2. Mai 2013

Von Vulkanen, Demenzen und Denunzianten: eine Meckerecke

Der "Vesuv von Neuss", so die griffige Namensgebung durch die Medien, will weiter qualmen. Dies war in den letzten Tagen verschiedenen Medienberichten zu entnehmen. Gemeint ist der 66jährige Bürgermeister der Stadt Neuss, Herbert Napp. Er ist beliebt, dieser Bürgermeister, und offenbar erfolgreich. Seit 1998 und noch bis 2015 im Amt, ist er der dienstälteste Bürgermeister in der Geschichte der Stadt.   Aber dergleichen ist uninteressant, wenn die Tugend- und Gesundheitswächter sich auf den Plan gerufen fühlen. Napp weigert sich nämlich hartnäckig, das Rauchen in seinem Dienstzimmer zu unterlassen. Hierdurch fühlt sich die Nichtraucher-Lobbyorganisation ProRauchfrei e. V. derart provoziert, daß sie eine Fachaufsichtsbeschwerde beim örtlichen Landratsamt eingeleitet hat.

Was aber ist das für eine Organisation, die, mit offenbar inquisitorischen Eifer, die letzten Raucher in diesem Lande aufzuspüren und an den Pranger zu stellen gewillt ist? Auf der Homepage von ProRauchfrei findet sich folgende Selbstbeschreibung:
Wir schrecken nicht davor zurück, die "Täter" anzuzeigen oder öffentlich bloßzustellen. Wir konfrontieren die Verantwortlichen mit ihren Taten und Verbrechen.
Man scheint sich der Unerhörtheit dieser Formulierung durchaus bewußt zu sein, denn um sich als "Opfer" zu solcherart Verhalten legitimiert sehen zu können, heißt es weiter:
Wir sind genauso wenig Denunzianten, wie ein Überfallener, der wie wir nur das Recht auf körperliche Unversehrtheit und dessen Verfolgung einfordert.
Diese Überzeugungen führten dann in der Vergangenheit zu merkwürdigen Stilblüten. Nachdem vor einem Jahr in den ZDF-Sendungen "Roche und Böhmermann" sowie "Stuckrad late night" geraucht worden war, wurde durch ProRauchfrei e. V. und dem Vereinsvorsitzenden Siegfried Ermer Anzeige erstattet. Ermer forderte das ZDF daraufhin wörtlich auf, auf den Pfad der Tugend zurückzukehren.

Auch bei Zigarettenattrappen kennen Ermer und sein Verein kein Pardon. Eine Mitarbeiterin des Bayerischen Rundfunks wurde durch ProRauchfrei angezeigt, nachdem sie in einer Fernsehaufzeichnung der Veitshöchheimer Fastnacht 2012 mit Zigarette zu sehen gewesen war. Nach Aufklärung, daß es sich hierbei um einen Scherzartikel gehandelt hatte, wurde von Seiten Siegfried Ermers nicht etwa zurückgerudert, ganz im Gegenteil: es gehe nicht darum, ob es eine richtige oder falsche Zigarette gewesen sei, so Ermer. Kinder sähen nur die hübsche Hippiefrau mit der Zigarette; auch Raucher, die aufhören wollten, bekämen immer wieder die falschen Signale vorgesetzt. Und dergleichen mehr.

Verwiesen wird bei ProRauchfrei natürlich auf die statistischen Toten durch Passivrauch, deren Erfassung methodisch genau so schwierig und oft unseriös ist wie statistisch ungenau.

Aber so viel ist ja richtig: es ist praktisch nicht möglich, halbwegs anständig zu leben oder auch nur zu atmen, ohne an "statistischen Todesfällen" beteiligt zu werden. Schalten wir das Licht ein, forcieren wir den Tod aus dem Schlot, wie wir kürzlich erfahren mußten. Fahren wir mit dem Auto, emittieren wir krebserregende Feinstäube. Laufen wir über eine Wiese, trampeln wir ein paar Tiere tot; bleiben wir stehen, wächst dort kein Gras mehr.

Daran können wir nicht wirklich etwas ändern. Was aber leicht geändert werden kann, ist die Lebensqualität der Menschen, und ihr vielleicht wichtigstes Agens: die individuelle Freiheit, indem ihnen beides zunehmend genommen wird.

Ich werde es wohl nie verstehen. Es ist Jedermanns gutes Recht, sein Auto abzumelden und zu verkaufen, wenn er, etwa auf Basis von Unfallstatistiken, zu dem Schluß kommt, mit dem Autofahren sich und andere in inakzeptabler Weise zu gefährden. Aber wie käme er dazu, dies auch von anderen zu erwarten, gar staatliche Verbote zu fordern? Dabei ist der Feldzug gegen das Rauchen keinen Deut mehr (oder weniger!) begründbar oder vernünftig wie ein Verbot des Autofahrens.
Ich werde nie verstehen, zumindest ohne psychiatrische Fachliteratur zu hilfe zu nehmen, wie Menschen es zu ihrem Hauptlebensziel und -sinn machen können, andere mit inquisiorischem Eifer zu verfolgen, ihnen Fehltritte nachzuweisen und  deren Bestrafung zu betreiben. Was für ein armseliges Leben!

Beliebt ist auch das Argument, daß die Folgekosten des Rauchens die Gesundheitskassen über Gebühr belasteten, eine typische Milchmädchenrechnung übrigens. Ausgehend vom Todeszeitpunkt eines Menschen sind es, statistisch gesehen, die letzten fünf Jahre, die die größten Kosten für das Gesundheitssystem verursacht haben. Dabei ist es völlig unerheblich, ob der Tod im Alter von 85 an den Folgen einer Alzheimerdemenz oder im Alter von 50 durch Bronchialkarzinom eintritt.

Apropos Alzheimer. Es scheint erklärtes Ziel von Politik und Lobbygruppen wie ProRauchfrei zu sein, möglichst viele Menschen durch Verbote und Erlasse davon zu überzeugen, dereinst an den Folgen einer Alzheimer-Demenz sterben zu wollen. Das droht nämlich für immer mehr Menschen der Fall zu werden, da der unbestrittene Hauptrisikofaktor für Morbus Alzheimer das bloße Alter ist. Und solange der Trend, daß die Lebenserwartung der Menschen in Deutschland jedes Jahr um etwa drei Monate steigt, sich fortsetzt, wird dies zukünftig erwartbar mit einem massiven Anstieg der Krankheitsfälle verbunden sein.

Übrigens ist der Trend zur Verlängerung der Lebenserwartung unabhängig von der Antiraucherpolitik bzw. dem Rauchverhalten der Menschen über die Jahrzehnte ausgesprochen stabil. Der lebensverkürzende Effekt durch Rauchen wurde also stets durch andere Faktoren (verbesserte Ernährung, verbesserte Behandelbarkeit vieler Krankheiten) überkompensiert. Ein lebenszeitverlängernder Effekt der restriktiven Politik gegen das Rauchen ist dagegen, zumindest noch und in der Gesamtstatistik, nicht sichtbar. Ob sich das ändern wird, bleibt abzuwarten.

Inwiefern aber die jahrelange Pflegebedürftigkeit bei Alzheimerdemenz mit abnehmender kognitiver Leistungsfähigkeit, schweren Veränderungen von Affekt und Antrieb, wundgelegenen Körperarealen, Auszehrung und schließlichem Tod, meist infolge einer Sekundärinfektion wie z. B. Lungenentzündung, irgendwie erstrebenswerter sein soll als ein früherer aber möglicherweise schnellerer Tod, konnte mir noch nicht vermittelt werden. Vergnügungssteuerpflichtig ist dieses Lebensende aber, das zunehmend mehr Menschen zu erwarten haben,  gewiß nicht.

In jedem Fall möchte ich die eigenverantwortliche Entscheidung, welches Lebensrisiko für mich noch akzeptabel ist, nicht immer mehr vom Staat abgenommen bekommen. Schon gar nicht aber von Denunziantenvereinen wie ProRauchfrei, die ihren Platz wohl eher in einer beliebigen Diktatur hätten, als Blockwarte, Stasispitzel oder was auch immer. In einem demokratischen Rechtsstaat aber müssen solche Figuren Falschparker denunzieren. Oder eben Raucher, zu mehr reicht es hier für sie glücklicherweise nicht.
Übrigens bin ich seit nunmehr 13 Jahren glücklicher und überzeugter Exraucher. Aus freien Stücken.

­Aber zurück zu Herbert Napp. Da in NRW dank rot-grüner Regierung seit dem gestrigen 1. Mai das, neben dem Bayerischen, strengste Nichtraucherschutzgesetz Deutschlands gültig ist, dürfte die Beschwerde von ProRauchfrei große Aussicht auf Erfolg haben. Da werden auch die Argumente Napps, daß er ein Einzelbüro habe, daß er ständig lüfte, daß sämtliche Mitarbeiter in den Nebenbüros selbst Raucher seien und sich nachweislich nicht daran störten, daß er selbstverständlich nicht rauche, wenn er Bürgerbesuch habe usw., nichts nützen.

Vermutlich ein Kampf gegen Windmühlen also. Chapeau, Ritter von der traurigen Gestalt!


Andreas Döding


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