28. Mai 2019

Starlink



"...dort oben leuchten die Sterne / und unten leuchten wir..." heißt es im Kinderlied, wenn es zum Martinstag, zu Beginn der tiefsten Jahresendzeit, darum geht, mit Laternen einen noch so bescheidenen Kontrapunkt zum schwindenden Tageslicht zu setzen. Gegen die unmittelbare Impression der scheinbar unendlich fernen und unendlich ewigen Leuchtfeuer (was sie in Bezug auf die Kleinheit und Kürze des menschlichen Lebens tatsächlich darstellen) in den Tiefen des Alls vermag alles menschliche Ingenium bislang nichts entgegenzusetzen. Nicht außerhalb der ebenfalls kleinen Bereichs der Kunst und der Literatur jedenfalls und den Bildern, die deren Metaphern und Themen in der menschlichen Phantasie anzünden. Gestaltungen und Zeichensetzungen menschlicher (oder jedenfalls sterblicher) Hand werden auch wohl noch in Jahrmillionen allein diesem Bereich vorbehalten sein: ob es nun darum geht, den Mars durch Terraformierung als eine zweite Erde ergrünen zu lassen, wie in Arthur C. Clarkes bekanntestem Science-Fiction-Roman The City and the Stars (1956) sieben Sonnen als Signum einer am Magie grenzenden Supertechnik in enger Formation einander umkreisen zu lassen (die deutsche Übersetzung isr denn auch unter dem Titel Die sieben Sonnen erschienen), wie in Jack McDevitts Infinity Beach aus dem Jahr 2000 ein halbes Dutzend passender Sterne gleichzeitig als Supernova zu zünden, um weit über die Grenzen des Inseluniversums unserer Milchstraße hinaus ein sichtbares Signal zu setzen: wir sind hier! wir sind intelligent! oder ob es wie in der Anmoderation von Ross Rocklynnes (1913-1988) kleiner Erzählung "Find the Face" (in Galaxy Science Fiction, September 1968) heißt: At the edge of forever, the stars form a Face. But whose? And why?



(Abb. Internet Science Fiction Data Base)

"The face was spread across that whole sky along whose star-clouded shores my elegant boat swam. it subtended an arc of 130°, and that was a lot of sky. I stared stupidly, expecting the face's drooping- star-gleaming lips to curl in contempt, his coal-sack nostrils to pinch in displeasure, his God-eyes, with groups of burning-bright stars where the irises were, to fume at me in cosmic anger. ... But no, his expression, frowning, distant, remained the same. How handsome a man, he that looked down upon me but through me; and, indeed, seemed to have no interest in me. The hair, gray-black, was swept in a haughty wave of radiant gases over his forhead, which in turn was so neatly limned and shaped by clouds and strings of primal hydrogen matter. Hair untidly covered the tops of of his ears, which in turn were but stellar helices with darks and brights of deftly brushed in by an Artist whose identity I could not conceive." (S. 70)

Bislang bleiben als einzige bescheidene Möglichkeit solcher Zeichensetzung für Genus homo die nur kurzzeitg sichtbaren Leuchtspuren, die seit nunmehr 60 Jahren von den Kunstmonden, seit dem Start von Sputnik 1 am 4. Oktober 1957 von Baikonur aus, an den Sternenhimmel geschrieben werden, wenn die astronomische Dämmerung eingesetzt hat (die Sonne also mehr als 10° unter dem Horizont verschwunden ist) und das von den Metalloberflächen reflektierte Sonnenlicht nicht mehr vom Blau des durch Rayleigh-Streeung aufgehellten Tages- und Abendhimmels überstrahlt wird. Trabanten im LEO, im niedrigen Erdorbit, bleiben gut zwei Stunden vor und nach Sonnenauf- bzw. untergang sichtbar, bevor sie ihre bahn ganz im wandernden Schatten der Erde durchlaufen; die Navigationssignalsender der GPS-, Glonass und demnächst wohl auch der europäischen Galileo-Systems haben aufgrund ihrer höheren Umlaufbahnen zwischen 800 und 1200 Kilometern verlängerte Sichtbarkeiten. Für unerfahrene Beobachter ist die Kürze dieses himmlischen Auftritt immer wieder überraschend: gut fünf Minuten dauert es, bis ein solcher Kunstmond nach dem ersten Sichtbarwerden in den Erdschatten eintritt und wie ein ausgeknipstes Lämpchen erlöscht.

Die beiden oben eingebetteten kurzen Videoaufnahmen zeigen ein momentan zu beobachtendes Phänomen dieser Art, das das, was bislang an solchen Himmelsschauspielen geboten wurde, in den Schatten stellt - und das, so ist zu hoffen, ein kurzzeitiges Phänomen bleiben wird: es handelt sich um die sechzig Satelliten des Starlink-Systems, die vor fünf Tagen, am 23. Mai 2019, mit einer Falcon 9 vom Startkomplex 40 von Cape Canaveral aus in einer vorläufige Umlaufbahn von 440 Kilometern Höhe geschossen wurden. Während der nächsten Wochen werden die Bahnen mit Hilfe von Ionentriebwerken (bei denen Edelgase auf eine Temperatur von 30.000 Grad erhitzt werden; bei diesen Temperaturen ionisiert die Gasmoleküle, werden also elektrisch leitfähig und können mit Hilfe eines elektrischen Felds als Antriebsmasse genutzt werden. Der Vorteil einer Ionenantrieb ist, daß nur wenige Kilogramm Treibstoff benötigt werden, im Gegensatz zu den Flüssig- und Festtreibstoffen "richtiger" Raketen; der Nachteil ist das geringe Delta V, der vergleichsweise minimale Impuls, der wochenlange Antriebsphasen erfordern kann) auf eine Endhöhe von 560 Kilomtern angehoben wird. Während dieser Zeit werden die einzelnen Satelliten weiter auseinander driften, bis sie schließlich einen Ring von jeweils 5 Grad Winkelabstand mit einer Neigung von gut 53 Grad zum Erdäquator bilden werden.

Das erste Video wurde keine 24 Stunden nach dem Start in Leyden in den Niederlanden von dem Amateurastronom Dr. Marco Langbroeck aufgenommen und ins Weltnetz eingestellt; das zweite zeigt zwei Überflüge über dem russischen Swerdlowsk kurz nach Mitternacht des 26. Mai, um 0:08 und 1:46 Ortszeit.

Weltnetz ist auch der Sinn dieses Unterfangens, das in seinen Dimensionen tatsächlich an die in der Science Fiction technizistischer Ausrichtung gepflegte Gigantomanie gemacht: in zwei unterschiedlichen Höhen laufend, sollen nach Abschluß des Aufbaus im November 2027 gut zwölftausend Satelliten für jeden Punkt auf dem Planten Sol III, Terra, gelegen im Orionarm der Milchstraße in der Andromeda-Galaxiengruppe für ein schnelles Internet sorgen: 4409 Satelliten werden in einer Höhe von 540 Kilometern kreisen; die Hälft davon soll bis zum März 2024 gestartet sein; im März 2027 soll diese Schale komplett sein; die Zahl der Relaisstationen im "unteren Stockwerk" in 340 Kilometern Höhe beträgt 7518; von denen die Hälfte im November 2024 bereit stehen soll; der Abschluß des ganzen Projekts soll im November 2027 erreicht sein. Elon Musk, Gründer und Chef von SpaceX (und ob seiner wahrlich megalomanen Pläne zu Mondlandungen und Marsflügen sicherlich das Nächste zu einem Mad Scientist, das das RL, das reelle Leben, in diesen Jahren am Ende des zweiten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts, zu bieten hat) rechnet damit, daß das System sich ab dem ersten Tausend gestarteter Erdbegleiter kommerziell tragen wird; den Betrieb kann es ab 400 Relaisstationen aufnehmen. Die Starts der nächsten beiden Tranchen von je 60 Satelliten sind für 2019 vorgesehen; der siebte Start, der die Zahl auf über 400 bringt, dürfte also am Ende des nächsten Jahres erfolgen, wenn alles nach den ehrgeizigen Plänen geht.



(Mark Handley: Starlink VLEO Constellation. "This simulation shows the orbits of all 11927 satellites in the final proposed Starlink constellation. Red satellites are the initial 1584 satellites at 550km altitude. White are 1600 second phase satellites at 1110km altitude and 53.8 degree inclination. Blue are 1225 satellites in polar orbits. Yellow shows the final 7518 satellites in 335km to 345km VLEO orbits, with inclinations of 53, 48 and 42 degrees.")

Wenn. Zum einen sind Musk und SpaceX dafür bekannt, ihre groß angekündigten Zeitpläne um Jahre zu überschreiten. Auch der Start der Falcon Heavy, des momentan größten, leistungsfähigsten verfügbaren Boosters im vorigen Februar (der dem Sonnensystem seinen ersten Apollo-Asteroiden - so nennen die Astronomen das "kosmische Ungeziefer", wenn es die Erdbahn kreuzt - in Form eines Roadsters bescherte) lag um volle fünf Jahre hinter der ursprünglich avisierten Zielmarke zurück. Gewichtiger aber scheint der Einspruch jener, die beruflich oder aus Passion an den obengenannten kosmischen Leuchtfeuern und nicht den Gebilden aus Menschenhand interessiert sind: in der Community der Astronomen, aber auch der Sternfreunde hat sich in den letzten Tagen erheblicher Unmut breit gemacht. Nicht so sehr über das gegenwärtige Schauspiel, dessen Helligkeit rapide abgenommen hat. Aber die Aussicht, in Zukunft mit der zweihundertfachen Zahl konfrontiert zu sein, von denen zu jedem Zeitpunkt ein gutes Drittel über dem Horizont stehen wird und die nicht, wie Kommunikationsatelliten im geostationären Orbit, von der Oberfläche aus gesehen stillstehen (und wegen ihrer Entfernung von 35.800 Kilometern nicht mehr sichtbar sind), sondern helle Bahnen ans Firmament schreiben, hat Befürchtungen laut werden lassen, hier könne "der Nachthimmel ruiniert" oder "zerstört" werden. Elon Musk selbst zeigte sich von der Reflektionskraft der Kunstmonde überrascht. Am 27. Mai teilte er über den Kurznachrichtendienst Twitter mit:

Elon Musk
@elonmusk
Cosmic Penguin
‏ @Cosmic_Penguin
6 Std.vor 6 Stunden
@elonmusk Please see if there are ways to reduce reflected light downwards from the later batches of Starlink satellites, as they seems to be "more shiny/higher albedo" than others. Maybe some coatings/extra mirrors would help. Thanks!
Elon Musk
‏Verifizierter Account @elonmusk
Antwort an @Cosmic_Penguin
Agreed, sent a note to Starlink team last week specifically regarding albedo reduction. We’ll get a better sense of value of this when satellites have raised orbits & arrays are tracking to sun.
00:17 - 27. Mai 2019

Es kann also durchaus sein, daß hier Nachbesserungen und etwa die Entwicklung einer lichtschluckenden Lackierung anstehen und die Zeitpläne durcheinanderwirbeln (zumal bei solchen Mammutprojekten stets mit unvorhergesehenen Verzögerungen gerechnet werden muß); es wäre sogar denkbar, daß aus Bedenken in diesem Bereich die US-Regierung die Fortführung des Unterfangens untersagt. Genauso denkbar scheint es, daß Starlink zum Beispiel für "gedankenlose Hybris", für größenwahnsinnigen Frevel technologischer Megalomanie avancieren wird (damit dürfte auf jeden Fall zu rechnen sein; schon das Apollo-Mondlandungsprogramm vor einem halben Jahrhundert wurde damit bedacht; wie etwa His Bobness 1983 in "License to Kill" sang: "For man has invented his doom / First step was touching the moon..."). Auf der anderen Seite steht der unleugbare Nutzen eines solchen Vorhabens. Manche Aspekte werden durch die Tatsache, daß das Weltnetz mittlerweile wirklich als ein solches verfügbar ist, von gewissen Ausnahmen wie Nordkorea einmal abgesehen, überdeckt. Auf den ersten Blick scheint es nicht ganz einleuchtend, warum jemand einen besonderen Empfänger und die avisierten 200 US-Dollar Jahresgebühr auslegen sollte, um einem von der Stange zu beziehenden terrestrischen Dienst ein Pendant zur Seite zu stellen. Zum einem wird Starlink wirklich weltweit verfügbar sein, in jedem Winkel, sofern der Blick zum Himmel frei ist; zum anderen entfällt das "Problem der letzten Meile": die Datenpakete werden direkt zum Empfänger weitergeleitet; es braucht keine irdischen Funkmasten oder Relays wie bei der mobilen Telephonie (darin gleicht der Service dem, den die Iridium-Satelliten seit einigen Jahren bieten; deren blitzartig am Nachthimmel aufleuchtende Iridium flashes das vorige spektakuläre Himmelsschauspiel von Menschenhand abgaben - und die mit der sukzessive erfolgenden Inbetriebnahme der zweiten Generation  dieser Satelliten ein Ende finden wird); es gibt für Staaten dann keine Möglichkeit mehr, sich zwischen den Empfang unliebsamer Inhalte und die eigenen Bürger einzuschalten. Es dürfte aber kein Zweifel darüber bestehen, daß genau dies versucht werden wird: daß SpaceX - oder die amerikanische Regierung - Pressionen ausgesetzt sein wird, keine Datenpakete etwa an chinesische IP-Adressen zu senden, oder an deutsche, oder solche innerhalb der EU: der Werkzeugkasten, den sich Deutschland und die EU mit solchen Tools wie dem "Netzwerkdurchsetzungsgesetz" bereitstellen und die immer offener werdenden Forderungen, "das Netz" strikter inhaltlicher Kontrolle zu unterwerfen, lassen hier wenig Gutes erwarten.

Zum anderen aber ist es absehbar, daß im Fall eines tatsächlich eintretenden Blackouts, dessen Wahrscheinlichkeit zunimmt, je länger die Umsetzung der katastrophalen "Energiewende" anhält und je mehr von der noch vorhandenen Kaltreserve der Kernkraft- und Kohlekraftwerke vom Netz (in diesem Fall vom Stromnetz) genommen wird. Die erfolgte Umstellung des Fernsprechfestnetzes auf Voicve-Over-IP hat dazu geführt, daß im Fall eines Ausfalls des terrestrischen Internetzes auch diese Kommunikationsmöglichkeit ausfällt; das Mobilfunknetz dürfte im Fall-des-Falles zwei Stunden länger durchhalten, bis auch die Stützbatterien der Sendemasten erschöpft sind (da in einem solchen Fall aber die Mobilfunkverbindungen die einzig verbliebene Verbindung darstellen, scheint es nicht unwahrscheinlich, daß unter der blitzschnell steigenden Zahl der Panikanrufe der Zusammenbruch eher erfolgt). Sicher: wenn der Akku des Satellitenphons tot ist, ist auch hier das Ende der Fahnenstange erreicht. Aber wer ein Notstromaggregat sien eigen nennt; wer etwa in einem solchen Fall kommunale Angebote nutzen kann, die bei lokalen Stromausfällen jetzt schon die Gelegenheiten anbieten, Smartphones aufzuladen (um eben die nötige Kommunikation zu ermöglichen): für den könnte dies im Notfall lebens- und zivilisationsrettend werden.
   
Die Sichtbarkeit des momentanen "Sternenzuges" kann übrigens mit Hilfe dieses kleinen Programms ermittelt werden:


(Falls der eigene Ort nicht in der Angebotsliste erscheint, reicht es, im rechten Eingabefenster dessen geographische Koordinaten einzugeben.) Für den Schreibtisch ("Ich wollte, ich säße in Nubien an meinem Schreibtisch!", Arno Schmidt, Abend mit Goldrand, 1975), an dem ich diese Zeilen tippe, wirft es folgende Zeitangaben für diese Nacht aus:

1:21 am, 05/29/2019 (local time in target location, see above [+]) for 6 mins, look WEST, check 10 to 63 degree elevation (from horizon) (Might be hard to see, as it might not reflect enough sunlight) 

2:58 am, 05/29/2019 (local time in target location, see above [+]) for 6 mins, look WEST, check 10 to 57 degree elevation (from horizon) (Might be hard to see, as it might not reflect enough sunlight)

4:35 am, 05/29/2019 (local time in target location, see above [+]) for 4 mins, look WEST, check 10 to 17 degree elevation (from horizon)

Was wir freilich wohl NICHT zu befürchten haben, ist daß Skynet (Verzeihung: Starlink) eine kritische Masse erreicht, "erwacht" und die Kontrolle übernimmt. So wie es in X plus x Varianten in der Science Fiction für die zweite oder dritte Dekade des einundzwanzigsten Jahrhunderts immer wieder ausgemalt worden ist: ob nun im Universum des Terminators, der Matrix, in Daniel Suarez Kill Decision von 2012 oder Andreas Brandhorsts Das Erwachen (2017) - zuerst übrigens geschildert vom schon erwähnten Arthur C. Clarke in "Dial F for Frankenstein" (zuerst veröffentlicht im Playboy Magazine in der Januar-Ausgabe 1965 und 1972 in der Sammlung The Wind from the Sun in Buchform erschienen).






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U.E.

© Ulrich Elkmann. Für Kommentare bitte hier klicken.