29. Juni 2007

Einwanderungspolitik, Humanität, linke Xenophobie

Es gehört zu den spärlichen Verdiensten der deutschen Linken, daß sie vor Jahren eine simple Wahrheit ausgesprochen hat: Wir sind ein Einwanderungsland. Wir sind ein Einwanderungsland, wie alle reichen Länder der Welt es sind; vielleicht mit Ausnahme Japans, der Inselnation.

Das ist nun einmal so, und man muß sich ebenso damit abfinden und darauf einstellen wie auf die Globalisierung. Säkulare Trends kann man akzeptieren oder ignorieren; gegen sie anzukämpfen ist nicht sehr klug.

Wir müssen uns darauf einstellen. Also uns wie ein Einwanderungsland verhalten.

Alle Einwanderungsländer steuern die Einwanderung. Sie heißen Menschen willkommen, von denen zu erwarten ist, daß sie eine Bereicherung für das Land sind. Sie verschließen ihre Pforten für diejenigen, die das vermutlich nicht sein werden; die vermutlich im Gegenteil eine Belastung sein könnten.

Das machen alle Einwanderungsländer so; es ist eine bare Selbstverständlichkeit.

Politisches Asyl ist ausgenommen; aber das ist ja keine Einwanderung. Wer Asyl sucht, der sucht es auf Zeit, bis die Verhältnisse in seiner Heimat so sind, daß er zurückkehren kann. Hier ist das Kriterium nicht das Interesse des Aufnahme- Lands, sondern seine Humanität. Die Humanität gebietet das vorübergehende Asyl; für die Einwanderung gelten andere Kriterien.



Nur seltsam - die deutsche Linke, die es vor Jahren ausgesprochen hat, daß Deutschland ein Einwanderungsland ist, zieht nicht die Konsequenz, daß wir uns also wie ein Einwanderungsland verhalten müssen. Im Gegenteil - man hat den Eindruck einer geradezu paradoxen Einwanderungspolitik der SPD.

Deutschland leidet unter einem Mangel an Hochqualifizierten, vor allem in naturwissenschaftlich- technischen Bereich. Über die Gründe wäre zu diskutieren; Naturwissenschaften und Technik erfreuten sich ja im letzten Drittel des Zwanzigsten Jahrhunderts in Deutschland nicht eben großer öffentlicher Wertschätzung.

Aber wie dem auch sei - wir brauchen nun einmal eine Einwanderung Hochqualifizierter. Also müssen wir die Einwanderung steuern. Tut die Regierung das, will sie es?

Nein. Und hier scheinen sich sogar CDU und SPD einig zu sein. Die CDU bestreitet immer noch, daß wir überhaupt ein Einwanderungsland sind. Und die SPD hat sich zwar immer gegen Beschränkungen der Einwanderung gewehrt und sich nur widerstrebend Einschränkungen abringen lassen - aber ausgerechnet dann, wenn es um Hochqualifizierte geht, findet sie auf einmal, daß "das Boot voll" ist, wie man einmal sagte.

Aus einem Bericht der FAZ vom 14. Juni:
Die große Koalition lässt die vorerst letzte Chance verstreichen, in dieser Legislaturperiode die Zuwanderung Hochqualifizierter zu erleichtern. Im Gesetz zur Änderung des Aufenthalts- und Asylverfahrensrechts, das der Bundestag am Donnerstag verabschiedet, wird im Wesentlichen nur eine relevante Vorschrift korrigiert, und selbst diese Änderung ist rein kosmetischer Natur. (...)

Wenn Deutschland ein Einwanderungsland ist, was außerhalb der Union kaum noch jemand abstreitet, muss man sich endlich an die Vorstellung einer permanenten Zuwanderung gewöhnen und sich Gedanken über deren Steuerung machen.

Es geht dabei nicht um eine modernere Form der Gastarbeiter, die - siehe Green Card - kurzfristig angeworben werden, um vorübergehende Personallücken zu schließen, und dann wieder in ihre Heimat zurückkehren sollen. Es geht um einen dauerhaften Zustrom an qualifizierten Ausländern, die hier sesshaft werden und mit ihren Fachkenntnissen, ihrem Ideenreichtum und ihrer Schaffensfreude den Wohlstand mehren und die Innovationskraft der Wirtschaft stärken - zum Nutzen auch und gerade der Deutschen.
Und gestern wurde Christian Schwägerl, als Biologe im Feuilleton der FAZ u.a. für Wissenschaftspolitik zuständig, noch deutlicher. Unter der Überschrift: "Linke Xenophobie. Gebildete sollen draußen bleiben" schreibt er:
Gebildete Menschen von außerhalb der EU dürfen nur zeitweilig hier arbeiten, nicht dauerhaft, nicht mit Pass und Eigenheim: Aus dem linken Spektrum kommt dieser Ruf gegen Bildungs- und Forschungsministerin Schavan, die Hochqualifizierten aus aller Welt das Herkommen und Hierbleiben deutlich erleichtern will. Angeführt nicht von Oskar Lafontaine, der schon mal gegen "Fremdarbeiter" polemisierte, sondern vom sozialdemokratischen Arbeitsminister Franz Müntefering, geht es gegen, wie sollen wir sie linksdrehend nennen - Geistesfremdarbeiter? (...)

Die Gegenargumente sind absurd bis scheinheilig: Die Hochqualifizierten nehmen gebildeten Deutschen den Arbeitsplatz weg (Müntefering); sie erinnern uns zu sehr an Versäumnisse heimischer Bildungsarbeit (SPD-Abgeordnete Burchardt); angelockt von "Bildungsimperialisten" fehlen sie dann in ihren armen Herkunftsländern (DGB-Chef Sommer). Der perfide Kurzreim ist wieder da - Kinder statt Inder.
Gut gebrüllt, Löwe!



Wie ist diese linke Xenophobie zu verstehen? Ich denke, es gibt eine einfache Erklärung:

Im Grunde ist die Linke immer ambivalent, was Einwanderung angeht. Einerseits ist sie protektionistisch, also gegen Einwanderung. Andererseits versteht sie sich als internationalistisch, als humanistisch, und muß also für Einwanderung sein.

Jedenfalls dann, wenn Unqualifizierte, wenn "Proletarier" einwandern. Denen kann man, nach linker Denke, das nicht verwehren, das wäre inhuman.

Aber wenn es um Qualifizierte geht, um Bessserverdiener - dann kann man endlich dem protektionistischen Impuls nachgeben. Dann kann man endlich auch den Populismus à la Oskar Lafontaine bedienen in der Hoffnung, den Kommunisten damit Wähler abspenstig zu machen.

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