2. März 2011

Nachgedanken zur Affäre Guttenberg (2): Warum bewegt die Affäre das Land in einem solchen Ausmaß? Darf man dasselbe sagen wie politische Gegner?

Ich habe mich zu der Affäre Guttenberg oft und sehr dezidiert geäußert; wenn Sie auf diesen Link klicken, können Sie das nachlesen. Mir war klar gewesen, daß ich mich damit in einer Linie befand mit Politikern wie Jürgen Trittin und Gregor Gysi; daß ich dieselbe Meinung vertrat wie Autoren der "Süddeutschen Zeitung" und des "Neuen Deutschland".

Das war nicht schön gewesen. Hätte ich also nicht vielmehr solidarisch sein müssen mit der Regierung, die ich gewollt hatte und die ich unterstütze? In Zettels kleinem Zimmer ist diese Frage immer wieder angeklungen; Right or wrong, my country hat jemand einen Beitrag überschrieben und damit diese Kritik auf eine Formel gebracht.

Ich verstehe sie, diese Kritik. Ich will auch gern zugeben, daß ich bei dieser Affäre nicht nur als liberalkonservativer Blogger "wütend" war (so nannte es ein anderer Poster im Kleinen Zimmer), sondern auch als Wissenschaftler; als jemand, der selbst manche Doktorarbeit betreut hat.

Man sieht so etwas dann anders. Daß ein Lokomotivführer kein Signal überfahren darf, daß ein Notar nicht falsch beurkunden darf, das ist jedem klar. Aber ebensowenig darf jemand bei einer wissenschaftlichen Arbeit plagiieren. Es geht einfach nicht. Es ist gegen das Berufsethos; auch wenn die Folgen weniger gravierend sein mögen als in den genannten Beispielen. Langfristig wäre die Wissenschaft am Ende, wenn Betrug nicht strikt verboten wäre. Wissenschaft basiert nun einmal auf Ehrlichkeit.

Wer in der Wissenschaft betrügt, der muß darüber hinaus auch mit Folgen im richtigen, harten Leben rechnen. Das ist kein "Schummeln" wie auf der Schulbank, sondern es bedeutet ganz Handfestes: Aberkennung eines Semesters im mildesten Fall; Scheitern eines Studiums; Ende der Berufstätigkeit, wenn der Betrug erst später aufgedeckt wird. Entfernung aus dem Dienst unter Umständen, wenn jemand auf einer Hochschule der Bundeswehr betrügt. Möglicherweise Verurteilung wegen Betrugs, wie sie jetzt Guttenberg droht.



Als klar war, daß Guttenberg ein Betrüger ist, stand damit auch meine Meinung fest: Das ist vollkommen inakzeptabel; der Mann muß weg. Wer derart schamlos die Ethik der Wissenschaft verletzt, der ist charakterlich nicht geeignet für irgendein Amt, in dem er Verantwortung zu tragen hat.

Das war allerdings noch eine eher, sagen wir, ruhige, unemotionale Meinung gewesen. Empört hat mich - so empört, wie selten etwas - die Chuzpe, die unglaubliche Unverfrorenheit, mit der Guttenberg dann versucht hat, sich herauszuwinden.

Er hätte ja nicht einmal gestehen müssen. Er hätte am Anfang der Affäre nur zurückzutreten brauchen und dazu erklären, daß er damit Schaden von seinem Amt, seiner Partei, von seinem eigenen Ruf abwenden wollte. Ohne weiteres Bekenntnis, ohne Bewertung. So, wie das viele in lakonischen Worten getan haben, die von einem politischen Amt zurückgetreten sind.

Aber der Freiherr hat geleugnet; er hat die aberwitzige Geschichte erfunden, daß er leider den Überblick über seine Dissertation verloren hatte (siehe Guttenbergs Kelkheimer Rede; ZR vom 22. 2. 2011). Er hat bei seinem Rücktritt noch einen draufgesetzt und uns weiszumachen versucht, daß er nicht früher hatte zurückgetreten können, weil er das Gedenken an gefallene Soldaten nicht hatte stören wollen und weil er sein "Haus" hatte "bestellen" wollen (siehe Guttenbergs Rücktrittserklärung im Wortlaut. Nebst meinen Kommentaren; ZR vom 1. 3. 2011).

Wie kann man da unemotional bleiben? Ich jedenfalls kann das nicht. Soviel Dreistigkeit bringt mich auf die Palme.



Auf dieser Palme saßen und sitzen nun freilich auch andere. Diejenigen, die ich erwähnt habe: Der Kommunist Gregor Gysi, der Ex-Kommunist Jürgen Trittin. Die Vereinigte Linke.

Natürlich hat die Linke eine Kampagne veranstaltet. Natürlich haben diejenigen, die überwiegend gar nicht promoviert sind oder die mit sehr seltsamen Doktorarbeiten promoviert haben (siehe "Die Gesetzgebung dient der Durchsetzung des Klassenwillens"; ZR vom 28. 2. 2011), nicht das geringste Recht, sich über Guttenberg zu erheben.

Aber so funktioniert nun einmal ein demokratischer Rechtsstaat: Wenn eine Regierung sich eine Blöße gibt, dann nutzt das die Opposition.

Eine Opposition braucht die Demokratie just deshalb, weil die Meinung der Herrschenden nicht per se die herrschende Meinung sein sollte. Weil man sich wehren können muß gegen "die da oben", gegen die Herrschenden.

Die Opposition hat das genutzt. Sie hat sich verhalten wie der Stürmer, dem der Gegner vor dem Tor einen Ball zuspielt, und der ihn gnadenlos einschießt. Ja wie denn anders.



Warum eigentlich hat diese Affäre um einen Minister Deutschland derart aufgewühlt? Warum hat das Buch von Thilo Sarrazin vor wenigen Monaten Deutschland derart aufgewühlt?

Mir scheint, weil Deutschland ein Land im Umbruch ist.

An der Oberfläche plätschert alles dahin. Mutti regiert, die Wirtschaft wächst, es gibt immer weniger Arbeitslose. Tout est au mieux dans le meilleur des mondes possibles, könnte man mit dem Professor Pangloss sagen; alles steht zum Besten in der besten aller möglichen Welten.

Aber es steht ja nicht zum Besten. Seit den neunziger Jahren und vor allem seit der Machtübernahme der Linken 1998 hat sich ein Umbruch vollzogen. Deutschland hat sich in Richtung auf ein Land mit einer Einheitsideologie entwickelt. Umwelt, Multikulti, Feminismus, Sanftheit und Nachhaltigkeit - das ist ja heutzutage nicht mehr eine Meinung unter vielen, sondern es ist die geltende Meinung geworden; bis weit hinein in die Union und in die FDP. Was Röttgen vertritt, das hätte man vor zwanzig Jahren noch nicht einmal in der SPD durchsetzen können.

Viele Menschen wollen das nicht; ich habe das zu analysieren versucht (Die dritte Phase in der Geschichte der Bundesrepublik geht in diesen Tagen zu Ende. Eine These; ZR vom 14. 9. 2010).

Es gibt einen wachsenden Widerwillen gegen diesen Mehltau; gegen das rotgrünfeministische Einheitsdenken. Viele sehen die Akademiker als dafür verantwortlich an; infolgedessen gibt es auch ein Ressentiment gegen Universitäten, Professoren, Akademiker.

Das ist falsch und unbegründet; aber es ist nun einmal da.

Wenn die Frontstellung so gesehen wird: Wir - das einfache Volk - gegen diese Akademiker mit ihrem Dünkel, mit ihrem gesicherten Beamtenstatus, dann ist der Multimillionär Guttenberg natürlich einer von uns, ja einer von "unseren Besten". Ein Opfer des Elfenbeinturms, sozusagen.

Der schamlose Täter wird dann als einer wahrgenommen, den diese Professoren verfolgen. Man solidarisiert sich mit ihm aus demselben Grund, aus dem man Sarrazin gut gefunden hat: Weil endlich der Mehltau weg muß. Der betrügerische Multimillionär wird als der Anwalt des Kleinen Mannes gesehen.

Die breite Solidarisierung mit Guttenberg ist ein Akt berechtigter Empörung. Nur macht sie sich an einem Menschen fest, der das nicht verdient hat; in keiner Weise.

Ich verstehe die Empörung, ich teile sie. Aber das wird mich nicht dazu bringen, einen schamlosen Betrüger nicht mehr einen schamlosen Betrüger zu nennen. Auch wenn ich damit strange bedfellows habe, mir ganz fremde und auch vielleicht seltsame Menschen im selben Bett.



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