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16. Mai 2009

Wahlen '09 (3): Regierungswechsel durch Partnertausch. Genießen wir ihn noch einmal in diesem Jahr. Es könnte das letzte Mal sein

In den meisten europäischen Ländern entscheidet der Bürger bei nationalen Wahlen, ob er eine linke oder eine rechte Regierung bekommt.

In England stellen entweder die Tories oder Labour die Regierung. In Frankreich gibt es einen Rechtsblock unter Führung der Gaullisten (La Droite) und einen Linksblock (La Gauche), dessen Kernparteien die Sozialisten und die Kommunisten sind. Spanien hat ein weitgehendes Zweiparteien- System, in dem entweder die sozialistische PSOE oder die liberalkonservative PP regiert. In Griechenland wechselt die Regierungsmacht zwischen den Konservativen und den Sozialisten, angeführt durch die Familienclans der Karamanlis und Papandreou.

In Italien, das in der Nachkriegsrepublik ein sehr unübersichtliches Parteiensystem gehabt hatte, stehen einander inzwischen mit Berlusconis Rechtsblock und einem Linksblock aus Sozialisten, Kommunisten und diversen linksbürgerlichen Gruppen ebenfalls die Linke und die Rechte gegenüber.

In Skandinavien schließlich gibt es diese Verhältnisse schon seit der Nachkriegszeit. Meist regierten dort die Sozialdemokraten (inzwischen oft mit Hilfe der Kommunisten), von Zeit zu Zeit abgelöst durch ein "bürgerliches" Bündnis aus Konservativen, Liberalen und kleineren Parteien.



In einigen kleineren Ländern (Holland, Belgien, Österreich) sind die Verhältnisse komplizierter. Und in Deutschland.

Ein einziges Mal in der sechzigjährigen Geschichte der Bundesrepublik ereignete sich das, was andernorts Normalität ist: Eine rechte Regierung wurde aufgrund eines Wahlausgangs von einer linken abgelöst. Das war 1998.

Alle anderen Regierungswechsel vollzogen sich so, daß eine regierende Partei im Amt blieb und lediglich einen anderen Koalitionspartner bekam: 1966 ersetzte die CDU ihren Partner FDP durch die SPD. 1969 blieb die SPD an der Regierung, aber mit der FDP statt der Union als Partner. 1982 blieb die FDP Regierungspartei, aber als Partner der CDU statt der SPD. 2005 blieb die SPD an der Macht, teilte sich diese aber statt mit den Grünen mit der CDU.

Das ist eine deutsche Besonderheit, die selten erörtert wird. Ich kenne kein Land Europas, in dem sich als der Regelfall der Regierungswechsel auf diese Weise mittels, sagen wir, Partnertausch vollzieht.

Auch bei den diesjährigen Bundestagswahlen wird es wieder so sein: Wie immer die Wahlen ausgehen - mindestens eine der beiden momentanen Regierungsparteien wird auch nach dem 27. September weiter regieren. Aber es könnte gut sein, daß dies das vorläufige Ende dieser deutschen Spezialität ist. Daß wir, mit anderen Worten, auch in dieser Hinsicht ein normales europäisches Land werden.



Ein wesentlicher Grund für die deutsche Besonderheit lag darin, daß es in der alten Bundesrepublik eine strukturelle rechte Mehrheit gab. Niemals bis zur Wiedervereinigung hatten linke Parteien die Mehrheit. Als 1966 die Regierung Erhard gescheitert war, fehlte der Opposition eine Grundlage dafür, die Macht zu übernehmen; sie konnte nur an ihr beteiltigt werden. Von 1969 bis 1982 konnte die SPD nur deshalb regieren, weil die Liberalen sich mit der Linken verbündet hatten.

Seit der Wiedervereinigung ist das anders. Im Osten haben vierzig Jahre Kommunismus die bürgerliche Mittelschicht, also den Träger liberaler und konservativer Parteien, weitgehend vernichtet.

Das führte in den Jahren nach der Wiedervereinigung zunächst zu einem nachgerade erratischen Wählerverhalten - mal wählte man rechts, mal links, mehrfach sogar mit erschreckend hohen Anteilen rechtsextrem.

Inzwischen hat sich das beruhigt. Der Osten ist rot. Man kann eine Mittelschicht ja nicht aus dem Boden stampfen. In sämtlichen ostdeutschen Ländern liegt - man kann es sich z.B. hier ansehen - die Volksfront vor Schwarzgelb; mit Ausnahme Sachsen sogar deutlich davor. Und damit hat Deutschland nicht mehr die bisherige strukturelle rechte Mehrheit.

Wie die Umfragen der vergangenen vier Jahre zeigen, pendeln das rechte und das linke Lager jetzt, Ost und West zusammengenommen, jeweils um die fünfzig Prozent. Das entpricht den Verhältnissen in den meisten der eingangs genannten Staaten und übrigens auch in den USA. Auf dieser Grundlage hängt es von der jeweiligen aktuellen Situation ab, welche Seite die Regierungsmehrheit gewinnt.



Es hätte schon in diesem Jahr zu dieser neuen Ausrichtung des Parteiensystems in einen rechten und einen linken Block kommen können. Als unter Beck/Nahles (richtiger wohl Nahles/Beck) die SPD auf die Volksfront zusteuerte und zu diesem Zweck Gesine Schwan sozusagen als Vorhut ins Rennen schickte, sah es danach aus. Aber durch den Sturz Becks und die Entmachtung von Nahles einerseits und durch die Vorkommnisse in Hessen andererseits ist die Volksfront erst einmal vertagt.

Genießen wir also noch einmal den Partnertausch nach dem 27. September 2009. Falls Schwarzgelb gewinnt, dann wird es aller Wahrscheinlichkeit nach ab 2013 dasselbe geben wie anderswo auch: Entweder darf die Regierung weitermachen, oder die bisherige Opposition löst sie ab.



Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier. Titelvignette: Der Reichstag. Vom Autor Norbert Aepli unter Creative Commons Attribution 2.5 - Linzenz freigegeben. Ausschnitt.

12. Mai 2009

Kurioses, kurz kommentiert: Linke Humorlosigkeit. Das Kabarett als moralische Anstalt. Noch einmal Jan Fleischhauer

Das Essen ist furchtbar hier, und die Portionen sind zu klein.

Ein Spruch von Woody Allen, mitgeteilt von Jan Fleischhauer in einem hübschen Artikel in "Spiegel- Online". Titel: "Warum Linke keinen Humor haben".

Kommentar: Diesen Spruch Allens hatte ich noch nicht gekannt. "Kann man ein Grundproblem menschlicher Existenz besser auf den Punkt bringen?" fragt dazu Jan Fleischhauer. Und damit ist ihm, offenbar einem Mann mit Humor, ein guter Witz gelungen; ein Metawitz sozusagen.

Fleischhauer schreibt Lustiges und Lesenswertes über die seltsame Unfähigkeit von Linken zu dieser Art von absurdem Humor. Er zitiert dazu den Schriftsteller Martin Mosebach:
Folgt man Mosebachs Beobachtung der deutschen Humorlandschaft, dann ist der Grund dafür, dass die Linke, wenn sie sich treu bleiben wolle, nicht wirklich komisch sein könne, ihre Zielgerichtetheit. "Die Linke schreckt zurück vor dem Abgrund der Absurdität", glaubt er. Wenn der Linke eine Humorbombe zünde, habe der Humor-TÜV zuvor sicher gestellt, dass sie garantiert nur in eine Richtung explodiere.
So ist es. Wer sich an das "literarische Kabarett" erinnert, das bereits die Adenauer- Republik begleitet hat, an "Kom(m)ödchen", "Stachelschweine" und "Lach- und Schießgesellschaft", an Dietrich Kittner und Dieter Hildebrandt, der weiß, was Mosebach meint.

Allerdings gab es seit den sechziger Jahren auch so etwas wie alternativen, also freien, von Politik unbelasteten Humor. Fleischhauer erwähnt die "Neue Frankfurter Schule", deren Protagonisten sicherlich in ihrer Mehrheit nicht politisch rechts standen. Sie erlaubten sich nur, einfach witzig zu sein, ohne Botschaft und garantiert ohne Tiefsinn. Ihrem Organ "Pardon" habe ich, als es endgültig eingestellt wurde, eine kleine Erinnerung gewidmet; und ihrem großen Häuptling, dem genialen Robert Gernhardt (der freilich viel mehr war als nur ein Humorist) einen Nachruf.



Erst vor gut einer Woche habe ich hier auf Jan Fleischhauer aufmerksam gemacht. Auch der jetzige Artikel ist wieder ein Auszug aus seinem Buch "Unter Linken", dessen Erscheinen für gestern angekündigt war. Ich bin gespannt auf dieses Buch; ich bin auch gespannt darauf, wie die Karriere von Fleischhauer weitergeht, nachdem er sich so freimütig als Konservativer zu erkennen gegeben hat.



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4. Mai 2009

Zitat des Tages: "Die Linke hat auf der ganzen Linie gesiegt". Nebst Anmerkungen zu linker Arroganz und zum neuen Kleinbürgertum

Die Linke hat gesiegt, auf der ganzen Linie. Sie ist zum juste milieu geworden. Wenn man nach einer Definition sucht, was links sein bedeutet, lässt sich auf ein beeindruckendes Theoriegebäude zurückgreifen. Links ist eine Weltanschauung, auch eine Welterklärung, wie alles zusammenhängt - aber zunächst ist es vor allem ein Gefühl. Wer links ist, lebt in dem schönen Bewußtsein, im Recht zu sein, ja einfach immer recht zu haben. Linke müssen sich in Deutschland für ihre Ansichten nicht wirklich rechtfertigen.

Jan Fleischhauer, Redakteur des gedruckten "Spiegel", im Vorwort zu seinem am 11. Mai erscheinenden Buch "Unter Linken. Von einem, der aus Versehen konservativ wurde"; der aktuelle "Spiegel" bringt (19/2009, S. 152) einen Auszug.

Kommentar: Als ich während des US-Wahlkampfs im vergangenen Jahr in einem Artikel zu der Art, wie man sich auf der Linken herablassend zu Sarah Palin äußerte, auf das Phänomen linker Arroganz aufmerksam machte, hat das bei linken Bloggerkollegen zu heftigen Reaktionen geführt.

Denn seltsam - Linke halten sich zwar für die einzigen Guten, für die Einzigen mit politischem Durchblick. Aber wenn man sie darauf aufmerksam macht, daß das doch recht arrogant ist; daß doch möglicherweise auch Konservative und Neoliberale nicht ganz böse und auch nicht ganz dumm sein könnten - dann stößt man auf Unverständnis.

Nirgends zeigt sich die linke Arroganz deutlicher als in der ehrlichen Empörtheit über den Vorwurf, man sei arrogant, nur weil man auf Andersdenkende herabblickt. Man blickt doch nur deshalb auf sie herab, weil man nun einmal gut ist und Durchblick hat; während die anderen eben dumm und/oder bösartig sind. Das ist doch, nicht wahr, nicht arrogant; sondern es liegt daran, wie die Dinge nun einmal sind.

Denken die meisten Linken; die Allermeisten, nach meiner Erfahrung.



Das Phänomen, das Jan Fleischhauer - er beschreibt das in dem zitierten Text - im Elternhaus kennenlernte, habe ich im universitären Berufsleben erfahren: Es gibt zu nahezu allem auf dieser weiten Welt eine vorgestanzte linke Meinung, die man zu teilen hat, wenn man als ein netter, normaler, vernünftiger Mensch gelten will.

Vom Weltklima über die Globalisierung bis hin zur Meinung über Josef Ackermann (gierig), Andrea Ypsilanti (wollte das Richtige, wurde aber hintergangen) und Papst Benedikt (ist halt doch reaktionär) gibt es kein Thema, zu dem nicht eine sozusagen offiziöse stillschweigende Sprachregelung existiert.

Auf Parties oder am Tresen, seltener auch bei Gesprächen am Arbeitsplatz, versichert man sich gegenseitig die Richtigkeit dieser Meinungen. Das schafft eine Atmosphäre wohligen Einverständnisses. Sich abweichend zu äußern, wäre peinlich - so, als würde jemand, sagen wir, im Karnevalskostüm an einem Trauergottesdienst teilnehmen; oder im Tschador ein Nudistencamp aufsuchen.



Kommt Ihnen das nicht bekannt vor? Ja, genau. Es ist das, was man früher Spießertum nannte, noch früher Philistertum - diese kleinbürgerliche Neigung, Konflikten aus dem Weg zu gehen, sich unanstößig und angepaßt zu verhalten, sich der jeweils herrschenden Meinung unterzuordnen. Konformismus, wenn man es hochtrabend benennen möchte.

Der klassische Kleinbürger - der in Filzpantoffeln, in der Strickjacke, mit diffus rechten Ansichten, also Ekel Alfred - ist schon lange Vergangenheit. Der heutige Kleinbürger ist so, wie Fleischhauer (man kann übrigens auch einen Blog von ihm lesen) die Linken beschreibt:
Man schwärmt für Obama, fürchtet sich vor dem Klimawandel und dem Überwachungsstaat, achtet auf biologisch einwandfreie Ernährung und liest die Meinungsspalte der "Süddeutschen", das Feuilleton der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" und, mit einer gewissen zur Schau gestellten Verachtung, den Politikteil des SPIEGEL. Die Kinder gehen auf ausgesuchte Schulen, auch wenn man grundsätzlich für die Gemeinschaftsschule ist, das Wochenende verbringt man gerne bei Freunden auf dem Land, die dort seit Jahren eine Naturstein- Kate renovieren, natürlich denkmalschutzgerecht, und beim Italiener erfolgt die Bestellung grundsätzlich in der Landessprache des Wirts, egal wie gut oder schlecht man Italienisch spricht.
Hübsch gezeichnet hat ihn da Jan Fleischhauer, den heutigen Kleinbürger. Und statt Filzpantoffeln und Strickjacke trägt er Jeans und den Kaschmirpullover, locker um die Schultern gelegt.



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22. September 2008

Marginalie: Die amerikanische Einwanderung in die Sowjetunion. Ein vergessenes Kapitel in der Geschichte des Kommunismus

Ja, das hat es einmal gegeben: Ein Strom von Menschen, die die USA verließen, weil sie sich in der UdSSR ein besseres Leben erwarteten.

Nicht in der Zeit, als der spätere Kennedy- Attentäter Lee Harvey Oswald sein Glück im Vaterland aller Werktätigen suchte, Anfang der sechziger Jahre. Da kam allenfalls ein Einzelgänger wie Oswald auf einen solchen Gedanken.

Aber dreißig Jahre zuvor sah das anders aus.

Die USA steckten in der Großen Depression. Und die UdSSR, aus der überwiegend die Propaganda des Regimes und die geschönten Berichte von - im Wortsinn - Fellow Travelers nach außen drangen, erschien vielen wirklich als ein Paradies. Also wanderten Amerikaner zu Zehntausenden in die Sowjetunion aus.

Über diese bizarre Episode berichtet ein in diesem Sommer zunächst im UK erschienenes Buch des britischen Journalisten Tim Tzouliadis. Darauf aufmerksam geworden bin ich durch die jetzige Besprechung von Ronald Radosh im aktuellen National Review anläßlich des Erscheinens der US- Ausgabe.

Weitere Rezensionen von "The Forsaken: An American Tragedy in Stalin’s Russia" (Die im Stich Gelassenen. Eine amerikanische Tragödie in Stalins Rußland) findet man zum Beispiel im Independent, im Telegraph und - besonders lesenswert - im Spectator; die Autorin dieser Rezension, Anne Applebaum, hat selbst ein Standardwerk über den Gulag geschrieben.



Im Jahr 1931, mitten in der Großen Depression, erschienen in US-Zeitungen Anzeigen der sowjetischen Arbeits- Agentur Amtorg, in der amerikanischen Arbeitern Jobs in der Sowjetunion angeboten wurden. Gesucht wurden vor allem Stahlarbeiter und Autobauer, aber auch Lehrer und Ärzte. Geboten wurden hochbezahlte, sichere Stellungen, freie Überfahrt, bezahlter Urlaub und freie medizinische Versorgung. Paradiesische Bedingungen also nicht nur für Menschen, die damals in den USA keine Arbeit fanden.

Etwas mehr als zehntausend Stellen wurden angeboten; mehr als hunderttausend Bewerbungen gingen ein. Unter denen, die in die UdSSR gingen, war der spätere prominente Gewerkschaftsführer Walter Reuther. Bei manchen spielte ein politischer Hintergrund eine Rolle; aber viele wollten nur einen der angeblichen guten Jobs.

Die Ernüchterung kam bald. Statt des versprochenen Paradieses fanden die Ankömmlinge erbärmliche Bedingungen vor - Hungerlöhne, schlechte Unterkünfte, eine miserable Versorgung selbst mit den einfachsten Gütern.

Sofort nach der Ankunft hatten sie ihre Pässe abgeben müssen. Wer wieder zurück in die USA wollte, erhielt die Auskunft, er sei mit der Aufnahme der Arbeit Sowjetbürger geworden und unterliege ausschließlich sowjetischem Recht.

Soweit war das aus heutiger Sicht alles nicht überraschend. Wirklich erstaunlich - und der Grund dafür, daß ich diesen Artikel schreibe - war die Reaktion der amerikanischen Behörden.

1933 hatten die USA die Sowjetmacht anerkannt und eine Botschaft in Moskau eingerichtet. Von deren Personal wurden die amerikanischen Arbeiter, wie ein Diplomat es ausdrückte, als "menschliches Treibgut" (flotsam and jetsam) behandelt. Sie erhielten keine Hilfe, und Stalin war entschlossen, sie in der UdSSR festzuhalten, denn sie kannten ja nun die Wahrheit über die dortigen Zustände und hätten bei einer Heimkehr in die USA darüber berichten können.

Der erste US-Botschafter bei Stalin, William Bullitt, war anfangs ein Sympathisant der Sowjetmacht gewesen, erkannte aber bald deren wahres Wesen und schrieb in seinem letzten Telegramm an Roosevelt, bevor er demissionierte, daß Stalin zum Massenmord an allen potentiellen Oppositionellen entschlossen sei.

Bullitts Nachfolger war Stalins Traumkandidat, der sowjetfreundliche Joseph Davies. Ein Mann, der sich weigerte, vom NKWD verfolgten Amerikanern zu helfen; erst recht den Arbeitern, die ja "Sowjetbürger" geworden waren.

Davies nannte die sowjetische Führung "extrem fähig" und rechtfertigte Stalins Schauprozesse. Und er war nicht der einzige. Bis hinein in Roosevelts Regierung gab es die willigen Unterstützer Stalins; zu ihnen gehörte zum Beispiel Vizepräsident Henry A. Wallace. Henry Morgenthau, Roosevelts Finanzminister, äußerte, die Methoden Stalins seien "of no interest to the American government", uninteressant für die amerikanische Regierung.

Zahlreiche der in die UdSSR gekommenen Amerikaner kamen in ein Lager des Gulag. "None of this first generation of American prisoners — neither Herman, nor Dolgun, nor Sgovio nor any of the hundreds of others — ever had any aid or assistance whatsoever from the American embassy in Moscow or from the American press corps, let alone from the government itself", schreibt Anne Applebaum - keiner von ihnen hätte jemals Hilfe erhalten, weder von der Botschaft, noch von Presseleuten, noch gar von der US-Regierung.



Das alles war Anfang und Mitte der dreißiger Jahre, also vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs. Daß man Stalin später als Kriegsalliierten nolens volens manches nachsah, mag verständlich sein. Aber die Wahrheit ist, daß viele amerikanische Linke schon lange zuvor in "Uncle Joe" regelrecht vernarrt gewesen waren. (Seine "wunderbaren Augen" lobte der Botschafter Davies, vor der Entsendung nach Moskau ein prominenter US-Linker).

Und die Amerikaner waren keineswegs die einzigen. Anne Applebaum schreibt:
This attitude was not unique to Americans at that time, of course. (...) I’ve never heard of British or Dutch diplomats helping their citizens to get out of the gulag either. A few oddball ‘right-wing’ journalists and émigrés paid attention, but that was about it. It was an ‘internal affair’, not a matter for international statesmen.

Diese Haltung war damals natürlich nicht auf die USA beschränkt. (...) Ich habe niemals davon gehört, daß auch holländische oder britische Diplomaten ihren Bürgern geholfen hätten, dem Gulag zu entkommen. Ein paar verschrobene "rechte" Journalisten und Emigranten richteten die Aufmerksamkeit darauf, aber das war es dann auch schon. Es war eine "innere Angelegenheit", keine Angelegenheit internationaler Staatsmänner.



Für Kommentare zu diesem Artikel gibt es einen Thread in "Zettels kleinem Zimmer". Dort findet man auch eventuelle Aktualisierungen und Ergänzungen.

12. September 2008

Zettels Meckerecke: Die toten Körper der Sarah Palin. Über linke Arroganz

Die beste und vermutlich eine der kürzesten Antworten auf die Frage "Was ist links?" lautet: Arroganz.

Konservative und Liberale mögen die Dummheit verachten. Den Dummen werden sie im allgemeinen nicht herabsetzen; sie wissen ja, daß Dummheit keinem von uns fremd ist.

Liberale und Konservative halten vielleicht wenig von Unbildung. Aber nur bei Linken habe ich es bisher gefunden, daß Ungebildete erbarmungslos herabgesetzt werden. Die "Stammtische", die "tumben". Noch nicht einmal Abitur haben sie, die Brüder.

Kurz: Schneidende, erbarmungslose Arroganz, intellektuelle Überheblichkeit, das Niedermachen aller, die nicht der eigenen Subkultur angehören, habe ich eigentlich immer nur bei Linken angetroffen.



Lesen Sie bitte einmal diese Sätze:
Doch Sarah Palin, John McCains Vize- Kandidatin, hat auf ihrem Weg zur Macht einen großen Bogen um die Institutionen der Elitenbildung gemacht. Statt Harvard oder Yale weist ihr Lebenslauf folgende Stationen auf: Schönheitskönigin, Elternsprecherin - und Karibu- Jägerin. Fallen die amerikanischen Frauen mit Palin in eine archaische Zeit der Jäger und Sammler zurück? (...)

Doch Sarah Palin kommt aus Wasilla, Alaska. Nicht einmal 7000 Einwohner hat das Örtchen. Für sie ging es nie um akademische Abschlüsse oder intellektuelle Diskurse. (...)

Palin wie paläolithisch. Das ist mehr als nur ein billiges Bonmot: Palins Speisekammer ist vollgestopft mit von ihr selbst erlegten Exemplaren der gesamten Tierwelt der alaskischen Tundra. (...)

Sarah Palin (...) hat lediglich einen Abschluss in Kommunikationswissenschaften, den sie umständlich zwischen nicht weniger als fünf verschiedenen Colleges zwischen Hawaii und Idaho zusammengeklaubt hat. Kein glanzvoller Bildungsweg. (...)

Man kann gar nicht stark genug betonen, wie sehr Sarah Palin sich von Frauen wie Abigail Adams, Eleanor Roosevelt oder Hillary Clinton unterscheidet, - und wie sehr sie sich politisch von dem zivilisatorischen Projekt abhebt, für das diese First Ladies standen. (...)

Ihre öffentliche Karriere begann als Schönheitskönigin von Wasilla. Physische Disziplin lernte sie von ihrem Vater auf der Jagd, wenn sie Elche abschoss. Ihren beruflichen Anfang machte sie als Sportreporterin. Dann kam die mittlerweile fünffache Mutterschaft - ehe ihre politische Karriere als Bürgermeisterin überhaupt erst anfing.

Nicht Bücher sondern Jagdgewehre prägten ihre Kindheit, tote Körper von im wilden Nordwesten Alaskas erlegten Tieren. (...)
Die diesen Schwulst in "Spiegel- Online" schrieb, eine gewisse Anjana Shrivastava, wurde freilich nicht von Jagdgewehren, sondern von Büchern geprägt:
Anjana Shrivastava wurde in Großbritannien geboren, und zog als Kind in die Vereinigten Staaten. Sie studierte Geschichte an der Harvard Universtät, und war danach Essayistin für den Wall Street Journal Europe.

In Deutschland hat sie unter anderem für die "Berliner Zeitung" und die "Netzeitung" geschrieben. Zur Zeit schreibt sie ein Buch über Franz Kafka im Jahre 1923.
So lesen wir es in der "Welt".



Ein blamabler, ein in seiner Arroganz skandalöser Text dieser Kafka- Philologin? Vielleicht. Aber zwei Caveats sind angebracht.

Erstens ist dieser Text offensichtlich entweder aus dem Englischen übersetzt, und zwar schlecht; oder die Autorin beherrscht das Deutsche nur mangelhaft.

"Palins Speisekammer ist vollgestopft mit von ihr selbst erlegten Exemplaren der gesamten Tierwelt der alaskischen Tundra." Das sollen wir glauben, daß Palin nicht nur Schönheitskönigin war und es versäumte, in Harvard oder Yale zu studieren, sondern daß sie auch noch Jagdtrophäen - in der Speisekammer aufbewahrt?

Gemach. Im Englischen stand vermutlich "larder", was allerdings Speisekammer heißen kann, hier aber offensichtlich Abstellraum. Und "dead body" mit "toter Körper" statt mit "Leiche" zu übersetzen - das läßt doch ein wenig darauf schließen, daß die Übersetzerin ihre Kunst nicht in Yale oder Havard gelernt hat, sondern, sagen wir, in Colleges zwischen Hawaii und Idaho.

Was sonst alles noch an dem Text falsch übersetzt oder von einer Autorin geschrieben ist, die das Deutsche nicht ausreichend beherrscht, ist naturgemäß schwer zu sagen.

Zweitens läßt die Autorin es - wie es scheint; sofern die Übersetzung das richtig wiedergibt - augenzwinkernd offen, ob sie sich eigentlich mit ihrer Charakterisierung von Sarah Palin als steinzeitliche Landpomeranze identifiziert, oder ob sie nur die Reaktion der intellektuellen Damen von der Ostküste beschreibt.

Das macht freilich keinen großen Unterschied. Denn Frau Shrivastava schreibt genau wie eine intellektuelle Dame von der Ostküste.

Der Text ist diffamatorisch, so oder so.



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21. Februar 2007

Gedanken zu Frankreich (5): Die Rechte, die Linke - und François Bayrou

In Frankreich, so glauben wir zu wissen, kandidiert bei den im April anstehenden Wahlen Nicolas Sarkozy gegen Ségolène Royal, Sarko gegen Ségo.

Wirklich? Gewiß, da gibt es noch die Kandidaten der extremen Linken, der extremen Rechten. Aber die haben keine Chance.

Stimmt. Aber es gibt da noch François Bayrou.



Laut einer IFOP-Umfrage für den Nachrichtensender LCI vom 19. 2. 2007 würde jener François Bayrou, wenn er im zweiten Wahlgang gegen Nicolas Sarkozy anträte, diesen mit 52 % zu 48 % schlagen; Ségolène Royal würde er sogar mit 54 % zu 46 % schlagen.

CNN hat über dieses sensationelle Umfrageresultat am Tag danach, vorgestern also, berichtet. In den deutschen Medien scheint es noch wenig Beachtung gefunden zu haben. Die Suche bei Paperball zeigt im Augenblick nur wenige Medien, die die AFP-Meldung überhaupt brachten; mit einer eigenen Überschrift berichtete darüber offenbar bisher von den deutschen Zeitungen nur die Rheinpfalz.

Wer ist dieser François Bayrou? Und wie kommt es, daß er bei einer Stichwahl sowohl den Spitzenkandidaten der Rechten als auch die Spitzenkandidatin der Linken schlagen würde?

Dazu möchte ich ein paar Anmerkungen machen. Aus der Perspektive nicht eines "Frankreich- Experten", aber doch eines politisch Interessierten, der die französischen Dinge schon recht lange ziemlich intensiv verfolgt. Und der die Kultur und Sprache dieses Landes sehr schätzt.



In kaum einem europäischen Land verstehen sich die politisch Interessierten so explizit als "Rechte" oder "Linke" wie in Frankreich.

Das geht zurück auf die wechselvolle Geschichte Frankreichs seit der Großen Revolution und vor allem auf die Zeit der Volksfront in den dreißiger Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts, als die Linke erstmals in der Dritten Republik an die Macht gekommen war und kurzfristig versucht hatte, Frankreich zu einem sozialistischen Land umzugestalten.

Die Linke - das sind in Frankreich traditionell die Spielarten des Sozialismus und Kommunismus, die auf etliche Parteien und sogenannte Clubs verteilt gewesen waren, bevor es Anfang der siebziger Jahre gelang, sie in der Parti Socialiste (PS; "Sozialistische Partei") zusammenzuführen; bis auf die Kommunisten, die aber in Frankreich traditionell Partner der Sozialisten sind.

Ähnlich zersplittert war die Rechte, die sich in der Fünften Republik in immer neue Parteien und Parteienbündnisse gliederte; meist dominiert von einer gaullistischen und einer bürgerlich- liberalen Partei.

In der Fünften Republik war das auf der gaullistischen Seite zunächst die Union pour la Nouvelle République (UNR; "Union für die Neue Republik"), die nach mehrfachen Umbenennungen zum Rassemblement pour la République (RPR; "Sammlungsbewegung für die Republik") wurde.

Auf der bürgerlich-liberalen Seite gab es mannigfache Parteien und Strömungen, die schließlich überwiegend in der Union pour la Démocratie Française (UDF; "Union für die Französische Demokratie") aufgingen.

Schon die Namen deuten darauf hin, das es sich hier um Bündnisse sehr unterschiedlicher Strömungen und Kräfte handelte und handelt.



Parteien der "Mitte" hatten es in diesem Parteiensystem immer schwer, und sie haben niemals eine dominierende Rolle gespielt. Am ehesten noch am Beginn der Vierten Republik, als die christdemokratischen Volksrepublikaner Robert Schumans zeitweise Regierungspartei waren; Partner der CDU, der Democracia Cristiana.

Danach aber führten die "Zentristen" meist ein Schattendasein - mal mehr der Rechten zuneigend, mal mehr der Linken; oft zwischen ihnen zusammengestaucht. Zu Beginn der Fünften Republik versuchte Jean Lecanuet mit seinem Centre Démocrate (CD; "Demokratisches Zentrum") einen Dritten Weg zwischen Sozialisten und Rechten. Später gab es immer wieder Parteigründungen und Fusionen, die meist mehr oder weniger mit der Rechten kooperierten. Die UDF kann man als die liberale Rechte sehen, oder als die rechte Mitte.



Vor fünf Jahren nun, bei den Präsidentschaftswahlen 2002, erlebte Frankreich ein politisches Erdbeben. Im ersten Wahlgang schied der Sozialist Lionel Jospin aus, und Chirac mußte im zweiten Wahlgang gegen den Rechtsextremisten Le Pen antreten.

Das brachte eine breite Unterstützungsbewegung für Chirac mit sich, die dieser dazu ausnutzte, so etwas wie eine rechte Einheitspartei zu schmieden: Die Union pour la Majorité Présidentielle (UMP; "Union für die Präsidentenmehrheit"). Später wurde daraus Union pour un Mouvement Populaire ("Union für eine Volksbewegung"). Man behielt etwas verkrampft das Kürzel bei, nachdem sich der Name, für den zweiten Wahlgang 2002 ersonnen, überholt hatte.



Und nun zu François Bayrou. Als diese rechte Einheitspartei UMP gegründet wurde, da machten die meisten UDF- Abgeordeneten mit, aber nicht alle. Die UDF zerfiel sozusagen wieder in ihre Komponenten - die rechtsliberalen Weggefährten der Rechten und die Liberalen der Mitte.

Ungefähr dreißig Abgeordnete der UDF traten nicht in die UMP ein, sondern machten unter dem alten Namen weiter. Als ihr wichtigster Kopf erwies sich bald François Bayrou.

Ein interessanter Mann. Auf dem Land aufgewachsen, in der Nähe von Lourdes, in einer stockkatholischen Umgebung. Studium der klassischen Philologie; dann zugleich Studienrat und Bauer, der seiner verwitweten Mutter auf dem Hof half. Züchter von Rassepferden. Privat ein überzeugter Katholik. Als Lehrer für den Laizismus eintretend.

Er schreibt eine Biographie ("Le roi libre"; "Der freie König") des Königs Henri IV (ja, genau, der mit dem Huhn im sonntäglichen Topf und dem "Paris ist eine Messe wert"). Kein Zufall, daß er sich diesen großen Versöhner zum Helden aussucht. Denn das wird nun das Thema des Politikers Bayrou: Eine Politik der Mitte, zwischen Links und Rechts. Oder vielmehr jenseits der Links- Rechts- Einteilung.

Das versucht er in diversen Parteien des komplexen Spektrums der französischen Mitte zu realisieren; zum Schluß in der UDF. Dort tritt er dafür ein, daß kein Abgeordneter dieser Partei sich von den Rechtsextremisten mitwählen lassen darf. Er ist ein überzeugter Antitotalitärer; egal, ob es um den linken oder den rechten Totalitarismus geht.

Im Europaparlament sorgt er mit dafür, daß die Fraktion der UDF sich von der konservativen "Europäischen Volkspartei" trennt und sich der "Allianz der Liberalen Demokraten" anschließt.

Er tritt gegen den EU-Beitritt der Türkei ein, für die freie Marktwirtschaft, für eine Überwindung des Links- Rechts- Gegensatzes. Kurz, er ist ein Liberalkonservativer. (Ein Mann nach meinem Herzen; ich kann's ja nicht leugnen).



Und wieso würde eine Mehrheit der Franzosen für diesen Kandidaten stimmen, wenn er der Gegenkandidat von Ségolène Royal oder von Nicolas Sarkozy wäre, im zweiten Wahlgang?

Zum einen, vermute ich, weil er ein persönlich sehr eindrucksvoller Kandidat ist. Ein bedächtiger, glaubhafter, prinzipientreuer Mann. Der damit einen Vorteil hat gegen die Populistin Ségolène Royal, diesen Jeanne- d'Arc- Verschnitt, und gegen den Populisten Nicolas Sarkozy, diesen Hans- Dampf- in- allen- Gassen, diesen gallischen Guido Westerwelle.

Und zweitens könnte das, was in Frankreich die Schwäche der Mitte ausmacht, jetzt seine Stärke sein. Gerade weil die meisten Franzosen sich nicht vorstellen können, eine Linke zu wählen, wenn sie sich als rechts verstehen, oder einen Rechten zu wählen, wenn sie in ihrem Selbstverständnis Linke sind - just deshalb könnten sie in einem zweiten Wahlgang, in dem der Kandidat ihrer Richtung nicht mehr im Spiel ist, einen Mann der Mitte wählen.



Könnte François Bayrou also der nächste französische Präsident werden? Die Chancen stehen - malgré tout - leider sehr schlecht.

Denn um den genannten Vorteil zu genießen, muß er ja erst mal in den zweiten Wahlgang kommen. Und in den schaffen es, nach französischem Wahlrecht, nur der Erst- und Zweitplazierte.

Bayrou müßte also das gelingen, was Jean- Marie Le Pen 2002 schaffte: als zweiter durchs Ziel zu gehen.

Wieso hat das damals Le Pen geschafft? Weil niemand damit gerechnet hatte. Weil folglich viele Wähler der Linken im ersten Wahlgang irgendwelche Exoten gewählt hatten - Trotzkisten diverser Couleur vor allem -, in der festen Absicht, im zweiten Wahlgang dann Jospin zu wählen.

Daß dadurch ein Rechtsextremist in den zweiten Wahlgang kam, obwohl er keine siebzehn Prozent der Stimmen erreicht hatte, war ein Schock für die Franzosen. Sie haben gemerkt, daß man das voter utile, das Nützlich- Wählen, nicht für den zweiten Wahlgang reservieren darf.

Also werden, falls es keine Überraschung gibt, wohl Sarko und Ségo als Sieger aus dem ersten Wahlgang hervorgehen.

Leider.


Links zu den vorausgehenden Beiträgen dieser Serie findet man hier in "Zettels kleinem Zimmer".

23. Dezember 2006

Ketzereien zum Irak (2): Die Nachrichtenlage

Es ist im Grunde absurd: Der Irak steht im Mittelpunkt des Medieninteresses, und doch wird aus dem Irak kaum berichtet.

Es wird "kaum berichtet" in dem Sinn, daß die - freilich sehr lebhafte - Berichterstattung sich auf Anschläge von Terroristen beschränkt. Und auf die Schwierigkeiten der US-Regierung und des US-Militärs, diese terroristischen Aktivitäten zusammen mit der irakischen Armee einzudämmen. Der Irak wird uns ganz überwiegend als ein Schlachtfeld vorgeführt; und als ein politisches Chaos.

Wenn ich auf das hinweise, was darüber hinaus im Irak sich abspielt, sich entwickelt, vorangeht - dann hat das also, in Deutschland, in dieser manchmal sehr uniformen Medienlandschaft, wohl etwas Ketzerisches. Deshalb der Titel dieser Serie.



Der Irak hat ein massives, ein leider noch längst nicht beherrschtes Terrorismus-Problem. Nur ist der Irak ja nicht nur ein Land, das ein Terrorismus-Problem hat. So wenig, wie Deutschland nur ein Land mit Arbeitslosigkeit und Rechtsextremismus ist.

Aber die Berichterstattung aus dem Irak in der Mehrheit unserer Medien - sie ist ungefähr so, als würde die weltweite Berichterstattung aus Deutschland sich darauf beschränken, von der Not der Arbeitslosen und der Frechheit der Neonazis zu berichten.

Hier sind ein paar Informationen, die man im Blog Iraq the Model, geschrieben überwiegend von zwei Autoren aus Bagdad, Mohammed und Omar, in den letzten Tagen und Wochen lesen konnte. Leider sind die Beiträge nicht einzeln verlinkbar; man muß also ein wenig scrollen, um sie zu finden (Hervorhebungen von mir):



  • Auf den neuesten Beitrag, den Blog vom 20. Dezember, habe ich gestern hier aufmerksam gemacht: Omar sieht die aktuell anstehende politische Aufgabe darin, die gemäßigte, demokratisch gesonnene Mehrheit bei den Schiiten ebenso wie bei den Sunniten aus ihrer Abhängigkeit von den jeweiligen Extremisten zu lösen. Für mich gestern ein Anlaß, auf das allgemeine Problem einzugehen, wie Demokraten mit den Extremisten "ihrer Richtung" umgehen.



  • Blog vom 15. Dezember: Darin berichtet Mohammed über aktuelle Überlegungen zu einer Regierungsumbildung, die diesem Ziel dienen würde. Er erörtert die Chancen, daß sich bestimmte Gruppen beteiligen würden, und kommt dann zu einem interessanten Punkt:
    Either they insist on their obsolete doctrine and keep falling back in the face of liberal democracy which eventually leads to their defeat as a political power or, the moderate elements of political Islam, such as the two in the front in question, consider redesigning their policy and agenda in such a manner that avoids conflicts with other powers and accepts the concept of power-sharing and stop imposing their vision as the one and only right one to accept being a partner, not a sole leader. The good thing in all of this however is that extremism will be the loser and will keep shrinking on the long term.
    "They", das sind die nicht-terroristischen islamischen Gruppen. Was er von ihnen erwartet, das ist der Verzicht darauf, ihre eigene politische Vision gegen die der anderen vollkommen durchzusetzen. Sie müssen, meint er, sich demokratischen Spielregeln anbequemen. Die Extremisten, glaubt er, werden die Verlierer sein.



  • Blog vom 9. Dezember: Der Irak hatte dieses Jahr Öleinnahmen von 35 Milliarden Dollar, 14,3 Prozent mehr als vergangenes Jahr. (Da sieht man, wie die Ölkonzerne den Irak ausbeuten; Anmerkung von Zettel). Die Regierung hat es, schreibt, Mohammed, kaum geschafft, dieses ganze Geld auszugeben - nicht nur wegen des Terrorismus, sondern auch wegen mangelnder Effizienz der Behörden. Jetzt wird im Parlament diskutiert, die Bezüge der Beamten zu erhöhen und/oder einen Teil der Öl-Einkünfte direkt an die Bürger auszuschütten.

    Damit könnte die Entwicklung des privaten Sektors im Irak weiter angekurbelt werden. Und diese Passage zitiere ich wörtlich und übersetze sie, weil sich vielleicht viele bei der Lektüre die Augen reiben werden:
    The private sector in Iraq had witnessed giant leaps immediately after the fall of Saddam; that could be seen in the form of the thousands of private businesses that were established in the course of the past three years and that had a direct positive effect on the standards of living after long years of deprivation. It's worth mentioning that between 1946 and the beginning of 2003 a total of 8374 businesses were registered while between April 2003 and the end of 2005 more than 20,000 have been registered. During last month alone 286 new businesses were added. Such statistics seem quite extraordinary under the current security situation which sadly continues to overshadow and limits further improvement of this aspect of life in Iraq.

    Der private Sektor im Irak hat nach dem Fall Saddams einen gigantischen Sprung nach vorn erlebt; das zeigte sich in Gestalt tausender von Privatunternehmen, die im Verlauf der letzten drei Jahre gegründet wurden und die nach langen Jahren des Mangels eine unmittelbare Auswirkung auf den Lebensstandard hatten. Es verdient erwähnt zu werden, daß zwischen 1946 und Anfang 2003 insgesamt 8374 Unternehmen eingetragen wurden, während zwischen April 2003 und Ende 2005 mehr als 20 000 eingetragen wurden. Im letzten Monat allein kamen 286 Unternehmen hinzu. Solche Statistiken erscheinen recht außergewöhnlich unter der gegenwärtigen Sicherheitssituation, die leider weitere Verbesserungen dieses Aspekts des Lebens im Irak überschattet und beschränkt.



  • Blog vom 7. Dezember: Hier zitiert Omar diese offizíelle Mitteilung über die Gefangennahme zahlreicher Führer der terroristischen Ansar al-Sunna.

    Wo in den deutschen Medien wurde darüber berichtet? Während jeder Anschlag von Terroristen eine Meldung, oft einen Aufmacher, wert ist. Die Berichterstattung in den deutschen Medien hat insofern große Ähnlichkeit mit der Wehrmachtsberichterstattung: Die Erfolge der einen Seite (der Wehrmacht damals, der irakischen Terroristen heute) werden groß herausgestellt. Die der anderen Seite (der Alliierten damals, der MNF und der Irakischen Armee heute) werden unterschlagen oder heruntergespielt.


  • Warum diese Unvollständigkeit, diese Einseitigkeit der Nachrichten, die uns Deutsche aus dem Irak erreichen? Well, that's another question.

    Ob ich sie beantworten kann, weiß ich noch nicht. Aber mir scheint, daß die Unehrlichkeit, die Einseitigkeit, die Ereiferung in Sachen Irak zu den weniger erfreulichen Episoden linken Denkens in Deutschland, in Europa gehört.

    Es war ja sehr heftig getroffen, das linke Denken, durch das Scheitern des Sozialismus. Und mir scheint, am Irak versucht es sich jetzt wieder aufzurichten.