anzeichen komme ich gleich noch zurück.

    War also Palins Nominierung am Ende doch die brillante Entscheidung, die der Kommentator Ed Rollins in einer ersten Reaktion diagnostiziert hatte?

    Vielleicht. Aber sicher ist das nicht. Und zwar aus drei Gründen.



    Bitte überlegen Sie einmal kurz, was sie über Joe Biden wissen. Und was über Sarah Palin.

    Sehen Sie. Palin beschäftigt uns, sie interessiert uns. Sie ist ein Star nicht unbedingt in dem Sinn, daß sie verehrt wird. Aber jedenfalls in dem Sinn, daß sie unsere Phantasie aktiviert, daß sie Aufmerksamkeit weckt.

    Nichts davon by Joe Biden. Hier in Europa so wenig, wie in den USA selbst. Ein blasser, nicht besonders interessanter Mensch. Noch dazu ein Politiker, dessen Gesicht seit nicht weniger als fünfunddreißig Jahren auf den TV-Schirmen zu sehen ist. Als Biden zum ersten Mal Senator wurde, war Sarah Palin ein Mädchen von neun Jahren!

    Dieser Unterschied zwischen Palin und Biden ist sehr wahrscheinlich einer der Gründe für McCains Aufschwung. Aber es ist ein Unterschied sozusagen mit einem Verfallsdatum.

    Bis im November gewählt wird, werden die Amerikaner Sarah Palin derart oft auf den Bildschirmen gesehen, werden sie so viel über sie und ihre Familie erfahren haben, daß die jetzige Neugier, daß das momentane Human Interest vorbei sein wird. Worn down, wie man im Englischen sagt - abgenutzt wie ein zu oft getragener Anzug.



    Bei welchen Sendungen wird Palin dann auf den Bildschirmen erschienen sein? Zum einen bei der Übertragung von Wahlkampf- Veranstaltungen. Solche Situationen beherrscht sie. Das hat sie nicht nur in St. Paul bewiesen, sondern auch in der Serie von Auftritten gemeinsam mit John McCain, die sie seither absolviert hat. Durchaus star-like. Aus dem Stand besser als die ungleich erfahrenere Hillary Clinton.

    Aber es wird ja andere Sendeformate geben, in denen Sarah Palin sich bewähren muß. Interviews vor allem und Diskussionen; am wichtigsten die Diskussionen mit ihrem Gegenüber Joe Biden.

    Das wird Sarah Palins eigentliche Bewährungsprobe werden. Dort wird man versuchen, ihr Fallen zu stellen, ihre Unerfahrenheit zu entlarven.

    Vor allem in der Außenpolitik - dem Spezialgebiet Joe Bidens - lauern jede Menge Fallen. Sollte es ihr unterlaufen, zwei Staaten im Kaukasus miteinander zu verwechseln, den Namen eines afrikanischen Staatsmanns falsch wiederzugeben oder den Verlauf einer Pipeline nicht zu kennen, dann werden sich die Medien begierig darauf stürzen.

    So war es George W. Bush vor seiner Wahl zum Präsidenten gegangen; wie Palin war er Gouverneur gewesen und also mit der Außenpolitik wenig vertraut. Im Wahlkampf 2000 wurde ihm immer wieder um die Ohren gehauen, daß er im Juni 1999 gegenüber einem slowakischen Journalisten Slowakien und Slowenien verwechselt hatte.

    Inzwischen hat Sarah Palin ein erstes Interview auch zu außenpolitischen Themen gegeben und es bravourös bestanden. Allerdings war der Interviewer - Charles Gibson von ABC News - auch fair. Damit wird sie nicht immer rechnen können.



    Das also sind zwei Gründe, warum es gegenwärtig unsicher ist, ob Palins Erfolg anhält: Man wird sich an sie gewöhnen, und sie hat noch nicht bewiesen, daß sie in Diskussionen bestehen kann, in denen es auf Detailwissen ankommt.

    Der dritte Grund, warum der jetzige Aufschwung vielleicht nicht reicht, um John McCain ins Weiße Haus zu bringen, hat etwas mit dem amerikanischen Wahlrecht zu tun.

    Daß es nach diesem Wahlrecht bei der Wahl des Präsidenten nicht um die Anteile an den Wählerstimmen (dem Popular Vote) geht, sondern um die Sitze im Electoral College, dem Wahlmännergremium, habe ich kürzlich anhand der Frage erläutert, in welchen US-Staaten sich denn die Wahl entscheiden wird. Es sind weniger als ein Dutzend; die Swing States, die Battleground States.

    Gestern nun erschien in dem auf die Analyse von Umfragedaten spezialisierten Blog FiveThirtyEight ein Artikel, in dem untersucht wurde, wie sich denn der Aufschwung des Teams McCain / Palin geographisch verteilt.

    Das Ergebnis: Dieser Aufschwung fand überwiegend in solchen Staaten statt, die den Republikanern ohnehin so gut wie sicher waren; plus dem sicheren Obama- Staat Washington, wie Palins Heimat Alaska im äußersten Nordwesten gelegen. Das ist eines der Indizien dafür, daß der Aufschwung hauptsächlich Palin zu verdanken ist: Er konzentriert sich dort, wo die konservativen Wähler sitzen, die sie besonders anspricht. Auch der starke Anstieg im Staat Washington paßt in dieses Bild; für dessen Einwohner ist sie sozusagen ein Girl von nebenan.

    Aber für das Electoral College bringt das wenig. In Alaska zum Beispiel hat sich der Abstand zwischen McCain und Obama um nicht weniger als 13,8 Prozentpunkte vergrößert. Aber dort hatte McCain auch schon vor der Nominierung von Palin deutlich vorn gelegen. Dasselbe gilt für Staaten wie Idaho und Georgia.

    Mehr als die Wahlmänner solcher Staaten gewinnen kann McCain für die End- Abrechnung ja nicht. Die Marge spielt am Ende keine Rolle. In diesen Staaten erlebt McCain gegenwärtig einen Aufschwung, von dem er sich sozusagen nichts kaufen kann.

    Und wie sieht es in den Battleground States aus? In New Hampshire ist es sogar Obama, der einen zuvor knappen Vorsprung ausbauen konnte, entgegen dem allgemeinen Trend. In Ohio hat sich McCain nur um 0,6 Prozentpunkte verbessert, in Florida um 0,3, in New Mexico um 0,7 Prozentpunkte.

    Mit anderen Worten: In diesen Battleground States gab es praktisch keinen Palin- Effekt. Mit einer Ausnahme (Virginia) war der relative Zuwachs für McCain in allen diesen kritischen Staaten geringer als im US-Durchschnitt.

    So kommt es, daß aktuell bei Pollster McCain mit den eingangs genannten 47,2 zu 44,9 Prozent vor Obama liegt. Rechnet man aber die Werte aus den einzelnen Bundesstaaten in Sitze im Electoral College um, dann führt Obama noch immer; mit jetzt 243 zu 224 Stimmen (71 Stimmen sind gegenwärtig nicht zuordenbar).

    Es ist also nach wie vor alles offen. Es bleibt dabei: Mehr Kopf-an-Kopf geht nicht.



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    11. September 2008

    Der 44. Präsident der USA (18): Mehr Kopf-an-Kopf geht nicht (Teil 3)

    Seit ich gestern den ersten Teil dieses Artikels geschrieben habe, hat sich der Mittelwert der Umfragen, wie Pollster ihn ständig neu berechnet, bereits wieder verändert. Gestern lag McCain mit 46,7 Prozent zu 46,2 Prozent nur hauchdünn vor Obama. Jetzt sind es bereits 1,5 Prozentpunkte (McCain 46,9; Obama 45,4).

    Solche Schwankungen sind nun allerdings ohne viel Belang.

    Sie sind nicht nur deshalb ziemlich bedeutungslos, weil sie in der Logik des Schließens von Stichproben auf eine Grundgesamtheit liegen, zu der es gehört, daß der gemessene Wert einmal mehr, einmal weniger, einmal in die eine und einmal in die andere Richtung vom wahren Wert abweicht.

    Sondern sie sind auch deshalb ohne viel Belang, weil nach den Wahlen im November nicht Prozentpunkte oder gar deren Stellen hinter dem Komma entscheiden werden. Wer Präsident wird, das bestimmt nicht dieser Popular Vote, sondern das entscheidet die Mehrheit im Electoral College, im Gremium der Wahlmänner.

    Formal bestimmt sich dessen Zusammensetzung natürlich nach den Resultaten aller Bundesstaaten. Faktisch aber haben die meisten mit dem Ausgang der Wahl nichts zu tun.



    Im Grunde geht es nur um maximal ein Dutzend Staaten, die sogenannten Battleground States, die "umkämpften Staaten". Alle anderen werden so stimmen, wie es ihrer Tradition entspricht - Californien und die ganze Pazifik- Küste zum Beispiel für Obama, der Bible Belt im Südosten für McCain.

    Eine sehr nützliche Einteilung der US-Staaten unter diesem Gesichtspunkt findet man in dem überhaupt ausgezeichneten Wahl- Blog FiveThirtyEight:

    Die folgenden Regionen sind fest in der Hand von Obama:

    Acela (Die Staaten entlang der gleichnamigen Schnellbahn: New York, New Jersey, Maryland, District of Columbia, Delaware)

    Nördliche Mitte (Illinois, Wisconsin, Minnesota, Iowa)

    Die Pazifikstaaten (Californien, Washington, Oregon, Hawaii)


    Zu Obama tendierend, aber nicht ganz so sicher:

    Neuengland (Massachusetts, Connecticut, New Hampshire, Maine, Rhode Island, Vermont)


    Sichere Regionen für McCain sind:

    Die Golfküste (Texas, Alabama, Louisiana, Mississippi)

    Das Hochland (Montana, Oklahoma, Arkansas, West Virginia, Kentucky, Tennessee)

    "Big Sky", das "Weite Land" (Utah, Idaho, Montana, Wyoming, Alaska)


    Zu McCain tendierend, aber nicht ganz sicher:

    Die Südküste (North Carolina, South Carolina, Florida, Georgia, Virginia)

    Die Präriestaaten (Kansas, Nebraska, Norddakota, Süddakota)


    Und hier sind die umkämpften Regionen:

    Der "Rostgürtel" (Pennsylvania, Ohio, Michigan, Indiana)

    Der Südwesten (Arizona, Colorado, New Mexico, Nevada)

    Diejenigen Staaten, in denen das Rennen besonders knapp ist, habe ich gefettet. In ihnen wird sich entscheiden, wer der 44. Präsident der USA wird.



    Noch einmal zurück zu den Auswirkungen der Nominierung von Sarah Palin. Wie erinnerlich, findet Sarah Palin die mit Abstand meisten Sympathien (80 Prozent Zustimmung) bei weißen Frauen, die Kinder erziehen. Es liegt also nahe, einmal nachzusehen, wie diese Gruppe in den kritischen Bundesstaaten vertreten ist.

    Das hat FiveThirtyEight getan. Das Ergebnis bring uns leider nicht viel weiter. Der Anteil weißer Frauen an der Gesamtbevölkerung, die eigene Kinder in ihrem Haushalt haben, liegt zwischen 18,7 Prozent (Utah) und 13,1 Prozent (Hawaii). Die Battleground States verteilen sich ziemlich gleichmäßig über diese Liste; New Mexico zum Beispiel liegt auf Platz 9, Ohio auf Platz 26 und Florida auf Platz 49.

    Diejenige Gruppe, die von Sarah Palin besonders stark angesprochen wird, findet sich also nicht gehäuft in denjenigen Staaten, in denen die Wahl sich entscheidet. Es bleibt ein Kopf- an- Kopf- Rennen; vielleicht bis zum Wahltag.



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    10. September 2008

    Der 44. Präsident der USA (18): Mehr Kopf-an-Kopf geht nicht (Teil 2)

    Die Umfragewerte für McCain und Palin gehen im Augenblick - das war das Thema von Teil 1 - steil nach oben. Das könnte noch der Convention Bounce sein; der Aufschwung, der auf jeden halbwegs gelungenen Wahl- Parteitag folgt. Es könnte aber auch die Wirkung der Nominierung von Sarah Palin sein.

    Diese Wirkung ist nicht leicht zu analysieren, weil sich, wie es scheint, verschiedene Effekte dieser Entscheidung überlagern; teils einander verstärkend, teils auch einander entgegenwirkend.

    Gewiß ist, daß Sarah Palin die religiöse Rechte, die Evangelikalen nicht nur anspricht, sondern sie nachgerade begeistert.

    Das ist wichtig, nicht nur weil für McCain die Gefahr bestand, daß viele von diesen Religiös- Konservativen gar nicht zur Wahl gehen würden. Sondern unter ihnen sind auch viele politisch Engagierte, deren Mitmachen - oder eben deren Verweigerung - für McCains Wahlkampf kritisch ist.

    Der US-Wahlkampf ist ja viel mehr, als wir das in Europa kennen, eine Sache engagierter Bürger. Man lädt Nachbarn und Verwandte zu Wahlparties ein, man organisiert Email- Ketten, man telefoniert und wirbt für seinen Kandidaten. Und man spendet. Die wöchentlichen Spendenaufkommen werden stolz der Öffentlichkeit mitgeteilt; die Zahlen sollen wiederum zum Spenden anregen.

    In diesem ganzen Bereich des Wahlkampfs von unten war Obama bisher McCain weit überlegen. Jetzt wird sich das ändern. Die Gefahr, daß die wichtigen religiös- konservativen Multiplikatoren McCain von der Fahne gehen, ist mit der Entscheidung für Palin gebannt. Zugleich gibt dies McCain Spielraum, sich selbst mehr in Richtung Mitte, hin zu den Independents zu orientieren.

    Wie sieht es aber mit der zweiten Zielgruppe aus, von der man erwarten konnte, daß die Entscheidung für eine Frau bei ihr Sympathien für McCain wecken würde? Die bisherigen Umfragen lassen vermuten, daß in der Gruppe der Frauen die Reaktionen auf Palin außerordentlich differenziert, ja gegensätzlich sind.



    Es gibt Frauen, die auf Palin ungefähr so reagieren wie deutsche Feministinnen auf Eva Herman - mit einem offenbar unbezähmbaren Reflex, sie wegzubeißen. Ein Beispiel für diese Reaktion ist ein Artikel von Judith Warner in der New York Times vom 4. September, auf den in "Zettels kleinem Zimmer" Reader aufmerksam gemacht hat und den ich hier kommentiert habe.

    Es scheint, daß Sarah Palin bei zahlreichen Frauen diesen Reflex auslöst, wenn auch vielleicht nicht so heftig wie bei der Autorin Judith Warner. Jedenfalls ist das eine naheliegende Erklärung für ein Umfrage- Ergebnis, das CNN gestern publizierte. Danach haben von den befragten Männern 62 Prozent eine gute Meinung von Sarah Palin; bei den Frauen sind es nur 53 Prozent.

    Nun, 53 Prozent - das ist immerhin eine Mehrheit. Welche Frauen mögen Sarah Palin, welche mögen sie nicht? Dazu gibt eine Umfrage von ABC News / Washington Post (PDF) Hinweise, die am Montag veröffentlicht wurde.

    Danach hat die Entscheidung für Palin vor allem bei weißen Frauen die Bereitschaft erhöht, für McCain zu stimmen. In dieser Gruppe lag vor dem republikanischen Parteitag Barack Obama mit 50 zu 42 Prozent vorn. Das hat sich drastisch umgekehrt: Jetzt würden von den weißen Frauen 53 Prozent für John McCain und nur noch 41 Prozent für Obama stimmen.

    Und weiter: Von denjenigen, die schon vor der Convention für McCain waren, hatten damals nur 30 Prozent gesagt, sie seien "begeisterte" (enthusiastic) Anhängerinnen McCains. Jetzt sind es 51 Prozent. (Bei den weißen Männern stieg der Wert nur von 29 auf 39 Prozent). Auch das war eine deutliche Schwäche McCains gewesen: Daß er eine eher lauwarme als enthusiastische Zustimmung genoß. Palin hat jetzt Schwung in seinen Wahlkampf gebracht.

    Man sieht, eine einheitliche Reaktion "der" Frauen auf die Kandidatur von Sarah Palin gibt es nicht. Nimmt man alle Daten zusammen, dann weckt sie keine sehr große Begeisterung. Bei schwarzen Frauen, bei Latinas findet sie wenig Zustimmung. Bei weißen Frauen kann sie eine Mehrheit begeistern, aber eine wohl überwiegend feministisch orientierte Minderheit reagiert, wie die Autorin Judith Warner, mit heftiger Ablehnung.

    Wer sind die Frauen, die am stärksten genau umgekehrt reagieren wie Judith Warner? Es sind weiße Frauen, die Kinder erziehen. Nicht weniger als 80 Prozent von ihnen haben eine gute Meinung von Sarah Palin. Offenbar können sie sich mit ihr identifizieren.

    Wie wird sich diese komplizierte und widersprüchliche Reaktion von Frauen auf die Kandidatur von Sarah Palin am Ende auswirken? Das ist deshalb so schwer zu prognostizieren, weil es dann ja nicht auf die absoluten Stimmenzahlen (den Popular Vote) ankommt, sondern auf die Zusammensetzung der Versammlung, die den Präsidenten wählt, des Electoral College.

    Dort hat jeder Bundesstaat eine bestimmte Zahl von Stimmen, und alle gehen an denjenigen, der in diesem Staat die Mehrheit hat; der damit diesen Staat "abschleppt" (to carry a state).

    Wahlprognosen, die nur den Popular Vote berücksichtigen, sind also wenig aussagekräftig. Man muß sich schon die Situation in den einzelnen Bundesstaaten ansehen.

    (Fortsetzung folgt)



    Für Kommentare zu diesem Artikel gibt es einen Thread in "Zettels kleinem Zimmer". Dort findet man auch eventuelle Aktualisierungen und Ergänzungen.

    Der 44. Präsident der USA (18): Mehr Kopf-an-Kopf geht nicht (Teil 1)

    Schauen Sie sich bitte einmal diese Grafik an. Sie zeigt die Daten eines "Poll of Polls", also einer Zusammenfassung der Daten der großen Umfrage- Institute. Jeder Datenpunkt steht für eine Umfrage; die Kurven - rot für McCain, blau für Obama - zeigen den Verlauf der Mittelwerte.

    Man sieht, daß seit Mai/Juni Obama einen stabilen, wenn auch nicht großen Vorsprung gehabt hatte - zwischen drei und fünf Prozentpunkten, aber das eben Woche für Woche. Dann, im August, begann sich eine neue Dynamik abzuzeichnen; ich habe darüber am 21. August berichtet: Die Kurven für die beiden Kandidaten näherten sich an.

    Ende August/Anfang September wurde dieses Bild durch die National Conventions der beiden Parteien überlagert, die traditionell der jeweiligen Partei ein allerdings kurzes Umfrage- Hoch (Convention Bounce) bescheren. Man sieht, wie die Schere sich kurz weiter öffnet (Parteitag der Demokraten Ende August) und dann wieder zu schließen beginnt (Parteitag der Republikaner Anfang September).

    Heute sieht Pollster McCain bei 46,7 Prozent und Obama bei 46,2 Prozent. Darauf paßt der alte Fußballer- Witz: "Das Spiel endete 1:1. Es hätte aber auch umgekehrt ausgehen können".



    Was im Augenblick noch niemand sagen kann: Ist der steile Anstieg der Werte für McCain in den letzten Tagen nur der Convention Bounce, oder verbirgt sich dahinter ein längerfristiger Effekt?

    Ein solcher Effekt könnte Sarah Palin zu verdanken sein.

    Als McCain die riskante Entscheidung für sie als Running Mate getroffen hat, war völlig offen, ob das eine brillante Wahl oder der Beginn eines Fiaskos war. In den ersten Tagen, als sofort eine Schmutzkampagne gegen Palin einsetzte (dank des Wirkens von Journalisten wie Marc Pitzke gediehen auch in Deutschland manche dieser Sumpfblüten), da sah es zunächst nach einem Fiasko aus.

    Aber dann hielt Palin eine vielleicht nicht große, aber erfolgreiche Rede, und die "Vorwürfe" gegen sie erwiesen sich immer mehr als der Dreck, der sie waren.

    Bringt sie also McCain den Schwung, bringt sie ihm die Stimmen, die er braucht, um Obama am Ende doch zu überholen?

    (Fortsetzung folgt)



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    Kurioses, kurz kommentiert: Zweimal politisch korrekt

    Also versuchen wir es mit einer Minderheitsregierung ... Minderheitenregierung.

    Andrea Ypsilanti gestern Abend bei Kerner; sie war zu dieser Show zugeschaltet worden.

    In dieser Sendung war auch Claus Kleber zu Gast, der aus den USA die Angewohnheit mitgebracht hat, klare Fragen zu stellen und sich nicht mit unklaren Antworten zufrieden zu geben. Er erinnerte Frau Ypsilanti daran, daß sie (auch beispielsweise im "heute- Journal", merkte er genüßlich an) nach dem Verhalten der SPD genau in einer Situation wie jetzt in Hessen - keine eigene Mehrheit für Rotgrün, aber auch keine für Roland Koch - gefragt worden sei.

    Und für just diese Situation hätte sie doch jede Zusammenarbeit mit "Die Linke" ausgeschlossen. Was sich denn jetzt geändert habe? Darauf hatte Frau Ypsilanti eine entwaffnende Antwort: Damals hätte sie gedacht, "Die Linke" käme nicht ins Parlament.

    Kommentar: Da hat sie sich einen Augenblick verplappert, die Andrea Ypsilanti. Denn was sie damit sagte, das war ja: Ich habe jede Zusammenarbeit mit "Die Linke" ausgeschlossen, weil ich dachte, daß sie gar nicht möglich sein würde. Ich habe ein Versprechen gegeben, weil ich annahm, es käme sowieso nicht zu der Situation, in der ich es hätte einhalten müssen.

    Aber nun zum Zitat: "Minderheitsregierung" hatte Ypsilanti richtig gesagt und sich dann in "Minderheitenregierung" verbessert.

    Man könnte das als Freud'schen Versprecher interpretieren: In Ypsilantis Hinterkopf habe der Gedanke herumgespukt, daß die Umfragen ja inzwischen in der Tat die SPD als eine Minderheit zeigen. Diese abgesackte Partei plus Kommunisten plus Grüne - das wäre in der Tat eine Regierung von "Minderheiten".

    Ich glaube aber nicht an eine Freud'sche Fehlleistung. Schon deshalb nicht, weil solche Fehlleistungen kaum jemals in Korrekturen vorkommen, sondern eher ihrerseits der Gegenstand von Korrekturen sind. Ypsilanti hat sich korrigiert. Sie hatte erst richtig "Minderheitsregierung" gesagt und das dann zu "Minderheitenregierung" verbessert.

    Was wollte also Frau Ypsilanti da korrigieren, und warum?

    Sie hatte, vermute ich, so etwas im Kopf wie den "politisch korrekten Vielfalts- Plural". Man sagt nicht mehr "Soldaten", sondern "Soldatinnen und Soldaten". Man spricht nicht mehr von "Deutschen" sondern von "den in Deutschland lebenden Menschen". Aus dem Wort "Energie" hat man den Plural "Energien" hervorgezogen.

    Wessen Gehirn voll ist mit solchen Pluralen, für den klingt "Minderheit" irgendwie nicht richtig. "Minderheiten", so ist es politisch korrekt.



    Das zweite kuriose Zitat stammt von dem amerikanischen Standup Comedian Bill Maher, einer Art amerikanischem Harald Schmidt. Er äußerte sich gestern Abend in CNN über Sarah Palin, wer tut das nicht in diesen Tagen. Und er tat das in der Weise, daß er Gründe dafür aufzählte, warum er sie nicht wählen würde. Darunter war dieser Grund:

    Because she doesn't believe in Global Warming.

    Kommentar: Ist das nicht schön? Früher einmal verfiel jemand der sozialen Mißachtung, wenn er nicht an Gott glaubte, oder nicht an den Dialektischen Materialismus. Und heutzutage wird man - jedenfalls für Leute wie Bill Maher - unwählbar, wenn man nicht an die Globale Erwärmung glaubt.

    Zumindest sollte man als Politiker also seinen Wählern vor der Wahl versprechen, daß man an die Globale Erwärmung glaubt.

    Nach der Wahl, das wird man dann sehen.



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    5. September 2008

    Der 44. Präsident der USA (18): Wie Präsident McCain regieren will

    Wenn wir im Sommerurlaub sind, wird in den Modehäusern die Winter- Kollektion angefertigt. Und wenn das Christkind kommt, bekommen die Osterhasen aus Schokolade den letzten Schliff.

    Während in den USA die Parteien nach außen hin ganz auf Wahlkampf eingestellt sind, nimmt in den Teams der beiden Bewerber die Regierungsarbeit für den Fall des Siegs Gestalt an.

    Für John McCain wird es dabei, schreiben heute Bob Davis und Gregg Hitt im Wall Street Journal, vor allem um die Frage gehen, wie er mit einem demokratisch beherrschten Kongreß zurechtkommt. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden die Demokraten im November ihre Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses noch ausbauen können.

    Es wird also das geben, was man in Frankreich cohabitation nennt - der Präsident wird von einer anderen Partei gestellt als derjenigen, die die Parlamentsmehrheit hat.

    Während aber in Frankreich die cohabitation eigentlich von der Verfassung nicht vorgesehen ist und auch bisher eine Ausnahme war, ist dieser Fall in den USA fast schon die Regel. Ein divided government hat es in 21 der 28 Jahre seit der Wahl von Ronald Reagen 1980 gegeben. Also business as usual.



    Wie wird man miteinander ins Geschäft kommen?

    McCain vertraut erstens auf die Zusammenarbeit mit den "Zentristen" bei den Demokraten, die wahrscheinlich gestärkt aus den Wahlen hervorgehen werden. Sie halten wie er wenig von Steuererhöhungen und könnten ihm bei seinen Steuerplänen zur Mehrheit verhelfen.

    Sodann wird er auf der Zusammenarbeit mit Demokraten aufbauen, die er schon als Senator pflegte. Ein "Maverick", ein aus der Reihe Tanzender, war er ja nicht nur in dem Sinn, daß er unkonventionelle Ideen vertrat (zum Beispiel die eines surge im Irak), sondern auch als einer der republikanischen Senatoren, die oft gemeinsam mit den Demokraten stimmten; ja sogar mit ihnen gemeinsam Gesetze ausarbeiteten.

    Beispielsweise hat er sich bei den gesetzlichen Regelungen zur Einwanderung mit Ted Kennedy und bei einem Gesetz, das die Höchstgrenze für Wahlkampf- Ausgaben festlegte, mit dem Demokraten Russell Feingold zusammengetan. Kaum ein Präsident ist jemals mit so vielen Erfahrungen aus dem Senat ins Weiße Haus ingezogen wie McCain. Sollte er es denn schaffen.

    Diese Erfahrungen werden ihm auch bei einer weiteren Strategie zugutekommen: Zunächst systematisch diejenigen Themen abzuarbeiten, in denen es Gemeinsamkeiten mit den Demokraten gibt. Im Bereich Gesundheit könnten dazu zum Beispiel solche Vorhaben gehören wie die Erlaubnis, Medikamente aus Kanada zu reimportieren (um so preissenkend in den USA zu wirken) sowie die Förderung von Generica.



    So konkret sind also schon die Überlegungen, die McCains Team für dessen Präsidentschaft anstellen. Über Personalia scheint dagegen noch nicht geredet zu werden.

    Anders als ein deutscher Kanzler hat ein amerikanischer Präsident vollkommen freie Hand bei der Berufung seiner Minister; sie müssen allerdings vom Kongreß bestätigt werden. Aber der Präsident muß nicht, wie der deutsche Kanzler, darauf achten, daß in seinem Kabinett die Bundesländer, die Geschlechter oder gar verschiedene Koalitionsparteien angemessen vertreten sind.

    Er ist auch keineswegs gehalten, nur Minister aus seiner eigenen Partei zu berufen. McCain hat bereits angedeutet, daß er daran denkt, auch Demokraten in seine Regierung aufzunehmen. In Frage kommt da natürlich vor allem sein Mitstreiter Joe Lieberman, der ein ausgezeichneter Außenminister wäre.

    Gegenwärtig hat Lieberman einen sicherlich interessanten und befriedigenden Nebenjob: Er bringt, zusammen mit anderen Experten, Sarah Palin in einem Crash- Kurs die Außenpolitik bei. Sie soll ja gut dastehen, wenn sie mit Joe Biden debattiert. Dieser nämlich ist Vorsitzender des Außenpolitischen Ausschusses des Senats.



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    4. September 2008

    Der 44. Präsident der USA (17): Hat Sarah Palin eine große Rede gehalten? Redenschreiber, Teleprompter und das öffentlich-rechtliche Fernsehen

    Haben Sie jemals etwas darüber erfahren, wer für Barack Obama die Reden schreibt? Ich nicht.

    Ich vermute, viele in Deutschland wissen gar nicht, daß er seine Reden so wenig selbst schreibt, wie irgend ein anderer amerikanischer Spitzenpolitiker das tut; dafür haben sie alle ihre Profis. Die Reden werden ihnen geschrieben (manchmal vielleicht nach ihren Anweisungen). Nur ablesen müssen sie sie selbst.

    Allerdings nicht von einem altmodischen Manuskript auf dem Rednerpult, sondern von zwei - für die Kameras in der Regel unsichtbaren - Telepromptern, die links und rechts vom Rednerpult stehen.

    Deshalb wandert der Blick, der Kopf des Redners, immer hin und her. Scheinbar den Kontakt mit allen Teilen des Publikums suchend. In Wahrheit beim Ablesen zwischen den beiden Telepromptern wechselnd.

    Als Barack Obama in Berlin gesprochen hatte, hat ihn Ralph Giordano also ein wenig falsch beurteilt, als er meinte: "Er ist ein guter Rhetoriker, der eine halbe Stunde ohne Manuskript spricht - als sei er bereits der Präsident". Nein, er war nur ein, sagen wir, kreativer Ableser. Als sei er bereits der Präsident

    Die Medien gehen darauf im allgemeinen nicht ein. Sie lassen uns die Illusion, die Redner trügen ihre eigenen Gedanken und Formulierungen vor; gar in freier Rede.

    Es sei denn, es handelt sich um eine Rednerin, und sie heißt Sarah Palin.



    Schon gestern bei CNN brachte eine den Demokraten sehr nahestehende Journalistin, Donna Brazile, die Bemerkung unter, die Rede Palins sei von Bush- Leuten verfaßt worden. Auch demokratische Politiker sagten das danach noch.

    Und folglich erreichte diese Botschaft auch uns deutsche TV-Zuschauer. Heute Mittag in der Tagesschau um 13.00 sagte Ina Ruck über Palins Rede: "Die Rede stammt aus der Feder eines Redenschreibers von Präsident Bush".

    Was uns das sagen will, liegt auf der Hand: Erstens, die gute Frau kann allenfalls das ablesen, was andere Leute ihr aufgeschrieben haben. Mehr hat sie nicht auf dem Kasten. Und zweitens sind das Leute vom bösen Bush; damit wissen wir ja, was wir von der Kandidatin Sarah Palin zu halten haben.



    Und wie war sie nun wirklich, diese Rede? Lassen Sie mich, bevor ich dazu komme, eine allgemeine Bemerkung vorausschicken:

    Wenn ich eine Rede, die ich im TV miterlebt habe, später im Wortprotokoll oder als den vorbereiteten Redetext lese, dann kann es passieren, daß ich enttäuscht - oder aber auch, daß ich positiv überrascht bin.

    Manchmal wundere ich mich beim Nachlesen, daß mir die Rede so gut gefallen hatte; sie erscheint mir jetzt viel belangloser. Manchmal entdecke ich aber auch erst beim Lesen Aspekte, Feinheiten, Qualitäten, die mir beim Zuhören entgangen waren, und sie erscheint mir nach der Lektüre viel besser.

    Der Inhalt einer Rede - das, was man im Wortprotokoll nachlesen kann - ist eben nur einer der Aspekte der vorgetragenen Rede. Deren Wirkung hängt auch von vielen anderen Aspekten ab - der Mimik und Gestik, der Art des Sprechens. Vor allem aber von einem Faktor, der schwer genau zu fassen ist und den man gern "Präsenz" nennt: Die Fähigkeit, die Zuhörer - vor allem, wenn sie auch Zuschauer sind - "in seinen Bann zu ziehen"; mit welchen Mitteln auch immer.



    Vergangene Nacht habe ich die Rede von Sarah Palin in CNN verfolgt. Heute Vormittag habe ich sie im Wortprotokoll nachgelesen.

    Sie ist eine jener Reden, die mir beim Zuhören ausgezeichnet gefielen und von denen ich beim Nachlesen enttäuscht war. Das spricht für die Präsenz der Rednerin.

    Nein, es ist kein schlechter Text, wenn man ihn liest; man spürt da schon den Profi. Aber von jemandem vorgetragen, dem diese Präsenz fehlt - sagen wir, von Hillary Clinton oder in Deutschland von Angela Merkel - hätte er längst nicht die Stürme der Begeisterung ausgelöst wie heute Nacht in Dayton, Ohio.

    Wie schaffte es Sarah Palin, durch die Art ihres Vortrags aus einem guten Redetext eine brillante Rede zu machen?

    Schwer zu sagen. Sie setzte keines der Mittel der Rhetorik ein, mit denen Barack Obama operiert - diese herrische Gestik, diese Mimik mit dem à la Mussolini vorgereckten Kinn und dem konzentrierten Gesichtsausdruck, dem Crescendo in der Stimme, den gezielten Pausen, dem Wechsel zwischen ganz leise und sehr laut.

    Nichts davon bei Palin. Also, was macht ihre Präsenz aus? Ich habe eben noch einmal die Aufzeichnung angesehen und glaube, ich habe eine Erklärung: Ihre Rhetorik besteht darin, daß sie keine Rhetorik hat.

    Wenn Hillary Clinton spricht, bin ich immer in Versuchung, geistig abzuschalten. So künstlich, so antrainiert, so langweilig wirkt das alles.

    Langweilig ist Obama nicht, sondern in gewisser Weise schon faszinierend. Aber aus jedem Knopfloch lugt die Selbstdarstellung, das Narzißtische díeses begnadeten Schauspielers hervor.

    Palin hatte ihre Rede gewiß auch präpariert. Aber wie frisch, wie authentisch, kam sie rüber, im Vergleich zu diesen beiden anderen!

    Meist gewinnend lächelnd, aber dann plötzlich mit einem Aufblitzen von Aggressivität, wenn sie Obama anging und dabei wie eine fauchende Katze die Nase - nein, nicht rümpfte, nicht kräuselte, irgendwie straffte. Dieses fast fröhliche Lachen, wenn sie eine Pointe gelandet hatte und das Publikum jubelte.



    Wie die Hinterwäldlerin aus dem fernen Alaska wirkte diese Frau jedenfalls nicht. Sie wirkte geradezu unglaublich selbstsicher und selbstbewußt. In sich ruhend. "Abgeklärt" würde man bei einem Fußballer vielleicht sagen.

    Was Hillary Clinton mit all ihrer Intelligenz, mit ihrer unendlichen Anstrengung nie geschafft hat - daß sie authentisch wirkt, daß ihr spontan die Herzen zufliegen - das hat Sarah Palin auf Anhieb hinbekommen.

    Am Ende ihrer Rede gab es eine kleine, aber feine Überraschung:

    John McCain, für den ein Auftritt gar nicht vorgesehen gewesen war, stand unversehens auf der Bühne, auf der sich inzwischen die Familie Palin versammelt hatte.

    Er begrüßte alle, umarmte Sarah Palin, blickte sich dann stolz um und sagte: "Don't you think we made the right choice for the next Vice President of the United States?" Und dann wandte er sich der Famlie zu und sagte seinen zweiten Satz des Abends: "What a beautiful family". Sprach's, schüttelte noch ein paar Hände und trollte sich wieder.



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