1. März 2009

Wissenschaftler haben gefunden: Wer in der Jugend Probleme mit den Alten hat, hat als Alter Probleme mit dem Herzen. Über Korrelation und Kausalität

Wir werden bekanntlich älter. Wer das sagt, der meint in der Regel nicht den simplen Sachverhalt, daß auch an uns Menschen der Zahn der Zeit nagt; sondern er meint, daß die Lebenserwartung steigt, es also immer mehr Alte gibt. (Nämlich dann, wenn man die Grenze zum "Alter" in Lebensjahren ausdrückt. Man könnte alternativ ja auch die, sagen wir, ältesten zehn Prozent der jeweiligen Bevölkerung als "die Alten" bezeichnen).

Diese demografische Entwicklung hat einer Wissenschaft Goldene Zeiten beschert: Der Gerontologie. Geron, das ist im Griechischen der Greis; die Gerontologie ist also wörtlich die "Greisenforschung". Im Deutschen sagt man meist "Alternsforschung". Eine deutsche Alternsforscherin, die Ende der achtziger Jahre sogar Bundesministerin war, Ursula Lehr, pflegte großen Wert auf das "n" in diesem Wort zu legen.



Zu berichten ist von der Untersuchung einer angesehenen Gerontologin, der Yale- Professorin Becca Levy. Die betreffende Arbeit von Levy und Mitarbeitern erscheint demnächst unter dem Titel "Age stereotypes held earlier in life predict cardiovascular events in later life" (Alters- Stereotype im früheren Lebensalter sagen Herz- Kreislauf- Probleme im späteren Alter vorher) in der Zeitschrit Psychological Science. Science News berichtet vorab darüber.

Es handelt sich um eine sogannten Längsschnitt- Untersuchung. Dabei untersucht man eine Gruppe von Probanden über einen längeren Zeitraum - oft Jahrzehnte - hinweg immer wieder; man verfolgt sie sozusagen durchs Leben.

Hier waren es 386 Personen, die im Jahr 1968 allerlei Tests und Befragungen unterzogen worden waren. Unter anderem hatte man sie über ihre Einstellung zu alten Menschen befragt. Jetzt wurden sie wieder befragt; unter anderem zu ihren Gesundheitsproblemen.

Und siehe: Diejenigen, die damals negative Stereotype über die Alten hatten erkennen lassen (die zum Beispiel gesagt hatten, daß alte Menschen "schwach" und "hilflos" seien), berichteten nun vermehrt über Krankheiten des Herz- Kreislauf- Systems - beispielsweise Herzkrankheiten und Schlaganfälle.

Von denjenigen, die den Stereotypen zugestimmt hatten, berichteten 25 Prozent über solche Erkrankungen, von den anderen nur 13 Prozent. Dieser Unterschied war unabhängig von anderen Faktoren, von denen bekannt ist, daß sie die Wahrscheinlichkeit einer Herz- Kreislauf- Erkrankung beeinflussen - Bluthochdruck, Depressionen, Geschlecht, Familienstand, Cholesterolspiegel, Rauchen und dergleichen.



Was ist von solchen seltsamen Ergebnissen zu halten?

Methodisch sauber erhoben und statistisch richtig ausgewertet dürften sie sein, denn Psychologigal Science ist eine Zeitschrift mit strengem Peer Reviewing; was dort erscheint, ist also von Fachleuten geprüft.

Soll man also wirklich schließen müssen, daß jemand, der als junger Mensch ein negatives Klischee vom Alter hat, dadurch stärker gefährdet ist, an Herz und Kreislauf zu erkranken?

Sicher nicht. Oder vielmehr: Nicht sicher. Oder noch anders gesagt, dieses "dadurch" ist arg doppeldeutig. Wenn man weiß, daß jemand diese Ansichten hatte, dann kann man (wie es auch im Titel der Arbeit steht) vorhersagen, daß eine erhöhte Gefährdung für Herz- Kreislauf- Erkrankungen besteht. Aber man kann nicht schließen, daß diese erhöhte Gefährdung durch die betreffenden Ansichten verursacht wird.

Gefunden wurde eine Korrelation. Welche ursächlichen Zusammenhänge ihr zugrundeliegen, ist eine offene Frage. Das klassische Beispiel der Statistiker ist die Korrelation zwischen der Zahl der Störche und der Geburtenhäufigkeit, die einmal in einer Untersuchung in Deutschland gefunden wurde. Auch gilt, daß umso mehr Brände entstehen, je mehr Feuerwehrleute es in einer Stadt oder einem Bezirk gibt.

Fachleuten ist natürlich klar: Eine Korrelation sagt nichts über die Richtung der Kausalität aus. Oft besteht der ursächliche Zusammenhang gar nicht zwischen den beiden miteinander korrelierenden Variablen, sondern beide sind von einem dritten Faktor abhängig. Je ländlicher eine Gegend, umso mehr Störche und umso mehr Geburten, beispielsweise.

Und doch, und doch.

Der kalifornische Alternsforscher Howard Friedman wurde von Science News zu dem Artikel befragt::
Absent any detailed understanding of the ways in which age stereotypes may ultimately affect heart health, it’s too early to recommend any preventive programs aimed at altering negative attitudes toward the elderly, Friedman cautions. Possible mechanisms to explain why age stereotypes affect heart health include temperament, behavior and physiological traits.

Solange wir nicht genau verstehen, auf welchen Wegen Stereotype über das Alter am Ende Herzerkrankungen beeinflussen, ist es zu früh, Präventions- Programme mit dem Ziel zu empfehlen, negative Einstellungen gegen die Alten zu ändern, mahnt Friedman zur Vorsicht. Mögliche Mechanismen, die erklären, warum Alters- Stereotype die Herzerkrankungen beeinflussen, sind unter anderem das Temperament, das Verhalten und physiologische Merkmale.
Da ist auf einmal doch von "affect" (beeinflussen) die Rede - ganz so, als seien es die Stereotype, die auf das Krankheitsrisiko einwirken, so wie der Storch die Kinder bringt und Feuerwehrleute für mehr Brände sorgen.

Ähnlich mißverständlich formulierte es Becca Levy selbst:
We found that age stereotypes, which tend to be acquired in childhood or young adulthood and carried over into old age, seem to have far- reaching effects on cardiovascular health.

Wir haben gefunden, daß Alters- Stereotype, die dazu tendieren, in der Kindheit oder im frühen Erwachsenen- Alter erworben und ins hohe Alter übernommen zu werden, weitreichende Auswirkungen auf die Gesundheit des Herz- Kreislauf- Systems zu haben scheinen.
Wissenschaftler neigen zu solchen Formulierungen. Wenn man sie dann fragt, wie sie das denn meinen, werden sie im allgemeinen sagen: Nein, natürlich können wir nur eine Korrelation konstatieren. Wir meinen ja nur, daß man das eine aufgrund des anderen vorhersagen kann. Nicht, daß das eine das andere unbedingt verursacht.

Was die jetzt gefundene Korrelation angeht, kann man nur spekulieren. In welche Richtung, das deutet Friedman im letzten Satz des Zitats an: Es könnten psychische, physiologische oder im Verhalten liegende Faktoren sein, die der beobachteten Korrelation zugrundeliegen.

Konkret könnte man beispielsweise daran denken, daß Menschen, in deren Verwandtschaft gehäuft Herz- Kreislauf- Erkrankungen vorkommen, einerseits dadurch schon als Kind ein negatives Bild von der Hinfälligkeit des Alters bekommen und sie andererseits aufgrund dieser genetischen Disposition selbst zu solchen Erkrankungen neigen. Nicht die Stereotype würden dann die spätere Erkrankung bewirken, sondern beide gingen auf einen gemeinsamen Faktor zurück.



Zu welchen Irrtümern, zu welchen ungerechtfertigten politischen Konsequenzen es führen kann, wenn man Korrelation und Kausalität nicht auseinanderhält, zeigt ein Vorgang, der Ende 2007 in Deutschland zu regen Diskussionen führte: In einer Untersuchung war gefunden worden, daß im Umkreis von Atom- Kraftwerken gehäuft Fälle von Leukämie bei Kindern auftraten.

Eine Korrelation also. Es gab nicht den Schatten eines Hinweises darauf, daß diese Häufung durch die AKWs verursacht wurde. Aber linke und grüne Politiker behaupteten es munter. Sogar das von einem Grünen- Politiker geleitete Bundesamt für Strahlenschutz legte diese Folgerung nahe. Ich habe damals in diesem und noch einmal in diesem Artikel erläutert, wie abwegig, wie völlig unwissenschaftlich diese Interpretation einer Korrelation als Kausalität war.



Titelvignette: Ausschnitt aus einem Gemälde von Francisco Goya. Für Kommentare bitte hier klicken.