28. April 2007

Der VfL Bochum und die "Kritik der reinen Vernunft"

Mein letzter Sportlehrer auf dem Gymnasium wollte mich nicht für sein Fach aufgeben: "Zettel, gucken Sie, schon Kant hat gesagt: 'Kritik der reinen Vernunft'": Damit warb er bei mir, den er als Intellektuellen verachten gelernt hatte, für körperliche Ertüchtigung als Ausgleich zur Blässe des Gedankens.

Er hat mich nicht dazu gebracht, den Felgaufschwung mit gestandenem Abgang zu schaffen oder mich sonstwie zu ertüchtigen. Aber es mag sein, daß er doch dazu beigetragen hat, mein Interesse am Sport zu wecken.

Nicht das des den Sport Übenden, ihn gar Vorführenden. Aber das Interesse des den Sport Genießenden. Dessen, der sich unter einem genialen Rennpferd etwas vorstellen kann.

"Die Römer tanzten nicht, sie ließen tanzen", hat mal jemand angemerkt. So geht es mir mit dem Sport. Ich fühle mich als Sportfreund so wenig angeregt oder gar verpflichtet, mich sportlich zu bestätigen, wie Filmfreunde unbedingt den Drang verspüren müssen, selbst zur Kamera zu greifen oder sich in die Regiearbeit zu stürzen.



Als ein solcher passiver, rezeptiver, voyeuristischer Freund des Sports habe ich einige Lieblings- Sportarten. Allen voran Tennis und Fußball. Warum?

Im Grunde unterliegt ein sportliches Event denselben Gesetzen wie ein Film, wie eine Theateraufführung, wie der Auftritt einer Gruppe von Gauklern: Man möchte Überraschendes erleben. Aber auch wieder nicht allzu Überraschendes. Die gemäßigte Abweichung von dem, was wir kennen - das macht den Reiz aus. Unerwartetes inmitten des Erwarteten, Geläufigen. Redundanz, aber nur mittlere.

Information ist bekanntlich Überraschung, die Verminderung von "uncertainty". Negative Entropie also, Negentropie. Ein mittleres Maß an Negentropie, das ist schön.



Das Tennis ist in dieser Hinsicht perfekt, weil ständig Entscheidungen anstehen: Wer holt den Punkt? Wer gewinnt das Game? Wer den Set? Wer schließlich das Match; wobei Match Point noch lange nicht den Sieg bedeutet. Das Spiel wird in viele, viele Mini-Spiele zerlegt. Das macht den Reiz des Tennis aus.

Was den Reiz des Fußballs ausmacht, aus meiner Sicht, das habe ich hier aufgeschrieben, und noch ein wenig hier. In diesen beiden Beiträgen habe ich so ziemlich alles gesagt, was ich zum Fußball weiß, was mir vermutlich dazu einfallen kann.



Aber noch wenig geschrieben habe ich vom VfL Bochum. Blau und weiß, nicht königsblau. Die Bochumer Jungen. Oder genauer gesagt, die Junggesellen, wie sie im Mittelpunkt des Maiabendfests stehen, dem Bochumer Nationalfeiertag.

Als ich in den sechziger Jahren an der neugegründeten Ruhr-Uni gearbeitet habe, hatte ich ein kleines Appartment am Stadtpark. Und wenn man durch den hindurch ging, den Stadtpark, dann kam man zum Stadion des VfL, damals noch prosaisch und umständlich "Stadion an der Castroper Straße" geheißen. Da bin ich also hingewandert, am Samstag, in das, was heute das schicke Ruhr-Stadion ist.

Da hat sich eine affektive Beziehung geknüpft. Eine Beziehung fürs Leben.

Unsere zwischenmenschlichen Beziehungen ermangeln manchmal der Treue. Die zu einem Verein nicht. Daß ich jemals den VfL Bochum fahren lassen könnte, ist undenkbar.



Nun also hat er, unser VfL, gestern - hurrah! - Schalke geschlagen.

Was das bedeutet, das kann niemand ermessen, der nicht oft mit der Straßenbahn zwischen Gelsenkirchen Hbf und Bochum Hbf unterwegs gewesen ist. Ein "Derby", sagt man. Welch blasser Begriff! Bochum gegen Schalke, das ist wie Athen gegen Sparta, wie Achilles gegen Hektor, wie Cambridge gegen Oxford.

Und das Ergebnis, das ganz Boooooochum ins Delirium versetzt, zum Fiege bei Mutter Wittig treibt, lautet:

Bochum ist so gut wie gerettet!



Trotz der noch anstehenden schweren Gegner.

Und jetzt sind wir großzügig, wir Bochumer Jungen, besungen von Herbert Grönemeyer. Sind wir großzügig gegenüber den Knappen.

Zumal am Vorabend des Maiabendfests.

Jetzt wünschen wir ihnen alles Gute, den Knappen.

Jou, sie sollen Meister werden!

Glückauf!