14. Dezember 2008

"Lehrerin leugnet Weihnachtsmann - gefeuert". Was Sie dazu in "Spiegel- Online" nicht lesen können

Verschroben sind sie, die Engländer, und vor allem ganz, ganz konservativ: Nicht wahr, das wissen wir doch. Das haben wir schon in der Schule gelernt.

Womit ich schon fast beim Thema bin. Denn wieder, wie bei dem kürzlichen kleinen Quiz, geht es um eine Schule. Wieder eine britische Schule. Und wieder geht es um die Weihnachtszeit. Und wieder ...

Nein, den Hintergrund der Geschichte verschweigt Ihnen "Spiegel- Online". Um ihn zu erfahren, muß man sich schon die kleine Mühe machen, ad fontes zu gehen, was hier das Lokalblättchen der Stadt Oldham bei Manchester ist, der Oldham Evening Chronicle.



Aber eins nach dem anderen. Unter der vom Stil der "Bild- Zeitung" inspirierten Überschrift "VERRAT AN GRUNDSCHULE - Lehrerin leugnet Weihnachtsmann - gefeuert" brachte "Spiegel- Online" am Freitag eine Story, die der Redakteur Oliver Trenkamp im wesentlich aus einer Meldung von Agence France Presse gestrickt hatte, angereichert um eben jene Klischees, wie die Briten so sind. Gleich am Anfang werden wir entsprechend eingestimmt:
Auf Tradition legt kaum ein Volk so viel Wert wie die Briten: Queen, Union-Jack und Pub, da verstehen sie keinen Spaß. Und wie sich zeigt, sind die Empfindlichkeiten besonders ausgeprägt, wenn es um jemanden geht, der noch älter ist als Elisabeth II. - um den Weihnachtsmann.
Und dann erfahren wir, daß in an der Blackshaw Lane- Grundschule in Oldham eine gerade erst eingestellte Vertretungs- Lehrerin den in der Überschrift erwähnten "Verrat" begangen habe: "Sie leugnete die Existenz von Santa Claus".

Die verstörten Kinder erzählten das zu Hause, und von deren Eltern beschwerten sich einige bei der Schulleitung. "Spiegel- Online": "Direktorin Angela McCormick reagierte prompt: Sie bestellte die Santa- Claus- Leugnerin ein, verlangte eine Entschuldigung - und feuerte sie prompt".

Sie sind schon schrullig, die in ihre Traditionen vernarrten Briten, nicht wahr? "Wer sich in Großbritannien mit dem greisen Rauschebart anlegt, hat schlechte Karten", so resümiert der Redakteur Oliver Trenkamp den putzigen Vorfall.



Vielleicht hätte er, statt seine Klischees in die Tastatur fließen zu lassen, lieber mit ein paar Klicks die Quelle der AFP- Meldung aufsuchen sollen, die er verbraten hat. Dort nämlich hätte er erfahren, daß es nicht um den greisen Rauschebart ging, sondern um einen religiös- kulturellen Konflikt.

Die ursprüngliche Meldung erschien im Oldham Evening Chronicle vom 10. Dezember. Der Reporter Richard Hooton stützte sich im wesentlich auf den Bericht eines Vaters:
"My son came home and said that his substitute teacher had told the class that Santa doesn't exist and it's your mum and dad that put out presents for them. (...) He was distraught about it. He's only seven- years- old and it's part of the magic of Christmas to him. We told him that she did not believe in Father Christmas because of her religion and he's fine now. I found it shocking. She has done it maliciously.

Mein Sohn kam heim und sagte, daß seine Vertretungs- Lehrerin der Klasse erzählt hatte, daß es keinen Weihnachtsmann gibt und daß es Mami und Papi sind, die die Geschenke hinlegen. (..) Er war darüber verzweifelt. Er ist erst sieben Jahre alt und es gehört für ihn zum Zauber der Weihnacht. Wir sagten ihm, daß sie wegen ihrer Religion nicht an den Heiligen Nikolaus glaubt, und jetzt geht es ihm wieder gut. Ich fand es schockierend. Sie hat es aus Bosheit getan.
Am vorgestrigen Freitag, nachdem die Sache Kreise gezogen hatte, brachte der Oldham Evening Chronicle einen weiteren Artikel von Hooton, in dem der Hintergrund noch deutlicher genannt wird:
One complainant, a teacher at another school whose grandson was in the class, says the incident has raised issues over teacher training and cultural differences that should not be swept under the carpet.

She said: "The reason she told the children this story is because she is an Asian woman who does not believe in Christmas as she celebrates Eid. As a teacher we have to respect everyone's customs and religion and in this respect it was not done. This teacher has obviously not had the correct type of training. She must have some training to be told that you don't put your beliefs on these children."

Eine von denen, die sich beschwerten, Lehrerin an einer anderen Schule, deren Enkel in der Klasse ist, meint daß der Vorfall Fragen zur Lehrer- Ausbildung und zu kulturellen Verschiedenheiten aufgeworfen hätte, die nicht unter den Teppich gekehrt werden dürften.

Sie sagte: "Sie hat den Kindern deshalb diese Geschichte erzählt, weil sie eine Frau aus Asien ist, die nicht an Weihnachten glaubt; sie feiert ja Eid. Als Lehrer müssen wir die Sitten und die Religion aller respektieren, und in dieser Hinsicht geschah das nicht. Diese Lehrerin ist eindeutig nicht richtig ausgebildet worden. Sie muß ausgebildet werden, damit ihr beigebracht wird, daß es nicht angeht, den Kindern seinen eigenen Glauben aufzudrängen."
Deshalb also waren Eltern der betroffenen Schüler so empört, daß es laut Evening Chronicle "a near riot at the school" gab, fast eine Aufruhr an der Schule, als die Eltern diese aufsuchten.

Nicht schon deswegem, weil die Existenz des "greisen Rauschebarts" von einer Lehrerin geleugnet worden war. Sondern weil diese moslemische Lehrerin den Kindern ihre christliche Glaubenstradition nehmen wollte. Jedenfalls, was den Heiligen Nikolaus und die sich auf ihn beziehenden Traditionen angeht.



"Gefeuert" wurde übrigens die Lehrerin entgegen der Behauptung von "Spiegel- Online" keineswegs. Sie war nicht Angestellte der Schule, sondern der Rochdale and Oldham Supply Agency, einer überörtlichen Agentur, die beim Ausfall von Lehrern den Schulen Vertretungen zur Verfügung stellt. Dort wird sie auch weiter beschäftigt bleiben. Die Blackshaw Lane- Grundschule in Oldham hat lediglich darum gebeten, sie in dieser Schule nicht mehr einzusetzen.

Auch das hätte der Autor der Story in "Spiegel- Online" mit ein paar Klicks aus dem Oldham Evening Chronicle erfahren können.



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