17. August 2007

Kennedy-Mord, der Fall Barschel: Wie weit gehen die Parallelen?

Als er der junge, smarte Ministerpräsident von Schleswig- Holstein war, wurde Uwe Barschel manchmal der "Kennedy des Nordens" genannt.

Das war wohl kein sehr triftiger Vergleich gewesen; aber in einem anderen Sinn scheint eine Parallele zu Kennedy mittlerweise offensichtlich zu sein:

So, wie der Tod Kennedys immer neue Theorien über Täter und Motive hervorbrachte und noch weiter hervorbringt, so scheinen auch die Versuche, den Tod Barschels aufzuklären, zu einer unendlichen Geschichte zu werden.



Gegenwärtig findet diese Geschichte wieder einmal eine Fortsetzung: Kein Geringerer als der Lübecker Leitende Oberstaatsanwalt Heinrich Wille, einst Chef- Ermittler im Fall Barschel, hat ein Buch- Manuskript zu dem Fall fertiggestellt. Einen Text, in dem er den Nachweis zu führen versucht, daß Barschel ermordet wurde.

Dieses Buch nun darf nicht erscheinen. Willes Vorgesetzter, der Schleswig- Holsteinische General- Staatsanwalt Erhard Rex, hat die erforderliche Genehmigung (erforderlich, weil es sich um die Nebentätigkeit eines Beamten handelt) verweigert. Und zwei Verwaltungsgerichte - jetzt in der verwaltungsgerichtlich letzten Instanz das Ober- Verwaltungsgericht Schleswig - haben ihm Recht gegeben.

Zensur also? Soll da ein mißliebiger Mann mundtot gemacht werden, der eine andere Theorie über den Tod Barschels vertritt als der General- Staatsawalt Rex selbst? Handelt es sich, wie Wille sagt, um einen Eingriff in die grundgesetzlich garantierte Meinungsfreiheit?

Vielleicht. Aber vielleicht auch nicht. Denn Rex hat die Veröffentlichung des Manuskripts deswegen untersagt, weil Wille nicht Wissen als privater Buchautor vermarkten dürfe, das er in seiner dienstlichen Eigenschaft als Chef- Ermittler dieses Falls erworben habe. Dieser Rechtsauffassung haben sich die beiden Verwaltungsgerichte angeschlossen.

Mir leuchtet das ein; und ich habe auch soviel Vertrauen in die Justiz, daß jedenfalls meine Anfangs- Vermutung ist: Wenn zwei Gerichte das so sehen, dann wird es wahrscheinlich so sein. Allerdings verweist Wille darauf, daß in einem anderen Fall - Publikationen des Stuttgarter General- Staatsanwalts Klaus Pflieger zur RAF und zur Schleyer-Entführung - anders verfahren wurde. Mag sein, daß die beiden Fälle verschieden liegen; das kann ich nicht beurteilen.




Zu diesem Buchmanuskript und seinem für den Autor unerfreulichen Schicksal will ich also keine Meinung äußern.

Sondern ich möchte darauf hinweisen, daß im entscheidenden Punkt der Kennedy- Mord und der Fall Barschel gerade keine Ähnlichkeit haben.

Im Fall Kennedy behauptet niemand, er sei nicht ermordet worden. Niemand Ernstzunehmendes bestreitet auch, daß Oswald auf Kennedy geschossen hat. Die Spekulationen und Theorien kreisen allein um den Ablauf und die Hintergründe dieses Mordes:

War Oswald wirklich ein Einzeltäter, der aus Haß auf Kennedy handelte? Oder hatte er Komplizen, die zeitgleich von einem Hügel aus auf Kennedy feuerten? Hatte er, hatten diese behaupteten Komplicen Hintermänner, Auftraggeber? In der Mafia zum Beispiel? War Cuba im Spiel? Hat gar - die abenteuerlichste Spekulation - ein eigener Geheimdienst den amerikanischen Präsidenten ermorden lassen?



Solche Spekulationen gibt es im Fall Barschel zwar auch; aber es sind allesamt wirklich wilde Spekulationen.

Anders als beim Kennedy- Mord, wo alle ernstzunehmenden Theorien sich auf Indizien stützen, auf Zeugenaussagen, hat bisher niemand auch nur den Schatten eines Belegs dafür geliefert, daß Barschel von - sagen wir - dem Mossad ermordet wurde, vom MfS, vom CIA oder von kriminellen Waffenhändlern.

Die Mossad- Variante wurde von Victor Ostrovsky einfach behauptet. Er beruft sich auf das, was man im Mossad so geredet habe; that's all. Für die Stasi- Version spricht kaum mehr, als daß Barschel gern mal im Hotel "Neptun" in Warnemünde genächtigt hat, das von der Stasi kräftig für ihre Zwecke genutzt wurde. Ähnlich dünn sind die "Beweise" für andere Theorien.

Andererseits aber gibt es massive Hinweise darauf, daß Barschel ermordet wurde.

Erstens haben gerichtsmedizinische Untersuchungen durch den Zürcher Toxikologen Horst Brandenberger und dann nochmals die Münchner Toxikologen Wolfgang Eisenmenger und Ludwig von Meyer übereinstimmend ergeben, daß das tödliche Cyclobarbital erst in den Körper von Barschel gelangt sein konnte, als dieser bereits aufgrund der Einnahme von Methyprylon (einem Bestandteil der sogenannten "k.o.-Tropfen") bewußtlos gewesen sein muß.

Zweitens hat Barschel am 10. Oktober 1987 um 18.30 dem Zimmerkellner des "Beau Rivage" eine Flasche Rotwein mit zwei Gläsern quittiert. Diese Flasche blieb verschwunden. Ebenso fand man keine Medikamentenschachteln, obwohl Barschels Körper mit Medikamenten vollgepumpt war.

Es gibt weitere Indizien - zum Beispiel Kopfverletzungen von Barschel, eine nicht zuordenbare Fußspur in seinem Zimmer. Aber auch ohne weitere Anhaltspunkte sind die beiden genannten Indizien - soweit ich das beurteilen kann - mit der These eines Selbstmords schwerlich vereinbar.

Sie passen andererseits zu der Annahme, daß Barschel gegen 18:30 Besuch erwartete, daß dieser ihm eine Methyprylon- haltige Substanz beigebracht hat und daß dann später - der Tod trat gegen Mitternacht ein - Barschel durch diese Person oder durch Andere mittels hochdosierten Cyclobarbitals ermordet und in die Badewanne gelegt wurde.



Nein, bewiesen ist das nicht. Aber es ist eine Hypothese, die erheblich mehr Wahrscheinlichkeit für sich hat als die, daß Barschel Selbstmord beging.

Gewiß spricht ein solcher modus operandi für professionelle Killer; ob sie nun Geheimdienstler waren oder Kriminelle aus dem Waffenhändler- Milieu.

Daß sich allerdings wird aufklären lassen, wer das denn nun gewesen ist, erscheint mir unwahrscheinlich. Perfekt haben diese - vermutlichen - Profis nicht gearbeitet; sonst gäbe es die Spuren nicht. Aber daß sie schlampig genug arbeiteten, um identifiziert werden zu können, damit darf man wohl nicht rechnen.

Vielleicht hat ja Wille auch dazu etwas herausgefunden. Ich würde sein Buch schon gern lesen. Er könnte zum Beispiel das Material jemandem zur Verfügung stellen, der es publiziert, ohne daß Wille Honorar erhält. Das wäre dann wohl keine genehmigungspflichtige Nebentätigkeit.

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