4. November 2008

Andrea Ypsilanti hat alles richtig gemacht. Nur schafft leninistische Taktik Dissidenten. Daran ist sie gescheitert

In kaum einem Kommentar zum Scheitern von Andrea Ypsilanti fehlt der Hinweis darauf, daß sie Fehler gemacht hätte.

"Zweifellos hat auch Ypsilanti Fehler gemacht. Sie hat es nicht verstanden, die Fraktion auf ihren Kurs einzuschwören" schreibt Christian Teevs in "Spiegel- Online". Ypsilanti habe nicht so "geschmeidig" agiert wie Wowereit, als er die Koalition mit der PDS schmiedete, befindet die "Berliner Morgenpost". "Am Ende hat sie - wie im ersten Anlauf direkt nach der Wahl - wieder die Regeln des politischen Handwerks außer Acht gelassen", konstatiert der Chefredakteur der "Frankfurter Rundschau", Uwe Vorkötter.

In gewisser Weise stimmt das natürlich; trivialerweise. Wenn jemand politisch so völlig scheitert, dann muß er etwas falsch gemacht haben. Niederlagen fallen ja nicht vom Himmel.

Aber falsch war nicht, wie Andrea Ypsilanti dies und jenes angepackt hat. Falsch war nicht ihr taktisches Verhalten. Falsch war und ist ihr ganzes Verständnis von Politik.



In einer Diskussion gestern Abend im HR sagte jemand, Ypsilanti betreibe Politik wie bei den Jusos. Das trifft, scheint mir, den Kern der Sache.

Genauer sollte man sagen: Wie die Jusos das in den siebziger Jahren von den Kommunisten übernommen haben. Leninistisches Verhalten.

Lenin hatte die Grundeinsicht, daß er für seine Politik niemals eine Mehrheit finden werde; nicht in seiner Partei, erst recht nicht in der Bevölkerung. Diese Einsicht bestimmt bis heute das Verhalten jeder kommunistischen Partei. Die Strategie, die Taktik aller Kommunisten geht von der Frage aus, wie man sich durchsetzen kann, obwohl man in der Minderheit ist.

Dazu dienten auch die Mittel und Tricks, wie sie von Jusos in den siebziger Jahren in die SPD eingeführt wurden - das Hantieren mit der Geschäftsordnung, das Kaltstellen von Andersdenkenden, ein taktisches Verhältnis zur Wahrheit, der Bruch von Zusagen, sobald man sich davon einen Vorteil verspricht.

Es war ein Machiavellismus, der da Einzug hielt, wie er in der SPD zuvor unbekannt gewesen war. Viele verließen damals die Partei oder zogen sich in eine passive Rolle zurück, weil diese Art, mit Parteifreunden umzugehen, sie abstieß.

So hat sich Andrea Ypsilanti von Anfang an verhalten. So hat sie sich bis zum Schluß verhalten.

Sie wußte, daß sie vor den Wahlen in ihrer Partei keine Mehrheit für eine Zusammenarbeit mit den Kommunisten bekommen würde (18 von 26 Unterbezirken hatten sich für Jürgen Walter ausgesprochen; bei den Delegiertenstimmen auf dem Nominierungs- Parteitag stand es im ersten Wahlgang pari, dann gewann Ypsilanti hauchdünn).

Sie wußte erst recht, daß die SPD die Wahlen verlieren würde, wenn sie angekündigt hätte, daß sie für den Fall, daß es für Rotgrün nicht reicht, eine Zusammenarbeit mit den Kommunisten anstrebte. Also schloß sie das kategorisch aus; komplett mit Garantie. Was ihre Garantie wert war, das war ja den meisten Wählern nicht bewußt.



Als dann die Zeit dafür gekommen war, die Früchte dieser Taktik zu ernten, sollte der Plan A in Kraft treten.

Dieser sah - das ist heute ja fast vergessen - kein offenes Bündnis mit den Kommunisten vor. Alles sollte klammheimlich passieren: SPD und Grüne bereiten eine Minderheitsregierung vor; dann stellt sich Ypsilanti zur Wahl und erklärt, einmal gewählt, niemand könne bei einer geheimen Wahl wissen, wo denn die Stimmen hergekommen seien. Danach hätte man mit wechselnden Mehrheiten regieren können; in der Regel mit den Stimmen der Kommunisten.

So hatte es Ypsilanti bereits am 11. Februar, also zwei Wochen nach der Wahl, mit Kurt Beck besprochen, und dieser hatte - so berichtete es damals der gedruckte "Spiegel" - dazu angemerkt: "Wer weiß schon, von wem man da gewählt wird".

Nun also wußte aufgrund des "Spiegel"- Berichts ganz Deutschland, was Ypsilanti dem Beck hatte nahebringen können; und damit blieb ihr nichts als ein offizielles Bündnis mit den Kommunisten. Plan B also.

Ein Bündnis, das nicht etwa zunächst in den Parteigliederungen erörtert wurde. Alles sollte in der Fraktion entschieden werden, deren Abgeordnete man mit der Gefahr von Neuwahlen, die viele von ihnen ihr Mandat kosten würde, unter Druck setzen konnte. Der Richtungswechsel der SPD sollte, wenn schon nicht ganz heimlich, so doch wenigstens ohne Diskussion in der Partei herbeigeführt werden. Getreu also dem Prinzip des demokratischen Zentralismus, daß oben entschieden und unten zugestimmt wird.

Fast wäre das gelungen. Hätte nicht die mutige Dagmar Metzger sich verweigert.



Als die Taktik, in der Fraktion alles klar zu machen und die Partei außen vor zu lassen, als also dieser Plan B gescheiterte war, trat Plan C in Kraft. Ypsilanti ließ ein Zustimmungstheater in der SPD veranstalten, das mit einem ergebnisoffenen demokratischen Prozeß ungefähr so viel zu tun hatte wie Flughörnchen mit einem Airbus A 380.

Es wurde nicht alternativ über verschiedene Optionen diskutiert und abgestimmt, sondern die Delegierten hatten nur die "Wahl", entweder dem Kurs Ypsilantis zuzustimmen, oder ihre Partei in eine ausweglose Lage zu bringen.

Auf den vier "Regionalkonferenzen" in Frankfurt, Melsungen, Alsfeld und Bensheim, die nicht öffentlich waren, wurde diskutiert, aber nicht entschieden. Die Parteiführung vermittelte aber regelmäßig nach außen den Eindruck, es gebe eine einhellige Zustimmung zu der Zusammenarbeit mit den Kommunisten. Kritik wurde ignoriert, heruntergespielt, beiseite geschoben.

Wie das im demokratischen Zentralismus so ist, wurden "Abweichler" nicht nur ignoriert, sondern auch unter Druck gesetzt. Auf der gestrigen Pressekonferenz sagte die Abweichlerin Carmen Everts: "Sie können sich gar nicht vorstellen, welcher Angst und welchem Druck wir in den vergangenen Monaten ausgesetzt waren." Und Silke Tesch: "Ich habe oft erlebt, dass Kollegen mit Wut und Frust im Bauch aus Sitzungen herausgegangen sind".

Die Gegner einer Zusammenarbeit mit den Kommunisten waren am Ende ausmanövriert. Ypsilanti war sich ihres Sieges so sicher, daß sie es sich glaubte leisten zu können, auch noch ihren Vize Jürgen Walter zu demütigen, indem sie ihm ein auf Mini- Kompetenzen reduziertes Ministerium anbot. Das leninistische Machtspiel schien erfolgreich abgeschlossen.

Warum ist es doch gescheitert? Weil die Besiegten am Ende nicht mitgespielte haben; anders als in kommunistischen Parteien, wo das Spiel mit dem Ritual der Unterwerfung endet, genannt Selbstkritik.



Daß nicht alles nach Ypsilantis Wunsch lief, bahnte sich an, als Walter sich weigerte, sich demütigen zu lassen, nur um Minister werden zu dürfen. Und wie es dann weiterging, hat Carmen Everts gestern auf der Pressekonferenz beschrieben:
Und die Entscheidung ist jetzt am Wochenende gefallen. Wir haben, Frau Tesch und ich, zusammen mit Bauchschmerzen den Parteitag verfolgt. Wir sind danach zusammen zu der Entscheidung gekommen, nach einem langen Prozeß, und haben dann Jürgen Walter und Dagmar Metzger dazugebeten, und haben dann zusammen besprochen und entschieden.
Ist es Ihnen beim Ansehen dieser Pressekonferenz auch so gegangen wie mir? Ich dachte: Woran erinnert mich das eigentlich, wie da Leute sitzen und von ihren "Bauchschmerzen" berichten, von dem Druck, dem sie ausgesetzt waren, von ihrem Konflikt, sich der Partei zu beugen oder ihrem Gewissen zu folgen?

Und dann fiel es mir ein: So saßen DDR- Dissidenten vor der Presse, wenn sie sich entschlossen hatten, in den Westen zu fliehen oder von einer Reise in den Westen nicht wieder in die DDR zurückzukehren.



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