Wer in Deutschland um 1910 herum - sagen wir, zwischen 1900 und 1920 - geboren wurde, der erlebte in Kindheit und Jugend einen fürchterlichen Krieg und/oder eine Nachkriegszeit, die mit einem Bürgerkrieg begann, gefolgt von einer die Vermögen vernichtenden Inflation, gefolgt von einer Welt- Wirtschaftskrise mit Massen- Arbeitslosigkeit. Dann die Errichtung einer Diktatur, einen zweiten fürchterlichen Krieg. Und wiederum eine schlimme Nachkriegszeit, in der es vielen noch jämmerlicher ging als zuvor im Krieg.
Als diese entsetzliche erste Hälfte des deutschen Zwanzigsten Jahrhunderts herum war - als die Angehörigen dieser Generation also zwischen dreißig und fünfzig waren - , begannen sich im Westen ihres Vaterlands die Dinge zu Besseren zu wenden. Wer das Pech hatte, im Osten zu leben, mußte darauf noch vierzig Jahre länger warten. Dort lebten noch weitere Generationen in Armut und Unterdrückung, ihrer "Staatsmacht" ausgeliefert wie die Schafsherde ihrem Hirten.
Für uns im Westen aber wurde die zweite Hälfte dieses seltsamen Zwanzigsten Jahrhunderts eine so schöne Zeit, wie die erste Hälfte eine schlimme Zeit gewesen war. Auf vier Jahrzehnte des Leides folgten fünf Jahrzehnte des Aufbaus, des Fortschritts, des Friedens und Wohlstands.
Diese scharfe Zäsur in der Mitte des Jahrhunderts bringt es mit sich, daß in (West-) Deutschland Menschen mit radikal verschiedenen Lebenerfahrungen zusammenleben:
Die erste Gruppe hat Krieg und Leid in voller Entsetzlichkeit erfahren und dann, je nach Geburtsjahrgang, noch mehr oder weniger lange das sich anschließende Goldene Zeitalter genießen können.
Die zweite Gruppe kennt nur das Goldene Zeitalter - und bemerkt oft nicht, daß sie in einem Goldenen Zeitalter lebt. Sie wissen nicht, wie gut es ihnen geht, die meisten Angehörigen dieser Generationen; weil sie ja keinen Vergleich haben.
Die um 1950 Geborenen, also die späteren Achtundsechziger, waren die erste Generation der Kinder des Goldenen Zeitalters. Nur so kann man, scheint mir, ihre Mentalität, ihre Arroganz, ihren Größenwahn, ihre oft geradezu groteske Verkennung der Realität verstehen.
Sie haben den Hunger nicht gekannt und konnten deshalb auf den Gedanken kommen, Konsum als Terror zu empfinden. Sie haben nicht erlebt, was Krieg bedeutet, und deshalb konnten die RAF- Mörder sich an dem Gedanken ergötzen, in Deutschland einen blutigen Bürgerkrieg zu entfachen. Sie brauchten sich niemals ums eigene Überleben zu sorgen, die Angehörigen dieser Generation, und konnten ihre Sorge deshalb dem Waldsterben und dem Überleben bedrohter Arten zuwenden.
Und dann ist da noch die Zwischengeneration, die der zwischen 1935 und 1950 Geborenen, zu denen ich gehöre.
Uns ist das Leid der Generationen unserer Väter und Großväter größtenteils erspart geblieben. Insofern gehören wir zu den Kindern des Goldenen Zeitalters. Aber wir haben, aus den Erfahrungen unserer Kindheit heraus, doch eine Vorstellung vom Ausmaß dieses Leides.
Einen Teil der Nächte habe ich als Kleinkind im Luftschutzkeller zugebracht. Meine Eltern haben mir erzählt, daß ich, noch bevor ich sprechen konnte, die Luftschutz- Sirene nachzusingen vermochte. Ich habe auch eigene, schattenhafte Erinnerungen an diese Nächte, die man auf irgendwelchen Notliegen oder mitgebrachten Stühlen im Keller verbrachte, im Licht einer baumelnden Glühbirne, während es um uns herum heulte und krachte. Mein Teddybär war immer dabei; er hatte schon im Ersten Weltkrieg einen Granatsplitter abbekommen und war also kriegserfahren.
Meine Großeltern wurden zweimal "ausgebombt"; das heißt, sie erlebten, im Keller sitzend, wie das Haus über ihnen zusammenbrach. Nach dem Krieg lebten wir als "Evakuierte" auf dem Land; unter Umständen, die ich im ersten Teil der Serie über Armut geschildert habe.
Das ist der Hintergrund, vor dem ich nicht genug darüber staunen kann, wie gut es uns geht. Ja nicht nur, was Frieden angeht, was die Abwesenheit von existentiellen Bedrohungen angeht. Sondern die meisten leben auch in einem materiellen Wohlstand, der noch vor hundert Jahren den Reichsten vorbehalten gewesen war.
Es ist eben ein Goldenes Zeitalter. Wir hätten allen Grund, glücklich zu sein und dem Schicksal dankbar dafür, daß es uns ausgerechnet in dieser Zeit in diesem Teil der Welt leben läßt. Zu einem Pessimismus der Art, wie ihn Erich Kästner 1930 zu Recht hatte, besteht kein Anlaß.
Aber nichts ist schwerer zu ertragen, als eine Reihe von guten Tagen, sagt das Sprichwort. Just wir Kinder des Goldenen Zeitalters sorgen uns, phantasieren Weltungangs- Szenarios. Mal ist es der saure Regen, der die Wälder sterben läßt, mal das Ozonloch, durch das Ultraviolettes auf uns herabstrahlt. Jetzt ist es die dräuende Globale Erwärmung, vor der wir uns fürchten. Vor der wir uns gefälligst zu fürchten haben.
Vielleicht ist das alles verständlich. Wir haben es ja nicht verdient, es uns nicht erarbeitet, daß es uns so unverschämt gut geht. Unbewußt entsteht da vielleicht so etwas wie ein Bedürfnis nach Selbstbestrafung.
Damit wieder ein wenig mehr Gerechtigkeit herrscht in der Welt.
Als diese entsetzliche erste Hälfte des deutschen Zwanzigsten Jahrhunderts herum war - als die Angehörigen dieser Generation also zwischen dreißig und fünfzig waren - , begannen sich im Westen ihres Vaterlands die Dinge zu Besseren zu wenden. Wer das Pech hatte, im Osten zu leben, mußte darauf noch vierzig Jahre länger warten. Dort lebten noch weitere Generationen in Armut und Unterdrückung, ihrer "Staatsmacht" ausgeliefert wie die Schafsherde ihrem Hirten.
Für uns im Westen aber wurde die zweite Hälfte dieses seltsamen Zwanzigsten Jahrhunderts eine so schöne Zeit, wie die erste Hälfte eine schlimme Zeit gewesen war. Auf vier Jahrzehnte des Leides folgten fünf Jahrzehnte des Aufbaus, des Fortschritts, des Friedens und Wohlstands.
Diese scharfe Zäsur in der Mitte des Jahrhunderts bringt es mit sich, daß in (West-) Deutschland Menschen mit radikal verschiedenen Lebenerfahrungen zusammenleben:
Die, deren Leben in erheblichem Maß durch die schlimme erste Hälfte des Jahrhunderts geprägt war. Das ist die beschriebene Generation; aber es gehören auch noch diejenigen dazu, die in der Nazi- Zeit aufwuchsen und als junge Leute noch in den Krieg geschickt wurde; die "Flakhelfer-Generation". Diejenigen, die vom Feld in die Hörsäle strömten; im Töten erfahrene Studenten, die "skeptische Generation". Diejenigen Deutschen, die heutzutage die Mehrheit ausmachen: Die glücklichen Generationen, geboren ab etwa 1950. Sie haben (im Westen, nur davon rede ich) weder Unfreiheit und Unterdrückung, noch Krieg und Vertreibung, noch Hungern und Frieren kennengelernt. Sie lebten und leben in einem Goldenen Zeitalter, wie es ein zweites kaum jemals in der Geschichte der Menschheit gegeben hat. Und drittens die Zwischengeneration der zwischen 1935 und 1950 Geborenen. Sie haben als Jugendliche und/oder in ihrer Kindheit noch das Leid des Kriegs oder der Nachkriegszeit erlebt, wuchsen dann aber gewissermaßen in den Frieden und den Wohlstand hinein.
Die erste Gruppe hat Krieg und Leid in voller Entsetzlichkeit erfahren und dann, je nach Geburtsjahrgang, noch mehr oder weniger lange das sich anschließende Goldene Zeitalter genießen können.
Die zweite Gruppe kennt nur das Goldene Zeitalter - und bemerkt oft nicht, daß sie in einem Goldenen Zeitalter lebt. Sie wissen nicht, wie gut es ihnen geht, die meisten Angehörigen dieser Generationen; weil sie ja keinen Vergleich haben.
Die um 1950 Geborenen, also die späteren Achtundsechziger, waren die erste Generation der Kinder des Goldenen Zeitalters. Nur so kann man, scheint mir, ihre Mentalität, ihre Arroganz, ihren Größenwahn, ihre oft geradezu groteske Verkennung der Realität verstehen.
Sie haben den Hunger nicht gekannt und konnten deshalb auf den Gedanken kommen, Konsum als Terror zu empfinden. Sie haben nicht erlebt, was Krieg bedeutet, und deshalb konnten die RAF- Mörder sich an dem Gedanken ergötzen, in Deutschland einen blutigen Bürgerkrieg zu entfachen. Sie brauchten sich niemals ums eigene Überleben zu sorgen, die Angehörigen dieser Generation, und konnten ihre Sorge deshalb dem Waldsterben und dem Überleben bedrohter Arten zuwenden.
Und dann ist da noch die Zwischengeneration, die der zwischen 1935 und 1950 Geborenen, zu denen ich gehöre.
Uns ist das Leid der Generationen unserer Väter und Großväter größtenteils erspart geblieben. Insofern gehören wir zu den Kindern des Goldenen Zeitalters. Aber wir haben, aus den Erfahrungen unserer Kindheit heraus, doch eine Vorstellung vom Ausmaß dieses Leides.
Einen Teil der Nächte habe ich als Kleinkind im Luftschutzkeller zugebracht. Meine Eltern haben mir erzählt, daß ich, noch bevor ich sprechen konnte, die Luftschutz- Sirene nachzusingen vermochte. Ich habe auch eigene, schattenhafte Erinnerungen an diese Nächte, die man auf irgendwelchen Notliegen oder mitgebrachten Stühlen im Keller verbrachte, im Licht einer baumelnden Glühbirne, während es um uns herum heulte und krachte. Mein Teddybär war immer dabei; er hatte schon im Ersten Weltkrieg einen Granatsplitter abbekommen und war also kriegserfahren.
Meine Großeltern wurden zweimal "ausgebombt"; das heißt, sie erlebten, im Keller sitzend, wie das Haus über ihnen zusammenbrach. Nach dem Krieg lebten wir als "Evakuierte" auf dem Land; unter Umständen, die ich im ersten Teil der Serie über Armut geschildert habe.
Das ist der Hintergrund, vor dem ich nicht genug darüber staunen kann, wie gut es uns geht. Ja nicht nur, was Frieden angeht, was die Abwesenheit von existentiellen Bedrohungen angeht. Sondern die meisten leben auch in einem materiellen Wohlstand, der noch vor hundert Jahren den Reichsten vorbehalten gewesen war.
Es ist eben ein Goldenes Zeitalter. Wir hätten allen Grund, glücklich zu sein und dem Schicksal dankbar dafür, daß es uns ausgerechnet in dieser Zeit in diesem Teil der Welt leben läßt. Zu einem Pessimismus der Art, wie ihn Erich Kästner 1930 zu Recht hatte, besteht kein Anlaß.
Aber nichts ist schwerer zu ertragen, als eine Reihe von guten Tagen, sagt das Sprichwort. Just wir Kinder des Goldenen Zeitalters sorgen uns, phantasieren Weltungangs- Szenarios. Mal ist es der saure Regen, der die Wälder sterben läßt, mal das Ozonloch, durch das Ultraviolettes auf uns herabstrahlt. Jetzt ist es die dräuende Globale Erwärmung, vor der wir uns fürchten. Vor der wir uns gefälligst zu fürchten haben.
Vielleicht ist das alles verständlich. Wir haben es ja nicht verdient, es uns nicht erarbeitet, daß es uns so unverschämt gut geht. Unbewußt entsteht da vielleicht so etwas wie ein Bedürfnis nach Selbstbestrafung.
Damit wieder ein wenig mehr Gerechtigkeit herrscht in der Welt.