Mit den Worten „Es kam
diesmal anders“ lässt Thomas Thiel auf FAZ.net
seinen sehr lesenswerten Artikel über eine an der Universität Frankfurt
abgehaltene, im griffigen Journalisten-Jargon als „Kopftuchkonferenz“
bezeichnete Veranstaltung beginnen. Tatsächlich: Der auf Twitter erschienene
Hashtag #schroeter_raus, unter dem
von einem letztlich unidentifizierten Autor nicht nur zur Absage des
Debattentermins, sondern auch zu einer Entlassung von dessen Organisatorin, der
in der Bankenmetropole lehrenden Ethnologin Susanne Schröter, aufgerufen wurde,
führte trotz Unterstützung seitens der Lobby der Verhüllungsfreunde nicht zu
dem erwartbaren Geschehensablauf. Vielmehr fand der Gedankenaustausch statt;
von einer Emeritierung der Professorin ist keine Rede.
Solcherart spielten sich vergleichbare Situationen
freilich nicht immer ab, wie die durch Susanne Schröter selbst erfolgte Ausladung des Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, im Jahr 2017
belegt. Die NZZ ordnet die damalige
Reaktion der Direktorin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam
richtig ein: Seinerzeit sprachen sich nämlich sowohl eine nicht unbeträchtliche
Anzahl Lehrender als auch der Allgemeine Studentenausschuss (AStA – in der
Eigenbezeichnung wohl eher „Studierendenausschuss“) dagegen aus, Wendt, dem man
zweifellos ein großes Bewusstsein für Publicity nachsagen kann, was seine
Dämonisierung als Hassfigur der Linken aber nicht rechtfertigt, einen Platz auf
dem Podium einzuräumen.
Dass hinsichtlich der Veranstaltung „Das islamische Kopftuch - Symbol der Würde oder der Unterdrückung?“ niemand aus dem universitären Funktionärsbereich Schröter in den Rücken fiel, sondern ihr derselbe von der Hochschulpräsidentin und sogar vom AStA vielmehr gestärkt wurde, genau das ist der Unterschied zu dem in Deutschland inzwischen sattsam bekannten Ritual des Einknickens infolge sich durch Multiplikatoren-Fürsprache wie ein Lauffeuer ausbreitenden Empörungsgezwitschers.
Weshalb die relevanten
Akteure den offenen Diskurs dieses Mal nicht in die Bleikammern des
Nichthilfreichen verbannten, lässt sich nicht so leicht sagen: Skeptiker werden
das Thema als ausschlaggebendes Element dieser Entwicklung hervorheben. Denn in
puncto Kopftuch prallen zwei linke Ideologielinien ungebremst aufeinander: Zum
einen die altlinke Tradition, die Herrschaftsverhältnisse auch bei Religionen
kritisiert, und deren klassischer Feminismus ein nur an Frauen adressiertes
Verschleierungsgebot, das noch dazu mit der Hintanhaltung männlicher
Begehrlichkeiten begründet wird, strikt ablehnt. Zum anderen die victimhood culture, in der einer
erhofften Einheitsfront an Mühseligen und Beladenen das Feindbild des alten,
weißen Mannes gegenübersteht, wobei freilich zwischen den Opfergruppen eine
Hierarchie vorausgesetzt wird, die es einer privilegierten Frau europäischer
Abstimmung verwehren soll, negative Urteile über den Islam auszusprechen.
Um es polemisch und
dadurch etwas knackiger zu formulieren: Die Misandrie einer Alice Schwarzer ist
farben- und kulturblind, während sich die Feministinnen aus der Generation
Schneeflocke eine Statistik der beim Oktoberfest begangenen Sexualdelikte
zurechtphantasieren, um über die Ereignisse auf der Kölner Domplatte schweigen
zu können. Die Angst, eines imaginierten „antimuslimischen Rassismus“ (ein
„Kategorienfehler“, wie Hansjörg Müller in der NZZ zutreffend schreibt) geziehen zu werden, sticht die Kritik am
real existierenden Sexismus.
Vielleicht, um das
Argument zum Abschluss zu bringen, war der Ausgang der hier erörterten
Angelegenheit nur Zufall. An einer anderen Universität, an der sich das
neulinke Narrativ einer größeren Anhängerschaft erfreut, wäre die Diskussion
vielleicht von den lieben Kollegen und dem AStA verhindert worden. Aber es gibt
auch Anlass für eine optimistischere Interpretation: Möglicherweise bekommt das
akademische Milieu langsam Bauchschmerzen, dass in Deutschland und Europa eine
ähnliche Entwicklung einsetzen könnte, wie sie an amerikanischen Universitäten
schon gang und gäbe ist. Vielleicht wird mehr und mehr Journalisten unwohl
dabei, wie sehr sie auch durch ihren eigenen Haltungsexhibitionismus zur
Verengung des Raumes des Sagbaren beigetragen haben, wenn die negative
Bewertung des Auftrittes einer in den Medien offenbar präsenten, dem Verfasser
dieser Zeilen bislang aber völlig unbekannten Zeitgenossin mit
Migrationshintergrund zum Rassismusvorwurf führt.
Die Nagelprobe wird aber
erst dann bestanden sein, wenn Diskussionsveranstaltungen zu Themen, die – anders
als das islamische Kopftuch – im linken Spektrum nicht kontrovers diskutiert
werden, sondern zu denen dort eine einhellige, dogmatische Meinung vorhanden ist, nicht vom Gegenwind
der an einer Absetzung des Termins interessierten Kreise verweht werden. Dazu
ist es erforderlich, dass sich die sogenannte
Zivilgesellschaft nicht mit den Verbotsbefürwortern solidarisiert, sondern
auch das Rederecht derjenigen verteidigt, deren Auffassungen sie mehrheitlich für falsch hält.
In Deutschland wird viel
zu viel darüber gestritten, ob jemand eine bestimmte Ansicht äußern darf, als
über die Frage, ob er mit seinen Gedanken Recht hat. Wenn die Debatte auf der
Zulässigkeitsebene verbleibt und deshalb eine inhaltliche Behandlung des
Gesagten entfällt, lässt dies mit der Zeit die Fähigkeit zur Diskussion in der
Sache verkümmern. Diese sehr bedenkliche Entwicklung ist zweifellos auch für
das niedrige Niveau des hiesigen öffentlichen Diskurses verantwortlich. Dass
gerade die Linke, die sich traditionell in einem Gefühl der eristischen
Überlegenheit gegenüber der Rechten sonnt, heute so große Angst vor einem
argumentativen Austausch mit dem politischen Antipoden hat, ist wohl eine
Manifestation des maliziösen Humors der Geschichte.
Noricus
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