29. Januar 2010

Zettels Meckerecke: Eine Audienz auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos

In "Welt- Online" erschien gestern Abend unter der Überschrift "Hinter den Kulissen von Davos – ein Tagebuch" ein Artikel von Jörg Eigendorf. Eigendorf ist Leiter des Ressorts Wirtschaft der "Welt"- Gruppe.

In dem Tagebuch lesen wir unter "Mittwoch, 27. Januar" dies über den Abendvortrag von Präsident Sarkozy:
Sarkozy wickelt die Audienz mit seiner Kapitalismuskritik ein. Am Ende stehen die Damen in der ersten Reihe sogar auf – gezwungenermaßen auch Deutsche- Bank- Chef Ackermann, der zu den Co-Chairs des Jahrestreffens in Davos zählt.
Woran Eigendorf erkannt hat, daß Josef Ackermann, der ja nicht unbedingt dazu neigt, sich zu etwas zwingen zu lassen, "gezwungenermaßen" aufgestanden ist, ist mir nicht ganz klar. Aber nicht deshalb widme ich Eigendorf diese Meckerecke. Sondern wegen einer Sprachschluderei, die wahrhaft Gipfel- Format hat.

Oder genauer gesagt, wegen einer Sprachschluderei von Gipfel- Format und dazu noch - einen Satz später - einer vom Format, sagen wir, des Katzenbuckel im schönen Odenwald.

Dieser Katzenbuckel ist der "Co-Chair".

"Chair" hat sich im Konferenzenglisch als saloppe Abkürzung von "Chairman" (oder inzwischen meist - politisch korrekt -, "Chairperson") eingebürgert. Das heißt schlicht Vorsitzende(r). Ein "Co-Chair" ist also einer von mehreren Vorsitzenden einer Konferenz.

Warum nennt Jörg Eigendorf den Vorsitzenden Ackermann nicht den Vorsitzenden Ackermann, sondern den "Co-Chair"?

Weil er sich, so scheint mir, ein wenig aufplustern will, der Jörg Eigendorf.

Sein ganzes "Tagebuch" zeigt, wie stolz er darauf ist, sich unter all diesen illustren Gästen im vornehmen Davos bewegen zu dürfen. ("Wir sind in der Schatzalp untergekommen, jedem [sic] berühmten Hotel, das Thomas Mann zu seinem Roman "Der Zauberberg" inspirierte. (...) Hier oben schlagen die Uhren anders: In der Bar brennt neben dem Piano ein Feuer im Kamin, Zeitungen und Bücher liegen aus und laden zum Schmökern ein").

Und zu diesem "Ich und die große Welt" gehört offenbar, daß er auch den Konferenz- Slang draufhat, der nach Davos entsandte Redakteur. Er kennt sich eben aus.

Nun gut. Sich mit solchen albernen Anglizismen zu schmücken, gilt heute als fast so schick, wie sich einen Skinhead- Schädel rasieren zu lassen. Damit schafft man es noch nicht in Zettels Meckerecke.

Aber mit der Audienz. "Sarkozy wickelt die Audienz mit seiner Kapitalismuskritik ein", schreibt der Ressortleiter. Nanu, war etwa der Papst heimlich auch in Davos? Oder irgendein regierender Fürst, vielleicht gar die Queen?

Ach nein. "Audienz", das ist Eigendorfs Übersetzung von "audience".

Und "audience" heißt zu deutsch zwar manchmal "Audienz", wenn es sich eben auf das bezieht, was der Papst gewährt, oder die Queen. Meist aber heißt es schlicht - und das meint Eigendorf - "die Zuhörer" oder "das Publikum".



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