2. November 2012

Marginalie: In der Ukraine sind jetzt fast alle Stimmen ausgezählt. Mit bemerkenswerten Veränderungen im Lauf der Auszählung

Am vergangenen Montag, einen Tag nach den Parlamentswahlen in der Ukraine, begann die Aufmacher-Meldung der Tagesschau um 20 Uhr so:
In der Ukraine bleibt Präsident Janukowytsch an der Macht. Nach Auswertung von fast zwei Dritteln der Stimmen kann er gemeinsam mit den Kommunisten weiter regieren.
Zu diesem Zeitpunkt traf diese Meldung zu. Denn die ersten Ergebnisse der Auszählung schienen zu besagen, daß die Wahlen anders ausgegangen waren, als es alle Exit Polls ermittelt hatten.

Diese hatten Janukowytschs Partei der Regionen nur bei ungefähr 30 Prozent gesehen, die Kommunisten bei ungefähr 12 Prozent. Diesen rund 42 Prozent hatten etwas mehr als 50 Prozent für die drei Oppositionsparteien gegenübergestanden (Klitschko nur Dritter. Ergebnisse der Exit Polls aus der Ukraine zeigen ein einheitliches Bild des wahrscheinlichen Wahlausgangs; ZR vom 28. 10. 2012).

Die ersten Ergebnisse der Stimmenauszählung aber widersprachen dem krass. Sie zeigten die Partei der Regionen bei über 38 Prozent und die Kommunisten bei 15 Prozent; Ergebnisse, die Janukowytsch in der Tat eine Mehrheit gegeben hätten, die damit freilich auch auf die Möglichkeit einer Wahlfälschung hindeuteten (Wahlfälschung oder Stichprobenfehler? Wie Sie die Auszählung der Stimmen in der Ukraine live verfolgen können; ZR vom 29. 10. 2012).

Es wurde dann die ganze Woche über weiter gezählt. Auch jetzt steht das vorläufige amtliche Endergebnis noch aus. Aber mit jedem Tag näherte sich das Zwischenergebnis mehr den Exit Polls.

Derzeit sind 99,62 Prozent der Stimmen ausgezählt. Hier ist ein Überblick über dieses Ergebnis mit in Klammern der Spannweite der fünf Exit Polls vom Sonntag; also der Befragungen repräsentativer Stichproben von Wählern, die aus den Wahllokalen kamen:

  • Janukowytschs Partei der Regionen; die nach Moskau orientierte gegenwärtige Regierungspartei: 30,03 (28,1 - 31,6)

  • Die oppositionelle Vaterlandspartei der inhaftierten früheren Ministerpräsidentin Julija Tymoschenko: 25,51 (22,8 - 24,7)

  • Witali Klitschkos Udar; ebenfalls oppositionell und in einem lockeren Bündnis mit der Vaterlandspartei: 13,94 (13,2 - 15,1)

  • Die Kommunistische Partei der Ukraine: 13,18 (11,6 - 13,0)

  • Die rechte Freiheitspartei: 10,44 (11,0 - 12,8)
  • Janukowytschs Partei liegt also in der Mitte der Spannweite der Exit Polls, die Partei Tymoschenkos sogar über dem höchsten dieser Werte. Klitschkos Partei schneidet innerhalb der Spannweite ab. Die Kommunisten liegen geringfügig darüber und die Freiheitspartei geringfügig darunter; aber dies sind minimale Abweichungen, die sicher nicht den Verdacht einer Wahlfälschung rechtfertigen.

    Jedenfalls nicht, was die über Listen gewählten Abgeordneten angeht. Nach der letzten Wahlrechtsreform ist das aber nur die Hälfte (225 Abgeordnete).

    Die andere Hälfte wird direkt gewählt; und hier sieht das Ergebnis anders aus: Von diesen 225 Mandaten erhielt Janukowytschs Partei 114; die drei Oppositionsparteien zusammen nur 60. Die Kommunisten gingen hier leer aus; die restlichen 51 Mandate entfielen auf Unabhängige und kleine Parteien, die bei der Sitzverteilung über Listen nicht die Fünf-Prozent-Hürde hatten überwinden können.

    Insgesamt erreicht Janukowytschs Partei damit 186 Mandate und bleibt zusammen mit den 32 Mandaten der Kommunisten um 8 Stimmen unter der absoluten Mehrheit von 226 Sitzen. Jedoch dürften unter den Unabhängigen genug Unterstützer von Janukowytsch sein, um dessen Mehrheit auch künftig zu sichern.

    Daß die Mehrheitsverhältnisse bei den direkt gewählten Abgeordneten anders sind als bei den über Listen gewählten, muß kein Hinweis auf Fälschungen sein. Die Stimmen aus dem Regierungslager kamen offenbar nahezu vollständig Januko­wytschs Partei der Regionen zugute, während die drei Oppositionsparteien in den meisten Wahlkreisen jeweils eigene Kandidaten aufgestellt hatten, die sich gegenseitig die Stimmen wegnahmen. Janukowytschs Kandidaten genügte damit in vielen Wahlkreisen eine relative Mehrheit zum Sieg.
    Zettel



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