Tragik und Komik liegen
bekanntlich eng beieinander. Und so ist es wohl die personale, letztlich
vielleicht nur aus seinem charakterlichen Habitus erklärbare Tragik des
Heinz-Christian Strache, dass er, obwohl im Laufe des nunmehr
berühmt-berüchtigten Abends des 24. Juli 2017 eine „eingefädelte Falle“ witternd, in diese getappt ist. Die Komik der Begebenheit liegt darin, in welch
unvergleichlich plumper Art und Weise sich der zurückgetretene FPÖ-Chef bei der
Zusammenkunft auf Ibiza um Kopf und Kragen geredet hat.
Wenn man die in den
letzten Tagen ohnehin reichlich zur Anwendung gelangte Recht-und-Moral-Brille
beiseitelässt, so ist der völlige Mangel an Format, der sich in Straches redseliger
Prahlerei manifestiert, das eigentlich Verstörende an dem der Süddeutschen Zeitung und dem Spiegel zugespielten Video. Zutreffend
stellt Claudius Seidl in einem nunmehr hinter die Bezahlschranke verschobenen
Beitrag für die FAZ fest, dass
patentierte bad guys ganz anders in
eine solche Begegnung gegangen wären.
Dies würde aber den Schluss nahelegen, dass Strache und sein – in den veröffentlichten Ausschnitten der Filmsequenz den Buffo-Part übernehmender – Parteifreund Johann Gudenus keine Bösewichte, sondern übersichtlich strukturierte Zeitgenossen sind, die noch nicht einmal mit den allgemein bekannten Grundregeln der Konspiration vertraut sind beziehungsweise solche Kautelen außer Acht lassen, wenn ihnen alkoholische Getränke und weibliche Reize (der vermeintlichen Oligarchen-Nichte) die Zunge lockern. Muss man vor solchen Rechtspopulisten wirklich Angst haben?
Da der objektive Befund,
wie er in dem Video dokumentiert ist, außer Streit steht und lediglich die
Ernsthaftigkeit und Veridizität der Strache’schen Äußerungen
Diskussionsgegenstand ist – der ehemalige Bundesminister spricht von ethanol-
und hormonbedingtem, gegenstandslosem Maulheldentum, die gegenläufige Extremposition unterstellt
ihm den Plan für einen schleichenden Staatsstreich –, haben sich die Medien nun
auf die Frage des Urhebers des Videos und der diesem vorausgegangenen Schritte
kapriziert.
Laut der bislang insoweit
unbestrittenen Darstellung Straches sei der weibliche Lockvogel an den
(bekanntermaßen russophilen) Johann Gudenus kurz nach dessen Vaters Tod herangetreten,
dies mit der Bekundung, an der Pacht oder am Kauf eines im Eigentum seiner
Familie stehenden Eigenjagdgebiets interessiert zu sein (so verstehe ich, ins Juristische übersetzt,
Straches diesbezügliche Wortspenden). Die Frau habe
auch behauptet, lettische Staatsbürgerin (und damit Unionsbürgerin) zu sein,
sich in Österreich niederlassen und dort investieren zu wollen. Über Monate
hinweg habe die „reiche Russin“, wie sie in der Berichterstattung mit einer
knackigen Alliteration genannt wurde, zu Gudenus ein Vertrauensverhältnis
aufgebaut und diesem schließlich mitgeteilt, sie wolle Strache kennenlernen. Ich
referiere diese Behauptungen in großer Ausführlichkeit, weil sie eine
Vermutung, die auf den ersten Blick nach Aluhutträger-Geschwätz klingen würde,
plausibel macht.
Es ist zwar bestätigt,
dass Jan Böhmermann schon lange vor der Publikation des Videos von diesem oder doch den darin festgehaltenen Dialogen wusste; und es gibt Hinweise darauf,
dass das Zentrum für politische Schönheit vorab zumindest über das Wesentliche informiert war. Meines Erachtens ist es gleichwohl wenig wahrscheinlich, dass
der Hinterhalt, in den Strache und Gudenus gelaufen sind, aus dem Milieu der Kämpfer
gegen rechts stammt. Sowohl Böhmermann als auch das Zentrum sind auf
Öffentlichkeitswirkung bedacht. Eine Aktion, die über Monate hinweg bei
völligem Stillschweigen entwickelt werden muss, ist zweifellos nicht das Ding
dieser Applaus von der richtigen Seite heischenden Zeitgenossen, die noch dazu
bisher den Beweis ihrer strategischen Cleverness schuldig geblieben sind, dafür
aber ausreichend Anlass gegeben haben, sie eines gewissen Narzissmus zu zeihen.
Ein Narzissmus, der, wenn dessen Träger von politisch letalem Material gegen
Strache erfahren, nicht mehr an sich halten und seine Freude darüber, dass
Österreich bald vom imaginierten Faschismus befreit sein würde, nicht mehr
verbergen kann, mag einen Dritten dazu bewegen, sich dieser kommunikativen Eitelkeiten
zu bedienen, um von seiner eigenen Verwicklung in die Angelegenheit abzulenken.
Wenn man alle diese
Umstände in Betracht zieht, erscheint die auch in der Presse vorgebrachte Hypothese, dass ein westlicher Geheimdienst der
FPÖ wegen deren Putin-Verehrung einen Knockout verpassen wollte, gar nicht so
abwegig. Ob die betreffenden Schlapphüte das Manöver selbst gestartet haben
oder sich bei einer zunächst im Giftschrank verschwundenen Konserve des – als klassischer
Schuss nach hinten geendeten – dirty
campaigning der SPÖ vor der letzten Nationalratswahl bedienen konnten, mag
dahinstehen.
Die Theorie, wonach
Bundeskanzler Sebastian Kurz hinter der Video-Publikation stehen soll,
überzeugt mich hingegen nicht. Denn wenn der Regierungschef die Koalition mit seinem
Juniorpartner hätte beenden wollen, hätte er in den letzten Wochen dazu reichlich
Gelegenheit gehabt, zumal die FPÖ auf die betreffenden Skandale und Skandälchen
in einer nahezu bestürzend unsouveränen Weise reagiert hat: Die Aufregung um
das sogenannte „Rattengedicht“ hätte man etwa mit dem philologischen Argument
beschwichtigen können, dass auch das (offenbar autochthone) lyrische Ich in dem
Poem eine Ratte ist und deshalb das an Tiervergleichen Verwerfliche, nämlich
dass das für die eigene Gruppe selbstverständlich in Anspruch genommene
Menschsein einer anderen Community abgesprochen wird, gerade nicht zum Tragen
kommt. Ich glaube, dass Kurz an einer Fortsetzung seiner erfolgreichen
Reformpolitik interessiert ist. Dass diese nach derzeitigem Stand nur in einer
Koalition mit der FPÖ realisiert werden kann, sagt weniger über den
Bundeskanzler als vielmehr über die österreichische Parteienlandschaft aus (die
in ihrer traurigen Gestalt der deutschen nur um wenig nachsteht).
Eigentlich schlüge jetzt
die Stunde der freien, investigativen Medien. Denn natürlich ist es von
öffentlichem Interesse, und zwar nicht nur in Österreich, zu erfahren, wer
hinter dem Ibiza-Video und den es vorbereitenden Legendenbildungen steht. Hier
könnten sich unsere Journalisten wirklich mit sauberer Recherche-Arbeit
auszeichnen. Ob sie dies wollen, so freudentrunken sie gegenwärtig über die
Beseitigung des bösen Drachen sind, ist allerdings fraglich.
Noricus
© Noricus. Für Kommentare bitte hier klicken.