30. März 2009

Wahlen '09 (1): Kann Angela Merkel die Wahlen noch gewinnen? Es wird schwer werden

Ist es nicht arg verfrüht, schon jetzt, genau ein halbes Jahr vor einer Wahl, über deren Ausgang zu spekulieren?

Ja, natürlich, bis zum 27. September kann noch viel passieren. Niemand weiß, wie sich die Wirtschaftskrise entwickeln wird. Es kann, vielleicht in deren Gefolge, zu weiteren Krisen in der Welt kommen. Zu Hunger- Aufständen, vielleicht zu schweren politischen Erdbeben. Das könnte die Wahlen beeinflussen. Auch innenpolitisch könnte Überraschendes passieren - ein Skandal beispielsweise.

Und der Wahlkampf hat ja noch gar nicht begonnen.

Oder vielleicht doch? Er hat begonnen. Vor drei Wochen hat die SPD ihn mit einer konzertierten Aktion eröffnet, einer sorgsam präparierten publizistischen Breitseite gegen die Kanzlerin.

Von einer Reaktion der Union ist bisher nichts zu merken. Das ist noch freundlich gesagt, denn einige ihrer Vertreter haben ja selbst gleich noch ein paar Salven auf die Kanzlerin abgefeuert.

Der Wahlkampf hat begonnen. Ich werde ihn mit Artikeln in ZR begleiten; einer Serie wie vergangenes Jahr zur Wahl des US- Präsidenten. Ein wenig mehr als die damaligen 28 Folgen werden es werden.



Machen wir einmal die Voraussetzung, die alle Futurologen machen: Beurteilen wir die Ausgangslage für die Wahlen unter der Einschränkung, daß es bis zu ihnen zu keinem unvorhersagbaren Ereignis kommt; hier also: zu keinem innenpolitischen Skandal, zu keiner Weltkrise über die jetzige wirtschaftliche Krise hinaus. Wodurch ist diese Ausgangslage gekennzeichnet?


1. Die Parteienkonstellation

Vor einer Wahl gibt es üblicherweise ein Regierungslager und ein Lager der Opposition. Die in der Regierung vertretenen Parteien wollen gemeinsam weiter regieren; die Opposition will sie aus der Regierung vertreiben. Es gibt also Verbündete und Gegner.

Diesmal ist das ganz anders, und zwar auf eine für die Union nachteilige Weise anders.

Sie regiert zusammen mit der SPD. Diese sieht sie aber nicht als ihren Verbündeten, sondern als ihren Gegner an. Der Vorsitzende der Regierungspartei SPD agitiert nicht etwa gegen die Oppositionsparteien, sondern - gerade wieder an diesem Wochenende in einem Interview mit dem Magazin "Focus" - gegen die eigene Kanzlerin.

Von den drei Oppositionsparteien sind zwei - die Grünen und die Kommunisten - der Union spinnefeind. Und die FDP? Sie hat jetzt vier Jahre lang Opposition gegen die Kanzlerin gemacht. Gewiß würde sie gern mit der Union koalieren; aber sie kann ja nicht plötzlich das Gegenteil von dem sagen, was sie in diesen vier Jahren gesagt hat. Auch jetzt, am Beginn des Wahlkampfs, kritisiert Westerwelle weiter die Kanzlerin. Eine Unterstützung durch die FDP kann die CDU im Wahlkampf nicht erwarten.

Sie wird also gegen die anderen antreten. Allein gegen alle. Aber ist das nicht in jedem Wahlkampf so? Sind nicht alle Parteien Konkurrenten?

Gewiß. Aber eben normalerweise zugleich in bestimmten Konstellationen Verbündete. Während der Regierungszeit Kohls haben die Union und die FDP einander geschont; zu rotgrünen Zeiten ebenso die SPD und die Grünen. Ein solcher Verbündeter fehlt der Union diesmal.


2. Die bisherige Entwicklung der Mehrheitsverhältnisse

"Spiegel- Online" bietet einen grafischen Überblick über die Entwicklung der Umfrage- Ergebnisse seit den letzten Wahlen an. Aufschlußreich ist das, was "Koalitionsrechner" genannt wird: Die Zusammenfassung der Umfragewerte für die Parteien, die jeweils eine Koalition bilden könnten. Man kann dort sehen, daß über die meisten Zeiten in diesen dreieinhalb Jahren eine schwarzgelbe Koalition hinter einer Volksfront- Koalition aus SPD, Kommunisten und Grünen lag.

In den letzten Wochen war das anders. Aber der Vorsprung ist minimal. Allensbach gab beispielsweise in einer am 24. März publizierten Umfrage Schwarzgelb einen (Zahlen gerundet) 49 : 47 - Vorsprung vor der Volksfront. Praktisch zeitgleich (publiziert am 23. März) sah Emnid hingegen die Volksfront mit 49 : 48 vorn. Der Abstand ist so gering, daß schon kleinste Schwankungen einmal die eine und einmal die andere Koalition nach vorn bringen.

Daß Schwarzgelb am 27. September eine Mehrheit erhält, ist also alles andere als ausgemacht. Und gibt es diese Mehrheit nicht, dann bedeutet das sehr wahrscheinlich, daß die CDU in die Opposition muß und daß der Bundeskanzler Steinmeier heißen wird.

Denn die SPD hat dann die Grünen als sicheren Partner und kann sich den Dritten im Bunde aussuchen. Sie wird die FDP einladen, nein sie wird sie herzen, küssen und umarmen. Der Kandidat Steinmeier übt sich bereits im Verteilen von Streicheleinheiten an Guido Westerwelle. Und der gibt sich gar keine Mühe mehr, zu verstecken, daß er zwar gern mit der Union koalieren würde, daß er aber eine Koalition mit der SPD keineswegs ausschließt.

Und sollte sich die FDP am Ende doch verweigern, dann kann sich Steinmeier immer noch von den Kommunisten mitwählen und von ihnen tolerieren lassen. Sicher nach den hessischen Erfahrungen nicht sofort; sicher erst, wenn alle anderen Möglichkeiten "ausgelotet" sind. Aber er hat dieses Druckmittel, um die Zögernden in der FDP in die Regierung zu zwingen.


3. Die Professionalität des Wahlkampfs

Angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse wird es auf den Wahlkampf ankommen. Wer ihn professioneller führt, der hat ausgezeichnete Aussichten auf den Sieg.

Im Augenblick spricht alles dafür, daß die SPD der Union in diesem Punkt überlegen ist. Die erste Attacke wird seit drei Wochen geradezu schulbuchmäßig geführt.

Im Vorwahlkampf, in der ersten Phase des Wahlkampfs, bildet sich das Image der Kandidaten heraus, die Master Narrative über ihn. Später ist es kaum noch zu beeinflussen; aber bevor die Kampagne richtig in Gang gekommen ist, haben viele Wähler nur ein vages Bild von den Kandidaten. Sie sind noch nicht festgelegt; sie sind bereit, einen Kandidaten auch anders zu sehen, wenn sie entsprechende Informationen bekommen.

Hier also setzen Wahlkampf- Profis an. Bevor man noch über Sachthemen redet, wird daran gearbeitet, den eigenen Kandidaten in einem vorteilhaften Licht erscheinen zu lassen und die Gegenkandidaten zu beschädigen, im günstigsten Fall zu demontieren.

Die Kampagne von Barack Obama ist dafür ein glänzendes Beispiel. Zunächst trat er nur als der Messias auf, als der Kandidat des Lichts und des Guten. Erst als sich dieses Image herausgebildet und befestigt hatte, begann er, in die Auseinandersetzung mit den Konkurrenten zu gehen. Deren eventuelles negative campaigning konnte ihm dann kaum noch etwas anhaben. Im Gegenteil - angesichts des positiven Image, das sich Obama erarbeitet hatte, schlug es eher auf diese zurück.

Die Strategen der SPD folgen exakt diesem Rat der Wissenschaftler, sich zunächst um das Image zu kümmern. Und zwar hier das der Kanzlerin, das systematisch demontiert werden soll.

Ist man erst einmal so weit, daß die Kanzlerin als jemand wahrgenommen wird, der - so Müntefering im im aktuellen "Focus" - nicht führt, sich nicht festlegt, es nicht "schafft", dann kann sogar der graue und dröge Steinmeier dagegen als ein Macher aufgebaut werden. Das wird die nächste Phase sein.

Die Union hat dem nichts entgegenzusetzen; bisher jedenfalls nicht. Der redliche, immer lieb lächelnde Ronald Pofalla als Gegenspieler des ausgekochten Strategen Franz Müntefering - das ist so, als wenn der Thekenverein "Die Schlappenkicker" gegen, sagen wir, den HSV antritt.


4. Die Person der Kanzlerin

Sie gehört zu den besten Kanzlern, die dieses Land hatte. Aber der Wahlkampf ist ihre große Schwäche. Ich habe das in diesem Artikel skizziert. Sie ist unübertrefflich, wenn es um diplomatische Verhandlungen, um den rationalen Ausgleich von Interessen geht. Sie wird umso schlechter, je mehr es von ihr verlangt ist, Emotionen anzusprechen, Anhänger zu mobilisieren, Gegner zu attackieren, kurz: Stimmung zu machen.

Sie ist darin das Gegenteil von Barack Obama; auch von Gerhard Schröder, der in dieser Hinsicht ebenfalls mit allen Wassern gewaschen war.

Diesmal hat sie das Glück, dem Frank-Walter Steinmeier gegenüberzustehen, auch nicht gerade ein Volkstribun und charismatischer Führer. Aber diesen Part werden andere für ihn spielen - Müntefering, Wowereit, Nahles. Zumindest, was den Volkstribun angeht.

Und wer wird Angela Merkel unterstützen? Annette Schavan, sie bestimmt. Und Ursula von der Leyen.



Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier. Titelvignette: Der Reichstag. Vom Autor Norbert Aepli unter Creative Commons Attribution 2.5 - Linzenz freigegeben. Ausschnitt.