22. Juni 2007

De Gaulle, Thatcher, die Kaczynskis: Wiederholt sich die Geschichte?

Europa hatte es schwer mit Charles de Gaulle, es hatte es noch schwerer mit Margaret Thatcher.

So schwer wie jetzt mit dem Polen der Brüder Kaczynski hatte es Europa noch nie; nicht seit dem Beginn der Einigung mit der Montanunion.

Für de Gaulle war La France Alles; manche meinten, er hielte sich selbst für die Verkörperung der Grande Nation. Für ihren Retter hielt er sich ganz gewiß, und dazu hatte er Grund.

Margaret Thatcher dachte wie er in den Kategorien der ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts. Für sie gab es Britain und Europe. Getrennt durch den Ärmelkanal, getrennt durch den Gegensatz zwischen Vernunft und Revoluzzerei, getrennt durch Pragmatismus auf der einen und einen rationalistischen Dogmatismus auf der anderen Seite.



In gewisser Weise waren aber beide schon Europäer.

De Gaulle war Europäer, insofern er sein Vaterland als das größte und beste, das vor allem kultivierteste aller europäischen Vaterländer sah. Mit ihnen wollte er gut auskommen; Frieden halten. Aber nichts aufgeben von den Vaterländern ("L'Europe des Patries").

Margaret Thatcher war Europäerin insofern, als sie die klassische britische Sichtweise teilte, daß Großbritannien in Europa vitale Interessen hat; vor allem dasjenige, die Vormacht eines einzigen Staats in Europa zu verhindern.

Beide dachten aber nicht im Traum daran, die nationalen Interessen ihres Landes, gar seine Souveränität zur Disposition zu stellen zugunsten eines europäischen Staatenbundes oder - am Ende - horribile dictu - Bundesstaats.



Stehen die Kaczynskis in der Tradition dieser beiden, wenn sie jetzt in Europa auftrumpfen und den Wilden Mann geben; wenn sie sich in Quertreibereien gefallen? Wenn sie ein Pathos anstimmen wie de Gaulle und vom Zweiten Weltkrieg reden wie Margaret Thatcher?

In einem Punkt ja, in drei Punkten nicht, scheint mir.



Wie de Gaulle und Thatcher sind sie Patrioten, die man auch Nationalisten nennen könnte.

Die Gründerväter Europas waren das nicht - Adenauer, Schuman, de Gasperi, Spaak, Bech, Luns. Sie waren Männer, die aus den Katastrophen der ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts den Schluß gezogen hatten, daß es vorbei sein müsse mit Patriotismus und Nationalismus.

Genauer: Sie waren schon auch Patrioten - aber nicht nur deutscher, französischer, belgischer Patriot, sondern das erst in zweiter Linie; in erster Linie aber waren sie europäische Patrioten. Katholiken, die geprägt waren von unserer gemeinsamen abendländischen Kultur.

De Gaulle und Thatcher hatten nicht diese Beziehung zum Abendland; die Kaczynskis offenbar auch nicht. Insofern gehören sie in diese Tradition. Sie sehen sich in der ausschließlichen Verantwortung für ihr Vaterland, überhaupt nicht für Europa. Jedenfalls, sofern das aus ihrem Verhalten zu erschließen ist.

Aber dreierlei unterscheidet sie von de Gaulle und Thatcher.



Diese beiden waren, zum ersten, nicht nur überzeugte Demokraten, sondern sie stützten sich auch ausschließlich auf eine große demokratische Partei.

Die Kaczynskis hingegen arbeiten im Bündnis mit zwei Parteien, die nach deutschen oder französischen Maßstäben rechtsextrem und linksextrem sind: Der "Liga Polnischer Familien" und der "Notwehr der Republik Polen". Die Vorsitzenden beider Parteien sind Vize- Ministerpräsidenten.

Von einer solchen Regierung pro-europäisches Verhalten zu erwarten wäre so naiv, als würde man das von einer deutschen Regierung erwarten, in der der DVU-Frey und der PDS-Bisky Vizekanzler sind; unter einem Kanzler, der weit rechts von jedem Abgeordneten des Deutschen Bundestags steht.



Zweitens waren de Gaulle und Thatcher weltläufige Menschen. Gebildet; im Lauf ihres Lebens mit vielen kulturellen und politischen Erfahrungen konfrontiert gewesen, bevor sie die höchste Verantwortung in ihrem Land erlangten.

Die Kaczynskis sind das nicht, was nicht ihre Schuld ist.

Es ist die Schuld der polnischen Kommunisten, die "ihre Menschen" ebenso eingesperrt, von Informationen, von der Welt abgeschnitten haben wie die DDR- Kommunisten.

Bis zur Wende kannten beide Zwillingsbrüder nichts als Polen. Sie haben sich gegen die Kommunisten wacker geschlagen, beide in der "Solidarnosc". Einen europäischen Horizont konnten sie in dieser Zeit nicht gewinnen; nicht kulturell, nicht politisch.



Und drittens gibt es einen zentralen Unterschied, der in diesen Tagen immer deutlicher wird: Mit ihrem nationalistischen Gehabe sind die beiden Zwillinge nur sozusagen die Personifizierung eines objektiven Problems: In sechzig Jahren Nachkriegszeit wurde es versäumt, die deutsch- polnische Vergangenheit aufzuarbeiten.

In der alten Bundesrepublik war kein anderes Land so wichtig gewesen wie Frankreich. Die Aussöhnung mit den Franzosen wurde über die Jahrzehnte auf allen Ebenen engagiert betrieben. Unter allen Regierungen, von allen Parteien. Von Intellektuellen und Wissenschaftlern.

Allmählich verschwand die "Erbfeindschaft". Psychologische Vorbehalte, über Generationen aufgebaut, wurden diskutiert, relativiert, schließlich eliminiert.

Am Ende stand nicht nur die völlige Beseitigung der alten Feindschaft, sondern sogar ein Verhältnis besonderer Freundschaft. In Frankreich hat sich die Rede vom "Couple Franco-Allemand", vom deutsch-französischen Paar, eingebürgert.

Nichts davon war, aufgrund der Herrschaft der Kommunisten, mit Polen möglich.

Wir in der alten Bundesrepublik waren froh, daß die Polen weit weg waren, durch den Korridor der DDR von uns getrennt.

Gewiß, es gab auf einigen Ebenen Kontakte und Kontaktversuche - die "deutsch- polnische Schulbuchkommission" zum Beispiel. Aber im Bewußtsein der Westdeutschen existierte Polen im Grunde nicht; außer für die Heimatvertriebenen, die logischerweise keine erfreulichen Erinnerungen hatten.

Und in der DDR? Dort wurde das Verhältnis zu Polen so wenig aufgearbeitet wie die Nazi- Zeit. In Bezug auf beides gab es eine dröhnende Propaganda, aber keine ehrliche Diskussion.

Wie zu allen politischen Themen wurden den DDR- Bürgern zu Polen gestanzte Formeln vorgesetzt; allen voran die von der "unverbrüchlichen Freundschaft" und von der "Friedensgrenze". (Gestern abend hat Maybritt Illner unverständlicherweise diesen kommunistischen Agitprop- Begriff verwendet).

Das Verhältnis zu den Polen aber blieb lauwarm bis eisig; wie bei jeder erzwungenen Freundschaft. Man kannte einander nicht; man schätzte einander nicht.

Hinzu kam der Nationalismus, der mit jedem Sozialismus notwendig verbunden ist. Denn wenn der Staat die Wirtschaft beherrscht, dann ist wirtschaftliche Konkurrenz nationale Konkurrenz.

Die Polen sahen, daß es den DDR- Deutschen besser ging als ihnen, weil sie von der Existenz der Bundesrepublik profitierten. Beide lagen zudem in Konkurrenz miteinander bei dem Versuch, sich der Ausbeutung durch die Russen zu erwehren.



Also, gemessen am deutschen Verhältnis zu Frankreich sind wir in Bezug auf Polen vielleicht im Jahr 1960. Die Verständigung, die Aussöhnung steht noch am Anfang.

Solche sinistren Sachverhalte kehren wir gern unter den Teppich. Und es ist das Verdienst der Brüder Kaczynski, den Teppich gelüftet zu haben.

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