13. Januar 2010

Aktuelles zum Krieg der Dschihadisten (3): Vier Reden und ein Sinneswandel. Setzt Präsident Obama jetzt endlich die Politik von George W. Bush fort?

Viele Menschen weltweit haben ein ambivalentes Verhältnis zu den USA; ein Verhältnis, gemischt aus Bewunderung für die Leistungen der Amerikaner und der ablehnenden Haltung gegenüber einem Land, das man als übermächtig und arrogant wahrnimmt.

In der Gegenwart wurde und wird diese Ambivalenz - in ihre beiden Komponenten zerlegt - auf die beiden jüngsten Präsidenten der USA projiziert: Präsident Bush wurde als Verkörperung des "häßlichen Amerikaners" gezeichnet, Präsident Obama als Derjenige, der alles Gute an den USA verkörpert.

Auch in den USA selbst wurde und wird das bis zu einem gewissen Grad so wahrgenommen. Die Amerikaner sind sehr empfindlich dafür, wie sie von der Welt gesehen werden; sie möchten geliebt werden. Sie litten unter dem schlechten Image von Bush.

Das mag mit ein Grund dafür gewesen sein, daß sie denjenigen Kandidaten wählten, der alles das aus der Welt zu schaffen versprach, was zum schlechten Image der USA unter Bush beigetragen hatte - den Krieg im Irak; Guantánamo; Bushs Klimapolitik. Und gleich auch noch den Krieg gegen den Terror.

Einen radikalen Neuanfang hatte Präsident Obama angekündigt. Und er hat ihn tatsächlich versucht. Auch was die Bedrohung durch die Dschihadisten angeht.

Wenn das schlechte Image der USA nur an der Person des Präsidenten Bush gelegen hatte, und wenn die Dschihadisten dank dieses schlechten Image erfolgreich gewesen waren - warum sollte es dann dem neuen Präsidenten Obama nicht gelingen, ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem er dem Islam die Hand reichte?

Das war der Tenor der Rede von Kairo im Juni 2009:
So long as our relationship is defined by our differences, we will empower those who sow hatred rather than peace, and who promote conflict rather than the cooperation that can help all of our people achieve justice and prosperity. This cycle of suspicion and discord must end.

I have come here to seek a new beginning between the United States and Muslims around the world; one based upon mutual interest and mutual respect; and one based upon the truth that America and Islam are not exclusive, and need not be in competition. Instead, they overlap, and share common principles - principles of justice and progress; tolerance and the dignity of all human beings.

Solange unsere Beziehung durch unsere Differenzen definiert wird, werden wir die Macht derer mehren, die Haß säen statt Frieden und die den Konflikt fördern anstatt der Kooperation, welche allen unseren Menschen helfen kann, Gerechtigkeit und Wohlstand zu erreichen. Dieser Kreis des Mißtrauens und Zwietracht muß enden.

Ich bin hierher gekommen, um einen Neuanfang zwischen den Vereinigten Staaten und den Moslems weltweit zu suchen; einen, der auf gemeinsamen Interessen und gegenseitigem Respekt beruht; und einen, der auf der Wahrheit beruht, daß Amerika und der Islam einander nicht ausschließen und nicht im Wettkampf stehen müssen. Vielmehr überschneiden sie sich und haben gemeinsame Prinzipien - Prinzipien der Gerechtigkeit und des Fortschritts; Toleranz und die Würde aller Menschenwesen.
Schöne Worte; wie fast stets, wenn Präsident Obama eine Rede hält. Vielleicht auch eine vernünftige Strategie im Kampf gegen den Terrorismus: Die Kluft zwischen Dschihadisten und friedlichen Moslems verbreitern, indem die USA dieser Mehrheit Avancen machen.

Nur gehört es zu einer solchen Strategie, die dergestalt - wenn es funktioniert - isolierten Dschihadisten umso entschlossener zu bekämpfen. Davon aber konnte bei Präsident Obama bisher keine Rede sein.



Er hat bis zu dem Vorfall von Detroit den Kampf gegen die Dschihadisten, freundlich ausgedrückt, schleifen lassen. Weniger freundlich ausgedrückt: Er hat die Position der USA in diesem Kampf vorsätzlich und planmäßig geschwächt.

Man konnte den Eindruck gewinnen, daß Obama nicht nur die friedlichen Moslems mit Freundlichkeiten zu umgarnen trachtete, sondern daß er glaubte, auch die Dschihadisten mit einer "Politik der ausgestreckten Hand" in Freunde der USA verwandeln zu können.

Die Einzelheiten schilderte Charles Krauthammer in seiner Kolumne vom 1. Januar in der Washington Post, auf die ich mich im folgenden zum Teil stütze. Krauthammer sieht in Obamas Umgang mit der terroristischen Herausforderung "not just incompetence but incomprehension", nicht einfach nur Inkompetenz, sondern Unverständnis.

Als die von Obama nominierte neue Ministerin für Heimatschutz (Homeland Security), Janet Napolitano, am 15. Januar 2009 zwecks Bestätigung ihrer Ernennung vor dem Senat sprach, stellte sie in ihrer Rede den Terrorismus mit Naturkatastrophen auf eine Stufe; und ihre Sorge schien mehr dem pfleglichen Umgang mit gefangenen Terroristen zu gelten als der Bekämpfung des Terrorismus. Der Begriff "war on terror", Krieg gegen den Terror, kam in ihrem Statement nicht mehr vor (später hat Außenministerin Clinton ausdrücklich bestätigt, daß ihre Regierung ihn nicht mehr verwendet)::
The overriding and urgent mission of the United States Department of Homeland Security is contained in the name of the agency itself. To secure the homeland means to protect our nation's borders by finding and killing the roots of terrorism and to stop those who intend to hurt us; to wisely enforce the rule of law at our borders; to protect our national cyber infrastructure; and to prepare for and respond to natural and man-caused disasters with speed, skill, compassion, and effectiveness.

The Homeland Security mission is of paramount importance to the Obama Administration, to this Committee, and to me. The President-elect and I believe that, in meeting this responsibility, we must deal fairly with all persons and hold firmly to our principles of due process and equal protection under the law.

Die oberste und dringende Aufgabe des Ministeriums für Heimatschutz der Vereinigten Staaten ist schon im Namen der Einrichtung enthalten. Die Heimat zu schützen bedeutet, die Grenzen unseres Landes zu sichern, indem wir die Wurzeln des Terrorismus auffinden und beseitigen, und jene zu stoppen, die uns schädigen wollen; an unseren Grenzen der Herrschaft des Gesetzes klug Geltung zu verschaffen; die Infrastruktur unseres nationalen Internet zu schützen; und auf natürliche und von Menschen verursachte Katastrophen vorbereitet zu sein und auf sie schnell, geschickt, mitfühlend und effizient zu reagieren.

Die Aufgabe des Heimatschutzes ist für die Regierung Obama, für diesen Ausschuß und für mich von größter Bedeutung. Der gewählte Präsident und ich glauben, daß wir in Wahrnehmung dieser Verantwortung fair mit allen Personen verfahren und fest an unseren Prinzipien festhalten müssen, die Rechtsstaatlichkeit und gleichen rechtlichen Schutz für alle vorsehen.
In einem Interview mit "Spiegel- Online International" hat Napolitano am 16. 3. 2009 noch einmal ausdrücklich diese neue Sprachregelung bestätigt:

"In my speech, although I did not use the word 'terrorism,' I referred to 'man-caused' disasters. That is perhaps only a nuance, but it demonstrates that we want to move away from the politics of fear toward a policy of being prepared for all risks that can occur." Sie hätte nicht mehr von Terrorismus gesprochen, sondern von einer "von Menschen verursachten Katastrophe". Nur eine Nuance, meint Napolitano. Aber es solle damit demonstriert werden, daß man weg wolle von einer Politik der Angst; hin zu der Politik, auf "alle Risiken vorbereitet zu sein, die eintreten können".

Aus dem Krieg wird ein Risiko, so wie eine Hurrican oder ein Schneesturm. Aus irregulären feindlichen Kämpfern werden Straftäter, denen derselbe rechtliche Schutz zusteht wie jedem Bürger der Vereinigten Staaten. Der Krieg gegen den Terror wird aus der Welt geschafft, indem man beschließt, das Wort nicht mehr zu benutzen. Das war Obamas Politik von seinem Amtsantritt an.



Den Dschihadisten wird diese Neuorientierung der US-Politik zugesagt haben; und sie haben sich auf ihre Art erkenntlich gezeigt, indem sie - indem, genauer gesagt, die Franchise- Nehmer der Kaida im Jemen - als Weihnachtspräsent den Umar Farouk Abdul Mutallab mit einer Bombe gen USA in Marsch gesetzt haben.

Und wie hat Präsident Obama reagiert? Erst einmal gar nicht.

Der Vorfall trug sich am Freitag, dem 25. 12. zu. Es dauerte bis zum Montag, dem 28. 12., bis Obama überhaupt aus seinem Urlaub auf Hawaii auftauchte und sich zu ein paar Worten an die Nation bequemte. "Good morning, everybody. I wanted to take just a few minutes ...", so beginnt diese Ansprache - "Allen einen guten Morgen. Ich wollte mir nur ein paar Minuten nehmen ...". Dann die üblichen Floskeln: Man werde den Vorfall genau untersuchen, man werde die Amerikaner vor weiteren Anschlägen schützen usw.

Schon einen Tag später war Obama wieder mit einer Ansprache zur Stelle, und nun wurde er konkreter:
When our government has information on a known extremist and that information is not shared and acted upon as it should have been so that this extremist boards a plane with dangerous explosives that could have cost nearly 300 lives, a systemic failure has occurred, and I consider that totally unacceptable.

The reviews I've ordered will surely tell us more, but what already is apparent is that there was a mix of human and systemic failures that contributed to this potential catastrophic breach of security. (...)

As president, I will do everything in my power to support the men and women in intelligence, law enforcement, and homeland security to make sure they've got the tools and resources they need to keep America safe, but it's also my job to ensure that our intelligence, law enforcement, and homeland security systems and the people in them are working effectively and held accountable. I intend to fulfill that responsibility and insist on accountability at every level.

Wenn unsere Regierung Informationen über jemanden hat, der als Extremist bekannt ist, und wenn diese Information nicht weitergegeben werden und nicht auf sie reagiert wird, wie das hätte geschehen sollen, so daß dieser Extremist mit einem gefährlichen Sprengstoff in ein Flugzeug steigt, der fast 300 Menschen das Leben hätten kosten können, dann hat das System versagt, und ich halte das für völlig inakzeptabel.

Die Überprüfungen, die ich angeordet habe, werden uns gewiß weitere Auskünfte liefern, aber schon jetzt ist offensichtlich, daß eine Mischung aus menschlichem Versagen und dem Versagen des Systems vorlag, die zu dieser potentiell katastrophalen Verletzung der Sicherheit beitrug (...)

Als Präsident werde ich alles in meiner Macht Stehende tun, um die Männer und Frauen in den Geheimdiensten, bei der Polizei und im Heimatschutz zu unterstützen, damit sichergestellt ist, daß sie die Instrumente und die Ressourcen haben, um die Sicherheit Amerikas zu gewährleisten. Aber es ist auch mein Job, dafür zu sorgen, daß unsere Systeme der Geheimdienste, der Polizei und des Heimatschutzes effektiv arbeiten und Rechenschaft geben müssen. Ich beabsichtige, dieser Verantwortung nachzukommen und auf der Pflicht zur Rechenschaft auf jeder Ebene zu bestehen.
Auf jeder Ebene? Nicht ganz.

Seine eigene Rechenschaftspflicht als Präsident nämlich erwähnte Obama in dieser Rede nicht. Er vermittelte den Eindruck, die Schuld für Fehler auf seine Untergebenen abschieben zu wollen. Und seltsam - während Präsident Bush von der Öffentlichkeit für jeden Fehler seiner Geheimdienste haftbar gemacht worden war, schien Obama mit dem Abschieben der Verantwortung auf andere durchzukommen.

Es folgte eine dritte Rede des Präsidenten; siehe Obama ohne Teleprompter; ZR vom 6. 1. 2010. Inzwischen hatte er mit den Spitzen der Dienste und Behörden konferiert; und nun las er unter anderem dies vom Blatt:
The information was there. Agencies and analysts who needed it had access to it, and our professionals were trained to look for it and to bring it all together.

Now, I will accept that intelligence by its nature is imperfect, but it is increasingly clear that intelligence was not fully analyzed or fully leveraged. That's not acceptable, and I will not tolerate it. (...)

And I know that every member of my team that I met with today understands the urgency of getting this right, and I appreciate that each of them took responsibility for the shortfalls within their own agencies.

Die Information war vorhanden. Die Behörden und die Analysten, die sie benötigten, hatten Zugang zu ihr, und unsere Fachleute waren geschult, sie aufzusuchen und alles zusammenzufügen.

Nun akzeptiere ich, daß [Geheimdienst-] Erkenntnisse ihrem Wesen nach unvollkommen sind; aber es wird immer deutlicher, daß Erkenntnisse nicht vollständig analysiert oder vollständig genutzt wurden. Das ist nicht akzeptabel, und ich werde es nicht dulden (...)

Und ich weiß, daß jedes Mitglied meines Teams, mit dem ich heute zusammentraf, verstanden hat, wie dringlich es ist, das in Ordnung zu bringen, und ich weiß es zu würdigen, daß jeder von ihnen die Verantwortung für die Mängel in seiner eigenen Behörde übernommen hat.
Nur nicht der Präsident für die Mängel in seiner Regierung.

Jedenfalls damals noch nicht, am 5. Januar.

Denn es gibt noch eine vierte Rede von Obama dem Redner; zum selben Thema. Er hielt sie am 7. Januar, also 13 Tage nach dem gescheiterten Attentat. Und nun, zwei Wochen und drei Reden nach dem Ereignis, tat dieser Präsident das, was George W. Bush innerhalb von 24 Stunden getan hätte: Er übernahm am Ende doch die Verantwortung für die Fehler, die gemacht worden waren, und er sprach - man staune! - von einem Krieg gegen den Terror:
As president, I have a solemn responsibility to protect our nation and our people, and when the system fails, it is my responsibility.

Over the past two weeks, we've been reminded again of the challenge we face in protecting our country against a foe that is bent on our destruction. And while passions and politics can often obscure the hard work before us, let's be clear about what this moment demands.

We are at war. We are at war against al Qaeda, a far-reaching network of violence and hatred that attacked us on 9/11, that killed nearly 3,000 innocent people, and that is plotting to strike us again. And we will do whatever it takes to defeat them.

Als Präsident habe ich eine ernste Verantwortung, unsere Nation und unser Volk zu schützen, und wenn das System versagt, dann ist das meine Verantwortung.

In den vergangenen beiden Wochen sind wir wieder an die Herausforderung erinnert worden, der wir beim Schutz unseres Landes gegen einen Feind gegenüberstehen, der entschlossen ist, uns zu vernichten. Auch wenn heftige Gefühle und die Politik manchmal die harte Arbeit überlagern, die vor uns liegt, müssen wir uns im Klaren sein, was dieser Augenblick verlangt.

Wir befinden uns im Krieg. Wir befinden uns im Krieg gegen die Kaida, ein weitreichendes Netzwerk der Gewalt und des Hasses, das uns an 9/11 angriff, das fast 3000 unschuldige Menschen tötete und das darauf hinarbeitet, wieder gegen uns zuzuschlagen. Und wir werden alles tun, dessen es bedarf, um sie zu schlagen.
Nicht wahr, das hätte auch Präsident Bush sagen können? Nur - Präsident Obama hätte es nicht sagen können; vor einem Jahr, als er sein Amt antrat.

Auszug aus einem Interview des amerikanischen Terrorismus- Experten Bruce Hoffman mit "Spiegel- Online" vom 7. 1. 2010:
SPIEGEL ONLINE: Wird dies Obamas Regierungsstil verändern? Er versprach einen Bruch mit George W. Bushs "War on Terror". Aber in seiner Rede am Dienstag klang er entschlossen wie nie, keine Kompromisse im Kampf gegen den Terror zu machen.

Hoffman: Ja, er wird sich verändern - spätestens nach dem Selbstmordattentat in Afghanistan, bei dem sieben CIA-Mitarbeiter getötet wurden. Der Kampf gegen den Terror wird auch Obamas Präsidentschaft prägen.
Ein Jahr der Naivität und der Traumtänzerei eines Mannes, den nicht seine Leistung, sondern sein Redetalent ins Weiße Haus gebracht hat, ist vorbei. Ein Jahr der Leichtfertigkeit, der Unentschlossenheit, der Schönfärberei im Krieg gegen die Dschihadisten.

Wenn nach einem Jahr des On-the-Job-Training Präsident Obama sich jetzt dazu aufraffen kann, die Politik von Präsident Bush fortzusetzen, dann hat dieses Lernen im Amt immerhin einen gewissen Erfolg gehabt.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier. Titelvignette: NSF. Als Werk der US-Regierung in der Public Domain.