8. August 2007

Putin und die Raketenabwehr - vier auf einen Streich

Ein guter Taktiker wählt einen Schachzug so aus, daß er damit mehrere Ziele zugleich erreicht. Ideal ist ein Zug, der ihm einen Vorteil bringt, egal, wie der Gegner reagiert.

Wladmir Putin ist ein ausgezeichneter politischer Schachspieler.



Als Putin im Februar dieses Jahres auf der Münchner Sicherheitskonferenz so auftrat, als wolle er den Eisernen Vorhang wieder runterrasseln lassen, war das Rätselraten groß. Was wollte der Mann?

Hinweise lieferte seinerzeit ein Artikel seines getreuen Sergej Iwanow, damals Verteidigungsminister, inzwischen Erster Stellvertretender Ministerpräsident. Iwanow brachte interessanterweise die Frage der geplanten US- Abwehrraketen in Osteuropa mit der Lage in der Ukraine, in Georgien und im Baltikum in Zusammenhang.

Was es damit auf sich hat, habe ich in einem späteren Beitrag zu analysieren versucht: Wenn in der Tschechei, wenn in Polen ein für die Sicherheit der USA vitales Abwehrsystem installiert wird, dann ist die Sicherheit dieser Länder für die USA von höchster Priorität. Sie sind also damit immun gegen russische Erpressungsversuche; gesichert gegen jeden russischen Versuch, sie wieder unter Kuratel zu stellen.



Die Aufstellung dieser Raketen zu verhindern war, so scheint es, das primäre Ziel des russischen Vorstoßes Anfang des Jahres. Freilich schwer zu erreichen, sehr schwer.

Aber der gute Taktiker richtet eben seine Handlungen so ein, daß er auch dann einen Vorteil hat, wenn er sein primäres Ziel nicht erreicht.

Ziel Nummer zwei des russischen Vorstoßes, ein sehr viel realistischeres, war es, die USA und Teile Europas zu entzweien.

Das hat zumindest bei den Deutschen, zumindest in der Partei, die das Außenministerium innehat, wunderbar funktioniert: Sowohl der deutsche Außenminister als auch sein Staatsminister, der SPD-Linksaußen Gernot Erler bemühten sich eilfertig um Verständnis für die "russischen Sicherheits- Bedürfnisse"; und vor allem Erler kritisierte die USA heftig. (Wieso ganze zehn Raketen, gegen den Iran gerichtet, die "russische Sicherheit" gefährden können, sagten Steinmeier und Erler freilich nicht).



Soweit liegt die Taktik Putins offen zutage. Aber es könnte sein, daß sein polternder Vorstoß auf der Münchner Konferenz noch zwei weitere Ziele hatte.

Nämlich zum einen ein Ziel, eingebettet in eine wahres propagandistisches Trommelfeuer seit Beginn des Jahres 2007, dessen Ergebnis eine erhebliche Verschlechterung der Beziehungen zwischen Rußland und dem Westen ist:
  • Der Konflikt mit Estland

  • Kürzlich der Konflikt mit Großbritannien

  • Vor ein paar Tagen das rüde Vorgehen gegen Weißrußland.

  • Gestern die Eskalation eines Konflikts mit Georgien, wo ein russisches Flugzeug (was hatte es dort gesucht?) eine Rakete abgeschossen oder vielleicht verloren hatte.
  • Was soll das? Es bekommt einen Sinn, wenn man unterstellt, daß Putin entgegen der russischen Verfassung eine weitere Amtszeit anstrebt. Und daß er dazu einen Ruf des russischen Volks braucht. Der sich einstellen wird, wenn für jeden sichtbar das Land in einer so schwierigen außenpolitischen Situation ist, daß es auf den Großen Zaren Putin schlechterdings nicht verzichten kann.

    Jedenfalls macht es, umgekehrt gesagt, sehr wenig Sinn, daß ein Präsident gut ein halbes Jahr vor Ende seiner Amtszeit mutwillig einen Konflikt nach dem anderen anheizt. Zumal er die Geschäfte ja nicht an einen politischen Gegner übergeben würde, sondern an einen seiner Getreuen, vielleicht Iwanow.



    Soweit das, was sich in den letzten Monaten abzeichnete. In den letzten Tagen nun ist das Ziel Nummer vier sichtbar geworden. Und das haut einen nun doch ein wenig aus den Socken.

    Denn jener Putin, der sich entrüstet über den Ausbau der amerikanischen Raketenabwehr zeigte, hat klammheimlich die russische Raketenabwehr aufrüsten lassen, und zwar massiv. Das Ergebnis war jetzt zu bewundern: Die erste Einheit des neuen Systems S-400 "Triumph" wurde in der Stadt Elektrostal einsatzfähig gemeldet.

    Das System ist in der Lage, Stealth-Flugzeuge zu zerstören; ebenso Marschflugkörper und taktische Raketen. Bis zu einer Höhe von 400 km kann es Gefechtsköpfe von Raketen zerstören, die mit einer Geschwindigkeit von bis zu 4,6 km/sec fliegen. (Das ist ungefähr die Hälfte der Orbital- Geschwindigkeit). Dazu werden parallel verschiedene Raketentypen verwendet, die auf das Abfangen in unterschiedlichen Stufen des Anflugs spezialisiert sind.



    Eine ganz schöne Chuzpe, nicht wahr? Während Putin über zehn US-Abfangraketen zeterte, die gegen den Iran gerichtet sein werden, waren seine Militärs dabei, einem umfassenden russisches Raketenabwehr- System den letzten Schliff zu geben, das, wie es in der verlinkten Meldung heißt die "Haupt- Industriezentren schützen" soll.

    Jetzt verstehen wir besser, was Gernot Erler in dem verlinkten Interview meinte, als er sagte: "Ich glaube, das ist eine sehr ernste Botschaft, die hier ausgesandt worden ist und die zeigt, dass aus der russischen Sicht jetzt Reaktionen folgen werden und nicht nur Worte."

    Nur daß die Reaktionen natürlich nicht "folgen". Das System der S-400 "Triumph" muß selbstverständlich im Februar schon so gut wie fertig gewesen sein, wenn weniger als ein halbes Jahr später bereits die Einsatzfähigkeit der ersten Einheit gemeldet werden konnte.

    Putin "reagiert" also jetzt nicht auf die US-Pläne für eine Raketenabwehr. Sondern er hat im Februar gepoltert, um eine propagandistisch günstige Situation für die Errichtung seines eigenen Systems zur Raketenabwehr zu schaffen.

    Gegen das übrigens, soweit ich die Nachrichten verfolgt habe, bisher weder Gernot Erler noch sonst ein verantwortlicher deutscher Politiker sich zu Wort gemeldet hat.

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