22. April 2007

Gedanken zu Frankreich (9): Die Vier Großen Kandidaten, wie ich sie sehe

Das Wahl-Wochenende ist in Frankreich ein wenig wie ein Aschermittwoch. So, wie Schlag zwölf am Faschingsdienstag das fröhliche Treiben endet, so ist um Mitternacht vom Freitag auf Samstag vor dem Wahlgang in Frankreich der Wahlkampf schlagartig zu Ende.

Keine Kundgebungen sind mehr erlaubt, keine Umfragen werden mehr publiziert. Die Kandidaten äußern sich nicht mehr; die TV- Sender schalten blitzartig von Innenpolitik auf die Situation in Afghanistan oder die Entwicklung der deutschen Wirtschaft um; dergleichen.

Als Blogger, zumal als deutscher, braucht man sich daran zum Glück nicht zu halten. Aber die, sagen wir, Besinnlichkeit, die nun in Frankreich Einzug gehalten hat, dieses Innehalten steckt mich doch ein wenig an.

Ich will jetzt etwas schreiben zu den vier Hauptkandidaten, so wie ich sie sozusagen menschlich wahrnehme. Aufgrund dessen, was ich von ihnen und über sie gelesen habe; aufgrund der TV- Auftritte und Kundgebungen, in denen ich sie gesehen und gehört habe. Und aufgrund dessen, was französische Journalisten, Medienforscher, Demoskopen über sie gesagt haben.



Sie haben eine Gemeinsamkeit, die keineswegs charakteristisch für Frankreichs Spitzenpolitiker ist: Sie sind alle vier ausgesprochen dynamisch. Die drei (vergleichsweise) Jungen, aber auch der fast achtzigjährige Jean- Marie Le Pen, der mit federnden Schritten auf die Bühne zu stürmen pflegt, halb Schwarzenegger, halb Thomas Gottschalk.

Sie sind, alle vier, ganz anders als der pathetische de Gaulle, der majestätisch- herablassende, immer leicht ironische Mitterand, der farblose Schulmeister- Typ Jospin. Anders auch als der gravitätische Chirac, der wie de Gaulle und wie Mitterand zu sein versuchte, aber immer den Eindruck vermittelte, er übe noch.



Ségolène Royal: Ein Medienforscher, der auf sogenannte Tiefeninterviews spezialisiert ist, hat vor ein paar Tagen gesagt: Die Welt, die sie suggeriert, ist ein ständiger Sommer, in dem ein ständiges Fest gefeiert wird.

Man hat sie oft eine moderne Jeanne d'Arc genannt. Das stimmt in einer Hinsicht, aber auch nur in dieser: Sie strahlt eine unerschütterliche Selbstsicherheit aus; man kann das wohl schon Sendungsbewußtsein nennen.

Aber es fehlt ihr das Düstere, das Kriegerische, das Schrille der Jeanne d'Arc. Sie will nicht besiegen, sondern überzeugen, ja verführen. Sie ist optimistisch, sie freut sich auf die Zukunft.

Und das möchte sie ihren ZuhörerInnen vermitteln: Schaut, mir geht es gut. Ich sehe gut aus, ich habe es nach ganz oben geschafft. Das können wir alle, das kann Frankreich auch, wenn es sich nur mir anvertraut. Think positive.

In Diskussionen ist sie nicht gut. Sie weicht aus, verliert sich in Allgemeinplätze, wirkt inkompetent. Ihre Bühne ist - die Bühne.

Die erste vollständige Rede von ihr habe ich auf einem Parteitag der PS erlebt - ja, "erlebt" ist schon richtig, wenn es auch nur eine TV-Übertragung war.

Sie kam auf diese riesige Bühne, in einem seltsamen Bewegungsablauf schreitend, den ich dann noch oft bei ihr gesehen habe - so, als sei das Gehen bei ihr nicht automatisiert, sondern als täte sie jeden Schritt bewußt und kontrolliert.

So spricht sie auch: Mit einer warmen, sehr modulationsfähigen Stimme, die sie oft nachgerade beschwörend einsetzt. Manchmal wie eine Mutter, die begütigend auf ihre Kinder einredet. Oder wie eine Therapeutin. In gewisser Hinsicht sehr emotional, aber die Emotionen wirkten doch sehr gesteuert, sehr bewußt eingesetzt.

Was sie sagt, das sind Platitüden. Sie beschwört sozusagen alles, was jeder gern hätte - Solidarität, Humanismus, das ganze linke Schatzkästlein. Aber auch Schutz vor Kriminalität, Leistungsbereitschaft, also rechte Werte.

Wenn sie das strahlend vorträgt, dann paßt es irgendwie schon zusammen, sozusagen in dialektischer Synthese vereint in der großen, schönen Seele von Ségolène.



Auch François Bayrou ist ungewöhnlich dynamisch für einen französischen Spitzenpolitiker. In der deutschen Presse wird er oft als "Pferdezüchter" bezeichnet. Ja, das macht er auch. Aber er ist auch Altphilologe und Historiker; sein Buch über Henri IV war ein Bestseller. Ein Bauernsohn, der sich nach oben gearbeitet hat. Ein self- made man.

Dieser Heinrich, dessen Leben Bayrou beschrieben hat, erblickte wenige Kilometer vom Geburtsort von Bayrou das Licht der Welt, und Bayrou sieht ganz offensichtlich eine tiefe Seelenverwandschaft. Heinrich hat als König die Protestanten und Katholiken zu versöhnen gesucht; so will Bayrou die Rechte und die Linke versöhnen.

Seine Dynamik ist nicht die kontrollierte Gespanntheit von Royal; sondern er wirkt manchmal fast wie ein glühender Missionar. Er ist überzeugt, daß Frankreich modern werden muß - also weg von seinem Etatismus, der auf das siebzehnte und achtzehnte Jahrhundert zurückgeht; weg von der Spaltung in Linke und Rechte, die auf das neunzehnte Jahrhundert zurückgeht.

Wie kein anderer Kandidat ist Bayrou "amerikanisch". Freilich im Sinn des klassischen, ländlichen Amerika, des liberal- konservativen. Er betont oft, daß er nicht in Paris lebt. Er will für das andere Frankreich stehen, das der Provinz, das des flachen Landes. Dem er mehr zutraut als den geschmeidigen Bürokraten in Paris.

In seiner Körpersprache wirkt er entspannter als Royal, lockerer, vielleicht auch schwerfälliger als die beiden anderen Männer. Er hat etwas von einem Dorfgeistlichen, einem Don Camillo. Von der Richtigkeit seines Glaubens überzeugt, daraus seine Kraft schöpfend. In der Tat ist er praktizierender Katholik.



Jean-Marie Le Pen: Ein Mann, an dem das Alter spurlos vorübergegangen zu sein scheint. Nicht nur körperlich topfit wirkend, sondern auch von einer erstaunlichen intellektuellen Präsenz.

Der Vergleich mag überraschen - aber am meisten erinnert er mich an Oskar Lafontaine. Er charmiert. Er weiß auf jede Frage eine schlagfertige Antwort. Er dreht alles so, daß es schwerfällt, ihm zu widersprechen. Er hat dieselbe selbstgefällige Mimik wie Lafontaine, dieses genüßliche Grinsen, wenn er wieder eine Pointe gelandet hat.

Er sagt mal dies, mal jenes, brilliert in dialektischen Spitzfindigkeiten. Er ist - darin Mitterand ähnlich - ein Meister der Andeutungen, der Insinuationen. Wie Lafontaine verfolgt er eine populistische Strategie, spricht aber mit seiner Intelligenz, seinem Sprachgeschick, auch Intellektuelle an.

Er ist, wie Lafontaine, ein begnadeter Demagoge. Und wie Lafontaine halte ich ihn - aber das ist jetzt ein sehr subjektives Urteil - für einen, der sein Leben lang nur von einem einzigen Motiv bestimmt wurde: Einem grenzenlosen Egoismus.



Nicolas Sarkozy ist unter diesen vier Dynamikern der Allerdynamischste. Nicht nur physiognomisch, sondern auch in seiner Körpersprache erinnert er ein wenig an Louis de Funès. Bei ihm ist immer alles in Bewegung. Man merkt, wie schnell er denkt, wie souverän er jedes Thema beherrscht. Er ist der "lateinischste" unter den vier Kandidaten.

Ein Mann, der eine ungeheure Kompetenz ausstrahlt. Der Frankreich bewegen möchte, so wie er selbst sich unaufhörlich bewegt. Der auch den Eindruck vermittelt, daß er das kann. Daß man ihm vertrauen kann, daß er es schon richten wird.

Von allen Kandidaten kann man ihn sich am besten vorstellen, wie er mit den Mächtigen der Welt verhandelt, wie er nach außen Frankreichs Größe repräsentiert.

Und wie er jede Krise meistert, immer ein, zwei Züge weiterdenkt als die anderen, sie mit seiner Intelligenz, seiner Leistungsmotivation übertrumpft.



Ich fasse zusammen:

Bayrou ist der Mann der großen, über den Tag hinausweisenden Vision. Wenn man ihn wählt, dann wird Frankreich ein modernes, erfolgreiches Land werden, wie die USA und Deutschland. Das ist es, was er signalisiert.

Royal steht für das Schöne im Leben; für das Versprechen, daß schon alles gut werden wird. Wenn man sie wählt, dann wird es nicht nur den Benachteiligten besser gehen, sondern allen. Und wie man das hinbekommt, das wird man dann schon sehen.

Le Pen ist der Mann der Verbitterten, der zu kurz Gekommenen. Derer, die wissen, daß eh alles in der Politik schlecht ist, daß der kleine Mann immer der Dumme ist. Derer, die früher die Kommunisten gewählt haben, so wie sie in Deutschland die PDS wählen.

Sarkozy gibt den Franzosen zu verstehen, daß das Leben nicht immer leicht ist. Frankreich steckt in einer tiefen Krise; und jetzt heißt es die Ärmel aufkrempeln. Das sagt er den Franzosen. Aber unter ihm, einem Präsidenten Sarkozy, wird das schon klappen.



So ungefähr sind sie, dieses Kleeblatt, aus meiner sehr subjektiven Sicht.

Alle vier weniger würdevoll-steif als die Politikergeneration, die vom Übervater de Gaulle geprägt blieb. Jeder auf seine Art willens, Frankreich umzukrempeln.

Kein Wunder, daß da die Wahl schwerfällt.