25. Januar 2010

Marginalie: Die wichtigsten politischen Themen für die Franzosen. Heute Abend spricht Präsident Sarkozy mit Bürgern

Heute Abend gibt es im französischen Staatsfernsehen TF1 eine für Frankreich ungewöhnliche Sendung: Der Staatspräsident hält nicht eine allocution, eine Ansprache, wie das de Gaulle gern tat; mit einem auswendig gelernten Text und großen Gesten. Er läßt sich auch nicht von handverlesenen Journalisten befragen, wie das de Gaulles Nachfolger bevorzugten.

Sondern Sarkozy stellt sich dem Volk - vertreten durch zehn mehr oder weniger repräsentativ ausgewählte Bürger -, nachdem er zuvor ungefähr eine Viertelstunde, sozusagen zum Aufwärmen, die Fragen der Journalistin Laurence Ferrari beantwortet hat. Einen Vorausbericht zu der Sendung kann man hier als Video sehen.

Die Bürger wurden repräsentativ für bestimmte Themenbereiche ausgesucht - für die Arbeitslosigkeit also ein Arbeitssuchender, für die Probleme der Landwirtschaft ein Bauer und dergleichen mehr. Welches sind aber tatsächlich die Probleme, die den Franzosen im Augenblick vorrangig erscheinen?

Dazu hat der Nouvel Observateur beim Institut LH2 eine Umfrage in Aufrtag gegeben, deren Zusammenfassung der Nouvel Observateur heute publiziert. Die Befragung ist ganz aktuell; die Daten wurden am vergangenen Freitag und Samstag erhoben. Die Ergebnisse im Detail bietet LH2 jetzt als PDF-Datei an.

Als das wichtigste Thema sehen die Franzosen die Arbeitslosigkeit an (48 Prozent).

An zweiter Stelle liegt mit 39 Prozent die Reform des Rentensystems. Sie steht Frankreich noch bevor, wo gegenwärtig noch viele Berufstätige - vor allem die im öffentlichen Dienst - bereits mit 60 Jahren, teils noch früher, volle Rentenansprüche haben. Im vergangenen Jahr wurde zu diesem Thema eine große Debatte eröffnet.

Es folgt auf Platz drei die Inflation (32 Prozent). In Frankreich trägt das Thema aber üblicherweise nicht diese Bezeichnung, sondern es heißt Kaufkraft (pouvoir d'achat). Vor allem die Jungen (41 Prozent der 18 bis 24jährigen) und die Arbeiter (43 Prozent) sehen dieses Thema als wichtig an.

Alle anderen Themen werden als weniger bedeutsam betrachtet: Die Begrenzung der hohen Einkommen (18 Prozent), das Kopftuchverbot (17 Prozent), die geplante CO2-Steuer (14 Prozent), die Kommunalreform (11 Prozent) und ganz am Schluß die Debatte über nationale Identität (9 Prozent), die zwar viel Staub aufwirbelte, aber den Franzosen offenbar nicht unter die Haut geht (siehe zu dieser Debatte Die Debatte über nationale Identität wird heftiger; ZR vom 9. 12. 2009).

Für Sarkozy ist diese Sendung wichtig, denn seine Popularität ist mit 42 Prozent positiven und 55 Prozent negativen Beurteilungen im Keller. Im ersten Amtsjahr nach seiner Wahl im Frühjahr 2007 hatte Sarkozy noch gute Werte gehabt; mit einem Spitzenwert von 67 Prozent Zustimmung im Juli 2007. Dann ging es bergab. Ich habe diesen Abstieg Sarkozys in der Serie "Gedanken zu Frankreich" kommentierend verfolgt; siehe die Folgen 21 bis 23 der Serie.

Seit dem März 2008 liegt Sakozys Premierminister François Fillon deutlich vor dem Präsidenten. Im Augenblick hat er mit 55 Prozent Zustimmung nicht nur einen weit besseren Wert als Sarkozy, sondern auch den besten Wert, den er selbst jemals erreicht hat.

Die Differenz zwischen Fillon und Sarkozy zeigt, daß es nicht primär die Politik des Präsidenten ist, die ihm die schlechten Werte einbringt. Es ist sein egozentrisches Auftreten, sein Stil. Es fehlen ihm die Würde und die Souveränität, die viele Franzosen nun einmal von ihrem Staatspräsidenten erwarten.



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