Im Juli 1995 machten wir Urlaub in Brandenburg. Beim Rundgang durch Potsdam entdeckten wir das Plakat für eine Ausstellung: "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944". Ich hatte davon nichts gehört, aber das Thema schien uns einen Besuch wert.
Als wir die Ausstellung verließen, sagte ich zu meiner Frau: Es ist deprimierend, daß fünf Jahr nach der Wiedervereinigung die DDR- Kommunisten immer noch eine solche Propaganda- Ausstellung machen können.
Als ich später das Ausstellungs- Material, das wir mitgenommen hatten, genauer in Augenschein nahm, entdeckte ich, daß es sich nicht um eine in Potsdam konzipierte Ausstellung gehandelt hatte, sondern um eine Wanderausstellung, die im Westen eingerichtet worden war. Von keiner geringeren Institution als dem Hamburger "Institut für Sozialforschung" des von mir sehr geschätzten Jan Philipp Reemtsma.
Die öffentliche Auseinandersetzung über diese Ausstellung, die dann meist kurz "die Wehrmachts- Ausstellung" genannt wurde, stand damals noch bevor. Sie konzentrierte sich auf die dort gezeigten Bilder aus dem Zweiten Weltkrieg, ihre Zuordnung, die kommentierenden Texte über die Wehrmacht.
Diese hatte ich zwar sehr dürftig gefunden. Man erfuhr fast nichts darüber, welche der dokumentierten Verbrechen unter welchen Umständen von wem begangen worden waren. Der Informationswert der Ausstellung war minimal.
Aber was mich viel mehr störte und was mein Urteil, daß das Propaganda war, begründete, das war etwas anderes:
Neben den Räumen, in denen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg dokumentiert wurden, gab es einen Raum, in dem ganz andere Dokumente ausgestellt wurden: Auf einer Tafel zum Beispiel eine Passage aus einem Buch von Ernst Jünger. Illustrierte aus der Bundesrepublik der fünfziger Jahre. Aussagen von Politikern der Bundesrepublik aus dieser Zeit.
Was hatte das mit Verbrechen im Zweiten Weltkrieg zu tun? Natürlich nichts.
Aber die propagandistische Absicht war offensichtlich: Es sollte der Eindruck erweckt werden, daß diese Verbrechen in einer historischen Kontinuität lagen, die in der Bundesrepublik ihre Fortsetzung gefunden hatte. Die "BRD" als derjenige "deutsche Staat", in dem der "Ungeist des Faschismus" nach 1945 weiter herrschte. Das war die message dieses Teils der Ausstellung.
Später habe ich dann nachgesehen, wer der Hauptverantwortliche für diese Ausstellung war: Hannes Heer, ein Mann mit kommunistischer Vergangenheit (und, nebenbei, offenbar auch kommunistischer Gegenwart).
Diese Erinnerung ging mir durch den Kopf, als ich gestern Abend den ersten Teil der Sendung "Die RAF" von Stefan Aust und Helmar Büchel gesehen habe.
Die Chronologie begann mit dem 2. Juni 1967; dem Tag, an dem Benno Ohnesorg von dem Polizisten Kurras erschossen wurde. Man sah Aufnahmen von einer Versammlung von Studenten noch am gleichen Abend, und dann zwei Statements:
Im Grunde habe man immer in einem halbfaschistischen Staat gelebt, und jetzt werde der Faschismus wiedererstehen.
Es sei denn, man wehre sich dagegen mit der Waffe in der Hand. Der Schuß auf Benno Ohnesorg sozusagen als der erste Schuß eines Bürgerkriegs, dem man sich jetzt stellen müsse, nolens volens.
In Deutschland regierte in dem Jahr, in dem Benno Ohnesorg starb, eine Koalition aus Union und SPD, so wie heute.
Der Vizekanzler und Außenminister dieser Koalition war Willy Brandt, der von Norwegen aus gegen die Nazis gekämpft hatte. Ihr Minister für Gesamtdeutsche Fragen war Herbert Wehner, der bei dem Versuch, von Schweden aus den kommunistischen Widerstand in Deutschland zu unterstützen, interniert worden war.
Berlins Regierender Bürgermeister war damals Heinrich Albertz, der unter den Nazis der "Bekennenden Kirche" angehört hatte und der deshalb mehrfach verhaftet worden war.
Es gab in dieser Bundesrepublik von 1967 eine funktionierende Demokratie mit einer unabhängigen Justiz. Es gab keine Gestapo oder Stasi, keine Staatspartei, keine "Massenorganisationen". Es gab keine Blockwarte. Niemand wurde wegen seiner demokratischen oder auch sozialistischen Gesinnung verfolgt. Diese Bundesrepublik war in ein freiheitliches Bündis integriert und betrieb eine ausgesprochen unaggressive Außenpolitik.
Dennoch sahen diese Studenten in ihr einen halbfaschistischen Staat, sahen sie den Faschismus heraufziehen.
Eine weitere persönliche Erinnerung:
Anfang der fünfziger Jahre hatten wir Besuch aus der DDR. Ein paar Wochen lang wohnte bei uns eine Bekannte meiner Eltern, die eine engagierte Nationalsozialistin gewesen war und die sich zu einer ebenso engagierten Kommunistin gemausert hatte.
Sie trübte unsere Freude an ihrem Besuch dadurch, daß sie ständig die politische Auseinandersetzung suchte. Ihr Standardatz lautete: Diesmal stehe ich auf der richtigen Seite; die DDR ist das bessere Deutschland.
Nachzuweisen, daß die DDR das bessere Deutschland war - das war in der Tat nicht nur ein Ziel der DDR-Propaganda, sondern der Glaube daran war sozusagen das Lebenselixier der DDR.
Denn sie hatte ja, wie in den Jahren nach 1949 schnell klar wurde, sonst wenig zu bieten. Die Bundesrepublik zog ihr in fast jeder Hinsicht davon.
Die DDR-Propaganda brauchte also unbedingt Felder, auf denen sie ihren Teil Deutschlands als überlegen darstellen konnte und auf denen sie spiegelbildlich die Bundesrepublik in schwarzen Farben malen konnte. Diese beiden Felder waren Faschismus / Antifaschismus und Friedens- / Kriegspolitik.
Die gesamte DDR-Propaganda war auf diese beide Punkte konzentriert: Die Bundesrepublik wurde als ein nach innen immer noch halbfaschistischer und nach außen aggressiver Staat hingestellt.
"Kalte Krieger", "Revanchisten" und "Imperialisten" bestimmten angeblich dessen Außenpolitik, während die "diesselben Kreise, die den Faschismus unterstützt hatten", noch immer im Inneren die Macht hätten. Also die "Schlotbarone", die "aggressivsten Kreise des Kapitals".
Die Bundeswehr wurde als eine neuerstandene Wehrmacht verunglimpft. Die - Mitte der sechziger Jahre aktuellen - Notstandsgesetze wurde als eine Art neues Ermächtigungsgesetz dargestellt.
Aus heutiger Sicht erscheint diese Propaganda derart überzogen, daß man denken sollte, sie hätte wirkungslos bleiben müssen. Aber das Gegenteil war der Fall: Sie fiel auf fruchtbaren Boden.
Nicht nur Linksextreme, sondern viele Linke, ja viele Liberale sahen ihr Land im Grunde - wenn auch abgestuft - ähnlich verzerrt, wie es die DDR-Propaganda zeichnete.
Warum? Das ist eine Frage für Historiker, die mir noch lange nicht befriedigend beantwortet zu sein scheint. Ich möchte nur auf einen Aspekt aufmerksam machen, der mir bei der Beschäftigung mit der RAF-Geschichte deutlich geworden ist:
Da fand - nicht nur, aber auch - so etwas statt wie ein Nachspielen der NS-Zeit.
Klaus Rainer Röhl hat in der gestrigen Sendung wieder einmal von der "Sophie-Scholl-Frisur" von Ulrike Meinhof gesprochen, als er sie kennenlernte. Mehr als nur eine Äußerlichkeit, deutete er an. Sie habe sich wohl auch in dieser Nachfolge gesehen.
In der Tat: Viele aus dieser Generation warfen es ihren Vätern und Müttern vor, in der Nazi-Zeit versagt zu haben. Jetzt, eine Generation später, wollten sie es besser machen.
Sie wollten diesmal die selbstlosen Kämpfer und aufrechten Widerständler sein, die ihre Eltern in ihren Augen nicht gewesen waren.
Da kam ihnen die Wahnvorstellung von einem heraufziehenden Faschismus, so darf man vermuten, nur allzu gut zupaß. Sie brauchten, wie Don Quijote, gewissermaßen das eingebildete Böse, um daran ihren Edelmut zu erproben. Und deshalb mögen sie so bereitwillig auf die Propaganda der DDR hereingefallen sein.
Als wir die Ausstellung verließen, sagte ich zu meiner Frau: Es ist deprimierend, daß fünf Jahr nach der Wiedervereinigung die DDR- Kommunisten immer noch eine solche Propaganda- Ausstellung machen können.
Als ich später das Ausstellungs- Material, das wir mitgenommen hatten, genauer in Augenschein nahm, entdeckte ich, daß es sich nicht um eine in Potsdam konzipierte Ausstellung gehandelt hatte, sondern um eine Wanderausstellung, die im Westen eingerichtet worden war. Von keiner geringeren Institution als dem Hamburger "Institut für Sozialforschung" des von mir sehr geschätzten Jan Philipp Reemtsma.
Die öffentliche Auseinandersetzung über diese Ausstellung, die dann meist kurz "die Wehrmachts- Ausstellung" genannt wurde, stand damals noch bevor. Sie konzentrierte sich auf die dort gezeigten Bilder aus dem Zweiten Weltkrieg, ihre Zuordnung, die kommentierenden Texte über die Wehrmacht.
Diese hatte ich zwar sehr dürftig gefunden. Man erfuhr fast nichts darüber, welche der dokumentierten Verbrechen unter welchen Umständen von wem begangen worden waren. Der Informationswert der Ausstellung war minimal.
Aber was mich viel mehr störte und was mein Urteil, daß das Propaganda war, begründete, das war etwas anderes:
Neben den Räumen, in denen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg dokumentiert wurden, gab es einen Raum, in dem ganz andere Dokumente ausgestellt wurden: Auf einer Tafel zum Beispiel eine Passage aus einem Buch von Ernst Jünger. Illustrierte aus der Bundesrepublik der fünfziger Jahre. Aussagen von Politikern der Bundesrepublik aus dieser Zeit.
Was hatte das mit Verbrechen im Zweiten Weltkrieg zu tun? Natürlich nichts.
Aber die propagandistische Absicht war offensichtlich: Es sollte der Eindruck erweckt werden, daß diese Verbrechen in einer historischen Kontinuität lagen, die in der Bundesrepublik ihre Fortsetzung gefunden hatte. Die "BRD" als derjenige "deutsche Staat", in dem der "Ungeist des Faschismus" nach 1945 weiter herrschte. Das war die message dieses Teils der Ausstellung.
Später habe ich dann nachgesehen, wer der Hauptverantwortliche für diese Ausstellung war: Hannes Heer, ein Mann mit kommunistischer Vergangenheit (und, nebenbei, offenbar auch kommunistischer Gegenwart).
Diese Erinnerung ging mir durch den Kopf, als ich gestern Abend den ersten Teil der Sendung "Die RAF" von Stefan Aust und Helmar Büchel gesehen habe.
Die Chronologie begann mit dem 2. Juni 1967; dem Tag, an dem Benno Ohnesorg von dem Polizisten Kurras erschossen wurde. Man sah Aufnahmen von einer Versammlung von Studenten noch am gleichen Abend, und dann zwei Statements:
Eine Reaktion, die sich ähnlich auch bei Ulrike Meinhof fand. Eine Reaktion, die damals bei linken Studenten weit verbreitet war:
Michael ("Bommi") Baumann: "Gudrun, die dann plötzlich anfing, hat gesagt: 'Die werden immer Faschisten bleiben. Diesmal werden sie uns umbringen.'"
Tilman Fichter: "Und ich sagte dann: 'Wir müssen uns sofort bewaffnen, weil sonst machen die uns alle'".
Im Grunde habe man immer in einem halbfaschistischen Staat gelebt, und jetzt werde der Faschismus wiedererstehen.
Es sei denn, man wehre sich dagegen mit der Waffe in der Hand. Der Schuß auf Benno Ohnesorg sozusagen als der erste Schuß eines Bürgerkriegs, dem man sich jetzt stellen müsse, nolens volens.
In Deutschland regierte in dem Jahr, in dem Benno Ohnesorg starb, eine Koalition aus Union und SPD, so wie heute.
Der Vizekanzler und Außenminister dieser Koalition war Willy Brandt, der von Norwegen aus gegen die Nazis gekämpft hatte. Ihr Minister für Gesamtdeutsche Fragen war Herbert Wehner, der bei dem Versuch, von Schweden aus den kommunistischen Widerstand in Deutschland zu unterstützen, interniert worden war.
Berlins Regierender Bürgermeister war damals Heinrich Albertz, der unter den Nazis der "Bekennenden Kirche" angehört hatte und der deshalb mehrfach verhaftet worden war.
Es gab in dieser Bundesrepublik von 1967 eine funktionierende Demokratie mit einer unabhängigen Justiz. Es gab keine Gestapo oder Stasi, keine Staatspartei, keine "Massenorganisationen". Es gab keine Blockwarte. Niemand wurde wegen seiner demokratischen oder auch sozialistischen Gesinnung verfolgt. Diese Bundesrepublik war in ein freiheitliches Bündis integriert und betrieb eine ausgesprochen unaggressive Außenpolitik.
Dennoch sahen diese Studenten in ihr einen halbfaschistischen Staat, sahen sie den Faschismus heraufziehen.
Eine weitere persönliche Erinnerung:
Anfang der fünfziger Jahre hatten wir Besuch aus der DDR. Ein paar Wochen lang wohnte bei uns eine Bekannte meiner Eltern, die eine engagierte Nationalsozialistin gewesen war und die sich zu einer ebenso engagierten Kommunistin gemausert hatte.
Sie trübte unsere Freude an ihrem Besuch dadurch, daß sie ständig die politische Auseinandersetzung suchte. Ihr Standardatz lautete: Diesmal stehe ich auf der richtigen Seite; die DDR ist das bessere Deutschland.
Nachzuweisen, daß die DDR das bessere Deutschland war - das war in der Tat nicht nur ein Ziel der DDR-Propaganda, sondern der Glaube daran war sozusagen das Lebenselixier der DDR.
Denn sie hatte ja, wie in den Jahren nach 1949 schnell klar wurde, sonst wenig zu bieten. Die Bundesrepublik zog ihr in fast jeder Hinsicht davon.
Die DDR-Propaganda brauchte also unbedingt Felder, auf denen sie ihren Teil Deutschlands als überlegen darstellen konnte und auf denen sie spiegelbildlich die Bundesrepublik in schwarzen Farben malen konnte. Diese beiden Felder waren Faschismus / Antifaschismus und Friedens- / Kriegspolitik.
Die gesamte DDR-Propaganda war auf diese beide Punkte konzentriert: Die Bundesrepublik wurde als ein nach innen immer noch halbfaschistischer und nach außen aggressiver Staat hingestellt.
"Kalte Krieger", "Revanchisten" und "Imperialisten" bestimmten angeblich dessen Außenpolitik, während die "diesselben Kreise, die den Faschismus unterstützt hatten", noch immer im Inneren die Macht hätten. Also die "Schlotbarone", die "aggressivsten Kreise des Kapitals".
Die Bundeswehr wurde als eine neuerstandene Wehrmacht verunglimpft. Die - Mitte der sechziger Jahre aktuellen - Notstandsgesetze wurde als eine Art neues Ermächtigungsgesetz dargestellt.
Aus heutiger Sicht erscheint diese Propaganda derart überzogen, daß man denken sollte, sie hätte wirkungslos bleiben müssen. Aber das Gegenteil war der Fall: Sie fiel auf fruchtbaren Boden.
Nicht nur Linksextreme, sondern viele Linke, ja viele Liberale sahen ihr Land im Grunde - wenn auch abgestuft - ähnlich verzerrt, wie es die DDR-Propaganda zeichnete.
Warum? Das ist eine Frage für Historiker, die mir noch lange nicht befriedigend beantwortet zu sein scheint. Ich möchte nur auf einen Aspekt aufmerksam machen, der mir bei der Beschäftigung mit der RAF-Geschichte deutlich geworden ist:
Da fand - nicht nur, aber auch - so etwas statt wie ein Nachspielen der NS-Zeit.
Klaus Rainer Röhl hat in der gestrigen Sendung wieder einmal von der "Sophie-Scholl-Frisur" von Ulrike Meinhof gesprochen, als er sie kennenlernte. Mehr als nur eine Äußerlichkeit, deutete er an. Sie habe sich wohl auch in dieser Nachfolge gesehen.
In der Tat: Viele aus dieser Generation warfen es ihren Vätern und Müttern vor, in der Nazi-Zeit versagt zu haben. Jetzt, eine Generation später, wollten sie es besser machen.
Sie wollten diesmal die selbstlosen Kämpfer und aufrechten Widerständler sein, die ihre Eltern in ihren Augen nicht gewesen waren.
Da kam ihnen die Wahnvorstellung von einem heraufziehenden Faschismus, so darf man vermuten, nur allzu gut zupaß. Sie brauchten, wie Don Quijote, gewissermaßen das eingebildete Böse, um daran ihren Edelmut zu erproben. Und deshalb mögen sie so bereitwillig auf die Propaganda der DDR hereingefallen sein.
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