6. Mai 2007

Ketzereien zum Irak (12): Die Politik der US-Demokraten und der Kommentar eines Irakers

Der Irak- Krieg wird zunehmend ein Wettlauf mit der Zeit. Wird es gelingen, den Irak noch in der Amtszeit von Präsident Bush so weit zu stabilisieren, daß der anschließende - jedenfalls bei einem Sieg von Obama oder Clinton zu befürchtende - Abzug der US- Truppen nicht zu einer Katastrophe führt?

Wenn es zu dieser Katastrophe - einem Zusammenbruch des verfassungsgemäßen Systems im Irak - kommt, dann wird das nicht nur das Kräfteverhältnis im Nahen Osten radikal ändern und alle Hoffnungen auf dessen Demokratisierung auf Jahrzehnte hin zunichte machen; Israel also im Zustand extremer Gefährdung lassen.

Es wird nicht nur die Diktaturen im Iran und in Syrien als die beiden Großmächte der Region etablieren und der El Kaida eine Macht geben, von der sie bisher nur träumen konnte; ihr möglicherweise sogar neue Trainingszentren verschaffen, wie sie sie in Afghanistan gehabt hatte.

Sondern es wird darüber hinaus ein persönliches, existenzielles Unglück für alle diejenigen freiheitlich gesonnenen Iraker sein, die sich trotz aller Risiken für die Demokratie eingesetzt, die mit den Koalitionstruppen zusammengearbeitet haben. Die Glücklicheren werden fliehen können, die anderen setzen sich der Gefahr aus, verfolgt, eingekerkert, ermordet zu werden.

Zum zweiten Mal werden dann die USA eine Bevölkerung, die ihnen vertraut hat, im Stich gelassen und sie einem brutalen Regime ausgeliefert haben. Zu welchen Opfern das in Vietnam geführt hat, ist hier nachzulesen; dort stehen auch Links zu den Untersuchungen des Historikers R.J. Rummel, der diese schändliche Seite des Vietnam- Kriegs seit Jahrzehnten erforscht.



Eine Vorstellung davon, mit welchen Sorgen die freiheitlich gesonnenen Iraker das sehen, was sich im Augenblick in der amerikanischen Innenpolitik abspielt - insbesonder der Iraq War De-Escalation Act -, gibt ein Beitrag von Omar Fadhil, dem Bagdader Korrespondenten von Pajamas Media. Auszüge:
Instead coming up with ideas to help the US Democrats are trying to stop the effort to stabilize Iraq and rescue the Middle East from a catastrophe. I am an Iraqi. To me the possible consequences of this vote are terrifying. Just as we began to see signs of progress in my country the Democrats come and say, ‘Well, it’s not worth it. Time to leave’. To the Democrats my life and the lives of twenty-five other million Iraqis are evidently not worth trying for. They shouldn’t expect us to be grateful for this. (...)

In the last two months, we have had a fresh start; a new strategy with new ideas and tactics. (...) We must give this effort the chance it deserves. We should provide all the support necessary. We should heed constructive critique, not the empty rhetoric that the "war is lost". It is not lost. Quitting is not an option we can afford — not in America and definitely not in Iraq. I said it before and I say it again; this war must be won. If it is not the world as you in the United States know it today (and as we here in Iraq dream for it to become) will exist only in books of history. (...)

In no time al-Qaeda and all similarly extremist factions will start boasting about how America is fleeing Iraq under the heavy blows of the "Mujahideen" planned by OBL himself. The Democrats just offered al-Qaeda victory on a silver plate. For free. An imaginary victory for sure, for now, but it can still be used by al-Qaeda to promote their ideology of death and attract more recruits. "America’s will can be broken, America is not invincible," they will say in a thousand ways. Is this the kind of message you want to send to the enemy?

Reconsider your position before it’s too late. For us and for yourselves.

Statt Ideen für eine Hilfe zu entwickeln, versuchen die US-Demokraten das Bemühen zu stoppen, den Irak zu stabilisieren und den Mittleren Osten vor einer Katastrophe zu bewahren. Ich bin Iraker. Für mich sind die möglichen Konsequenzen dieser Abstimmung [im US-Senat, zum Truppenabzug; Zettel] schrecklich. Gerade jetzt, wo wir in meinem Land Anzeichen für Fortschritte sehen, kommen die Demokraten und sagen: "Well, das ist es nicht wert. Es ist Zeit zu verschwinden". Für die Demokraten sind mein Leben und das Leben der fünfundzwanzig Millionen anderen Iraker es offenbar nicht wert, den Versuch zu wagen. Sie sollten nicht erwarten, daß wir dafür dankbar sind. (...)

In den vergangenen beiden Monaten gab es bei uns einen neuen Anfang; eine neue Strategie mit neuen Ideen und Taktiken. (...) Wir müssen diesem Versuch die Chance geben, die er verdient. Wir sollten alle erforderliche Unterstützung bereitstellen. Wir sollten konstruktive Kritik aufmerksam beachten, aber nicht die leere Rhetorik, daß "der Krieg verloren" sei. Er ist nicht verloren. Ein Abzug ist keine Option, die wir uns leisten können - nicht in Amerika und mit Sicherheit nicht im Irak. Ich habe es früher gesagt und sage es nochmals: Dieser Krieg muß gewonnen werden. Wenn nicht, dann wird die Welt, wie Sie in den Vereinigten Staaten sie heute kennen (und wie wir im Irak sie uns erträumen) nur noch in den Geschichtsbüchern existieren. (...)

Es wird kein Augenblick vergehen, und die El Kaida und alle ähnlich extremistischen Gruppierungen werden anfangen, sich zu rühmen, wie Amerika unter den schweren Schlägen der "Mudschaheddin" flieht, die von Osama Bin Laden selbst geplant wurden. Die Demokraten haben soeben der El Kaida den Sieg auf einem Silbertablett angeboten. Kostenlos. Gewiß einen vorerst imaginären Sieg, aber dennoch kann er von der El Kaida genutzt werden, um ihre Ideologie des Todes zu verbreiten und neue Anhänger zu rekrutieren. "Der Wille Amerikas kann gebrochen werden, Amerika ist nicht unbesiegbar" werden sie auf tausend Weisen sagen. Ist das die Art von Botschaft, die Sie an den Feind richten wollen?

Überdenken Sie ihre Haltung, bevor es zu spät ist. Für Sie und für uns.


Ein persönlicher Kommentar:

Kaum etwas hat mein Bild der USA so verändert wie dieses gegenwärtige Verhalten der US- Demokraten in Bezug auf den Irak.

Ich bin mit der Erfahrung politisch aufgewachsen, daß die USA zuverlässige Verbündete sind, die niemandem im Stich lassen. Sie haben während der Berliner Blockade den Kommunisten nicht nachgegeben, nicht in Korea, nicht in Bezug auf Taiwan. Sie haben in der Berlin-Krise in den sechziger Jahren, als Chruschtschow Berlin als "Freie Stadt" unter seine Kontrolle bringen wollte, keinen Zentimeter nachgegeben. Sie haben nicht nachgegeben, als Anfang der achtziger Jahre die Kommunisten mit Hilfe der "Friedensbewegung" die USA aus Europa herausdrängen wollten.

Kurz, ich habe es immer wieder erlebt, daß die USA bündnistreu sind. Natürlich nicht aus Edelmut, sondern weil man mit niemandem mehr ein Bündnis eingehen wird, an dessen Zuverlässigkeit begründete Zweifel bestehen. Daß man sich auf sie als Partner verlassen kann, daß sie einen Verbündeten nicht im Stich lassen, war und ist eine der wichtigsten Grundlagen für die weltweite Macht der USA.



Zu diesem meinem Bild von den USA gehörte auch das, was man dort "bipartisanship" nennt. So sehr man sich innenpolitisch streitet - wenn es um das nationale Interesse geht, wenn man sich gar im Krieg befindet, dann stehen beide Parteien hinter dem Präsidenten.

So war es auch gewesen, als die Invasion des Irak vorbereitet wurde. Eine große, parteiübergreifende Mehrheit stimmte diesem Krieg zu, darunter Hillary Clinton und der heutige demokratische Mehrheitsführer Harry Reid.



Jetzt gilt das offenbar alles nicht mehr; jedenfalls nicht mehr für die US- Demokraten, jedenfalls nicht mehr für ihre Führung. Sie sind augenscheinlich bereit, einen Verbündeten im Stich zu lassen. Sie sind bereit, die Kriegsführung ihres Präsidenten zu torpedieren. Was ich in drei früheren Beiträgen geschrieben habe, scheint mir immer offensichtlicher zu werden: Diese US- Demokraten handeln verantwortungslos.

Daß diese Partei ein überzeugendes oder auch nur ein durchdachtes alternatives Konzept für einen freiheitlichen Irak, für den Sieg über die El Kaida, für die Verhinderung eines Chaos im Nahen Osten hat, kann ich nicht erkennen. Mein Eindruck ist, daß man abhauen will, koste es, was es wolle. Ohne Rücksicht auf die Folgen.

Was ist los mit dieser Partei? Was hat sich im amerikanischen politischen System verändert, daß eine solche verantwortungslose Politik einer der beiden großen Parteien möglich ist? Ich verstehe es nicht.