In die folgende Beurteilung sind Analysen von Stratfor eingeflossen; es ist aber meine eigene Wertung. Zum Teil fasse ich zusammen, was in früheren Artikeln ausführlich zu lesen gewesen war (siehe Links am Ende des Artikels). Dies ist also nur ein knapper Überblick. Details, Begründungen, Quellen finden Sie unter den Links. Eine Zusammenfassung in zehn Punkten:
1. Das Schema "Es finden Revolutionen gegen Diktaturen statt" stimmt nicht.
2. Etwas, das man als eine Revolution bezeichnen könnte, hat allenfalls in Tunesien stattgefunden. Es ist auch das einzige der bisher von der Aufstandswelle erfaßten Länder, in dem sich die Möglichkeit einer langfristigen Entwicklung zur Demokratie abzeichnet. Dabei spielt eine wesentliche Rolle, daß es dort eine westlich denkende, in Frankreich ausgebildete Elite gibt; ein Erbe der Zeit, in der Tunesien ein französisches Protektorat gewesen war.
3. In Ägypten gab es keine demokratische Revolution, sondern das nach wie vor herrschende Militär hat sich Mubaraks entledigt, als dieser seinen Sohn als Nachfolger inthronisieren wollte; die Unruhen kamen dabei zupaß. Vielleicht wird es dort künftig etwas mehr Freiheit geben. Aber auch unter Mubarak waren schon demokratische Parteien zugelassen gewesen und durften sogar die Moslembrüder sich am politischen Leben beteiligen; wenn auch nicht unter diesem Namen.
4. In Bahrain findet keine demokratische Revolution statt, sondern eine Auseinandersetzung zwischen der herrschenden sunnitischen Minderheit und der schiitischen Mehrheit. Im Hintergrund schürt der Iran diesen Konflikt. Auf der Seite der Sunniten versucht sich Saudi-Arabien einzuschalten, vor dessen Küste Bahrain liegt.
5. Der Jemen ist ein Kunstprodukt aus der ehemaligen britischen Kronkolonie Aden, die nach der Unabhängigkeit eine sozialistische Republik geworden war, und dem alten Jemen, in dem noch weit bis ins 20. Jahrhundert hinein mittelalterliche Verhältnisse geherrscht hatten. Das Land droht jetzt wieder in diese beiden Teile zu zerfallen.
6. Dasselbe könnte Libyen bevorstehen. Es ist ebenfalls ein künstlicher Staat, der dadurch entstand, daß Italien sich 1911 drei Provinzen des Osmanischen Reichs aneignete. Unter Mussolini wurden dieses Italienisch-Nordafrika in "Libya" umbenannt. Die dortigen Kämpfe sind weitgehend Auseinandersetzungen zwischen dem Gaddafi-Stamm und anderen Stämmen. Zwischen Ost- und Westlibyen liegen 800 km Wüste; ein Auseinanderbrechen in die frühere Cyrenaika und das ehemalig Tripolitanien (mit Fezzan) würde also von der Geographie begünstigt werden. Im Osten versucht Ägypten, im Westen Tunesien auf die Entwicklung Einfluß zu nehmen.
7. In den beiden konstitutionellen Monarchien Marokko und Jordanien ist schon lange der Prozeß einer vorsichtigen Demokratisierung im Gang. Es gibt dort legale Oppositionsparteien, deren Rechte jetzt erweitert werden. Revolutionen sind in diesen beiden Ländern nicht zu erwarten; lediglich eine Beschleunigung des Prozesses der Demokratisierung.
8. In den beiden nach Libyen schlimmsten Polizeistaaten Arabiens, Algerien und Syrien, ist es - eben wegen dieses ihres Charakters - noch weitgehend ruhig. In Algerien wurden gerade Demonstrationen verboten.
9. Überall in Arabien gibt es mehr oder weniger starke und unterschiedlich radikale islamistische Gruppen. Die Kaida ist am stärksten im Jemen und könnte jetzt in Ostlibyen Fuß fassen. Die Hamas könnte über die Moslembrüder auf Ägypten einwirken. Algerien hat einen blutigen Bürgerkrieg gegen die Islamisten der FIS hinter sich. In Bahrain bekämpfen sunnitische und schiitische Fundamentalisten einander, treten aber gemeinsam gegen einen säkularen Staat auf.
10. Ein Schlüsselaspekt ist der bevorstehende Rückzug der USA aus dem Irak. Drei Staaten stehen bereit, das damit entstehende Machtvakuum zu füllen: Der Iran, dessen Verbündeter al-Sadr inzwischen im Irak eine entscheidende Rolle spielt; die Türkei, deren offensichtliches Bestreben die Wiederherstellung des Osmanischen Reichs in Gestalt von Einflußzonen ist; und Ägypten, das als Militärmacht und mit einer ähnlich großen Bevölkerung wie die beiden anderen Länder (alle drei knapp achtzig Millionen) nach dem Sturz Mubaraks eine aktivere Machtpolitik betreiben dürfte.
Die Türkei mischt sich bereits massiv in dem einst von den Osmanen regierten Ägypten ein; der Staatspräsident und der Außenminister waren gerade dort zu Besuch und haben Gespräche mit dem Militär, der demokratischen Opposition und den Moslembrüdern geführt.
In diesem komplexen und sich schnell verändernden Gefüge "Arabien" gibt es Dreierlei, das als einigermaßen sicher gelten kann:
Die früheren Artikel, in denen die einzelnen Länder (allerdings manchmal nicht als das Hauptthema) erwähnt werden, können Sie unter diesen Links lesen:
1. Das Schema "Es finden Revolutionen gegen Diktaturen statt" stimmt nicht.
2. Etwas, das man als eine Revolution bezeichnen könnte, hat allenfalls in Tunesien stattgefunden. Es ist auch das einzige der bisher von der Aufstandswelle erfaßten Länder, in dem sich die Möglichkeit einer langfristigen Entwicklung zur Demokratie abzeichnet. Dabei spielt eine wesentliche Rolle, daß es dort eine westlich denkende, in Frankreich ausgebildete Elite gibt; ein Erbe der Zeit, in der Tunesien ein französisches Protektorat gewesen war.
3. In Ägypten gab es keine demokratische Revolution, sondern das nach wie vor herrschende Militär hat sich Mubaraks entledigt, als dieser seinen Sohn als Nachfolger inthronisieren wollte; die Unruhen kamen dabei zupaß. Vielleicht wird es dort künftig etwas mehr Freiheit geben. Aber auch unter Mubarak waren schon demokratische Parteien zugelassen gewesen und durften sogar die Moslembrüder sich am politischen Leben beteiligen; wenn auch nicht unter diesem Namen.
4. In Bahrain findet keine demokratische Revolution statt, sondern eine Auseinandersetzung zwischen der herrschenden sunnitischen Minderheit und der schiitischen Mehrheit. Im Hintergrund schürt der Iran diesen Konflikt. Auf der Seite der Sunniten versucht sich Saudi-Arabien einzuschalten, vor dessen Küste Bahrain liegt.
5. Der Jemen ist ein Kunstprodukt aus der ehemaligen britischen Kronkolonie Aden, die nach der Unabhängigkeit eine sozialistische Republik geworden war, und dem alten Jemen, in dem noch weit bis ins 20. Jahrhundert hinein mittelalterliche Verhältnisse geherrscht hatten. Das Land droht jetzt wieder in diese beiden Teile zu zerfallen.
6. Dasselbe könnte Libyen bevorstehen. Es ist ebenfalls ein künstlicher Staat, der dadurch entstand, daß Italien sich 1911 drei Provinzen des Osmanischen Reichs aneignete. Unter Mussolini wurden dieses Italienisch-Nordafrika in "Libya" umbenannt. Die dortigen Kämpfe sind weitgehend Auseinandersetzungen zwischen dem Gaddafi-Stamm und anderen Stämmen. Zwischen Ost- und Westlibyen liegen 800 km Wüste; ein Auseinanderbrechen in die frühere Cyrenaika und das ehemalig Tripolitanien (mit Fezzan) würde also von der Geographie begünstigt werden. Im Osten versucht Ägypten, im Westen Tunesien auf die Entwicklung Einfluß zu nehmen.
7. In den beiden konstitutionellen Monarchien Marokko und Jordanien ist schon lange der Prozeß einer vorsichtigen Demokratisierung im Gang. Es gibt dort legale Oppositionsparteien, deren Rechte jetzt erweitert werden. Revolutionen sind in diesen beiden Ländern nicht zu erwarten; lediglich eine Beschleunigung des Prozesses der Demokratisierung.
8. In den beiden nach Libyen schlimmsten Polizeistaaten Arabiens, Algerien und Syrien, ist es - eben wegen dieses ihres Charakters - noch weitgehend ruhig. In Algerien wurden gerade Demonstrationen verboten.
9. Überall in Arabien gibt es mehr oder weniger starke und unterschiedlich radikale islamistische Gruppen. Die Kaida ist am stärksten im Jemen und könnte jetzt in Ostlibyen Fuß fassen. Die Hamas könnte über die Moslembrüder auf Ägypten einwirken. Algerien hat einen blutigen Bürgerkrieg gegen die Islamisten der FIS hinter sich. In Bahrain bekämpfen sunnitische und schiitische Fundamentalisten einander, treten aber gemeinsam gegen einen säkularen Staat auf.
10. Ein Schlüsselaspekt ist der bevorstehende Rückzug der USA aus dem Irak. Drei Staaten stehen bereit, das damit entstehende Machtvakuum zu füllen: Der Iran, dessen Verbündeter al-Sadr inzwischen im Irak eine entscheidende Rolle spielt; die Türkei, deren offensichtliches Bestreben die Wiederherstellung des Osmanischen Reichs in Gestalt von Einflußzonen ist; und Ägypten, das als Militärmacht und mit einer ähnlich großen Bevölkerung wie die beiden anderen Länder (alle drei knapp achtzig Millionen) nach dem Sturz Mubaraks eine aktivere Machtpolitik betreiben dürfte.
Die Türkei mischt sich bereits massiv in dem einst von den Osmanen regierten Ägypten ein; der Staatspräsident und der Außenminister waren gerade dort zu Besuch und haben Gespräche mit dem Militär, der demokratischen Opposition und den Moslembrüdern geführt.
In diesem komplexen und sich schnell verändernden Gefüge "Arabien" gibt es Dreierlei, das als einigermaßen sicher gelten kann:
Die USA werden in dieser Region aufgrund von Obamas Rückzugspolitik nicht mehr die bisherige Rolle spielen; jedenfalls nicht, solange dieser Präsident im Weißen Haus regiert. Israel ist damit stärker bedroht als in den letzten Jahrzehnten. Daß es sich unter diesen Umständen dem Risiko eines möglicherweise bald von der Hamas regierten Palästinenserstaats auf der West Bank aussetzt, ist schwer vorstellbar. Der Islamismus wird an Bedeutung gewinnen.
Die früheren Artikel, in denen die einzelnen Länder (allerdings manchmal nicht als das Hauptthema) erwähnt werden, können Sie unter diesen Links lesen:
Die größeren Artikel finden Sie auch unter diesem Link, der zu der Rubrik "Stratfors Analysen" führt. Oder Sie mögen vielleicht den Link im Fußtext nutzen.Tunesien Algerien Marokko Libyen Ägypten Irak Bahrain Türkei Iran.
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Großmoschee von Kairouan, Tunesien. Vom Autor Wotan unter Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0-Lizenz freigegeben. Bearbeitet. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier.