15. September 2007

Marginalie: Afghanistan und die "Grüne Seele"

Welches ist die Partei, deren Anhänger mit der größten Mehrheit für eine Verlängerung des Bundeswehr- Einsatzes in Afghanistan sind?

Nein, nicht die CDU, auch nicht die FDP. Sondern es sind die Grünen. Das jedenfalls besagt das gestern gesendete Politbaromenter des ZDF. 68 Prozent der Anhänger der Grünen sind für eine Verlängerung. Bei der Union sind es 59 Prozent, bei der FDP 53 Prozent.



Eben ging die Bundesdelegiertenversammlung der Grünen zu Ende. Dort hat eine Mehrheit von 361 Delegierten einem Antrag zugestimmt, der den Abgeordneten im Bundestag empfiehlt, eine Verlängerung des Mandats für den Afghanistan- Einsatz der Bundeswehr abzulehnen.

Für einen Leitantrag des Vorstands, der den Abgeordneten - eigentlich in einer Demokratie selbstverständlich - die Abstimmung freistellt, stimmten nur 264 Delegierte.

Eine interessante Situation. Die Wähler der Grünen sind für eine Verlängerung des Mandats. Die Delegierten des Parteitags sind dagegen. Der Vorstand ist nach beiden Seiten offen.

Und die Abgeordneten? Man wird sehen. Man wird sehen, wie viele sich ihrem Gewissen mehr verpflichtet fühlen als dem, was der heutige Parteitag ihnen "empfohlen" hat.



Als ich gestern erfahren habe, daß bei den Anhängern der Grünen die Zustimmung zum Afghanistan- Einsatz offenbar größer ist als bei den Wählern irgendeiner anderen Partei, war ich erst einmal verblüfft.

Aber jetzt habe ich eine Hypothese. Ich weiß nicht, ob sie stimmt, aber sie kommt mir eigentlich ganz plausibel vor. Sie stützt sich auf das, was ich heute von DelegiertInnen des Parteitags gehört habe, als ich eine Zeitlang die Übertragung bei Phoenix verfolgt habe.

Da nämlich war weniger vom Kampf gegen die Taliban die Rede, weniger von der Auseinandersetzung mit dem militanten Islamismus. Sondern die Rede war immer wieder - von Frauen.

Fast könnte man glauben, daß für die Grünen - jedenfalls für viele von ihnen - das Thema Afghanistan sozusagen ein Unterpunkt des Frauenthemas ist. Sie sind engagiert für Afghanistan, weil sie sehen, daß sich nach der Vertreibung der El Kaida und der Taliban die Lage der Frauen dort drastisch verbessert hat.

Wie sehr das für sie im Mittelpunkt steht, hat zum Beispiel Claudia Roth vor knapp einem Jahr in einem Interview mit der TAZ dargelegt:
Claudia Roth: (...) Afghanistan befindet sich in der Frauenfrage an einem Scheidepunkt. Geht es nach vorn oder zurück in Rechtlosigkeit?

taz: Woran entscheidet sich das?

Claudia Roth: Vor allem daran, wie sich im Süden die Lage entwickelt. Dort gewinnen die talibanischen Kämpfer wieder an Einfluss. Da werden Männerschulen gebaut, um Kämpfer zu trainieren. Wenn die sich durchsetzen, werden sie die Rechte der Frauen wieder zurückschneiden. (...)
Afghanistan, so scheint mir hiernach, stellt sich für das, was man gern die "Grüne Seele" nennt, sozusagen in zweierlei Gestalt dar: Als das Land, in dem Frauenrechte erworben wurden und wieder gefährdet sind. Andererseits aber als das Land, in dem die bösen Amerikaner einen Krieg führen, der durch Bundeswehr- Tornados auch noch unterstützt wird.

Je nachdem, ob man das eine oder das andere in den Fokus rückt, ist man als Grüne(r) folglich für oder gegen den Bundeswehr- Einsatz in Afghanistan: Soldaten, wenn sie Brunnen bohren und Schulen einrichten - fein. Soldaten, wenn sie den Aufbau gegen diejenigen schützen, die ihn zunichte machen wollen - nein.



Es ist, so scheint mir, die übliche Realitätsferne der Grünen.

Daß ein Aufbau Afghanistans, daß eine Verbesserung der Lage der Frauen an eine Befriedung des Landes gebunden ist und daß diese nun einmal nur militärisch erfolgen kann - das wollen sie doch lieber nicht sehen.

Sie scheinen zu glauben, daß die Taliban ihren Machtanspruch in Afghanistan aufgeben und friedlich abziehen werden, sobald sie nicht mehr auf militärischen Widerstand stoßen.

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