Seit ziemlich genau fünfzehn Monaten lief hier eine Art Serie, auch wenn ich sie nicht so genannt habe. Ihr Thema war, wie Wladimir Putin es anstellen würde, auch nach dem Ende seiner zweiten Amtszeit als Präsident die Macht in Rußland zu behalten.
Wenn ich mir diese Artikel im Rückblick ansehe, dann fällt auf, wie oft sie Fragen im Titel hatten: Was wird aus Wladimir Putin? (Februar 2007), Was will Putin? (April 2007), Putins Spiel - wie macht er's? (September 2007), und dazu im Oktober eine Fortsetzung unter demselben Titel.
Dieses Fragen und Vermuten entsprach der Kreml- Astrologie, in der sich üben mußte, wer überhaupt über die Zukunft Putins schreiben wollte.
Am Anfang rechneten die meisten damit, daß er sich so zurückziehen würde, wie das ein amerikanischer Präsident nach dem Ablauf seiner zweiten Amtszeit tut. Mir kam das nie wahrscheinlich vor; und allmählich verdichteten sich die Anzeichen dafür, daß Putin nicht von der Macht lassen würde. Nur war eben unklar, wie er's denn machen würde.
Inzwischen wissen wir es: Indem er seinen Adlatus Medwedew als seinen Statthalter ins Präsidialamt geschickt hat.
Heute um 12 Uhr Moskauer Zeit wird die Operation Machterhalt mit der feierlichen Amtsübergabe von Wladimir Wladimirowitsch Putin an Dmitri Anatolowitsch Medwedew abgeschlossen. Alle Einzelheiten (es kommen 2500 Gäste; gespielt wird unter anderem Tschaikowski; die große Glocke des Kreml wird läuten; zum Diner gibt es Wodka und französischen Wein) kann man in der Komsomolskaya Prawda nachlesen.
Wenn ich auch mit der Erwartung, Putin werde einen Weg finden, weiter die Macht zu behalten, gut gelegen hatte - daß er gerade diesen Weg beschreiten würde, hatte ich nicht erwartet. Zu schwierig erschien es mir, in Anbetracht der Gegebenheiten der russischen Verfassung die Macht de facto aus dem Präsidialamt ins Weiße Haus, den Sitz des Ministerpräsidenten, zu transferieren.
Darin hatte ich Unrecht gehabt. Putin hat einen Weg gefunden, einen genialen. Er hat die russische Verfassung formal unangetastet gelassen, sie faktisch aber umgekrempelt.
Die russische Verfassung ist, was die Machtbalance zwischen Staatspräsident, Regierung und Parlament angeht, an die französische angelehnt: Das Machtzentrum ist der vom Volk direkt gewählte Staatspräsident. Er ernennt den Ministerpräsidenten, den er jederzeit entlassen kann und der von ihm abhängig ist. (Putin hat das nachgerade brutal demonstriert, als er im September 2007 den Ministerpräsidenten Mikhail Fradkow abrupt entließ und durch Viktor Subkow ersetzte). Gegenspieler dieses Gespanns aus Staatspräsident und Ministerpräsident ist die Duma, so wie die Nationalversammlung in Frankreich.
Eigentlich hätte Putin also, selbst wenn er einen bisherigen treuen Mitstreiter wie Medwedew in das Amt des Präsidenten wählen ließ, befürchten müssen, daß dieser ihn im Machtpoker schnell ausspielen würde. Auf Treue zu vertrauen ist in der Politik generell leichtsinnig; im heutigen Rußland wäre es geradezu selbstmörderisch.
Und natürlich lag das dem ausgebufften ehemaligen KGB-Mann Putin fern. Deshalb hatte ich an diesen Wechsel Putins vom Kreml ins russische Weiße Haus ja nicht geglaubt. Aber Putin hat einen Weg gefunden, den - soweit ich die Berichterstattung verfolgt habe - niemand auf seiner Rechnung gehabt hatte. Vincent Jauvert hat ihn jetzt im aktuellen Nouvel Observateur analysiert.
Putins Schachzug bestand darin, etwas herbeizuführen, was zwar die Verfassung nicht vorsieht, was sie aber auch nicht ausdrücklich verbietet: Daß der Ministerpräsident nicht nur der Mann des Staatspräsidenten ist, sondern zugleich der Führer der Duma.
Dem Geist der Verfassung entspricht das überhaupt nicht; denn der Staatspräsident und der Ministerpräsidenten bilden eben gemeinsam die Exekutive, der die Duma als die Legislative gegenübersteht. Aber formal erlaubt ist es von der Verfassung. Und indem er das anstrebte, hat Putin faktisch eine neue Verfassungs- Wirklichkeit in Rußland geschaffen.
Erreicht hat er das dadurch, daß er sich zum Chef der Partei "Einiges Rußland" wählen ließ und verkündete, er strebe das Amt des Ministerpräsidenten an (das eigentlich ja der Staatspräsident zu vergeben hat). Auf dieser Grundlage zog er nach einem überwältigenden Wahlsieg dieser Partei in die Duma ein.
"Einiges Rußland" erhielt 64,24 Prozent der Stimmen und mehr als 70 Prozent der Sitze in der Duma. Das bedeutet eine verfassungsändernde Mehrheit, mit der diese Partei beispielsweise die Amtszeit des Präsidenten begrenzen, ja diesen absetzen kann. Die Duma kann jedes vom Präsidenten vorgelegte Gesetz mit dieser Mehrheit blockieren.
Und diese Duma-Mehrheit ist ihrem Vorsitzenden Putin völlig ergeben. Hinzu kommt, daß "Einiges Rußland" auch die Provinzparlamente kontrolliert. Diese aber müssen die Gouverneure bestätigen, die zu ernennen bisher zu den wichtigsten Machtinstrumenten des Staatspräsidenten gehörte.
Hinzu kommt des weiteren, daß es das Recht des Ministerpräsidenten ist, die Chefs der Staatsunternehmen (außer im militärischen Bereich) zu ernennen. Bisher konnte das kein Ministerpräsident gegen den Staatspräsidenten tun. Putin, mit der Macht der Duma, mit der Macht der Provinzparlamente im Rücken wird es können.
Er ist zwar nur der zweitmächtigste Mann der Exekutive, aber zugleich der mächtigste der Legislative. Zusammengenommen weiter der alleinige starke Mann in Rußland.
Medwedew hat nicht nur gar keine andere Wahl, als Putin zum Ministerpräsidenten zu berufen - er wird auch bei jedem seiner Schritte von dessen Gnade abhängig sein. Putin hat es fertiggebracht, das Machtverhältnis zwischen Staatspräsident und Ministerpräsident umzukehren. Und das, ohne auch nur ein Jota an der Verfassung zu ändern oder diese formal zu verletzen. Chapeau!
Wenn ich mir diese Artikel im Rückblick ansehe, dann fällt auf, wie oft sie Fragen im Titel hatten: Was wird aus Wladimir Putin? (Februar 2007), Was will Putin? (April 2007), Putins Spiel - wie macht er's? (September 2007), und dazu im Oktober eine Fortsetzung unter demselben Titel.
Dieses Fragen und Vermuten entsprach der Kreml- Astrologie, in der sich üben mußte, wer überhaupt über die Zukunft Putins schreiben wollte.
Am Anfang rechneten die meisten damit, daß er sich so zurückziehen würde, wie das ein amerikanischer Präsident nach dem Ablauf seiner zweiten Amtszeit tut. Mir kam das nie wahrscheinlich vor; und allmählich verdichteten sich die Anzeichen dafür, daß Putin nicht von der Macht lassen würde. Nur war eben unklar, wie er's denn machen würde.
Inzwischen wissen wir es: Indem er seinen Adlatus Medwedew als seinen Statthalter ins Präsidialamt geschickt hat.
Heute um 12 Uhr Moskauer Zeit wird die Operation Machterhalt mit der feierlichen Amtsübergabe von Wladimir Wladimirowitsch Putin an Dmitri Anatolowitsch Medwedew abgeschlossen. Alle Einzelheiten (es kommen 2500 Gäste; gespielt wird unter anderem Tschaikowski; die große Glocke des Kreml wird läuten; zum Diner gibt es Wodka und französischen Wein) kann man in der Komsomolskaya Prawda nachlesen.
Wenn ich auch mit der Erwartung, Putin werde einen Weg finden, weiter die Macht zu behalten, gut gelegen hatte - daß er gerade diesen Weg beschreiten würde, hatte ich nicht erwartet. Zu schwierig erschien es mir, in Anbetracht der Gegebenheiten der russischen Verfassung die Macht de facto aus dem Präsidialamt ins Weiße Haus, den Sitz des Ministerpräsidenten, zu transferieren.
Darin hatte ich Unrecht gehabt. Putin hat einen Weg gefunden, einen genialen. Er hat die russische Verfassung formal unangetastet gelassen, sie faktisch aber umgekrempelt.
Die russische Verfassung ist, was die Machtbalance zwischen Staatspräsident, Regierung und Parlament angeht, an die französische angelehnt: Das Machtzentrum ist der vom Volk direkt gewählte Staatspräsident. Er ernennt den Ministerpräsidenten, den er jederzeit entlassen kann und der von ihm abhängig ist. (Putin hat das nachgerade brutal demonstriert, als er im September 2007 den Ministerpräsidenten Mikhail Fradkow abrupt entließ und durch Viktor Subkow ersetzte). Gegenspieler dieses Gespanns aus Staatspräsident und Ministerpräsident ist die Duma, so wie die Nationalversammlung in Frankreich.
Eigentlich hätte Putin also, selbst wenn er einen bisherigen treuen Mitstreiter wie Medwedew in das Amt des Präsidenten wählen ließ, befürchten müssen, daß dieser ihn im Machtpoker schnell ausspielen würde. Auf Treue zu vertrauen ist in der Politik generell leichtsinnig; im heutigen Rußland wäre es geradezu selbstmörderisch.
Und natürlich lag das dem ausgebufften ehemaligen KGB-Mann Putin fern. Deshalb hatte ich an diesen Wechsel Putins vom Kreml ins russische Weiße Haus ja nicht geglaubt. Aber Putin hat einen Weg gefunden, den - soweit ich die Berichterstattung verfolgt habe - niemand auf seiner Rechnung gehabt hatte. Vincent Jauvert hat ihn jetzt im aktuellen Nouvel Observateur analysiert.
Putins Schachzug bestand darin, etwas herbeizuführen, was zwar die Verfassung nicht vorsieht, was sie aber auch nicht ausdrücklich verbietet: Daß der Ministerpräsident nicht nur der Mann des Staatspräsidenten ist, sondern zugleich der Führer der Duma.
Dem Geist der Verfassung entspricht das überhaupt nicht; denn der Staatspräsident und der Ministerpräsidenten bilden eben gemeinsam die Exekutive, der die Duma als die Legislative gegenübersteht. Aber formal erlaubt ist es von der Verfassung. Und indem er das anstrebte, hat Putin faktisch eine neue Verfassungs- Wirklichkeit in Rußland geschaffen.
Erreicht hat er das dadurch, daß er sich zum Chef der Partei "Einiges Rußland" wählen ließ und verkündete, er strebe das Amt des Ministerpräsidenten an (das eigentlich ja der Staatspräsident zu vergeben hat). Auf dieser Grundlage zog er nach einem überwältigenden Wahlsieg dieser Partei in die Duma ein.
"Einiges Rußland" erhielt 64,24 Prozent der Stimmen und mehr als 70 Prozent der Sitze in der Duma. Das bedeutet eine verfassungsändernde Mehrheit, mit der diese Partei beispielsweise die Amtszeit des Präsidenten begrenzen, ja diesen absetzen kann. Die Duma kann jedes vom Präsidenten vorgelegte Gesetz mit dieser Mehrheit blockieren.
Und diese Duma-Mehrheit ist ihrem Vorsitzenden Putin völlig ergeben. Hinzu kommt, daß "Einiges Rußland" auch die Provinzparlamente kontrolliert. Diese aber müssen die Gouverneure bestätigen, die zu ernennen bisher zu den wichtigsten Machtinstrumenten des Staatspräsidenten gehörte.
Hinzu kommt des weiteren, daß es das Recht des Ministerpräsidenten ist, die Chefs der Staatsunternehmen (außer im militärischen Bereich) zu ernennen. Bisher konnte das kein Ministerpräsident gegen den Staatspräsidenten tun. Putin, mit der Macht der Duma, mit der Macht der Provinzparlamente im Rücken wird es können.
Er ist zwar nur der zweitmächtigste Mann der Exekutive, aber zugleich der mächtigste der Legislative. Zusammengenommen weiter der alleinige starke Mann in Rußland.
Medwedew hat nicht nur gar keine andere Wahl, als Putin zum Ministerpräsidenten zu berufen - er wird auch bei jedem seiner Schritte von dessen Gnade abhängig sein. Putin hat es fertiggebracht, das Machtverhältnis zwischen Staatspräsident und Ministerpräsident umzukehren. Und das, ohne auch nur ein Jota an der Verfassung zu ändern oder diese formal zu verletzen. Chapeau!
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