4. März 2008

Marginalie: Erst Steinbrück - jetzt Naumann?

Es gibt in der SPD einen Typ des Genossen, den die Partei vielleicht braucht, den sie aber nicht liebt.

Früher sagte man gern, das seien Leute, denen es am "sozialdemokratischen Stallgeruch" fehlt. Man kann es auch deutlicher sagen: Es fehlt ihnen an der Mischung aus Intriganz, Kumpelhaftigkeit und Bauchgefühl, die zum Umgang miteinander in der SPD gehört wie die allgemeine Duzerei und die Anrede mit "Genosse".

Die ohne diesen Stallgeruch - das sind Leute mit Eigenschaften wie Geradelinigkeit, Sachkenntnis, Intelligenz, Bildung, Gewissenhaftigkeit; nicht selten auch einer gewissen Distanz und Förmlichkeit im sozialen Verhalten.

In den fünfziger Jahren wurde dieser Typus durch den brillanten Juristen Adolf Arndt und den Schöngeist Carlo Schmid repräsentiert; später durch (den in der Partei nie beliebten) Helmut Schmidt und durch Karl Schiller. Auch Hans-Ulrich Klose gehört hierher, der klügste Außenpolitiker der SPD, der es nie ins Kabinett schaffte.

Wenn dieser Typus in der SPD Glück hat, dann wird er nur an den Rand gedrängt wie Klose, oder er wird gar zähneknirschend als Führungsfigur hingenommen, wie es Helmut Schmidt widerfuhr. Wenn er Pech hat, dann trifft ihn irgendwann der Haß der Partei.

So passierte es in den siebziger Jahren Karl Schiller, der zeitweilig aus der SPD getrieben wurde. So ging es kürzlich Wolfgang Clement, einem von zwei aktuellen Vertretern dieses Typus. Der andere ist Peer Steinbrück.



In der kurzen Meldung der "Financial Times Deutschland" (ähnlich ist es anderswo zu lesen) über die gestrige Sitzung des Parteirats der SPD heißt es unter der Überschrift "Parteirat rüffelt Steinbrück" :
Der Vorsitzende des Parteirates, Claus Möller, sagte, dass viele an der Basis "sauer" seien, weil nach der jüngsten Aufbruchstimmung nun der Eindruck entstehe, dass einmütige Vorstandsbeschlüsse von der Spitze nicht geschlossen mitgetragen würden. "Ich will nicht herumreden, dabei ist auch der Name Steinbrück gefallen", sagte Möller. (...) Mehrere Teilnehmer hielten dem Finanzminister illoyales Verhalten vor.
Illoyal - so wurde auch Wolfgang Clement genannt, als er vor Andrea Ypsilanti warnte; wie jetzt jeder sehen kann, zu Recht. "Illoyal" soll jetzt Steinbrück sein, weil er die taktischen Winkelzüge von Ypsilanti und dem Großen Vorsitzenden Beck nicht mitmachen will; weil er offenbar so "illoyal" ist, den vorgesehenen Betrug am Wähler nicht "mitzutragen".



Nobel hat sich bisher der Hamburger Genosse Michael Naumann verhalten, der, statt Beck öffentlich anzugehen, ihm in einem vertraulichen Brief seine Meinung mitgeteilt hat.

Was war die Reaktion? Erst wurde dieser Brief zu Naumanns Entsetzen der Presse zugespielt. Damit ist der Weg frei dafür, daß sich auch gegen ihn die Reaktion einstellt, die Steinbrück gerade im Parteirat getroffen hat.

Heute ist im "Hamburger Abendblatt" ein offener Brief des bisherigen Hamburger Bürgerschafts- Abgeordneten Werner Dobritz abgedruckt, der die Jagd auf Naumann eröffnen dürfte. Darin heißt es:
Ihre Dolchstoßlegende soll Sie vermutlich entlasten für die Wahlniederlage. Vermutlich gibt es auch noch andere Gründe. Die Dolchstoßlegende schadet aber der Hamburger SPD, weil Sie [sic] den notwendigen politischen Klärungsprozess völlig verklärt [sic]. (...)

Die SPD muss sich fragen, wie sie neue Mehrheitsbündnisse für sich ermöglicht. Sie hat ihr Verhältnis zum bürgerlich sozialliberalen Wählerbereich genauso neu zu sortieren wie zum linken Wählerbereich. Ich gebe dem Stellvertretenden Landesvorsitzenden der Grün- Alternativen Liste recht, wenn er feststellt, dass im Fünf-Parteien-System die einfache Rot- Grün- Variante ihre Zeit hinter sich hat.
Ist Ihnen etwas aufgefallen? Der Genosse Dobritz redet den Genossen Naumann mit "Sie" an. In der SPD, wo jedes einfache Mitglied sogar den Bundeskanzler duzt, wenn er von der SPD ist, bedeutet das ungefähr das, was es in der bürgerlichen Welt bedeutet, jemandem nicht mehr die Hand zu geben.

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