14. Februar 2008

Marginalie: Carla Brunis erster Skandal als Mme Sarkozy. Und warum er politisch interessant ist

Auf den ersten Blick erscheint es wie eine dieser immer gleichen Geschichten aus der Intimsphäre von Prominenten, mit denen die Regenbogen- Presse ihre Spalten füllt:

Einer von jenen Prominenten steht vor der Hochzeit, liebt aber noch immer seine Ex, die sich von ihm hat scheiden lassen.

Er schreibt ihr eine SMS: "Komm zurück, dann sage ich alles ab". Die Presse bekommt Wind davon und publiziert diese SMS.

Der Prominente erhebt Verleumdungsklage. Die Presse ruft daraufhin "Zensur! Attacke auf die Pressefreiheit!"

Der Prominenten hat inzwischen geheiratet. Seine Angetraute äußert sich zu der Affäre und verwendet dabei einen hanebüchenen Vergleich.

Jetzt erregt sich die Presse noch mehr: Nicht nur über die gerichtliche Klage des Gatten, sondern auch noch über die Worte der Gattin.

Und damit könnte sich, so sieht es im Augenblick aus, die Presse- Affäre zu einer potentiell politischen Affäre mausern.



Hier die wichtigsten Etappen der Affäre, in der Berichterstattung des Nouvel Observateur und des Express:
  • Am Mittwoch, dem 6. Februar erscheint in der Internet- Ausgabe des Nouvel Observateur eine kurze Meldung; später erfährt man, daß der Redakteur Airy Routier sie verfaßt hat. Darin wird über die SMS berichtet.

  • Tags darauf erstattet Staatschef Sarkozy Anzeige gegen das Blatt; unter anderem wegen Verleumdung.

  • Die Redaktionsversammlung des Nouvel Observateur reagiert darauf am Montag, dem 11. Februar mit einer Erklärung, in der sie sich hinter Airy Routier stellt. Der Präsident "fait fi de la loi de 1881 sur la presse qui fixe les droits et devoirs des journalistes en matière de diffamation publique"; er setze sich über das Presserecht hinweg.

  • Zugleich wird aber innerhalb der Redaktion des Nouvel Observateur debattiert, ob die Veröffentlichung einer derartigen Meldung eigentlich dem Niveau des Blatts entspreche. Am Mittwoch, dem 13. Februar, ringt sich der Herausgeber, Jean Daniel, dazu durch, sich eindeutig von der Meldung zu distanzieren: "Il est vrai (c’est un euphémisme) que c’était loin d’être en conformité avec notre éthique. (...) Si j’avais eu l’information dont Airy Routier a disposé, je me serais empressé de m’en détourner." "Es stimmt (das ist noch ein Euphemismus), daß das weit davon entfernt war, mit unserer Ethik übereinzustimmen. (...) Wenn ich die Information gehabt hätte, über die Airy Routier verfügte, dann hätte ich mich schleunigst davon abgewandt."

  • Parallel dazu distanziert sich die Chefredaktion von dem Artikel: Als Internet- Publikation sei er von dem Redakteur Airy Routier, einem "enquêteur aguerri", einem beinharten investigativen Journalisten also, ohne Kontrolle durch die Chefredaktion gepostet worden. Diese hätte "wahrscheinlich, wenn nicht sogar sicher" entschieden, die Meldung nicht zu bringen.

  • Am selben Tag nimmt die Affäre eine neue Wendung. Carla Bruni gibt dem Konkurrenzblatt des Nouvel Observateur, L'Express ein Interview. Carla Bruni, wohlgemerkt, die jetzige Mme Sarkozy, nicht Cécilia, die Ex- Mme Sarkozy, an die die SMS gerichtet gewesen war. In dem Interview sagt Bruni: "A travers son site Internet, Le Nouvel Observateur a fait son entrée dans la presse people. Si ce genre de sites avait existé pendant la guerre, qu'en aurait-il été des dénonciations de juifs?" Über seine WebSite habe der Nouvel Observateur sich in die Klatschpresse hineinbegeben. "Wenn es während des Kriegs solche Sites gegeben hätte, wie wäre es dann mit der Denunziation von Juden gewesen?"

  • Dieser absurde Vergleich löst, wie man sich denken kann, heftige Reaktionen aus. Der Chefredakteur des Nouvel Observateur, Michel Labro, bezeichnet in einem Interview die Äußerungen von Bruni als "injurieux" und "diffamatoires", als beleidigend und diffamierend. Man spiele nicht mit solchen Behauptungen. Die neue First Lady Frankreichs habe sich in einer Weise geäußert, die "völlig wahnhaft, ganz unglaublich" und "komplett idiotisch" sei ("parfaitement hallucinante, assez incroyable", "parfaitement imbécile")

  • Bruni dämmerte es offenbar im Lauf des Tages, was sie angerichtet hatte. Im Express läßt sie eine Erklärung publizieren, in der es heißt: "Si j'ai pu blesser quelqu'un, j'en suis extrêmement désolée". "Wenn ich jemanden verletzt haben sollte, dann tut mir das außerordentlich leid."


  • Soweit die Faktenlage am heutigen Donnerstag Morgen. Die potentielle Sprengkraft dieser Affäre liegt darin, daß sie eine ganze Reihe von heiklen Punkten berührt:

    Erstens die Würdelosigkeit des Verhaltens von Sarkozy, die viele Franzosen, die Wert auf die Würde der "republikanischen Institutionen" legen, zunehmend empört. Diese Techtelmechtel in der Öffentlichkeit, dann diese groteske heimliche Heirat eines Staatspräsidenten waren schon schlimm genug gewesen. Und nun noch eine Affäre auf dem Niveau der Klatschpresse um eine irgendwie aufgeschnappte peinliche SMS.

    Zweitens geht es um Zensur und Pressefreiheit. Ein Thema, das traditionell in Frankreich eine noch viel größere Rolle spielt als in Deutschland. Die Franzosen sind einerseits stolz auf ihre Pressefreiheit; andererseits wimmelt das Presserecht nur so von teilweise bizarren Vorschriften wie zum Beispiel der, daß kein Foto von jemandem in Handschellen publiziert werden darf.

    Und drittens rührt die Affäre durch die Wende, die sie gestern genommen hat, an das Trauma der Kollaboration, vor allem bei der Judenverfolgung durch die Nazis. Die Franzosen haben sich nach dem Krieg lange Zeit im Glanz der Résistance gesonnt und so getan, als seien sie unter der Nazi- Besatzung ein Volk von Widerstandskämpfern gewesen. Tatsächlich haben aber - was erst in den vergangenen beiden Jahrzehnten allmählich thematisiert wurde - Kollaborateure eine wesentliche Rolle bei der "Erfassung" und Deportation der Juden in Frankreich gespielt.



    Ob die Affäre sich zu einer handfesten Skandal entwickelt oder noch im Keim erstickt werden kann, ist derzeit noch offen. Daß Nicolas Sarkozy, der vor einem dreiviertel Jahr noch ein politischer Star war, aus ihr unbeschädigt hervorgeht, ist unwahrscheinlich.

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