16. Dezember 2008

Von Bush zu Obama (5): Mutmaßungen über Barack. Will Obama der große Transformator werden? Eine provokante These von Charles Krauthammer

Streng genommen ist Barack Obama noch nicht zum 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt.

Zwar waltete gestern das Electoral College seines Amtes; jenes Gremium, das man in Deutschland traditionell als dasjenige der Wahlmänner bezeichnet. Politisch korrekt müßte es natürlich "Wahlfrauen und - männer" heißen. Nennen wir es, da ein unnützes Fremdwort immer noch besser ist als politische Korrektheit, das Gremium der Elektoren.

Diese 538 Elektoren also haben gestern ihre Stimmen abgegeben. Sie haben sich dazu nicht alle getroffen, sondern die Elektoren jedes Staats haben das in der jeweiligen Hauptstadt erledigt. Jetzt werden die Stimmzettel nach Washington geschickt und dort ausgezählt. Alles sehr traditionell, den Verkehrsverhältnissen im 18. Jahrhundert geschuldet.

Vermutlich erhielt Barack Obama 365 dieser 538 Stimmen; so viele Elektoren jedenfalls sind aufgrund des Wahlergebnisses aus seinem Lager entsandt worden. Sicher ist das aber nicht, denn die Elektoren sind frei bei der Abgabe ihrer Stimmen; und gezählt wird erst im Januar.



Welche Politik wird Präsident Obama verfolgen?

Welches ist die wahre Farbe eines Chamäleons? Hat es überhaupt eine? Eher wohl nicht.

Woran Barack Obama glaubt und welches seine Ziele als Präsident sind, weiß niemand. Dieser Mann hat sich in seinem ganzen Leben jeder neuen Situation perfekt angepaßt.

Im Wahlkampf war er, solange er gegen die spröde Hillary Clinton antrat, der Künder des Wandels; derjenige, der die Nation heilen und die Welt gesund machen will. Am Tag seines Siegs über Clinton verwandelte er sich in einen nüchternen Staatsmann, gegen den der neue Kontrahent John McCain wie ein spontaner Hitzkopf wirkte.

Er hat den Wandel versprochen, aber seine bisherigen Entscheidungen sind so ausgefallen, als wolle er ein Maß an Kontinuität wie kaum ein Präsident vor ihm.

Er hat gegen "Washington" gewettert und holt jetzt, einen nach dem anderen, Leute aus dem Washingtoner Establishment in sein Team; von Rahm ("Rahmbo") Emanuel aus dem einstigen Stab von Bill Clinton über George W. Bushs Verteidigungsminister Robert Gates bis zu Paul Volcker, einst Präsident der Notenbank unter Ronald Reagan.

Wie paßt das zusammen? Man kann, wie Robert Cohen kürzlich in der Washington Post schrieb, nach einer "höheren Warte" Ausschau halten, auf der sich das vereinen läßt. Ich kann allerdings diese Warte bisher nicht sehen und neige eher der Auffassung zu, daß der Präsident Obama schlicht das, was der Kandidat Obama versprochen hat, als Geschwätz von gestern betrachtet, das ihn nicht mehr schert.

Und weil ich jetzt eine Alternative zu dieser Auffassung vorstellen möchte, zitiere ich diese zunächst einmal so, wie ich es in der letzten Folge dieser Serie geschrieben habe:
Seine entstehende Regierung sieht immer mehr aus wie ein "Kabinett der nationalen Einheit". (...) Präsident Obama wird, das jedenfalls zeichnet sich schon jetzt ab, kein Neuerer sein, sondern ein Präsident der Kontinuität, vielleicht der Stagnation; der Verteidigung des Bestehenden und nicht des Wandels.

Oder sagen wir es positiv: Er wird zum Glück wenig von dem einhalten, was er im Wahlkampf versprochen hat.
Charles Krauthammer sieht das ganz anders. Und was Charles Krauthammer schreibt, sollte immer Anlaß zu ernsthaftem Nachdenken geben.



In seiner aktuellen Kolumne in der Washington Post verspricht Krauthammer schon im Titel etwas, von dessen Existenz ich - siehe das Chamäleon - nicht überzeugt bin: "The real Obama", der wahre Obama, heißt die Kolumne.

Krauthammer entwickelt eine Theorie, die etwas Bestechendes hat, weil sie die Fakten brillant unter einen Hut bringt. Was natürlich nicht heißt, daß sie richtig sein muß.

Krauthammers Ausgangspunkt ist eine Deutung ähnlich der zitierten von mir: "Because Obama's own beliefs remain largely opaque, his appointments have led to the conclusion that he intends to govern from the center" - weil Obamas eigene Auffassungen im Dunklen blieben, würden seine personellen Entscheidungen als Hinweise auf eine Politik der Mitte verstanden werden.

Krauthammer schlägt aber eine andere Interpretation vor. Eine Deutung, die darauf hinausläuft, daß Obama sehr wohl den radikalen Wandel realisieren will, den er im Wahlkampf - in dessen erster Phase - versprochen hat.

Obama hat, so Krauthammer, die Außenpolitik in die Hände der Profis Hillary Clinton, Robert Gates und James Jones gelegt, damit sie ihm auf diesem Feld, das ihn wenig interessiert, den Rücken freihalten.

Ebenso hat er Fachleute aus der politischen Mitte - Tim Geithner, Larry Summers und Paul Volcker - für die Wirtschaftspolitik ausgesucht, damit sie für ihn die jetzige Krise bewältigen. Für ihn und für das, was er eigentlich mit seiner Präsidentschaft anstrebt:
... to effect a domestic transformation as grand and ambitious as Franklin Roosevelt's. As Obama revealingly said just last week, "This painful crisis also provides us with an opportunity to transform our economy to improve the lives of ordinary people." Transformation is his mission. Crisis provides the opportunity. The election provides him the power.

... im Inneren eine Transformation herbeizuführen, so großartig und so ehrgeizig wie die von Franklin Roosevelt. Wie Obama bezeichnenderweise letzte Woche sagte: "Diese schmerzliche Krise gibt uns auch eine Gelegenheit, unsere Wirtschaft zu transformieren und das Leben der einfachen Leute zu verbessern". Transformation ist seine Mission. Die Krise bietet die Gelegenheit. Die Wahl liefert die Macht.
Die Krise, schreibt Krauthammer, hat die Basis für ein Maß staatlichen Eingreifens geschaffen, wie es das seit dem New Deal nicht mehr gegeben hat. Niemand im Kongreß tritt mehr dafür ein, daß Mehrausgaben gegenfinanziert werden müssen. Die Öffentliche Meinung verlangt Handeln und nimmt dafür jede Ausgabe in Kauf.

Obama habe für sein Ziel einer Transformation der amerikanischen Gesellschaft "undreamt-of amounts of money" zur Verfügung, Geldbeträge, von denen man nur hatte träumen können. Er habe zugleich das Mandat eines grandiosen Wahlsiegs, dazu noch breite Mehrheiten sowohl im Senat als auch im Repräsentantenhaus.

Was wird er mit dieser Macht tun? Krauthammer:
Obama was quite serious when he said he was going to change the world. And now he has a national crisis, a personal mandate, a pliant Congress, a desperate public -- and, at his disposal, the greatest pot of money in galactic history. (...)

It is his one great opportunity to plant the seeds for everything he cares about: a new green economy, universal health care, a labor resurgence, government as benevolent private- sector "partner." (...)

... the stage is set for a young, ambitious, supremely confident president -- who sees himself as a world- historical figure before even having been sworn in -- to begin a restructuring of the American economy and the forging of a new relationship between government and people. (...)

He intends to transform America. And he has the money, the mandate and the moxie to go for it.

Es war Obama vollkommen ernst, als er sagte, daß er die Welt ändern werde. Und jetzt hat er eine nationale Krise, ein persönliches Mandat, einen willfährigen Kongreß, eine verzweifelte Öffentlichkeit - und einen Topf Geld zur Verfügung, den größten in der Geschichte der Galaxie. (...)

Das ist seine eine, große Chance, die Saat für das zu legen, das ihm wichtig ist: Eine neue, grüne Ökonomie, Krankenversicherung für alle, ein Wiedererstarken der Gewerkschaften, die Regierung als der fürsorgliche Partner des "privaten Sektors". (...)

... die Bühne ist bereitet für einen jungen, ehrgeizigen, über die Maßen selbstbewußten Präsidenten - der sich schon als eine Gestalt der Weltgeschichte sieht, bevor er auch nur seinen Amtseid geleistet hat -, die amerikanische Wirtschaft umzustrukturieren und ein neues Verhältnis zwischen Regierung und Volk zu schmieden.

Er will Amerika transformieren. Und er hat das Geld, das Mandat und die Entschlossenheit, es anzupacken.



Gerade die Nominierung von Konservativen, von Leuten aus dem Establishment für die Felder der Außen- und der Wirtschaftspolitik soll also, so die provokante These Krauthammers, in diesen Bereichen für soviel Ruhe sorgen, daß Obama auf seinem eigentlichen Feld, demjenigen der Sozial- und Gesellschaftspolitik, Umwälzungen einleiten kann.

Diese Analyse ist für den Konservativen Charles Krauthammer natürlich ein Szenario des Schreckens. Viele in Europa, sehr viele hier in Deutschland werden finden, daß das doch eine höchst erfreuliche Perspektive sei.

Einleuchtend jedenfalls erscheint mir Krauthammers Analyse. So einleuchtend wie meine bisherige, entgegengesetzte Vermutung, daß Obama, nachdem die Wahl erst einmal gewonnen ist, das Gewand des Erlösers abgestreift hat wie der Saunabesucher seinen Bademantel, bevor er in die Kabine tritt.

Werden die kommenden Monate zeigen, welche der beiden Interpretationen die richtige ist? Vielleicht. Aber vielleicht verblüfft das Chamäleon uns ja auch noch mit ganz neuen Farbtönen.



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