21. September 2007

Marginalie: Sarkozy der Kannibale

Eben habe ich den neuen "Nouvel Observateur" aus dem Briefkasten geholt - und bin doch sozusagen ein wenig zurückgeprallt, als ich die breit über dem Foto eines schamanenhaft blickenden Nicolas Sarkozy stehende Titelzeile las: "Le président cannibale".

Was Hervé Algalarrondo, altgedienter Pariser Journalist und stellvertretender Politik- Chef des Obs, da schreibt, das läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Der Präsident kannibalisiere sein Kabinett, indem er alle Kompetenzen an sich reiße:

"Tous des nuls; sauf moi. Si Sarkozy fait tout; c'est bien entendu parce qu'il sait tout faire mieux que tout le monde." Alles Nullen, außer mir. Wenn Sarkozy alles macht, dann selbstverständlich deshalb, weil er alles besser kann als alle anderen. Frankreich habe heute zwei Premierminister, zwei Wirtschaftsminister, zwei Innenminister ...

Ebenso springe Sarkozy mit seinen ausländischen Partnern um; etwa mit dem ihm eigentlich gewogenen Jean-Claude Juncker.

Und Angela Merkel? Dazu Algalarrondo:
Qu'il traite (presque) Angela Merkel comme il traite François Fillon laisse pantois. Déjà; manifestement; dans sa tête de roi de France; se rêverait-il aussi empereur d'Europe ?

Daß er Angela Merkel (beinahe) wie François Fillon behandelt, verschlägt einem die Sprache. Schon jetzt; eindeutig; in seinem Kopf, dem eines französischen Königs; träumt er schon davon, der Kaiser Europas zu sein?
François Fillon ist Sarkozys Premierminister, den er - schreibt Carole Barjon in einem anderen Artikel im aktuellen Obs - herablassend als "meinen Mitarbeiter" bezeichnet und den er so kujoniert hat, daß der Obs bereits von einer fêlure spricht, einem Bruch zwischen den beiden.

Später im Artikel schließt Algalarrondo an das Porträt an, das die Schriftstellerin Yasmin Reza von Sarkozy entworfen hatte:
Depuis son accession à l'Elysée, Nicolas Sarkozy paraît touché par le syndrome de l'enfant-roi : je suis le plus beau, le plus fort, j'ai le droit de m'amuser avec tous les jouets, y compris ceux des autres. Le cannibalisme est la maladie infantile du sarkozysme.

Seit er ins Elysée [das Palais des Präsidenten] eingezogen ist, scheint Nicolas Sarkozy vom Das- Kind- als- König- Syndrom befallen zu sein: Ich bin der Schönste, der Stärkste, ich darf mich mit jedem Spielzeug vergnügen, auch dem, das anderen gehört. Der Kannibalismus ist die Kinderkrankheit des Sarkozysmus.


Yasmina Reza, die Schriftstellerin und Bühnenautorin, hatte Sarkozy während des Wahlkampfs begleitet und darüber ein Buch geschrieben, in dem sie ihn - nicht ohne Sympathie - als einen kindlichen Menschen schildert, wenn auch ein sehr charmantes Wunderkind.

Ich habe den Eindruck, daß die Franzosen sich die Augen reiben, schon zum zweiten Mal in kurzer Folge:
  • In den vergangenen Jahren und dann vor allem im Wahlkampf hatten viele Sarkozy als einen finsteren Law- and- Order- Mann gesehen.

  • Dann waren sie angenehm überrascht, als sie einen modernen Präsidenten bekamen, voller Reformeifer, zuerst scheinbar Erfolg an Erfolg reihend.

  • Und jetzt erschrecken sie zunehmend über diesen Hans- Dampf- in- allen- Gassen, diesen Irrwisch, diesen Egomanen, diesen hyperaktiven Macher.


  • Im April habe ich geschrieben, daß Sarkozy mich an Louis de Funès erinnert. Inzwischen hat sich dieser Eindruck sehr verstärkt.

    Im Film ist ein Louis de Funès lustig.

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