1. März 2011

Guttenbergs Rücktrittserklärung im Wortlaut. Nebst meinen Kommentaren

Guttenberg stellt auf seiner WebSite seine Rücktrittserklärung schriftlich zur Verfügung. Diese Fassung dokumentiere ich im folgenden; kommentiert.

Meine Kommentare sind eingerückt und kursiv gesetzt. Die Absätze habe ich in Abhängigkeit von der Kommentierung eingerichtet; sie sind also nicht mit denen bei Guttenberg identisch.



Guttenbergs Erklärung:

Ich habe in einem sehr freundschaftlichen Gespräch die Bundeskanzlerin informiert, dass ich mich von meinen politischen Ämtern zurückziehen werde und um meine Entlassung gebeten.
Ein "sehr freundschaftliches" Gespräch? Was will Guttenberg damit sagen? Daß er mit der Kanzlerin auf Freundesfuß steht? Daß weder er noch sie laut geworden sind? Ja, gewiß nicht. - Es ist eine Floskel; sie soll schmücken.
Es ist der schmerzlichste Schritt meines Lebens. Ich gehe ihn nicht allein wegen meiner so fehlerhaften Doktorarbeit – wiewohl ich verstehe, dass dies für große Teile der Wissenschaft ein Anlass wäre. Der Grund liegt im Besonderen in der Frage, ob ich den höchsten Ansprüchen, die ich selbst an meine Verantwortung anlege, noch nachkommen kann.
Höchste Ansprüche an seine Verantwortung! Das sagt der Mann, dessen Ansprüche an sich selbst so gewesen waren, daß er für eine wissenschaftliche Arbeit aus einem Reiseführer und aus einem Text aus einer Übung für Studienanfänger abgekupfert hat.
Ich trage bis zur Stunde Verantwortung in einem fordernden Amt. Verantwortung, die möglichst ungeteilte Konzentration und fehlerfreie Arbeit verlangt: Mit Blick auf die größte Bundeswehrreform in ihrer Geschichte, die ich angestoßen habe und mit Blick auf eine gestärkte Bundeswehr mit großartigen Truppen im Einsatz, die mir engstens ans Herz gewachsen sind.
Wie in der Kelkheimer Rede: Wo es um seine Verantwortung als Verfasser einer Doktorarbeit geht, lenkt Guttenberg auf seine Verantwortung als bisheriger Oberkommandierender der Bundeswehr in Friedenszeiten ab.

Und da ist es auch wieder, das Herz (auf das Guttenberg auch gern die Hand legt, wenn auch auf der falschen Seite; siehe zum Beispiel hier). Wir werden dem Herzen, das auch schon die Kelkheimer Rede bereicherte, noch zweimal begegnen.
Wenn allerdings - wie in den letzten Wochen geschehen - die öffentliche und mediale Betrachtung fast ausschließlich auf die Person Guttenberg und seine Dissertation statt beispielsweise auf den Tod und die Verwundung von 13 Soldaten abzielt, so findet eine dramatische Verschiebung der Aufmerksamkeit zu Lasten der mir Anvertrauten statt.
Geht es noch geschmackloser, noch unangenehmer? Guttenberg nutzt den Tod von Menschen, um sich in ein günstiges Licht zu rücken.
Unter umgekehrten Vorzeichen gilt Gleiches für den Umstand, dass wochenlang meine Maßnahmen bezüglich der Gorch Fock die weltbewegenden Ereignisse in Nordafrika zu überlagern schienen. Wenn es auf dem Rücken der Soldaten nur noch um meine Person gehen soll, kann ich dies nicht mehr verantworten. Und deswegen ziehe ich – da das Amt, die Bundeswehr, die Wissenschaft und auch die mich tragenden Parteien Schaden zu nehmen drohen - die Konsequenz, die ich auch von anderen verlangt habe und verlangt hätte.
Er zieht sie, die Konsequenzen. Nachdem er sich bis heute geweigert hatte, sie zu ziehen. Und wieder soll das nicht die Entscheidung eines Plagiators sein, der dem Druck der Öffentlichkeit nicht mehr standhalten konnte, sondern die reine Verantwortung. Für die Soldaten, und gleich auch noch für die Wissenschaft.
Ich habe, wie jeder andere auch, zu meinen Schwächen und Fehlern zu stehen. Zu großen und kleinen im politischen Handeln bis hin zum Schreiben meiner Doktorarbeit. Und mir war immer wichtig, diese vor der Öffentlichkeit nicht zu verbergen.
Der Mann, der alles getan hat, seine Plagiate zu verbergen, und der, nachdem sie aufgeflogen waren, sie weiter zu verbergen suchte, indem er sie zu "Fehlern" erklärte, teilt uns mit, wie wichtig es ihm sei, nichts zu verbergen. Tartuffe.
Deswegen habe ich mich aufrichtig bei all jenen entschuldigt, die ich aufgrund meiner Fehler und Versäumnisse verletzt habe und wiederhole dies auch ausdrücklich heute.
Er hat sich nicht einfach entschuldigt, er hat sich "aufrichtig" entschuldigt. Zu den sicheren Merkmalen eines Tartuffe gehört es, daß er ständig die Aufrichtigkeit im Munde führt.

Er sagt es, und er sagt, daß er es "wiederholt". Und er sagt auch noch, daß er es "ausdrücklich" wiederholt. Je mehr einer lügt, umso mehr plustert er seine Rhetorik mit solchen Versicherungen auf.

Im übrigen ging es immer nur am Rande darum, daß Guttenberg Menschen verletzt hätte. Es geht darum, daß er wissenschaftliche Standards verletzt und eine falsche ehrenwörtliche Versicherung abgegeben hat.
Manche mögen sich fragen, weshalb ich erst heute zurücktrete. Zunächst ein möglicherweise für manche unbefriedigender, aber allzu menschlicher Grund. Wohl niemand wird leicht, geschweige denn leichtfertig das Amt aufgeben wollen, an dem das ganze Herzblut hängt. Ein Amt, das Verantwortung für viele Menschen und deren Leben beinhaltet.
Da ist es, wieder, das Herz. Nein, das Herzblut. Und was macht das Herzblut? Es hängt. Nein, nicht einfach das Herzblut hängt da, sondern das "ganze Herzblut". Courths-Mahler.
Hinzu kommt der Umstand, dass ich mir für eine Entscheidung dieser Tragweite - jenseits der hohen medialen und oppositionellen Taktfrequenz - die gebotene Zeit zu nehmen hatte. Zumal Vorgänge in Rede stehen, die Jahre vor meiner Amtsübernahme lagen.
Wieso hatte er sich die "gebotene Zeit" zu nehmen? Besser als jeder andere wußte er, daß er betrogen und eine falsche ehrenwörtliche Erklärung abgegeben hatte.

Ja, natürlich liegen diese Vorgänge vor seiner Amtsübernahme. Aber was hat das damit zu tun, daß er mit seinem Rücktritt so lange gezögert hat?
Nachdem dieser Tage viel über Anstand diskutiert wurde, war es für mich gerade eine Frage des Anstandes zunächst die drei gefallenen Soldaten mit Würde zu Grabe zu tragen und nicht erneut ihr Gedenken durch Debatten über meine Person überlagern zu lassen. Es war auch ein Gebot der Verantwortung gegenüber diesen, ja gegenüber allen Soldaten.
Jetzt müssen also zum zweiten Mal gefallene Soldaten zu Guttenbergs Entschuldigung herhalten. Er wollte nicht "ihr Gedenken durch Debatten über meine Person überlagern" lassen. Als wenn diese Debatte nicht gerade deshalb so lange stattfand, weil er eben nicht zurücktrat.
Und es gehört sich, ein weitgehend bestelltes Haus zu hinterlassen, weshalb letzte Woche noch einmal viel Kraft auf den nächsten, entscheidenden Reformschritt verwandt wurde, der nun von meinem Nachfolger bestens vorbereitet verabschiedet werden kann. Das Konzept der Reform steht.
Er hat noch sein Haus bestellt! Und deshalb wollte er nicht früher zurücktreten! Und er denkt, daß irgendwer ihm das abnimmt. Zurücktreten also wollte er ohnehin - so muß man das ja wohl deuten -, aber erst mußte er noch im Ministerium das machen, was zu machen er einem Nachfolger offenbar nicht zutraut.

Das ist ja das schwer Faßbare bei diesem Mann: Die Unverfrorenheit, mit der er glaubt, daß er seine Mitmenschen belügen kann.
Angesichts massiver Vorwürfe bezüglich meiner Glaubwürdigkeit ist es mir auch ein aufrichtiges Anliegen, mich an der Klärung der Fragen hinsichtlich meiner Dissertation zu beteiligen. Zum einen gegenüber der Universität Bayreuth, wo ich mit der Bitte um Rücknahme des Dr. Titels bereits Konsequenzen gezogen habe.
Aufrichtiges Anliegen, darunter tut er es nicht. Es liegt auf der Hand, daß er mit der "Bitte um Rücknahme des Doktortitels" gerade eine Klärung unterlaufen wollte; denn damit sollte die Sache ad acta gelegt werden. Hätte er zur Klärung beitragen wollen, dann hätte er nur mitzuteilen brauchen, daß er plagiiert hat.
Zum anderen habe ich zugleich Respekt vor all jenen, die die Vorgänge zudem strafrechtlich überprüft sehen wollen. Es würde daher nach meiner Überzeugung im öffentlichen wie in meinem eigenen Interesse liegen, wenn auch die staatsanwaltlichen Ermittlungen etwa bzgl. urheberrechtlicher Fragen nach Aufhebung der parlamentarischen Immunität - sollte dies noch erforderlich sein - zeitnah geführt werden könnten.
Guttenberg hat nicht den geringsten Einfluß darauf, ob, wann und wie eine Staatsanwaltschaft tätig werden wird. Er weiß auch, daß er über eine eventuelle Aufhebung seiner Immunität nicht zu bestimmen hat. Aber diese Passage soll signalisieren, daß er nichts zu befürchten hat. "Herr Staatsanwalt, untersuchen Sie nur. Ich habe nichts zu verbergen".
Die enorme Wucht der medialen Betrachtung meiner Person – zu der ich viel beigetragen habe – aber auch die Qualität der Auseinandersetzung bleiben nicht ohne Wirkung auf mich selbst und meine Familie. Es ist bekannt, dass die Mechanismen im politischen und medialen Geschäft zerstörerisch sein können. Wer sich für die Politik entscheidet, darf – wenn dem so ist – kein Mitleid erwarten.
Die Sache mit der Familie kommt in solchen Erklärungen so sicher vor wie das Amen in der Kirche. Auch Nixon hat in seiner Checkers speech von seiner Familie erzählt; wie er in bescheidenen Verhältnissen aufwuchs usw.

Und weiter: Der Täter stilisiert sich als das Opfer; er heischt Mitleid, indem er sagt, er dürfe kein Mitleid erwarten. Rhetorik; Grundkurs unfaire Rhetorik.
Das würde ich auch nicht in Anspruch nehmen. Ich darf auch nicht den "Respekt" erwarten, mit dem Rücktritts-entscheidungen so häufig entgegengenommen werden.
Er will diesen Respekt, und deshalb sagt er, er dürfe ihn nicht erwarten.
Nun wird es vielleicht heißen, der Guttenberg ist den Kräften der Politik nicht gewachsen. Das mag sein oder nicht sein. Wenn ich es aber nur wäre, indem ich meinen Charakter veränderte, dann müsste ich gerade deswegen handeln.
Wieder der Appell an das Mitleid.

Und: Der Betrüger stellt sich als der Charakterstarke hin, der den "Kräften der Politik" zum Opfer gefallen ist.
Ich danke von ganzem Herzen der großen Mehrheit der Deutschen Bevölkerung, den vielen Mitgliedern der Union, meinem Parteivorsitzenden und insbesondere den Soldatinnen und Soldaten, die mir bis heute den Rücken stärkten, als Bundesminister der Verteidigung nicht zurück zu treten.
Noch einmal das ganze Herz.
Ich danke besonders der Frau Bundeskanzlerin für alle erfahrene Unterstützung, ihr großes Vertrauen und Verständnis. Es ist mir aber nicht mehr möglich, den in mich gesetzten Erwartungen mit dem mir notwendigen Maß an Unabhängigkeit in der Verantwortung gerecht zu werden. Insofern gebe ich meinen Gegnern gerne recht, dass ich tatsächlich nicht zum Selbstverteidigungs-, sondern zum Minister der Verteidigung berufen wurde.
Seine Kritiker sagen ja das Gegenteil.
Abschließend ein Satz, der für einen Politiker ungewöhnlich sein mag: Ich war immer bereit zu kämpfen, aber ich habe die Grenzen meiner Kräfte erreicht.
Er hatte die Grenzen dessen erreicht, was er an Lügen den Menschen zumuten konnte.


Wie konnte jemand, der einen solchen unehrlichen Schwulst redet, so populär werden wie Guttenberg? Ich habe darauf noch keine Antwort gefunden.




Nachtrag: Ich möchte auf den Artikel von H. Huett aufmerksam machen, der Guttenbergs Erklärung einer ähnlichen Analyse unterzieht und dabei Aspekte herausarbeitet, auf die ich nicht eingegangen bin.



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