2. April 2007

Gladiatoren, Maske, Showboxen

Wenn mit gleichen Waffen gekämpft wird, ist das oft langweilig. Die weitaus interessanteren, unsere Phantasie beschäftigenden Kämpfe sind die, bei denen die Kontrahenten über ungleiche Fähigkeiten, über verschiedenartige Waffen verfügen.

Der biblische David, der Kleine, Fixe mit seiner Schleuder, gegen den starken, aber hoplitenhaft- überrüsteten Goliath. An den Thermopylen einige tausend Griechen, motiviert durch ihren Patriotismus, begünstigt durch den Ort des Kampfs, gegen zweinhunderttausend Perser, die sich fern von der Heimat herumschlagen müssen. In den römischen Gladiatorenkämpfen der secutor, der mit Schwert und Schild kämpft, gegen den retiarius mit seinem Dreizack, mit Dolch und dem Fangnetz, das er über den Gegner zu werfen trachtet.



Die circenses, an denen wir uns heute erfreuen, sind weniger blutig. Und sie sind meist auch weniger auf diesen reizvollen Gegensatz zwischen unterschiedlich Kämpfenden angelegt.

Einen 100- Meter- Lauf kann man halt nur dadurch gewinnen, daß man so schnell wie möglich läuft. Turmspringer drehen ihre gezirkelten Figuren, einer wie der andere. Über die Stange bewegen sich die Hochspringer fast alle mit der jeweils aktuellsten Technik, mal straddle, mal Fosbury flop.

Selbst im Fußball ist es so: Fast immer setzt sich eine taktische Variante als die aktuell moderne durch. Mal spielt alles mit einem Libero, mal mit der Viererkette. Mal mit dem klassischen Mittelstürmer, mal mit der Zweierspitze. Derzeit scheint der "spielende Torwart" à la Lehmann und Enke sich durchzusetzen. (Kein Wunder, daß Kahn da schon mal Feuer speit; ein Saurier halt).



Also, in den meisten Sportarten ist es so, daß die intradisziplinäre Evolution eine, und zu einem Zeitpunkt immer genau eine, Variante als die erfolgreichste hervorbringt. Es mangelt gewissermaßen an Artenvielfalt, an genetischer Variabilität.

Wie schön also, daß es das Boxen gibt. Denn das ist eine Sportart, die - so scheint mir - wie kaum eine andere Raum für Artenvielfalt läßt. Für unterschiedliche Stile, unterschiedliche Taktiken.

Man kann einen Boxkampf gewinnen, weil man ein Goliath ist wie Nikolai Walujew, der halt kraft des Hebelgesetzes fester zuhauen kann als jeder andere, und kraft der Länge seiner Arme sich jeden vom Leib halten kann. Oder weil man ein Stehaufmännchen ist, das nie aufgibt. Oder weil man über die Wendigkeit eines Eistänzers verfügt. Oder weil man einen Kampf kühl plant und dem Gegner immer gedanklich einen Schritt voraus ist.

Daß Boxen nur etwas für Prolls sei, halte ich deshalb für eine Dummheit. Es ist das vielleicht auch, aber es ist auch ein Sport für Intellektuelle; Wolf Wondratschek zum Beispiel hat das bemerkt.



Nun also Maske gegen Virgil Hill. Das war nicht Intelligenz gegen rohe Gewalt. Auch Hill ist ja kein tumber Dampfboxer, sondern ein schneller, cleverer Mann. Er hat mich mit seinem Stil manchmal an Cassius Clay erinnert (gut, für die pc Leser: Muhammed Ali).

Es war, schien mir, eher ein Kampf zwischen Aktion und Konzentration. Zwischen einem Boxer, der im Augenblick agierte und einem, der einen auf die ganze Distanz angelegten Plan kühl in die Tat umsetzte.

Maske war auf eine manchmal fast hypnosehaft wirkende Art konzentriert; und zwar auf die Aktionen des Gegners. Seine Strategie schien mir zu sein, Hill sich anstrengen und abarbeiten zu lassen. Dabei durch diese Konzentration auf den Gegner die eigene Verteidigung so effizient zu gestalten, daß Hill zwar rackerte, aber nicht reüssierte. Und dann - gelegentlich, aber extrem effizient - die Augenblicke zu nutzen, in denen Hill so intensiv mit einer seiner Attacken beschäftigt war, daß er die Verteidigung vernachlässigte und Maske einen Treffer landen konnte.

Ein Kampf also zwischen einem leidenschaftlichen und einem kühlen, kontrollierten Boxer. Zwischen einem handlungsorientierten und einem lageorientierten. Zwischen einem, der sich von der momentanen Situation leiten läßt und einem, der innengesteuert handelt.

Also - jedenfalls für mich als Zuschauer - ein spannender, interessanter, sehr unterhaltsamer Kampf.



Spiegel-Online freilich sieht das ganz anders. Der Artikel von Mike Glindmeier kommt zu einem vernichtenden Urteil:
(...) mit Boxsport hatte die Darbietung der beiden 43-Jährigen wenig zu tun. (...) ... ebnet RTL derzeit den Weg für eine neue Konsumentenkategorie: Showboxen. (...) Schon vor dem ersten Gongschlag war klar, dass den Fans kein sportlicher Leckerbissen serviert werden würde. (...) TV-Komiker Stefan Raab machte es bei ProSieben mit seinen Klamauk- Kämpfen gegen Regina Halmich vor, die Marketing- Maschine von RTL hat die Nische "Showboxen" mittlerweile perfektioniert.
Ja schau, da hat der Nachwuchsjournalist Glindmeier was gemerkt: Boxen ist ein Showsport.

Boxen tun zwei nicht in der Abgeschiedenheit einer Garage, um ihre Kräfte zu messen. Sie boxen auch nicht allein um der Ehre willen, der Bessere zu sein, jede materielle Vergütung so entrüstet ablehnend wie einst Gottfried von Cramm, auch er ein Gentleman.

Sondern beim Boxen wird Geld verdient. Es wird Geld damit verdient, daß uns eine Show geboten wird.

Eine Show freilich, bei der jeder ernsthaft zu siegen versucht. In der wir, das Publikum, nicht hintergangen werden; so wenig, wie in Jauchs Millionärs- Show oder bei dem Show- Sport Fußball.

Circenses, ja gewiß. Ja und? Daß ausgerechnet ein junger Mann wie Mike Glindmeier ausgerechnet bei Spiegel- Online in die sauertöpfische Jammerei der Kultur- und Zivilisationskritik einstimmt: Das allerdings kommt mir vor wie eine Show. Eine ziemlich danebengegangene, allerdings.