15. Februar 2008

Fußball und Theaterdarbietungen. Spielerische Gedanken

Man kann es so sehen, daß die Schauspielerei zum Fußball gehört wie, sagen wir, die Tischdeko zu einem guten Essen. Eigentlich überflüssig oder vielleicht sogar ärgerlich. Aber nun mal da, und ohne das würde irgendwie etwas fehlen.

Man kann aber auch finden, daß Fußballspiele durch fußballerische und nicht durch komödiantische Leistungen entschieden werden sollen. Was leicht gesagt ist, aber schwer in die Tat umgesetzt.

Zwar verbietet das Regelwerk des DFB (Regel 12 – Verbotenes Spiel und unsportliches Betragen) Schwalben und ähnliches Getier. Nur, wie erkennt der Schiedsrichter sie? Dazu schreibt der Schiedsrichter Volker Roth in der "Schiedsrichter- Zeitung":
Die Bewertung als Foul, "Schwalbe" oder auch keines von beiden ist bekanntlich aufgrund der schauspielerischen Fähigkeiten einzelner Profis und des schnellen Ablaufs der Situation in der Realität (nicht in der Zeitlupe!) für jeden Schiedsrichter eine ganz schwierige Aufgabe. So kommt es dann teilweise dazu, daß sich einzelne Schiedsrichter im Zweifelsfall weder für Foul noch für "Schwalbe" entscheiden, sondern weiterspielen lassen.
Was bedeutet, daß der foulende Spieler straffrei ausgeht. Oder der schauspielernde. Oder auch beide.

Ja, oder auch beide. Denn mir scheint, daß - wenn ich es richtig sehe, im Wortsinn - sehr oft die Frage gar nicht ist, ob ein Foul oder eine Schwalbe vorliegt; ob allgemein ein Foul oder Schauspielerei.

Sondern auch dann, wenn ein Spieler tatsächlich gefoult wird, trägt er gern das Seinige dazu bei, daß dies den Zuschauern, daß dem Schiedsrichter und seinen Assistenten nicht entgeht.

Und das macht es, so will es mir scheinen, den Schiedsrichtern so schwer, eine richtige Entscheidung zu treffen. Sie müssen nicht entscheiden, ob nur Schauspielerei oder nur ein Foul vorlag. Sondern sie müssen herausfinden, ob hinter der Schauspielerei ein Foul steckte oder das reine Nichts.



Ein Beispiel ist das, was typischerweise passiert, wenn ein Spieler, mit welchen Mitteln auch immer, zu Fall gebracht wird: Dann rollt er auf dem Rasen herum, als habe man ihm einen Kreisel eingebaut.

Haben Sie schon mal jemanden, der umgestoßen wird, so rollen sehen? Haben Sie, als Sie als Kind Fußball gespielt haben, gesehen, daß ein umgestoßener Spieler so rollte?

Nein, das glaube ich nicht. Der Spieler rollt - ob Foul oder nicht - aktiv, durch Betätigung seiner Muskulatur, auf dem Rasen herum. Er tut das, weil erst dadurch der Akt des Gegenspielers die nötige Dramatik, die nötige Verwerflichkeit bekommt. Der Spieler benimmt sich wie ein Kind, das nach einer leichten Ohrfeige in ein schreckliches Geschluchze ausbricht.

Ebenso ist es, wenn jemandem durch einen Tritt, mittels des Ellenbogens oder einfach durch das Fallen Schmerzen zugefügt werden. Ob es nun wirklich wehgtan hatte, oder ob er nur so tut - er krümmt sich, zieht das Bein an, verzerrt das Gesicht, bietet ein Bild menschlichen Leids, als stünde er kurz vor dem Exitus.

So machen es die meisten Spieler. Und sie haben vermutlich unter dem jetzigen Regelwerk gar keine Wahl.

Denn wenn ein gefoulter Spieler, umgestoßen, schlicht hinfallen würde; wenn er wie Winnetou keine Miene verziehen würde, wenn man ihm den Ellenbogen ins Gesicht rammt; wenn er sich nach einem Foul kurz schütteln und weiterspielen würde - dann liefe der Betreffende Gefahr, daß man ihn ständig ungestraft foult.

So sehr haben sich die Schiedsrichter, haben sich auch die Zuschauer daran gewöhnt, auch was Ordentliches zu sehen zu bekommen, wenn ein Foul verübt wurde.



Mir sind diese Gedanken vorgestern beim Ansehen des Spiels Werder Bremen gegen Sporting Braga durch den Kopf gegangen.

Da gab es zum Beispiel eine Situation, in der der Spieler Pablo Contreras mit einem Bremer Spieler eine Rangelei hatte. Anschließend ging Contreras einen Schritt - und fiel eindrucksvoll zu Boden. Vielleicht war er wirklich gefoult worden; aber die Gesetze der Physik sehen es nicht vor, daß ein Stoß die mechanische Wirkung hätte haben können, die uns Contreras zeigte.

Und dann war da die im Anschluß an das Spiel ausgiebig diskutierte Szene, die zu dem zweiten Elfmeter führte. Torwart Wiese hatte sich todesmutig dem frei mit dem Ball heranstürmenden Matheus entgegengeworfen. Dieser lag auf ihm, kam dann hoch - und riß sodann die Hände in den dunklen Bremer Himmel, in großem Bogen zu Boden fallend.

War es eine "Schwalbe"? Es war das mit Gewißheit in dem Sinn, daß es nicht die Kraft des liegenden Torwarts Wiese gewesen sein konnte, die Matheus fliegen ließ.

War es ein Foul? Das ist eine ganz andere Frage. Gut möglich, daß Wieses Aktion nicht nur dem Ball galt, sondern daß er schon einkalkulierte, Matheus zu Fall zu bringen, und das auch getan hat

Nur konnte er damit nicht die Flugbahn bewirkt haben, die anschließend der Körper von Matheus zurücklegte.



So weit meine Eindrücke eines Laien. Das wollte ich nur mal, als des Fußballs unkundiger, ihn gleichwohl genießende Konsument, angemerkt haben.

Und dann ist mir noch was eingefallen, beim Zugucken. Nein, kein ernstgemeinter Vorschlag, aber doch ein kleiner Gedanke, den ich gern zu Protokoll geben möchte:

Wie wäre es denn, wenn das Regelwerk so geändert werden würde, daß Schauspielerei jedes Foul aufhebt? Daß dann also stets nur der Schauspieler bestraft wird, unabhängig davon, ob er auf ein tatsächliches Foul reagiert hat?

Das würde jedenfalls den Schiris die Arbeit sehr erleichtern. Denn die schauspielerische Komponente - das Rollen, das Hochreißen der Arme, die physikalisch unmögliche Flugbahn usw. - ist ja relativ leicht zu diagnostizieren. Schwer ist es im Augenblick nur, zu entscheiden, ob nicht doch ein Foul vorlag, das durch die Theatralik nur sozusagen unterstrichen werden sollte.

Eine solche Regeländerung - wer schauspielert, hat automatisch Unrecht - würde den stillen, den knorrigen, den verschlossenen Spielern zugutekommen, die sich mit der Theatralik immer schwertun. Sie würde den Fußball gerechter machen in dem Sinn, daß eher siegt, wer besser spielt.

Wer besser Fußball spielt. Freilich ist der Fußball ja auch Show. Gut möglich, daß wir ein durch und durch ehrliches, ein von aller Schauspielerei befreites Spiel doch a bisserl dürftig finden würden.

Sagen wir, wie ein kulianrisches Essen, serviert im Speisesaal einer Kaserne.

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