Die Koalition aus ÖVP und
FPÖ wird nicht einmal mehr bis zu den voraussichtlich im September 2019 stattfindenden
Nationalratsneuwahlen fortgesetzt. Den von Bundeskanzler Sebastian Kurz
vorgeschlagenen Deal, wonach im Gegenzug zu Innenminister Herbert Kickls
Demission das derzeitige Regierungsbündnis wenigstens noch bis zum nächsten
Urnengang Bestand haben sollte, wurde von dem Kärntner abgelehnt. Vielmehr
kündigten seine in Ministerpositionen befindlichen Parteifreunde ihr Ausscheiden
aus dem Amt an, sollte Kurz dem Bundespräsidenten die Entlassung Kickls
vorschlagen.
Verfassungsrechtlicher
Hintergrund: Gemäß Artikel 70 Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 2 Bundes-Verfassungsgesetz
(B-VG) erfolgt die Entlassung einzelner Mitglieder der Bundesregierung auf
Vorschlag des Bundeskanzlers. Den Bundeskanzler oder die gesamte
Bundesregierung kann der Bundespräsident hingegen aus Eigenem (also ohne
Vorschlag) ihrer Funktion entheben.
Kurz hat daraufhin dem Staatsoberhaupt die Freisetzung nicht nur des Innenministers, sondern offenbar aller FPÖ-Regierungsmitglieder anempfohlen. Außenministerin Karin Kneissl, die zwar von den Blauen nominiert wurde, aber parteilos ist, wird auf ihrem Posten verbleiben. Dem Bundeskanzler droht nun ein Misstrauensvotum.
Verfassungsrechtlicher
Hintergrund: Gemäß Artikel 74 Absatz 1 B-VG ist die Bundesregierung oder der
betreffende Bundesminister des Amtes zu entheben, wenn der Nationalrat der
Bundesregierung oder einzelnen ihrer Mitglieder durch ausdrückliche
Entschließung das Vertrauen versagt. Gemäß Artikel 74 Absatz 2 B-VG ist zu
einem Beschluss des Nationalrates, mit dem das Vertrauen versagt wird, die
Anwesenheit der Hälfte der Mitglieder des Nationalrates erforderlich. Doch ist,
wenn es die im Bundesgesetz über die Geschäftsordnung des Nationalrates
festgesetzte Anzahl der Mitglieder verlangt [gemäß § 67 Absatz 1 Ziffer 1
Geschäftsordnungsgesetz 1975: ein Fünftel der Abgeordneten], die Abstimmung auf
den zweitnächsten Werktag zu vertagen.
Ich vermute, dass Kurz
von vornherein nicht damit gerechnet hat, dass Kickl sein Ministeramt hergeben
würde. Doch immerhin hat er einen Preis genannt, zu dem er bereit gewesen wäre,
die Koalition mit der FPÖ fortzusetzen. Das war taktisch nicht ganz
ungeschickt: Denn durch dieses Angebot, das der Regierungspartner nach seiner
Logik vielleicht nur ablehnen konnte, hat der Bundeskanzler Kompromissbereitschaft
beziehungsweise guten Willen signalisiert.
Wahrscheinlich argwöhnt
oder weiß Kurz, dass es in der Causa Ibiza noch zu weiteren Enthüllungen kommt.
Die Befürchtung von Johann Gudenus, dass noch nicht veröffentlichtes ihn kompromittierendes Material existiert, mag die Beunruhigung des Regierungschefs
untermauern. Je mehr zusätzliche Belastungsmomente auftauchen, umso mehr wird
sich auch in FPÖ-affinen Kreisen die Empörung über die illegalen Methoden der
Informationsbeschaffung zugunsten eines Ekels vor den dokumentierten Inhalten
verflüchtigen.
Der Bundeskanzler nimmt
die Gefahr eines erfolgreichen Misstrauensvotums auf sich und ebenso die Bürde, jedenfalls bis zur Nationalratswahl politisch paralysiert zu sein, weil
ihm keine Parlamentsmehrheit zur Durchsetzung seiner Reformprojekte zur
Verfügung steht. Dafür hat er sich frühzeitig aus einer Mithaftung für die
Ibiza-Affäre und deren allfällige Weiterungen herausgezogen. Das mag eine kluge Vorausschau oder eine Fehleinschätzung sein. So viel Mut zum Risiko wirkt auf den bundesdeutschen, von Merkel eingeschläferten Beobachter jedenfalls verstörend.
Noricus
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