10. Februar 2008

Marginalie: Neoliberal? Allemal!

In der Auseinandersetzung zwischen der politischen Linken und der Rechten gibt es einen bemerkenswerten semantischen Unterschied:

Rechte nennen die Linken im Allgemeinen so, wie diese sich selbst bezeichnen - Sozialisten, Kommunisten, Grüne.

Linke nennen aber in der Regel Rechte nicht mit den Bezeichnungen, die sie sich selbst geben, also - in Europa - Liberale und Konservative. Sondern sie belegen sie sehr häufig mit Namen, die einen herabsetzenden Charakter haben.

Sie nennen sie zum Beispiel Neokonservative. Sie nennen sie zum Beispiel Neoliberale. Sie haben es im Deutschen sogar hinbekommen, dem eigentlich neutralen (in fast allen anderen Sprachen auch immer noch neutralen) Wort "Rechte" selbst eine negative Konnotation zu verleihen, indem sie es in die Nähe von "Rechtsextreme" rückten. So, als sei irgend etwas verwerflich daran, politisch rechts zu stehen. Der Kampf "gegen Rechts" wird staatlich gefördert. Warum dann nicht auch der "gegen Links"?

"Rechte", "Neokonservative", "Neoliberale" - das sind Namen, die zugleich bezeichnen und negativ kennzeichnen sollen. Gefärbte, semantisch aufgeladene Bezeichnungen.

Damit hat die Linke schon immer gearbeitet. Die Namen wechseln, aber ihre Funktion hat sich seit der Zeit Lenins nicht geändert. Mit Kampfbegriffen ("Kalte Krieger", "Multis", "Heuschrecken", "gierige Manager") Agitprop zu betreiben, gehört in der Linken zum Standard. Nicht nur in der Linken, die durch Gregor Gysi und durch Lothar Bisky repräsentiert wird. Sondern leider auch in derjenigen, für die Namen wie Franz Müntefering und Andrea Nahles stehen.



Neben dem Klassiker "Kapitalismus", "Kapitalisten", "Büttel des Kapitals" usw., der heute kaum noch verwendet wird (vermutlich, weil die damit Bezeichneten den Spieß umgedreht haben und sich oft selbst fröhlich und unbefangen zum Kapitalismus bekennen), ist der zweite sozusagen altehrwürdige Begriff dieser Art "Imperialismus". Er geht auf Lenins Imperialismus- Theorie zurück, wonach der Kapitalismus sich zwangsläufig über die nationalen Grenzen heraus immer neue Märkte erschließen müsse, um nicht unterzugehen.

Als die klassischen kolonialen Imperien verschwanden, wurde diesem Wort ein "Neo" angehängt: "Neo- Imperialisten", die neuen Imperialisten, das sollten nun diejenigen sein, die zwar kein koloniales Imperium mehr haben, denen die Propagandisten aber ein sozusagen virtuelles Imperium vorwerfen wollten; in Gestalt von Kapital- Investitition, von multinationalen Konzernen, von Terms of Trade, die nach der Behauptung dieser Agitprop nicht dem fairen Handel, sondern der Ausbeutung dienten.

Dieses Wort "Neo- Imperialismus" (oder auch "Neo- Kolonialismus") war ein solcher Propaganda- Erfolg, daß mit der Zeit schon die unschuldige Vorsilbe "Neo-" eine negative Konnotation bekam. Ein interessanter Fall von Bedeutungs- Übertragung durch Assoziation, Linguisten nicht unbekannt.

Das machte es leicht, den Begriff "neokonservativ" negativ zu besetzen. Vor dem geistigen Auge vieler deutscher Medien- Konsumenten dürften eifernde Fundamentalisten erscheinen, wenn sie dieses Wort hören oder lesen. (Daß die Neocons, viele von ihnen jüdisch- säkulare Intellektuelle, mit wiedergeborenen Christen aus dem mittleren Westen der USA ungefähr so viel gemeinsam haben wie ein Marabu mit einem Mastino - wenn interessiert's?).

Und so, wie man durch das vorangestellte "Neo" aus Konservativen ein Schreckgespenst machen konnte, so gelang das auch mit "neoliberal".

Nicht, daß diese Bezeichnungen von den Gegnern der betreffenden Richtungen erfunden worden wären. Deren Vertreter selbst haben sie verwendet und verwenden sie; dazu gleich mehr. Aber in der öffentlichen Wahrnehmung ist es, dank sehr erfolgreicher linker Propaganda, mittlerweile ein nachgerade vernichtendes Urteil, jemanden als einen Neoliberalen oder eine Ansicht als neoliberal zu bezeichnen. Wie es Christian Reiermann treffend formuliert hat:
Was der DDR früher der Klassenfeind ist dem sozial Empfindsamen heute der Neoliberale. Das Wort ist ein politischer Kampfbegriff, er dient vor allem der Diffamierung des politischen Gegners, gleichgültig ob innerhalb oder außerhalb der eigenen Partei.(...)

Als neoliberal gelten hierzulande generell Leute, die sich mit dem Rüstzeug der Ökonomie den Problemen der Wirklichkeit stellen und dabei auch noch Sympathie für das Wirken von Märkten erkennen lassen oder die Globalisierung für eine gute Sache halten. Das tut man nicht, das zeugt von Kälte, geistiger, emotionaler, moralischer sowieso.
Reiermann schrieb das am Freitag an einem Ort, wo man so klare Einsichten nicht gewohnt ist, nämlich in "Spiegel Online". Aber gemach, er arbeitet dort nicht. Er ist Redakteur in der Wirtschafts- Redaktion des gedruckten "Spiegel"; und zwar in deren Berliner Dependance, wo - dank Gabor Steingart - die deutlich kompetenteren Leute sitzen als in der Hamburger Zentrale.

Reiermann weist auf das hin, was jeder weiß, der sich auch nur die Mühe gemacht hat, den Artikel "Neoliberalismus" in der Wikipedia zu lesen: Eine der Spielarten des Neoliberalismus ist die Lehre der Freiburger Ordoliberalen, aus der - formuliert zum Beispiel durch Ludwig Erhards Staatssekretär, den Ordoliberalen Alfred Müller- Armack - die Soziale Marktwirtschaft hervorging. Es ist also einigermaßen putzig, wenn heutzutage Politiker sich hochrecken, um die Soziale Marktwirtschaft "gegen den Neoliberalismus" zu verteidigen.



Reiermann ist allerdings einseitig und polemisch, wenn er "den Neoliberalen" den Ruf nach einem starken Staat andichtet. Das gilt allenfalls für die Freiburger Ordoliberalen; sicher nicht für die heute viel einflußreichere Schule von Chicago. Ein starker Staat war so ungefähr das Letzte, was Milton Friedman für wünschenswert hielt.

Aber auch diese amerikanische Spielart des Neoliberalismus ist ja nichts, dessen man sich zu schämen brauchte. Womit ich bei der Frage bin, wie man als Liberaler, als Konservativer mit der Propaganda- Technik umgeht, derartige Begriffe negativ zu besetzen.

Sollte man es deshalb vermeiden, sich als neokonservativ, sich als neoliberal zu bezeichnen? Ich halte das für ganz falsch. So, wie ich es für falsch halte, den Begriff Zionismus lieber nicht zu verwenden, weil Antisemiten erfolgreich versuchen, ihn negativ zu besetzen ("Ich bin kein Antisemit, nur Antizionist"; so in dieser Art)

Meines Erachtens hilft nur der Gegenangriff. Nennen wir Neoliberale uns doch neoliberal. Machen wir es so wie die Schwulen, die dieses als beleidigend gedachte Wort einfach übernommen und ins Positive gewendet haben.

Neoliberal? Allemal!

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