4. Mai 2014

Letztendlich dem Universum egal? Gastbeitrag von Ludwig Weimer

Kann ein Romantitel Deutschland mehr von Amerika trennen, als es der Atlantik tut? „Every Day“ hieß der Jugendroman von David Levithan in der 2012 erschienenen Originalausgabe. Nun kam in Frankfurt am Main 2014 das Erziehungsbuch unter dem tiefsinnigen Titel „Letztendlich sind wir dem Universum egal“ heraus.

Denn wir sind verzweifelte Europäer, nackte Affen des Zufalls, philosophische Rentner des Abendlands, metaphysische Skeptiker, politische Zauderer, hinterfragende Pädagogen. Woher das Recht zu diesem deutschen Titel kommt? Der Satz steht tatsächlich im Roman, auf der drittletzten Seite: „Wenn man ins Universum starrt, ist sein Mittelpunkt nur Kälte. Und Leere. Letztendlich sind wir dem Universum egal. Dem Universum und der Zeit.“ Aber die nächste Zeile lautet: „Deswegen dürfen wir einander nicht egal sein.“

Dieser verschwiegene Zusatz ist kein philosophischer, aber ein ethischer Optimismus. Er ist Amerika, wo die ehemaligen Schüler ihre Universität finanzieren, wo die Studenten den Tag mit einem freiwilligen Dienst in der Suppenküche beginnen. Im deutschen Buchmarkt wäre der amerikanische Titel unauffällig bis unverkäuflich. Da braucht es einen Knüller.

„Letztendlich“ ist aber ein Hammer, der erkenntniskritisch gesehen sich selber erledigt. Die Werbetrommel versetzt es denn auch zurück in die subjektiven Grenzen: „Ein herausragender, magischer Roman für alle, die die Sehnsucht nach der ganz großen Liebe kennen.“


Der 41jährige erfolgreiche Verleger von Jugendbüchern huldigt zwar auch dem Zeitgeist: Er geht, selber homosexuell, selbstverständlich von der Gleichstellung aller Lebensformen und Geschlechter und Religionen aus. Aber er will die jungen Leute - das Buch ist für 16jährige geschrieben – dazu erziehen, eine echte ganzheitlich-personale Liebe zu suchen und sich für das Leben Anderer, auch zum Scheitern Verurteilter: Kranker, Depressiver, Drogensüchtiger verantwortlich zu fühlen. Wie ist zu helfen? Der Autor ist liberal, aber predigt das Glück der echten Familie, erklärt den Unsinn des Geschwisterstreits, klärt den moralischen Fundamentalismus falscher Bibeldeuter auf, wirbt für die Ehrfurcht vor dem Leben. Er versucht sich sogar an einer Durchleuchtung des Glaubens an den Teufel: „Ich bin nicht der Teufel, aber ich könnte es sein.“ Es gibt Schuld und es könnte Helden geben.

Sein Menschenbild hat nicht mehr die ganze Bandbreite der biblischen Tradition; es hat sich an den historischen Kränkungen verschluckt: Nicht Mitte der Welt, nur geistreicher Affe. Freuds Kränkung „Nicht Herr im eigenen Haus“ ringt bei Levithan mit dem Menschenrecht auf Glück. Dazu erfindet er die unmögliche, aber faszinierende Story, an der die Jugendlichen kauen sollen, um sich selbst zu finden: Wer bin ich? Was kann ich mit meinem Leben tun?

Der Romanheld namens A wie Adam ist jetzt 16 Jahre, lebt aber seit Geburt jeden Tag in einem anderen Körper eines Altersgenossen, mal als Junge, mal als Mädchen. Seine Identität ist nur das eigene und zwar männliche Bewusstsein, nicht der Körper. 40 Tage, also 40 Sechzehnjährige geht es hindurch. So kann eine breitere Welt- und Einsicht in das Leben vermittelt werden. Viele Varianten sind erfindbar: Soll er an seinem einen Tag der Chaotin das Zimmer mal vorbildlich aufräumen? Und was tut er, wenn das Mädchen, in dem er gerade steckt, sich umbringen will? Hübsche Verwicklungen sind konstruierbar: Junge wird als Mädchen mit einem anderen Mädchen intim, oder zeigt einem Mädchen einen Tag lang, wie toll sein Liebhaber sein könnte, der dann komischerweise am nächsten Tag wieder der gewohnte Stoffel ist. Die alsbaldige Verwicklung zu einer (Hetero-) Liebesgeschichte wird zum Spannungsbogen für den ganzen Roman und macht sein Ende offen und traurig. Die Fiktion der täglichen Neueinkörperung hat natürlich als Parabel ihre Grenzen. Aber sie öffnet das Nachdenken über Abenteuer und Wirklichkeit. Der Leser soll staunen: Warum bin ich nicht so einmalig, oder bin ich gottseidank nicht so, sondern anders einzig? Wenigstens ein Anhauch aus dem metaphysischen Land Unmöglichkeit weht herein.

Der deutsche Titel hat die Fragen letztlich abgeschmettert wie eine Rabenmutter: Das Universum nennt dir keinen Sinn. Gute Idee für den Verkaufserfolg, und der darf freilich nicht egal sein. Alles rechtens, aber ehrlich ist das nicht. Schlechte Nachrichten, Leichen und weltanschauliche Knockout-Schläge finden eben mehr Interesse als Bildungsromane. Verständlich, aber schlimm. Vielleicht ist der Titel nur als Provokation gemeint? Er ist doch nur ein Zitat? Gewiss, aber nur das halbe; der Rest ist verschwiegen.

Amerika, hast du es besser als unser Kontinent, der alte? Du hast noch Ideale?

Die Geschlechterliebe ist keine Nebensache. Denn die Liebeshändel setzen immerhin die Gestalt der nächsten Generation zusammen, bemerkte Schopenhauer (Metaphysik der Geschlechterliebe, 44. Kap. in „Die Welt als Wille und Vorstellung“).

Das Heimatgefühl im Universum ist ebenso keine Nebensache. Eine Menge moderner Europäer widerspricht heute der jüdischen Entdeckung, die Augustinus aufnahm und die lautete: „Wir sind, weil Er uns gewollt, geliebt hat“ (Deuteronomium 7,8). Beides, die Liebe zwischen Menschen und die Liebe zwischen Gott und Welt werden ersetzt durch biologische Begriffe. Da gilt das Maß der Zoologie, des Individualismus und des Egoismus. Was der Brachialtitel „Letztendlich sind wir dem Universum egal“ verdeutlicht, ist durch philosophischen Export im amerikanischen Buch schon mit deutlichen Spuren angekommen, nur verniedlicht. Ein kleines Textbeispiel:

„Ja, zwischen Männern und Frauen gibt es biologische Unterschiede, aber prozentual betrachtet ist da gar nicht mal so viel anders. Die Unterscheidung nach Rassen ist ein rein gesellschaftliches Konstrukt und nicht von Natur aus gegeben. Und was die Religion angeht – ob man nun an Gott glaubt, an Jahwe, Allah oder sonst was, letztlich geht es doch um das Gleiche. Aus unerfindlichen Gründen konzentrieren wir uns gern auf die zwei Prozent, in denen wir uns unterscheiden, und daraus resultieren die meisten Konflikte in der Welt… Ich vertraue auf das Durchhaltevermögen des Menschen.“

Es geht mir nicht um eine Re-Missionierung der Zweifler, weil die Gläubigen immer mehr zur Minderheit werden, sondern darum, dass der bekennende Rest der Kirchen nicht als fromm-dummer Zuschauer in der Ecke steht, während die Welt die Zusammenarbeit aller Vernünftigen benötigt. Sonst wäre das Christentum, auch wenn es die Wahrheit besäße, Ohnmacht. Das Gewissen der Christen hat zum Prüfstein einen Gott, dessen Wille mit Jesus identifiziert wird; und dieser packte das Leid in der Welt an. Auch die Nichtgläubigen haben ein Gewissen, ohne Gott, aber mit dem Prüfstein Menschenwürde. Es gibt die gemeinsame Schnittfläche.

Nochmals meine These: „Letztendlich egal“ ist ein Urteil, das erkenntniskritisch und agnostisch nicht gefällt werden kann. Letzte Dinge gehören zum Typus Glaubensüberzeugungen.

Ist es typisch deutsch, dass wir mit dem Hammer philosophieren und vom Endlösungen-Proklamieren nicht loskommen?

Ludwig Weimer

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