24. Mai 2007

Marginalie: Chirac, der Irak - und die Rolle Gerhard Schröders

Es gehört zu den modernen Geschichtslegenden, daß Chirac von vornherein gegen den Irak- Krieg gewesen sei.

Er hat in Wahrheit eine Beteiligung Frankreichs an diesem Krieg lange offen gehalten; im Sommer 2002 war sogar ein französischer General in den USA, um die Einzelheiten einer eventuellen Beteiligung französischer Truppen am Krieg gegen Saddam Hussein zu besprechen.

Das lag in der Logik der französischen Außenpolitik. Denn Frankreich hatte etablierte Interessen im Irak. Natürlich wollte man nach dem Krieg nicht aus dem Spiel sein.

Was veranlaßte Frankreich, auf die militärischen und wirtschaftlichen Vorteile zu verzichten, die eine Beteiligung am Irak- Krieg mit sich gebracht hätte?

Wieso wurde Frankreich im Januar 2003 plötzlich zum Gegenspieler der USA? Was motivierte de Villepins hektische diplomatische Aktivität Anfang 2003?

Eine Aktivität, deren Ziel es ja nicht war, den Krieg zu verhindern; dieser stand unmittelbar vor seinem Beginn. Sondern deren erkennbares Ziel es war, die USA zu zwingen, ihn ohne eine ausdrückliche Ermächtigung durch den Weltsicherheitsrat zu führen. Also die USA ins Unrecht zu setzen; damit die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, daß sie ihre Ziele im Irak verfehlen würden.

Ich habe damals, vor dem Krieg, in Infotalk die Vermutung geäußert, daß es Chirac gar nicht primär um die USA ging, sondern um Deutschland.

Es war ein Hauptziel der gaullistischen Außenpolitik seit 1958 gewesen, Deutschland aus der Allianz mit den USA zu lösen und an Frankreich zu binden. Von Adenauer bis Kohl wurden alle deutschen Kanzler mit der Aussicht eines französisch- deutschen Kondominiums über Europa geködert. Alle haben sie widerstanden, weil sie wußten, daß allein eine - um ein im Augenblick modernes Wort zu verwenden - "Äquidistanz" zu Frankreich und den USA den deutschen Interessen entsprach.



Bis eben Schröder im Spätsommer 2002 seine Zusage gegenüber Bush brach, einem Krieg gegen den Irak keinen Widerstand entgegenzusetzen. Ein rein innenpolitisch motiviertes Manöver; wie immer bei Schröder skrupellos, wenn es um den Erhalt der eigenen Macht ging.

Im Januar 2003 war Deutschland damit so isoliert, daß es reif war für den Versuch der französischen Diplomatie, Deutschland an Frankreich zu binden, indem man gemeinsam in Frontstellung zu den USA ging. Schröder wirkte nach den Besprechungen anläßlich des Jahrestags des Elysée- Vertrags nachgerade euphorisch - kein Wunder, denn er hatte wieder einen Verbündeten; bald gar zwei.

Damit war in der Tat die amerikanische Irak-Politik gescheitert.

Die Koalitionstruppen waren aufmarschiert; der Krieg war unvermeidlich geworden. Aber dank des Verrats von Schröder, dank des Machiavellismus der französischen Diplomatie, dank schließlich auch der Politik Putins, der seine eigene Chance witterte, konnte der Irak- Krieg nicht als Krieg der Völkergemeinschaft geführt werden.

Er fand damit unter ganz anderen Voraussetzungen statt als der von Bush sen. geführte erste Krieg gegen Saddam. Die Islamisten konnten diesen zweiten Krieg als einen Kreuzzug der Imperialisten darstellen; Chirac und Schröder waren ihre Zeugen.




Der Anlaß für diese Marginalie ist ein aktueller Artikel von John Rosenthal in World Politics Review, der Punkt für Punkt meine damaligen Analysen bestätigt.

Dank an WadiBlog, das mich auf den Artikel von Rosenthal aufmerksam gemacht hat.