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18. September 2008

Was geschah wirklich in Georgien? Der "Spiegel", amerikanische Experten und die Chronik eines Showdowns (Teil 3)

In den ersten beiden Teilen ging es noch einmal um den Ablauf der Ereignisse am 7. und 8. August. Das Ergebnis war, daß sie vorerst nicht zuverlässig rekonstruierbar sind. Wer an diesen beiden Tagen und in der Nacht dazwischen wen provoziert hat, wer bei diesem Showdown wem zuvorgekommen ist, läßt sich nicht sicher ausmachen.

Treten wir jetzt einen Schritt zurück. Schauen wir nicht mehr auf die Details, sondern auf den Zusammenhang. Den genauen Ablauf kennen wir nicht. Über den Kontext, in dem sich die militärischen Ereignisse dieser Nacht und des nachfolgenden Tages abspielten, gibt es bessere und sicherere Informationen. Darüber, wie es zu diesem Showdown kam und wer in ihm der Schurke ist.

Das sieht auch Matthew J. Bryza so, ein Spitzenbeamter des US-Außenministeriums, der am 11. September vor der Kommission für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (Helsinki- Kommission) seine Aussage machte:
There will be a time for assessing blame for what happened in the early hours of the conflict, but one fact is clear -- there was no justification for Russia’s invasion of Georgia. There was no justification for Russia to seize Georgian territory, including territory well beyond South Ossetia and Abkhazia, in violation of Georgia’s sovereignty, or to attack and destroy military infrastructure.

Irgendwann einmal wird man die Schuld an dem ermitteln können, was sich in den ersten Stunden dieses Konflikts zutrug, aber eine Tatsache ist schon jetzt klar: Es gab keine Rechtfertigung für die russische Invasion Georgiens. Es gab keine Rechtfertigung dafür, daß Rußland georgisches Gebiet besetzte, und zwar unter Verletzung der Souveränität Georgiens auch Gebiet weit über Südossetien und Abchasien hinaus, und daß es die militärische Infrastruktur angriff und zerstörte.
Bryza schildert ausführlich die Vorgeschichte des Konflikts - den Zerfall des sowjetischen Imperiums, die daraus resultierenden Unruhen und Kriege. Die Entstehung des souveränen Georgien und der separatistischen Bewegungen in Südossetien und in Abchasien. Den Versuch verschiedener Organisationen, Kriege zu verhindern und eine friedliche Entwicklungen einzuleiten.

Vor allem die OSZE tat das, und die UNO. Die UNO hatte eine Gruppe eingerichtet mit dem schönen Namen "Freunde Georgiens", der Rußland, die USA, das UK, Frankreich und Deutschland angehören. In ihr versuchte man, die Entwicklung im Kaukasus friedlich zu halten.

Die Russen aber - so schildert es Bryza - machten immer wieder Schwierigkeiten. Diese Obstruktionspolitik eskalierte seit der Konferenz von Bukarest im April 2008, auf der Georgien der Status "Membership Action Plan", also die Zusage einer Aufnahme in die Nato, verweigert worden war:
Then in April (...) then-President Putin issued instructions calling for closer official ties between Russian ministries and their counterparts in both of the disputed regions. Russia also increased military pressure as Russian officials and military personnel were seconded to serve in South Ossetia’s de-facto government in the positions of "prime minister," "defense minister," and "security minister."

On April 20, the Russian pressure took a more ominous turn when a Russian fighter jet shot down an unarmed Georgian unmanned aerial vehicle over Georgian airspace in Abkhazia. (...) In late April, Russia sent highly-trained airborne combat troops with howitzers to Abkhazia, ostensibly as part of its peacekeeping force. Then in May, Russia dispatched construction troops to Abkhazia to repair a railroad link within the conflict zone.

Im April dann (...) erließ der damalige Präsident Putin Anweisungen, die engere offizielle Bindungen zwischen russischen Ministerien und ihren Kollegen in beiden umstrittenen Regionen anordneten. Rußland erhöhte auch den militärischen Druck. Russische Beamte und Militärs wurden zur Hilfe geschickt, um in der De- Facto- Regierung Südossetiens die Positionen des "Premierministers", des "Verteidigungsministers" und des "Sicherheitsministers" zu übernehmen.

Am 20. April nahm der russische Druck eine bedrohlichere Wendung, als ein russischer Kampfjet einen unbewaffneten, unbemannten georgischen Flugkörper im georgischen Luftraum über Abchasien abschoß. (...) Gegen Ende April entsandte Rußland hochtrainierte Luftlandetruppen mit Haubitzen nach Abchasien, angeblich als Teil seiner Friedenstruppe. Im Mai dann schickte Rußland Pioniertruppen nach Abchasien, um eine Eisenbahnverbindung zur Konfliktzone zu reparieren.
Die übrigen Staaten in der Gruppe "Freunde Georgiens" beobachteten diese Vorgänge mit Sorge und versuchten immer wieder, Rußland in eine friedliche Lösung einzubeziehen.

Im Juni und Juli zum Beispiel forderte man Rußland auf, sich an der Ausarbeitung eines Friedensplans für Abchasien zu beteiligen, der dessen weitgehende Autonomie innerhalb Georgiens, den verfassungsmäßigen Schutz der abchasischen Sprache und Kultur usw. vorsah. Rußland verweigerte sich der eingehenden Diskussion dieses Plans und blieb Mitte Juni sogar einer dafür angesetzten Konferenz in Berlin fern.

Ebenfalls im Juni reiste Bryza nach Moskau, um für eine Deeskalation zwischen Georgien und Rußland zu werben; sein russischer Kollege antwortete, daß Rußland keinen ersten Schritt tun werde. Für Juli war nochmals eine Konferenz gemeinsam mit Georgien und Rußland angesetzt. Wieder weigerte sich Rußland, daran teilzunehmen. Begründung: Im Außenministerium seien "alle im Urlaub".

Rußland boykottierte weiter alle Versuche der USA und der Europäer, den Konflikt zu entschärfen. Im Juli drangen russische Flugzeuge in den georgischen Luftraum ein. Anfang August explodierten in Südossetien zwei Bomben, die fünf georgische Polizisten verletzten. Am 2. August kam es zu einem Feuerüberfall auf georgische Polizei. Am 4. August begannen die Südosseten, Hunderte Frauen und Kindern nach Rußland zu evakuieren.

Am 5. August gab Rußland bekannt, es werde russische Bürger in Südossetien verteidigen (also Osseten, an die man russische Pässe ausgehändigt hatte). Am 6. August beschuldigten sich Südossetien und Georgien gegenseitig, Dörfer in Südossetien zu beschießen.



In dieser gefährlichen Lage reiste der zuständige georgische Minister ("Minister für Konfliktlösung") am 7. August zu Verhandlungen nach Südossetien. Sein südossetischer Kollege weigerte sich, mit ihm zu sprechen. Sein russischer Kollege erschien nicht zu dem Treffen, weil er angeblich eine Autopanne hatte.

In der Nacht zum 8. August begannen Kämpfe zwischen südossetischen und georgischen Truppen. Georgien verkündete einen Waffenstillstand, aber die Südossetier kämpften weiter. Sie standen, so Bryza, wahrscheinlich unter dem Kommando der russischen Beamten, die Rußland in die südossetische Regierung ensandt hatte.

Nach georgischen Angaben schossen die Südosseten aus Positionen hinter den Linien der russischen Friedenstruppen. Russische Truppen rückten durch den Roki-Tunnel vor.

Die USA hatten, so Bryza, die Georgier immer wieder davor gewarnt, sich auf einen bewaffneten Konflikt mit den Russen einzulassen, den sie nur verlieren konnten. Nun aber rückten georgische Kräfte auf Tschwinwali vor und lieferten nach Bryzas Aussage damit Rußland den Vorwand für die seit langem vorbereitete Militäraktion gegen Georgien:
Moscow’s pretext that it was "intervening" in Georgia to protect Russian "citizens" and "peacekeepers" in South Ossetia was simply false. It was soon revealed that the real goal of Russia’s military operation was to eliminate Georgia’s democratically elected government and to redraw Georgia’s borders.

Der Vorwand Moskaus, es habe in Georgien "eingegriffen", um russische "Bürger" und "Friedenstruppen" zu schützen, war schlicht unwahr. Es zeigte sich bald, daß das wahre Ziel der russischen Militäroperation war, die demokratisch gewählte Regierung Georgiens zu stürzen und die Grenzen Georgiens neu zu ziehen.
Moskau hätte dabei, sagt Bryza, sämtlich internationale Abkommen über Abchasien und zahlreiche Resolutionen des UN- Sicherheitsrats gebrochen.



In seiner Aussage vor dem Verteidigungsausschuß des US-Senats hat am 10. September der Unterstaatssekretär im Pentagon Eric S. Edelman diese Schilderung Bryzas weitgehend bestätigt und um Details ergänzt.

Beispielsweise sagte Edelman, daß die US-Berater in Georgien am 7. August Hinweise darauf gehabt hätten, daß die Georgier eine militärische Operation vorbereiteten; an diesem Tag seien die für den Einsatz im Irak vorgesehenen Truppen nicht zum Training erschienen. Das militärische Vorgehen Georgiens bewertet Edelman so:
The Georgian leadership’s decision to employ force in the conflict zone was unwise. Although much is still unclear, it appears the Georgians conducted what they thought was a limited military operation with the political aim of restoring Georgian sovereignty over South Ossetia to eliminate the harassing fire from the South Ossetian separatists on Georgian civilians. This operation was hastily planned and implemented. (...) Russia used Georgia’s ground operation as the pretext for its own offensive.

Die Entscheidung der georgischen Führung, in der Konfliktzone militärische Gewalt anzuwenden, war unklug. Zwar ist vieles noch unklar, aber es scheint, daß die Georgier eine ihrer Absicht nach begrenzte Militäroperation durchführen wollten, deren politisches Ziel es war, die georgische Souveränität über Südossetien wiederherzustellen. Damit sollte dem Beschuß georgischer Zivilisten durch südossetische Separatisten ein Ende gemacht werden. Diese Operation wurde überstürzt geplant und umgesetzt. (...) Rußland benutzte die Bodenoperation Georgiens als Vorwand für seine eigene Offensive.
Für eine Offensive, die seit langem geplant und vorbereitet worden war. Rußland hatte - so stellt es sich jetzt dar - den Konflikt systematisch geschürt und friedliche Lösungen blockiert, bis die Situation reif für ein russisches Eingreifen war.



Für Kommentare zu diesem Artikel gibt es einen Thread in "Zettels kleinem Zimmer". Dort findet man auch eventuelle Aktualisierungen und Ergänzungen.

16. August 2008

Krieg in Georgien: Eine Zwischenbilanz in Zitaten

Anfang dieser Woche habe ich in einer kleinen Serie von Artikeln versucht, die verschiedenen Master Narratives, die allgemeinen Rahmen zur Erklärung der Vorgänge in Georgien, ein wenig zu beleuchten.

Jetzt, am Ende der Woche, möchte ich eine Zwischenbilanz ziehen; und zwar nicht in eigener Schilderung, sondern in Zitaten.

Meine Bewertung liegt in der Auswahl der Zitate. Inzwischen spricht aus meiner Sicht sehr viel dafür, daß es sich um eine geplante Aggression Rußlands handelte.




1. Die Vorgeschichte des Kriegs

18. Juli: Tschetschenische Separatisten teilen auf ihrem Portal mit, sie hätten Dokumente erhalten, die auf eine russische Invasion hindeuteten. Die Invasion solle zwischen dem 20. August und dem 10. September stattfinden. Die Operation sei mit abchasischen Separatisten koordiniert (...) Der Blitzkrieg [deutsches Wort im Original] solle 7 bis 10 Tage dauern.

Aus dem Artikel Wojna w Osetii Południowej 2008 (Krieg in Südossetien 2008) in der polnischen Wikipedia. Deutscher Text auf der Grundlage der Übersetzung von Kane.



... there is sufficient evidence that this massive invasion was preplanned beforehand for August (...). The swiftness with which large Russian contingents were moved into Georgia, the rapid deployment of a Black Sea naval task force, the fact that large contingents of troops were sent to Abkhazia where there was no Georgian attack all seem to indicate a rigidly prepared battle plan.

This war was not an improvised reaction to a sudden Georgian military offensive in South Ossetia, since masses of troops cannot be held for long in 24-hour battle readiness.


... es gibt genügend Indizien dafür, daß diese massive Invasion im Voraus für den August geplant gewesen war (...). Die Schnelligkeit, mit der große russische Kontingente nach Georgien verlegt wurden, der schnelle Aufmarsch der Schwarzmeer- Flotte, die Tatsache, daß große Truppen- Kontingente nach Abchasien entsandt wurden, wo es keinen georgischen Angriff gegeben hatte - das alles deutet auf einen genau ausgearbeiteten Schlachtplan hin.

Dieser Krieg war keine improvisierte Reaktion auf eine unerwartete militärische Offensive Georgien in Südossetien, denn Massen von Truppen können nicht auf Dauer rund um die Uhr in Kampfbereitschaft gehalten werden.


Die russische Novaya Gazeta; englische Übersetzung publiziert am 15. August im Blog Georgia & South Caucasus. (Den Hinweis auf diesen Artikel verdanke ich Califax).



Nach meiner Einschätzung hat man [Georgien] sich provozieren und in eine geschickt gestellte Falle locken lassen. (...) Das militärische Handeln Moskaus in Georgien war auch keineswegs sehr eindrucksvoll, legt allerdings den Verdacht nahe, dass es von langer Hand vorbereitet war.

General a.D. Klaus Naumann am 15. August in einem Interview mit "Spiegel- Online".



One senior U.S. diplomat, who is a good friend of mine, had lunch with [Russian Foreign Minister Sergei] Lavrov, and he said to Lavrov that he was planning to go to Georgia in September. And Lavrov replied, "Too late, there will be a war before then."

Ein hoher US- Diplomat, mit dem ich gut befreundet bin, aß mit [dem russischen Außenminister Sergej] Lawrow zu Mittag, und er sagte Lawrow, daß er für September eine Reise nach Georgien vorhätte. Und Lawrow antwortete: "Zu spät, davor wird es Krieg geben."

Der georgische Präsident Mikail Saakaschwili in einem am 12. August publizierten Interview mit Anna Nemtsova von Newsweek; siehe dazu diesen früheren Artikel.




2. Die Opfer des georgischen Angriffs auf Tschinwali

People from the capital Tskhinvali, which became a battlefield after being attacked by Georgia, are recovering from a nightmare. It’s hard to find a citizen who hasn't lost a relative in the conflict. (...) More than 1600 civilians and 74 peacekeepers have been killed in five days of violence. (...)The Chief Priest of the Province, Father Georgy, says 60% of his parishioners were killed.

Die Menschen aus der Hauptstadt Tschinwali, die nach dem Angriff Georgiens zum Schlachtfeld wurde, erholen sich von dem Alptraum. Man findet kaum einen Einwohner, der in dem Kampf nicht einen Verwandten verloren hat. (...) Über 1600 Zivilisten und 74 Angehörige der Friedenstruppe wurden in den fünf Tagen anhaltenden Kämpfen getötet. (...) Der höchste Priester der Provinz, Pater Georgij, sagte, 60 Prozent seiner Gemeindemitglieder seien ums Leben gekommen.

Der russische Propagandasender Russia Today am 14. August.



"Human Rights Watch" issued a report on Thursday that (...) seemed to indicate that early Russian accounts of casualties, which in the first days of fighting reached 2,000, were far too high. In Tskhinvali, where the heaviest fighting took place, the local hospital received 44 corpses and 273 wounded people from Aug. 6, after clashes between separatists and Georgians, to Aug. 12, the report said, citing a doctor.

"Human Rights Watch" veröffentlichte am Donnerstag einen Bericht, (...) der offenbar zeigt, daß die anfänglichen russischen Angaben über die Zahl der Opfer, die in den ersten Tagen 2.000 erreichten, weitaus zu hoch gewesen waren. In Tschinwali, wo die heftigsten Kämpfe stattfanden, wurden zwischen dem 6. August, als es zu Zusammenstößen zwischen Separatisten und Georgiern gekommen war, und dem 12. August 44 Tote und 273 Verwundete in das örtliche Krankenhaus gebracht. So besagt es der Bericht, der sich auf Ärzte beruft.

Sabrina Tavernise und Matt Siegel in der New York Times vom 15. August.




3. Die russischen Truppen ziehen sich aus Georgien zurück

Declaring that "the aggressor has been punished," President Dmitri Medvedev announced early Tuesday that Russia would stop its campaign. By 2 a.m. on Wednesday, he and his Georgian counterpart, Mikheil Saakashvili, had agreed to a plan that would withdraw troops to the positions they had occupied before the fighting broke out.

Am Dienstag erklärte Präsident Dmitri Medwedew, daß "der Aggressor bestraft worden" sei und daß Rußland seinen Feldzug beenden werde. Am Mittwoch um zwei Uhr nachts hatten er und sein georgischer Kollege Mikail Saakaschwili sich auf einen Plan verständigt, der den Rückzug der Truppen auf die Stellungen vorsah, die sie vor dem Ausbruch der Kämpfe innegehabt hatten.

Andrew E. Kramer und Ellen Barry in der International Herald Tribune vom 13. August.



A Russian military convoy advanced to a village 45 km (30 miles) from Tbilisi on Friday, in the deepest incursion since conflict with Georgia erupted last week. The advance of about 17 armored personnel carriers (APCs) and about 200 soldiers coincided with a visit by U.S. Secretary of State Condoleezza Rice (...).

Ein russischer Truppenkonvoi stieß am Freitag zu einem Dorf 45 km (30 Meilen) vor Tiflis vor. Dies war das tiefste Eindringen, seit der Konflikt mit Georgien letzte Woche ausbrach. Der Vormarsch der ungefähr 200 Soldaten mit 17 Schützenpanzern (APCs) traf mit einem Besuch der US- Außenministerin Condoleezza Rice zusammen (...).

James Kilner in einem Bericht von Reuters, publiziert am 15. August, 21.28 Uhr MEZ



Our ground forces never crossed the border of the conflict zone.

Unsere Bodentruppen haben niemals die Grenze der Konfliktzone überschritten.

Der stellvertretende russische Ministerpräsident Sergej Iwanow laut einem Bericht von Ian Traynor, Luke Harding und Helen Womack im Guardian, publiziert am 15. August, 21.16 MEZ.




4. Fazit

They were a big empire, and they fell, but they can’t stop acting like one.

Sie waren ein großes Imperium, und sie gingen unter, aber sie können es nicht lassen, sich wie eines zu benehmen.

Ein Mann, der nur seinen Vornamen Nukri nennen wollte, aus dem georgischen Dorf Karetezhvyari laut New York Times vom 15. August über die Russen, als er am Donnerstag in sein Dorf zurückkehrte und brennende Häuser vorfand.



From a legal point of view our actions are absolutely well- founded and legitimate and moreover necessary

In rechtlicher Sicht sind unsere Aktionen absolut gerechtfertigt und legitim und darüber hinaus notwendig.

Wladmir Putin, zitiert von Yahoo News am 10. August.



Wissen Sie, mein Problem ist - und das haben alle Kollegen, mit denen ich über den Konflikt spreche, für sich bestätigt -, dass wir wirklich zu wenig Informationen und ein unklares Bild haben.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Hans- Ulrich Klose, im Interview mit Marcel Burkhardt in der heutigen "Süddeutschen Zeitung".




5. Die beste Zusammenfassung

"Die sich auf Hintergrundberichte und Augenzeugen stützende Presse" geht davon aus, daß die Truppen aus Grosny mit einem StarTrek- Beamer via Raumschiff Enterprise direkt nach Tschinwali gebeamt wurden. Daß die russischen Landungsschiffe, die mehrere Tausend Fallschirmjäger in Ochamchira angelandet haben, einfach vom Himmel gefallen sind - oder von Raumschiff Enterprise an die Küste gebeamt wurden.

Daß die 58. Armee mit ihren ganzen Panzern, Schützenpanzern, Raketenwerfern, Panzerabwehrkanonen, etc. einen engen, steilen und gewundenen Passpfad, für den schnelle und wendige PKW mehrere Stunden brauchen, innerhalb weniger Minuten zurücklegt, bzw. mit einem Beamer von Raumschiff Enterprise direkt aus den Kasernen von Wladikafkas in den Norden von Tschinwali gezaubert wurden.

Komplett mit einem Spetznaz- Regiment aus Moskau, Kosakeneinheiten und Freiwilligen aus Kasachstan und aus Serbien, die nach eigenen Aussagen speziell für diesen Krieg angereist sind. (...)

Man mag den Russen einiges an Zauberei andichten. Aber weder Landungsschiffe noch Panzerkolonnen bewegen sich mit Überschallgeschwindigkeit.


Califax, dessen Blog "The Outside of the Asylum" ich bei dieser Gelegenheit noch einmal nachdrücklich empfehlen möchte, gestern in "Zettels kleinem Zimmer".



Mit Dank an Califax und Kane. Für Kommentare zu diesem Artikel gibt es einen Thread in "Zettels kleinem Zimmer". Dort findet man auch eventuelle Aktualisierungen und Ergänzungen.

13. August 2008

Eilmeldung bei CNN: Russische Truppen rücken in Richtung Tiflis vor. Saakaschwili: "Wir werden uns nicht ergeben"

Davon, daß die Russen den Waffenstillstand einhalten, kann keine Rede sein.

Heute Morgen drangen weitere Truppen nach Gori ein, gefolgt von - so berichtete es soeben der Korrespondent von CNN Matthew Chance - Freischärlern, die laut Berichten von Einwohnern in der Stadt plündern und Gewalttaten verüben.

Matthew Chance meldete sich von der Straße zwischen Gori und Tiflis. Er befindet sich bei russischen Truppen, die in Richtung Tiflis vorrücken. Sie stoßen offenbar nicht auf Widerstand. Überwiegend handle es sich um Truppentransporter, eskortiert von Panzern.

Matthew Chance berichtete von seltsamen Mitteilungen aus georgischen Regierungskreisen, wonach dieser russische Vormarsch mit Georgien abgesprochen sein könnte und sein Ziel ein Militärlager bei Tiflis sei.



Aktuelle Ergänzung (14.55 Uhr): Jetzt wird Saakaschwili von CNN interviewt. Er bestätigt den russischen Vormarsch auf Tiflis. Von einem georgischen Einverständnis spricht er nicht.

Die russischen Truppen würden versuchen, die Lebensadern der Hauptstadt abzuschneiden. Verschiedene Teile von Tiflis seien bombardiert worden.

Es handle sich um einen "all out attempt of the occupation of Georgia", einen breiten Versuch, ganz Georgien zu besetzen. "The Russians want the whole of Georgia", die Russen wollten ganz Georgien.

Bisher würde Georgien den Waffenstillstand weiter einhalten, aber man werde sich verteidigen. "We will not surrender", wir werden uns nicht ergeben.

"It's about freedom, it's about Georgia, it's about de future of Europe". Es gehe um die Freiheit, um Georgien, um die Zukunft Europas. "This is not going to stop in Georgia" - das werde mit Georgien nicht enden.



Weitere Nachrichten findet man auch in "Zettels kleinem Zimmer". Ich möchte vor allem auf die dortigen aktuellen Beiträge von Califax, Kane und Nola aufmerksam machen.

Hintergründe des Kriegs in Georgien (3): Präsident Saakaschwili schildert den Ablauf der Ereignisse

Dergleichen dürfte es selten gegeben haben - daß der Präsident eines im Krieg befindlichen Landes einer Reporterin wenige Tage nach Kriegsbeginn ein eingehendes Interview gibt, in dem er Punkt für Punkt schildert, wie diese ersten Tage abliefen.

Micheil Saakaschwili hat das gegenüber der Moskauer Korrespondentin von Newsweek, Anna Nemtsova, getan. Gestern publizierte Newsweek dieses erstaunliche Dokument, dessen Lektüre ich dringend empfehle.

Das Interview fand am Montag statt, also bevor Rußland das "Ende der Kämpfe" verkündete und Georgien den EU- Plan akzeptierte.

Im Folgenden einige Auszüge. Das meiste ist von mir paraphrasiert; wörtliche Zitate sind wie üblich eingerückt und von mir übersetzt. Die Reihenfolge der Auszüge weicht von derjenigen in dem Interview ab, das thematisch sprunghaft verlief.



Vorausgehende Warnungen

Saakaschwili berichtet von Mitteilungen eines mit ihm gut befreundeten US- Diplomaten, der mit dem russischen Außenminister Lawrow zu Abend gegessen und diesem erzählt hatte, daß er im September Georgien besuchen wolle. Lawrow habe geantwortet: "Zu spät, bis dahin wird es Krieg geben".

Es gab auch Informationen von befreundeten Diensten, daß etwas im Gange sei. Wenn Georgien bis zum Herbst übersteht, sagten diese Quellen, dann wird die Lage sich beruhigen.



Vorgeschichte des Kriegs

In den vergangenen vier Monaten wurden russische Truppen in Nordossetien zusammengezogen. Georgien war beunruhigt, konnte aber nichts dagegen tun.

In den ersten Tagen der vergangenen Woche gab es eine Reihe von Zwischenfälle in Südossetien. Ein Polizeikonvoi wurde beschossen. Dörfer lagen unter Mörserfeuer. Als das am Donnerstag zunahm, rief Saakaschwili den Generalsekretär der Nato de Hoop Scheffer, den europäischen Außenbeauftragten Javier Solana sowie Staatschefs wie den litauischen Präsidenten Valdas Adamkus an und schilderte ihnen seine Besorgnis.

Anschließend telefonierte er mit dem Kommandeur der russischen Friedenstruppe in Südossetien sowie mit dem Leiter der russischen Friedensmission, Yuri Popov. Beide erklärten ihm, daß sie die ossetischen Separatisten nicht mehr unter Kontrolle hätten. Diese seien nicht ansprechbar und würden nicht ans Telefon gehen.

Dann teilte der amtierende russische Außenminister mit, daß die Separatisten die Feindseligkeiten begonnen hätten und daß Rußland versuchen würde, die Situation zu beruhigen.

Saakaschwili sagte den Russen daraufhin, daß Georgien eine einseitige Feuerpause erklären würde und daß sie ihrerseits etwas unternehmen sollten. Diese Feuerpause verkündete Saakaschwili in der Nacht zum Freitag im georgischen Fernsehen.



Das Telefonat mit dem Generalsekretär der Nato

Für die Glaubwürdigkeit Saakaschwilis ist nicht unwichtig, daß er immer wieder Telefonate mit internationalen Partnern zitiert. Die folgende Aussage wurde vom Gesprächspartner auf Anfrage von Newsweek nicht dementiert, sondern sein Büro lehnte einen Kommentar mit dem Verweis auf die Vertraulichkeit des Gesprächs ab:
When I called the secretary- general of NATO, I said, "Look, this is happening. Conditions are nasty." I said the Russians are being helpful. They are trying to stop the separatists. And you know what he told me? He said, "I don't think so. I think this is a Russian game." He was right and I was wrong.

Als ich den Nato- Generalsekretär anrief, sagte ich: "Schauen Sie, dies und jenes ist im Gang. Die Dinge stehen nicht gut." Ich sagte, die Russen würden helfen. Sie würden versuchen, die Separatisten zu stoppen. Und wissen Sie, was er mir sagte? Er sagte: "Das glaube ich nicht. Ich glaube, das ist das Spiel der Russen". Er hatte Recht, und ich hatte Unrecht.


Der Beginn des Kriegs

Es liefen Meldungen ein, wonach russische Panzer und gepanzerte Truppentransporter durch den Tunnel nach Südossetien eindrangen, der es mit Nordossetien verbindet:
Finally we said, "OK, the only way to stop this convoy was to open artillery fire." We did not have enough military on the ground to start a ground assault. So we did fire at that convoy, and we fired at Tskhinvali. But before that, and every international observer saw that, there were several hours of barrage, to which we didn't respond. And in the meantime, we were trying to get international involvement.

Schließlich sagten wir: "OK, wir können diesen Konvoi nur durch Artilleriefeuer stoppen". Wir hatten nicht genügend Truppen im Feld, um einen Bodenangriff zu beginnen. Also feuerten wir auf diese Truppen, und wir beschossen Tschinvali. Aber zuvor - und jeder internationale Beobachter sah das - hatte es mehrere Stunden Sperrfeuer gegeben, auf das wir nicht geantwortet hatten. Und in der Zwischenzeit hatten wir versucht, ein internationales Eingreifen zu erreichen.


Der Verlauf des Kriegs bis Montag

Die Stadt Gori in Zentralgeorgien lag unter heftigem Feuer. Es wurde gezielt der dortige Marktplatz bombardiert, um - so Saakaschwili - Panik zu verbreiten.

Der Hafen Porti wurde ebenfalls von den Russen beschossen. Als russische Flugzeuge im Anflug auf die Hafenstadt Batumi waren, befahl Saakaschwili, die Stadt zu verdunkeln. Die Bomben verfehlten die Stadt und fielen ins Meer.

In Ostgeorgien warfen die Russen Bomben in der Nähe der Pipeline ab. Es wurden Militärbasen sowie verschiedene Bahnhöfe ohne jede militärische Bedeutung bombardiert.

Drei russische Piloten wurden gefangengenommen, von denen einer verletzt in einem Krankenhaus in Tiflis liegt. Zwei wurden tot geborgen. Andere konnten sich mit dem Schleudersitz retten, als ihr Flugzeug abgeschossen wurde.



Rußlands Absichten

Saakaschwili ist der Meinung, daß der Krieg nicht um Südossetien oder Abchasien geführt wird, sondern um Georgien selbst:
I think they want the whole of Georgia. They have clearly said through different diplomats at different levels that they want the annihilation of Georgia. (...)

And they've always been after us here. They couldn't care less about South Ossetia. President Putin told me the first time I met him he had never heard about South Ossetia. (..)

They need control of energy routes from Central Asia and the Caspian. They need seaports. They need our transportation infrastructure. And primarily, they want to get rid of us. They want to make regime change. And they want to get rid of any democratic movement in this part of their neighborhood. That's it, period.

Ich glaube, daß sie ganz Georgien wollen. Sie haben durch verschiedene Diplomaten auf verschiedenen Ebenen klar gesagt, daß sie die Beseitigung von Georgien wollen. (...)

Und sie waren hier immer auf uns aus. Südossetien könnte ihnen nicht gleichgültiger sein. Als ich Präsident Putin das erste Mal traf, sagte er mir, daß er noch nie von Südossetien gehört hätte. (...)

Sie brauchen die Kontrolle über Wege des Energietransports von Zentralasien und dem Kaspischen Meer. Sie brauchen Seehäfen. Sie brauchen unsere Verkehrs- Infrastruktur. Sie wollen einen Regimewechsel. Und sie wollen jede demokratische Bewegung in diesem Teil ihrer Nachbarschaft loswerden. Das ist es. Punkt.


Ich habe dieses Interview relativ ausführlich paraphrasiert und zitiert, weil es mir eine historische Quelle zu sein scheint. Wie jede historische Quelle natürlich der Quellenkritik bedürftig.

Saakaschwili stellt naturgemäß einseitig die georgische Sicht dar, wie sie am Montag bestand. Aber er nennt auch viele konkrete Einzelheiten, die nachprüfbar sind.

In The Outside of the Asylum findet man eine penible Rekonstruktion der Abläufe, soweit es dafür bisher Quellen gibt. Sie deckt sich außerordentlich gut mit dem, was Saakaschwili in dem Interview darlegt.

Was ich gestern im zweiten Teil dieses Artikels als das größte Rätsel dieses Kriegs gesehen hatte - warum Georgien in die Falle tappte, durch den Einmarsch nach Südossetien den Russen einen Vorwand zum Eingreifen zu liefern -, das findet damit eine banale Auflösung: Es war gar nicht so, daß die Georgier zuerst einmarschierten und Tschinwali beschossen. Sondern der Krieg begann damit, daß russische Truppen am frühen Morgen des 8. August durch den Roki- Tunnel nach Südossetien eindrangen.

Die Welt ist, wenn das so stimmt, einer russischen Propaganda- Lüge aufgesessen. Nicht nur war Georgien nicht der Angreifer, sondern es hat noch nicht einmal - wie ich gestern noch vermutete - präventiv gehandelt. Es reagierte erst, als russische Truppen schon im Land standen.



Und noch ein Punkt, in dem ich mich vermutlich gestern geirrt habe: Ich hatte als Erklärung für ein präventives Vorgehen Georgiens angenommen, daß dessen Militär von Ergebnissen der US- Aufklärung über den russischen Aufmarsch Kenntnis hatte.

Zumindest für den Beginn des Angriffs in den Morgenstunden des 8. August traf das, wenn man Saakaschwili folgt (und der Rekonstruktion in The Outside of the Asylum), nicht zu. Die Georgier wurden überrascht.

In "Zettels kleinem Zimmer" hatte das gestern R.A. richtig so vermutet, und ich hatte ihm zu Unrecht widersprochen.



Für Kommentare zu diesem Artikel gibt es einen Thread in "Zettels kleinem Zimmer". Dort findet man auch eventuelle Aktualisierungen und Ergänzungen.

12. August 2008

Hintergründe des Kriegs in Georgien (2): Rußlands Rückkehr zu einer imperialen Politik? Nebst der Stellungnahme von Präsident Saakaschwili

Wer seine Informationen nur aus den deutschen Medien, vor allem dem deutschen TV bezieht, der wird vermutlich einem der beiden im ersten Teil beschriebenen Master Narratives über die Hintergründe des Kriegs in Georgien zuneigen: Daß er von Georgien durch den Versuch begonnen wurde, Südossetien zurückzuerobern; oder daß man in einer Eskalation der Gewalt in diesen Krieg geschlittert ist.

Wer seine Informationen aus internationalen Medien bezieht, der wird vermutlich die dritte Möglichkeit zumindest ernsthaft in Betracht ziehen:

Drittes Master Narrative: Rußland will einen Beitritt Georgiens zur Nato verhindern und das Land unter seine Kontrolle bringen

Dieses Interpretationsschema ist in der angelsächsischen Presse weit verbreitet; ja seine Richtigkeit wird nachgerade als selbstverständlich vorausgesetzt, wie zum Beispiel gestern von William Kristol in der New York Times, der nur noch fragt: "Will Russia Get Away With It?", wird Rußland damit davonkommen?

Beispiele für dieses Master Narrative habe ich schon in früheren Beiträgen zitiert:

In einem Editorial vom Sonntag schrieb die Washington Post, das Vorgehen Rußlands sei eine Reaktion auf die Weigerung der Nato im April, Georgien den Status eines Aufnahme- Aspiranten (Membership Action Plan) zu gewähren.

Rußland wolle jetzt der Nato klarmachen, daß Georgien für eine Mitgliedschaft zu instabil sei, hieß es in dem Editorial, und das Land damit wieder unter seinen Einfluß bringen. Auch eine vollständige Eroberung Georgiens und den Sturz der Regierung schloß die Washington Post als Moskaus Kriegsziel nicht aus.

In dieselbe Richtung geht das, was gestern hier an Stimmen aus dem UK zu lesen war:

Der ehemalige britische Europaminister Denis MacShane sieht wie William Kristol in dem Angriff auf Georgien den Versuch, an die imperiale Politik der Sowjetunion anzuknüpfen: "Once again, Russia threatens peace, stability, the rule of law and the rights of sovereign democracies on its border"; wieder einmal bedrohe Rußland den Frieden, die Stabilität, die Gesetzlichkeit und die Rechte souveräner Demokratien an seinen Grenzen.

Und der Rußlandexperte Owen Matthews meinte, von jetzt ab werde Moskau jede weitere Verstärkung des westlichen Einflusses an seinen Grenzen unterbinden und seinerseits sein Einflußgebiet auszuweiten versuchen.

Einzelheiten, die diese Interpretation stützen, berichtete Helene Cooper am Sonntag in der New York Times. Condoleeza Rice habe Putin aufgefordert, die territoriale Integrität Georgiens zu respektieren:
What did Mr. Putin do? First, he repudiated President Nicolas Sarkozy of France in Beijing, refusing to budge when Mr. Sarkozy tried to dissuade Russia from its military operation. "It was a very, very tough meeting," a senior Western official said afterward. "Putin was saying, 'We are going to make them pay. We are going to make justice.'"

Then, Mr. Putin flew from Beijing to a region that borders South Ossetia (...) The Russian message was clear: This is our sphere of influence; others stay out. (...)

"What the Russians just did is, for the first time since the fall of the Soviet Union, they have taken a decisive military action and imposed a military reality," said George Friedman, chief executive of Stratfor, a geopolitical analysis and intelligence company. "They’ve done it unilaterally, and all of the countries that have been looking to the West to intimidate the Russians are now forced into a position to consider what just happened."

Was tat Putin? Zunächst wies er den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy in Peking zurück. Als Sarkozy Rußland von seiner Militär- Operation abzubringen versuchte, bewegte er sich nicht: "Es war ein sehr, sehr hartes Zusammentreffen", sagte danach ein westlicher Sprecher. Putin sagte immer wieder: 'Wir werden sie bezahlen lassen. Wir werden Recht schaffen.' "

Danach flog Putin von Peking in ein Gebiet an der Grenze zu Südossetien (...) Die russische Botschaft war klar: Dies ist unsere Einflußsphäre; da hat niemand sonst etwas zu suchen. (...)

"Was die Russen jetzt getan haben, ist, daß sie erstmals seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine entscheidende Militäraktion durchgeführt und militärische Realität erzwungen haben", sagte George Friedman, der Leiter von Stratfor, einer Gesellschaft für geopolitische Analysen und Informationen. "Sie haben es unilateral getan, und alle die Länder, die damit gerechnet hatten, daß der Westen die Russen einschüchtern würde, werden jetzt gezwungen, zu bedenken, was gerade passiert ist."



Was ist von diesen drei Master Narratives zu halten? Wirklich klären wird sich das allenfalls dann, wenn weitere Informationen vorliegen, vor allem solche aus den Berichten von Geheimdiensten. Solange das nicht der Fall ist, kann man nur Erwägungen zur Plausibilität anstellen. Hier sind einige:
  • Die drei Interpretationen schließen einander nicht völlig aus. Im Prinzip könnte es sein, daß der tatsächliche Ablauf Elemente von allen dreien enthielt. Daß beispielsweise beide Seiten zwar Pläne für diesen Krieg in ihren Schubladen hatten, daß aber eine unkontrollierte Eskalation dazu führte, daß diese Pläne jetzt umgesetzt wurden. Auch ein Plan von Tiflis, Südossetien jetzt zurückzuerobern, ist nicht unbedingt unvereinbar mit einem Plan Moskaus, Georgien zu demütigen und aus der Nato herauszuhalten.

  • In einer Zeit der Satellitenaufklärung ist es unwahrscheinlich, daß nicht beide Seiten über den Aufmarsch der jeweils anderen voll informiert waren. (Ich setze jetzt voraus, daß Erkenntnisse der USA den Georgiern zur Verfügung gestellt wurden). Daß die Georgier darauf vertrauten, Rußland würde eine Rückeroberung Südossetiens unter dem Druck der USA tatenlos hinnehmen (wie es Jürgen Gottschlich unterstellt), ist also sehr unwahrscheinlich. Man mußte in der Nacht zum Freitag in Tiflis wissen, daß Teile der 58. Armee Rußlands einmarschbereit standen.

  • Dann ist aber ein Hineinschliddern in den Krieg unwahrscheinlich. Als Micheil Saakaschwili den Befehl zum Einmarsch nach Südossetien gab, mußte er davon ausgehen, daß die Russen militärisch antworten würden.

  • Warum tat er es dann aber? Warum tappte Saakaschwili in die Falle, wie es Owen Matthews formulierte? Das ist das große Rätsel dieses Kriegs. Daß Georgien gegen die russische Armee einen sehr schweren Stand haben würde, liegt auf der Hand. Hätte Saakaschwili die Auseinandersetzung mit Rußland dennoch gesucht, dann hätte er das gewiß nicht getan, solange noch 3000 Mann Elitetruppen Georgiens im Irak standen.

  • Wahrscheinlicher erscheint es deshalb, daß dieser Einmarsch - der ja nach einem anfänglich angekündigten Waffenstillstand befohlen wurde - der Versuch war, für eine bevorstehende Auseinandersetzung mit der russischen Armee wenigstens günstige Voraussetzungen zu schaffen. Sinn würde das machen, wenn die Georgier Informationen gehabt hätten, daß der Angriff der Russen bevorstand.

  • Für einen russischen Angriffsplan sprechen die mehrfachen Ankündigungen Rußlands (siehe den ersten Teil, dort unter dem 3. und 4. August genannt), es werde nicht tatenlos bleiben. Im Nachhinein erscheint das wie die vorbereitende Rechtfertigung eines Einmarschs.

  • Auch das Timing spricht dafür, daß Rußland der Aggressor ist und Georgien ihm lediglich zuvorzukommen versuchte. Denn wenn Rußland die Erhebung Georgiens zum Nato- Aspiranten (Membership Action Plan) verhindern wollte, dann stand es wegen der für Dezember vorgesehenen Entscheidung unter Zeitdruck. Georgien dagegen hätte, falls es eine militärische Lösung in Südossetien suchte, warten können, bis seine Elitetruppen aus dem Irak zurück sind.
  • Plausibilitätsüberlegungen, gewiß. Nicht mehr. Ich habe mir die Freiheit genommen, sie zur Diskussion zu stellen, weil ich den Eindruck habe, daß viele Kommentatoren in Deutschland noch nicht einmal Plausibilitätsüberlegungen anstellen, sondern die russische Version blind übernehmen.



    Audiatur et altera pars. Im Wall Street Journal hat Präsident Saakaschwili gestern den Beginn des Kriegs aus georgischer Sicht geschildert:
    Our friends in Europe counseled restraint, arguing that diplomacy would take its course. We followed their advice and took it one step further, by constantly proposing new ideas to resolve the conflicts. (...)

    Our offers of peace were rejected. Moscow sought war. In April, Russia began treating the Georgian regions of Abkhazia and South Ossetia as Russian provinces. Again, our friends in the West asked us to show restraint, and we did. But under the guise of peacekeeping, Russia sent paratroopers and heavy artillery into Abkhazia. Repeated provocations were designed to bring Georgia to the brink of war.

    When this failed, the Kremlin turned its attention to South Ossetia, ordering its proxies there to escalate attacks on Georgian positions. My government answered with a unilateral cease-fire; the separatists began attacking civilians and Russian tanks pierced the Georgian border. We had no choice but to protect our civilians and restore our constitutional order. Moscow then used this as pretext for a full-scale military invasion of Georgia.

    Unsere europäischen Freunde rieten zur Zurückhaltung und argumentierten, daß die Diplomatie ihren Gang nehmen werde. Wir folgten ihrem Rat und gingen noch einen Schritt weiter, indem wir regelmäßig neue Ideen vorschlugen, um die Konflikte zu lösen. (...)

    Unsere Friedensangebote wurden zurückgewiesen. Moskau suchte den Krieg. Im April begann Rußland damit, die georgischen Regionen Abchasien und Südossetien als russische Provinzen zu behandeln. Wiederum baten uns unsere Freunde im Westen, Zurückhaltung zu üben, und wir folgten dem. Aber Rußland schickte unter dem Deckmantel von Friedenstruppen Fallschirmjäger und schwere Artillerie nach Abchasien. Wiederholte Provokationen dienten dem Zweck, Georgien an den Rand eines Kriegs zu bringen.

    Als das scheiterte, wandte der Kreml seine Aufmerksamkeit nach Südossetien und befahl seinen Statthaltern dort, ihre Angriffe auf georgische Stellungen zu eskalieren. Meine Regierung antwortete mit einem einseitigen Waffenstillstand; die Separatisten begannen Zivilisten anzugreifen, und russische Panzer stießen zur georgischen Grenze vor. Wir hatten keine Wahl, als unsere Zivilisten zu schützen und die verfassungsmäßige Ordnung wieder herzustellen. Moskau benutzte das dann als Vorwand für eine breit angelegte militärische Invasion Georgiens.



    Nachtrag: Inzwischen hat im Blog "The Outside of the Asylum" Califax den Ablauf der Ereignisse penibel rekonstruiert.

    Das Beste, das ich dazu gelesen habe. Da leistet ein Blogger das, was man von den professionellen Journalisten eigentlich erwarten sollte.

    Wenn man sich diesen Ablauf ansieht, dann ist die dritte Master Narrative nicht nur die wahrscheinlichste, sondern sie erscheint als die überhaupt einzige, die mit den Details der Vorgänge im Einklang steht.



    Für Kommentare zu diesem Artikel gibt es einen Thread in "Zettels kleinem Zimmer". Dort findet man auch eventuelle Aktualisierungen und Ergänzungen. - Siehe auch die Diskussionen in diesem Thread zum selben Thema.

    Hintergründe des Kriegs in Georgien (1): In den Krieg geschliddert? Oder gepokert und verloren?

    Nicht nur im Wahlkampf gibt es die Konkurrenz um das Master Narrative, das Rahmenschema, das bestimmt, wie die Auseinandersetzung interpretiert wird, wie die Protagonisten gesehen werden. Im wirklichen, im blutigen Kampf des Kriegs ist es nicht anders. In der Weltöffentlichkeit eine bestimmte, nämlich die eigenen Sicht auf den Krieg zu verbreiten, ist unter Umständen nicht weniger wichtig als der militärische Erfolg.

    Im Irak-Krieg wollten die USA das Rahmenschema vermitteln "Saddam Hussein bedroht mit seinen WMDs, die er an Terroristen weitergeben kann, die Welt und muß deshalb gestürzt werden". Die Gegner der USA verbreiteten - weitaus erfolgreicher - das Master Narrative "Die imperialistischen USA greifen den Irak an, um dessen Öl in ihren Besitz zu bringen und den Nahen Osten zu beherrschen".

    Jetzt, wo der Krieg in Georgien kaum vier Tage alt ist, wird bereits ebenso heftig um die Herrschaft über seine Interpretation gerungen. Zwei Master Narratives stehen sich gegenüber. Und es gibt noch ein drittes, das von niemandem beworben wird, weil es niemandem nützt, wenn die Menschen es für das richtige halten. Mit ihm beginne ich.



    Erstes Master Narrative: Man ist in diesen Krieg geschliddert.

    Die Metapher vom Schliddern in den Krieg wurde bekanntlich in Bezug auf den Ersten Weltkrieg geprägt. Unter Historikern hat sie nur wenige Anhänger, wie überhaupt Historiker Zufälle nicht mögen; kein Wissenschaftler mag sie. Sie suchen lieber nach Ursachen, nach Hintergründen, nach Plänen, die die eine oder die andere Seite schmiedete und die den Krieg zumindest als Option einschlossen; etwa den "Griff nach der Weltmacht".

    Vielleicht gab und gibt es diese Pläne auch für den jetzigen Krieg. Aber sehen wir zunächst die Möglichkeit eines Hineinschlidderns an.

    Die Vorgänge, die am vergangenen Freitag zur offenen militärischen Konfrontation zwischen Rußland und Georgien führten, habe ich in der Nacht zum Samstag so zusammengestellt, wie sie (mir) damals bekannt waren. Inzwischen gibt es eine detaillierte Chronologie im Nouvel Observateur. Hier die wichtigsten Ereignisse seit Juli:
    Seit Anfang Juli kommt es in Südossetien zu Scharmützeln zwischen Rebellen und georgischen Truppen, an denen sich die Seiten gegenseitig die Schuld geben.

    9.-10. Juli: Condoleezza Rice besucht Georgien und fordert zur Einstellung dieser Kämpfe auf. Am 10. Juli überfliegen russische Kampfflugzeuge Südossetien. Georgien ruft daraufhin seinen Botschafter aus Moskau zurück.

    15. Juli: Sowohl Rußland als auch Georgien beginnen mit Manövern im Grenzgebiet.

    21. Juli: Georgische Truppen nehmen in Südossetien vier Personen fest. Laut Georgien sind es Drogenhändler. Südosseten sprechen von einer Entführung.

    25. Juli: Bei der Explosion einer Autobombe in Südossetien kommt ein Mensch ums Leben.

    1. August: Bei einem Gefecht mit georgischen Truppen kommen sechs Menschen ums Leben. Nach georgischen Angaben wurden die Georgier von ihnen angegriffen.

    3. August: Rußland warnt vor einem "größeren Konflikt" und beschuldigt Georgien, Truppenbewegungen vorzunehmen.

    4. August: Es findet ein Gespräch zwischen den stellvertretenden Außenministern Georgiens und Rußlands statt. Der Letztere äußert die russische "Besorgnis über unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt". Die Regierung der selbsternannten "Republik Südossetien" gibt bekannt, daß sie nach blutigen Zwischenfällen mit der Evakuierung von Kindern begonnen hätte. Tiflis bezeichnet das als Propaganda.

    5. August: Rußland teilt mit, daß es sich nicht "abseits halten" könne, wenn die Spannungen weiter stiegen.

    6. August: Die beiden Seiten beschuldigen sich gegenseitig, bei Zwischenfällen das Feuer eröffnet zu haben.

    7. August: An diesem Tag kommen ein Dutzend Menschen bei Kämpfen ums Leben. Georgien und die "Republik Südossetien" vereinbaren ein Gespräch.

    8. August: In der Nacht beginnt Georgien eine Offensive gegen Südossetien. Putin kündigt "Gegenmaßnahmen" an. Russische Panzer und LKW- Kolonnen werden von Wladikawkaz im russischen Nordossetien aus in Marsch gesetzt.

    9. August: Der georgische Präsident erklärt, sein Land sei im Krieg. Das georgische Parlament beschließt einen Kriegszustand von 15 Tagen. Rußland meldet die Einnahme von Tschinwali.
    Dieser Ablauf ist vereinbar mit einem Master Narrative, wonach keine Seite den Krieg plante, sondern dieser aus sich gegenseitig steigernden Gewaltakten schließlich hervorging. Der Krieg wäre danach die Folge des Versagens von Krisenmanagement.



    Zweites Master Narrative: Georgien hat gepokert und verloren.

    Dieses Interpretationsschema wird von den Russen vertreten. Wer den Sender Russia Today einschaltet, der bekommt es rund um die Uhr nahegebracht. Auch in den deutschen Medien ist dieses Master Narrative weit verbreitet. Eine der klarsten Darstellungen hat Jürgen Gottschlich gestern in der taz publiziert:
    Michail Saakaschwili hat sich verspekuliert. Der am Freitag letzter Woche begonnene Versuch, die seit 1992 abtrünnige Provinz Südossetien mit Waffengewalt wieder unter georgische Kontrolle zu bringen, ist blutig gescheitert. (...) Was also hat den georgischen Präsidenten getrieben und worauf hat er spekuliert? (...)

    Noch gibt es dazu keine verlässlichen Informationen, aber offensichtlich ist Saakaschwili davon ausgegangen, dass seine US-Unterstützer, allen voran US-Präsident George W. Bush, dafür Sorge tragen würden, dass Russland so lange stillhält, bis die von den USA aufgerüsteten und trainierten georgischen Truppen in Südossetien neue Fakten geschaffen haben.
    Rußland tat aber, so wäre diese Interpretation fortzusetzen, Saakaschwili diesen Gefallen nicht, sondern schuf seinerseits mit seinem Eingreifen neue Fakten.

    Nach dieser Master Narrative ist man in den Krieg nicht hineingeschliddert, sondern er wurde von Tiflis geplant. Geplant allerdings nur als ein Krieg in Südossetien, der aber ungeplant ein Eingreifen Rußlands nach sich zog.

    Eine dritte Interpretation nimmt dagegen an, daß der Krieg von Anfang an von Moskau beabsichtigt wurde und das Vorgehen der Georgier lediglich den Vorwand für seinen Beginn lieferte.

    Auf diese Möglichkeit gehe ich im zweiten Teil ein, in dem ich auch eine Bewertung der konkurrierenden Erklärungen versuchen werde.

    (Fortsetzung folgt)



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    10. August 2008

    Wer sind die Adressaten des Ossetien-Kriegs? Merkel, Steinmeier, Sarkozy. Nebst einer Erinnerung an München 1938

    Gestern brachte die ARD-"Tagesschau" in mehreren Ausgaben die Meldung, Südossetien gehöre zwar zu Georgien, "wird aber überwiegend von Russen bewohnt".

    Das war eine krasse Falschmeldung. Tatsächlich sind - man konnte es gestern hier lesen - nur ungefähr zwei Prozent der Einwohner Südossetiens Russen. Ungefähr zwei Drittel sind Osseten, zwischen fünfundzwanzig und dreißig Prozent sind Georgier. Ein Blick in die zum Beispiel in der Wikipedia verfügbaren Daten der Volkszählungen von 1926, 1939, 1959, 1970 und 1979 hätte die Redaktion der "Tagesschau" davor bewahrt, eine falsche Behauptung zu verbreiten.



    Wie kam es zu dieser Falschmeldung? Es scheint, daß die Redakteure der "Tagesschau" ungeprüft russische Meldungen übernommen und sie falsch interpretiert haben, die seit gestern verbreitet werden; ich hatte sie den Tag über in dem russischen Propagandasender Russia Today gehört. Danach haben achtzig Prozent der Bewohner Südossetiens einen russischen Paß.

    Der russische Präsident Medwedew erklärte gestern, "that Russian forces in South Ossetia also have a mission to protect civilians in the province, most of whose residents hold Russian passports"; daß die russischen Streitkräfte in Südossetien auch den Auftrag haben, Zivilisten in dieser Provinz zu schützen, von deren Einwohnern die meisten einen russischen Paß besitzen.

    Wieso haben die meisten Einwohner einer Provinz des souveränen Staats Georgien einen russischen Paß? Nicht, weil sie Russen wären. Sondern weil - so berichtet es zum Beispiel Robert Parsons im aktuellen Telegraph - Rußland sie in den vergangenen Jahren systematisch mit russischen Pässen ausgestattet hat:
    Georgia now stands on the very brink of a grotesquely uneven conflict with a resurgent Russia itching to flex its muscles and burning with post-imperial hubris. The chosen causus belli is South Ossetia, which fought a separatist war with Georgia in 1992 and has enjoyed the support of Russia ever since.

    So much so, that Russia has spent the intervening years handing out Russian passports to any South Ossetian who cares to have one. These are the people who Dmitry Medvedev had in mind on Thursday when he said that as president of the Russian Federation, he was obliged to defend the lives of Russian citizens wherever they were.

    Georgien steht jetzt unmittelbar am Rand eines grotesk ungleichen Konflikts mit einem wieder aufstrebenden Rußland, das es juckt, seine Muskeln spielen zu lassen und das vor postimperialer Hybris brennt. Der Kriegsgrund, den man ausgesucht hat, ist Südossetien, das 1992 gegen Georgien einen Unabhängigkeitskrieg ausfocht und das sich seither der Unterstützung Rußlands erfreut.

    So sehr, daß Rußland die zurückliegenden Jahre damit verbrachte, jedem Südossetier, der einen haben mochte, einen russischen Paß auszuhändigen. Dies sind die Leute, die Dmitri Medwedew am Donnerstag meinte, als er sagte, daß er als Präsident der Russischen Föderation verpflichtet sei, das Leben russischer Bürger zu schützen, wo immer sie seien.



    Man sieht, wie langfristig die Russen das vorbereitet haben, was sich jetzt abspielt.

    Südossetien gehört im gleichen Sinn, auf derselben Rechtsgrundlage zu Georgien, wie Tschetschenien zu Rußland. Tschetschenien, gegen dessen Unabhängigkeit Rußland einen blutigen Krieg geführt hat.

    Warum unterstützen die Russen dann den südossetischen Separatismus? Die Frage ist begründet, wenn man sich zum Beispiel das Verhalten der Staaten Afrikas ansieht. Viele von ihnen sind von separatistischen Bestrebungen bedroht. Also stehen sie fast alle gegen jeden Separatismus zusammen, auch wenn dieser einen verfeindeten Staat treffen mag. Denn sie wissen, daß erfolgreiche Beispiele ansteckend sind.

    Wenn sich Rußland so ostentativ anders verhält als die afrikanischen Staaten, wenn es in Bezug auf Südossetien exakt das Gegenteil des Prinzips vertritt, das es für Tschetschenien in Anspruch nimmt, dann muß das also schwerwiegende Motive haben.

    Über das Hauptmotiv schreibt die Washington Post in einem Editorial in ihrer heutigen Ausgabe:
    At its summit in Bucharest, Romania, in April, NATO offered Georgia eventual membership. This was not the more concrete promise that Georgia and the Bush administration had wanted. But Tbilisi and Washington settled for less in deference to European NATO members who wanted to avoid inflaming Russia. It didn't work, because Moscow responded by increasing its ties to Abkhazia and South Ossetia (...)

    It's doubtful, though not unthinkable, that Russia plans to conquer all of Georgia. But its objectives are no less cynical for that. Simply by keeping the country in a constant state of territorial division and conflict, it hopes to show NATO that Georgia is too unstable for membership -- thus giving Georgia no choice but to submit to Moscow's "influence."

    Auf ihrem Gipfel in Bukarest (Rumänien) im April bot die Nato Georgien eine Mitgliedschaft als Endziel an. Das war nicht das konkretere Versprechen, das Georgien und die Regierung Bush gewünscht hatten. Aber Tiflis und Washington gaben sich mit Rücksicht auf die europäischen Nato- Staaten, die es vermeiden wollten, Rußland zu erzürnen, mit weniger zufrieden. Das funktionierte nicht, denn Rußlands Reaktion bestand darin, seine Bindungen zu Abchasien und Südossetien zu verstärken. (...)

    Es ist zweifelhaft, wenn auch nicht undenkbar, daß Rußland vorhat, das gesamte Georgien zu erobern. Aber deshalb sind seine Ziele nicht weniger zynisch. Einfach indem es das Land in einem anhaltenden Zustand der Trennung seines Gebiets und des Konflikts hält, hofft es der Nato zu zeigen, daß Georgien für eine Mitgliedschaft zu instabil ist - so daß Georgien keine Wahl bleibt, als sich dem "Einfluß" Rußlands zu unterwerfen.



    Das ist die Quittung dafür, daß die Nato es im April in Bukarest abgelehnt hat, Georgien den Status Membership Action Plan (MAP) zu gewähren, also die verbindliche Einleitung des Prozesses der Aufnahme in die Nato. Ob es Rußland gewagt hätte, gegen einen solchen Nato- Aspiranten so vorzugehen, wie es das jetzt gegen das ohne Verbündete dastehende Georgien tut, ist sehr die Frage.

    Es ist wieder einmal - siehe auch die ausgezeichnete Analyse in "Hotel Villa de Art" - wie in München 1938: Einem aggressiven, expansiven und undemokratischen Staat mit Kompromissen entgegenzukommen, stärkt nur dessen Appetit.

    Damals, im April dieses Jahres, schrieb der Economist unter der Überschrift "With allies like these" (Mit derartigen Verbündeten) über den Antrag Georgiens auf den MAP-Status:
    ... to many, particularly America and ex-communist states, this was a question of principle: NATO had to keep its vow to welcome fragile democracies, and should give no veto to Russia, especially in its current aggressive mood.

    Germany says Russia's president-elect, Dmitry Medvedev, should get time to settle in without being forced into a spat with NATO. "What is the rush?" asked one senior official.

    At a bad-tempered foreign ministers' meeting on the opening night, Germany's foreign minister, Frank-Walter Steinmeier, told colleagues Georgia would not be fit to join until it had resolved the “frozen conflicts” over two Russian-backed statelets on its soil. (...)

    After much haggling, the allies declared that the two countries “will become members of NATO” eventually — but that a decision on MAP would only be taken by foreign ministers in December. Even that could be a humiliation for the Georgians, whose volatile president, Mikheil Saakashvili, privately compared anything short of MAP to appeasement of the Nazis.

    Für viele, vor allem Amerika und ex- kommunistische Staaten, war das eine Frage des Prinzips: Die Nato hatte ihren Schwur zu halten, fragile Demokraten willkommen zu heißen, und durfte Rußland, vor allem in seiner momentanen aggressiven Haltung, kein Vetorecht einräumen.

    Deutschland erklärt, der gewählte russische Präsident, Dmitri Medwedew, sollte Zeit bekommen, sich einzurichten, bevor man ihn in eine Auseinandersetzung mit der Nato hineinzwinge. "Wo ist der Grund zur Eile?" fragte ein leitender Beamter.

    Auf einem angespannten Treffen der Außenminister am ersten Abend der Konferenz erklärte der deutsche Außenminister Frank- Walter Steinmeier gegenüber seinen Kollegen, daß Georgien solange nicht reif für eine Mitgliedschaft sei, wie es nicht die "eingefrorenen Konflikte" mit zwei von Rußland unterstützten Mini- Staaten auf seinem Boden gelöst hätte. (...)

    Nach viel Geschacher verkündete die Allianz, daß die beiden Länder [es ging auch um die Ukraine; Anmerkung von Zettel] schlußendlich "Mitglieder werden" - daß aber eine Entscheidung über eine MAP von den Außenministern erst im Dezember getroffen werden würde. Selbst das konnte für die Georgier eine Demütigung sein, deren sprunghafter Präsident Michael Saakaschwili im vertraulichen Gespräch alles unterhalb einer MAP mit der Beschwichtigungs- Politik der Nazis verglich.

    Wie sehr er mit seinem Vergleich recht haben würde, hat vermutlich damals selbst der georgische Präsident nicht geahnt.

    Nur daß Hitlers Verhalten nach 1938 die westlichen Staaten aufrüttelte. Während Putin vermutlich zu Recht darauf spekuliert, daß - siehe oben das Editorial der Washington Post - Steinmeier, Merkel und Sarkozy die Botschaft des jetzigen Kriegs richtig verstehen werden: Wenn ihr gut Freund mit Rußland sein wollt, dann Finger weg von Georgien.



    Mit Dank an Kane. Für Kommentare zu diesem Artikel gibt es einen Thread in "Zettels kleinem Zimmer". Dort findet man auch eventuelle Aktualisierungen und Ergänzungen.

    9. August 2008

    Der Ossetienkrieg als postkolonialer Konflikt. Nebst einer Zusammenfassung der Ereignisse, die zu diesem Krieg führten

    Wenn Kolonien in die Unabhängigkeit entlassen werden, dann führt das häufig zu postkolonialen Konflikten; manchmal zu blutigen Kriegen wie denen in Indien nach dem Abzug der Briten und im Kongo nach demjenigen der Belgier. Die Gründe sind vielfältig; aber zwei Ursachen lassen sich fast immer konstatieren.

    Zum einen wurden ethnische Konflikte durch die Kolonialmacht unterdrückt, so wie sie auch in multiethnischen, undemokratischen Staaten wie Jugoslawien unterdrückt wurden. Was sich an Konfliktstoff angestaut hatte, macht sich Luft, sobald dieser Druck nicht mehr da ist.

    Da Kolonialherren und Diktaturen in der Regel wenig dazu tun, einen nationalen Konsensus wachsen zu lassen, werden ethnische Konflikte virulent, sobald die übermächtige Staatsgewalt wegfällt, die sie latent gehalten hatte.

    Zweitens sind ethnische Feindschaften aber oft auch selbst ein Resultat des Prozesses der Entkolonialisierung. Denn dieser geht meist mit dem Erwachen nationaler Gefühle einher.

    Unter günstigen Bedingungen entsteht dabei ein gemeinsamer Nationalismus des gesamten unabhängig gewordenen Gebiets. Oft aber zerlegt sich dieser Nationalismus in einzelne ethnische Nationalismen. Sie, die zunächst gemeinsam gegen den Kolonialherren gerichtet gewesen waren, wenden sich nun gegeneinander, sobald dieser Kolonialherr das Feld geräumt hat.



    Besonders schwierig wird diese generelle Situation, wenn noch ein Spezifikum hinzukommt, das für Osteuropa und die Staaten der einstigen UdSSR typisch ist: Wie bei der russischen Puppe leben innerhalb des unabhängig gewordenen Gebiets, in dem eine ethnische Minderheit siedelt, wiederum ethnische Minderheiten. Und nicht selten gibt es noch die Puppe in der Puppe in der Puppe - Minderheiten innerhalb der Minderheiten, die in dem unabhängig gewordenen Land leben.

    Die obige Karte illustriert das für Südossetien.

    Die kleine Karte links zeigt Georgien, die russische Kolonie, die mit der Auflösung der UdSSR ihre Selbständigkeit erlangte. Dunkler eingezeichnet ist dort Südossetien, das auf der Hauptkarte zu sehen ist. Das ist im Groben das Siedlungsgebiet der ethnischen Ossetier, eines mit den Persern verwandten Stamms, der aus Zentralasien zunächst in das Gebiet um den Don eingewandert war und der sich im Mittelalter unter dem Druck der Mongolen in diesem Teil Georgiens angesiedelt hatte.

    Auf der Karte sieht man dunkel schraffierte Gebiete im Westen, im Südosten und in der südöstlichen Mitte Südossetiens. Das ist die Puppe in der Puppe in der Puppe: Siedlungsgebiete von ethnischen Georgiern innerhalb des Siedlungsgebiets der ethnischen Osseten innerhalb des Staats Georgien. Die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung Südossetiens ist seit der Volkszählung 1939 erstaunlich stabil geblieben: Ungefähr zwei Drittel Osseten, zwischen 25 und 30 Prozent ethnische Georgier und ungefähr zwei Prozent ethnische Russen.



    Die postkoloniale Geschichte dieses Gebiets ist kompliziert; man kann sie in diesem, in diesem und ganz aktuell in diesem Artikel der Wikipedia nachlesen, der bereits den gestern ausgebrochenen Krieg behandelt.

    Nach vielen Konflikten und Kompromissen, Friedensschlüssen und erneuten Konflikten war es 2007 zu einem leidlich friedlichen Zustand gekommen, in dem die beiden Verwaltungen der separatistischen "Republik Südossetien" und des georgischen "Provisorischen Verwaltungsgebiets Südossetien" nebeneinander ihre jeweiligen Gebiete kontrollierten, überwacht von georgischen und russischen Friedenstruppen.

    Anfang Juli dieses Jahres kam es aber wieder zu Scharmützeln, von denen, wie üblich, unklar ist, wer angefangen hat und ob es sich um eskalierende lokale Vorfälle handelte oder um ein von der einen oder anderen Seite geplantes Vorgehen. Jedenfalls ging die Eskalation, international kaum bemerkt, zügig voran.

    Russische Flugzeuge überflogen Südossetien und drangen nach Georgien ein. Georgien zog daraufhin seinen Botschafter aus Moskau ab.

    Am 15. Juli tauchten Meldungen auf, wonach die Republik Südossetien erwäge, sich der Union aus Rußland und Weißrußland anzuschließen, was die endgültige Abtrennung von Georgien bedeutet hätte. Zugleich spitzte sich die Diskussion über einen Beitritt Georgiens zur Nato zu.



    Dem gestern ausgebrochenen Krieg - man wird ihn so nennen müssen; es werden bereits 1400 Todesopfer gemeldet - gingen vermehrte Zwischenfälle in den ersten Augusttagen voraus.

    Zunehmend griffen reguläre georgische Truppen ein. Vorgestern Abend verkündete der georgische Präsident Saakaschwili einen Waffenstillstand, der aber nur wenige Stunden hielt. In der Nacht zu gestern begann ein breit angelegter Angriff georgischer Streitkräfte, der sich auch gegen die russische Militärbasis in Zchinwali richtete. Ungefähr zeitgleich begann Rußland einen massiven Angriff, vor allem mit Panzern der 58. Armee.

    Der russische Sender Russia Today berichtet seit gestern rund um die Uhr fast nur noch über diesen Krieg. Die Sondersendungen tragen Titel wie "THE WAR" und "On War". Wie zu erwarten, wird ausschließlich die russische Perspektive dargestellt. Es wird von Grausamkeiten des georgischen Militärs berichtet. Es werden Statements von Bewohnern gezeigt, die den russischen Truppen für ihr Eingreifen danken.

    Wenn man Russia Today öfter sieht und dessen langsame, unaktuelle Berichterstattung kennt, dann fällt auf, wie perfekt und detailliert (einschließlich Hintergrundberichten, Grafiken, speziellen Sendungslogos) schon wenige Stunden nach Ausbruch dieses Kriegs berichtet wurde. Zumindest scheint die Redaktion von den Ereignissen nicht überrascht worden zu sein.

    Aus Peking wurde Putin zugeschaltet, der sagte, wie empört er darüber sei, daß Georgien am Tag der Eröffnung der Olympischen Spiele den olympischen Frieden gebrochen hätte.



    Die Abbildung ist der Wikipedia entnommen. Sie ist unter GNU-Lizenz freigegeben. Für Kommentare zu diesem Artikel gibt es einen Thread in "Zettels kleinem Zimmer". Dort findet man auch eventuelle Aktualisierungen und Ergänzungen.