Ein Land kann nicht durch Transferzahlungen von außen entwickelt werden. Wie kann aber aus einem Land heraus Entwicklung entstehen? Durch eine starke Mittelschicht, wie ich finde, die Pressefreiheit und bürgerliche Rechte einfordert, und damit Rechtssicherheit; und die durch ihre Nachfrage und ihre Arbeitsleistung der Motor der Wirtschaft ist.
In Mali fehlt eine solche Mittelschicht nahezu völlig. Mein Nachbar war dafür ein gutes Beispiel. Er konnte fließend Englisch, Französisch, Fula, Tamascheq und Bambara sprechen. Er arbeitete als Übersetzer für einen staatlichen Baumwollproduzenten und war dafür mehrfach im Ausland unterwegs. Er war mir ein guter Freund und hatte keine Probleme damit, mich abends zu besuchen, obwohl er Muslim war. Zu seinen Familienfeiern waren wir genauso eingeladen wie er zu den unseren. Seine Frau nahm an meinem ersten Alphabetisierungskurs teil und hat danach fleißig Nachbarinnen zu einem zweiten Kurs eingeladen.
Beide waren gebildet, weltoffen, gastfreundlich. Sie waren religiös, aber nicht fanatisch. So jemand hätte in vielen Teilen der Welt eine gute Chance, beruflich und gesellschaftlich aufzusteigen. In Mali nicht.
Und mein Nachbar hat eines klar erkannt. Er sagte mir einmal, dass die Malier zwar alle zwei bis drei Handys besitzen, aber keines dieser Handys in Mali hergestellt wird. "Es wird in diesem Land nichts Nachhaltiges produziert", so seine bittere Erkenntnis.
Dabei gäbe es Potential. Die Franzosen haben in der Kolonialzeit weite Flächen am Niger und am Bani (einem Nebenfluss des Niger) plan geebnet, um diese Flächen für den Reis- und den Erdnussanbau nutzbar zu machen. Reis ist neben der Hirse das Hauptnahrungsmittel in Mali und könnte im geringen Maße auch exportiert werden. Doch diese Möglichkeit wird dadurch unterlaufen, dass es Reis aus Vietnam um ein Vielfaches billiger zu kaufen gibt, als der vor der Tür wachsende einheimische Reis kostet.
Welcher Malier mit knappen Mitteln soll guten Reis aus Mali kaufen, wenn es auch billigeren Reis aus Vietnam gibt?
Dort, wo es keine Nachfrage gibt, kann keine wirtschaftliche Entwicklung entstehen, und es wird daher auch nichts hergestellt oder produziert, was über den Eigenbedarf hinausgeht. Gleiches gilt für die Baumwolle. In der Region Koutiala wird Baumwolle produziert, die dann in Ségou und anderswo weiterverarbeitet wird. Auf den Märkten findet man aber sehr oft billige Stoffe aus Übersee, selbst aus Deutschland und Holland, die die einheimischen Stoffe verdrängen. Einheimische Produkte haben keine Chance, sich in einem globalisierten Wettbewerb zu behaupten.
Es gibt eine einzige Firma im Raum Ségou, die im großen Stil Baumwolle zu guten Stoffen verarbeitet, und das zu weltmarktfähigen Preisen. Diese Firma ist aber bezeichnender Weise nicht in malischer, sondern in chinesischer Hand, während die Malier selbst in Ségou noch an mechanischen Webstühlen aus Holz sitzen.
Das gibt für Touristen immer ein schönes Fotomotiv ab, und manch einer der Touristen rühmt die "Ursprünglichkeit und Nachhaltigkeit" dieser Produktionsmethode; aber es ist bitter, zu sehen, dass sich Teile der malischen Wirtschaft noch auf vorindustriellem Niveau befinden und Mali dadurch in einer globalisierten Welt null Chancen hat. Selbst Milchpulver, mit dem sich Mali selbst versorgen könnte, ist starker Konkurrenz ausgesetzt, denn Milchpulver aus Frankreich ist oft billiger zu haben als das aus Mali.
Ausländische Investoren kommen nicht nach Mali, um das Land zu entwickeln, sondern um dort Gewinne zu machen. Im Bereich Tourismus war dies in den vergangenen Jahren gut zu beobachten. Die besten Hotels in Bamako wurden nach und nach von libyschen Investoren aufgekauft. Aus dem Hotel "Kempinsky" wurde z.B. das "El Libya-Hotel".
In den Bereichen, in denen sich Investitionen lohnen, steigen auch Investoren ein, aber nur zu eigenem Nutzen. Das Know How verbleibt bei ihnen, und den Maliern bleiben nur die Brosamen. Nahezu alle Elektronikartikel kommen aus China, Brasilien oder Indien, produziert davon wird nichts (!) in Mali. Für Straßen- und Brückenbau sorgen marokkanische oder chinesische Firmen, die allenfalls malische Arbeiter für einfache Erdarbeiten einsetzen.
Bezahlt werden diese Investitionen mit Geldern aus der (aucb der deutschen) Entwicklungshilfe. Der Banken- und Telekommunikationsbereich ist international. Malische Firmen laufen hier unter "ferner liefen", nur die staatliche Telekom, die Sotelma , hat eine gewisse Bedeutung. Die Goldminen um Kayes im Süden des Landes sind fest in der Hand südafrikanischer Firmen. Die Malier selbst dagegen schürfen in einfachen Erdlöchern um die abgesperrten Minen herum nach Gold.
Natürlich verfolgen auch die Franzosen mit ihrer militärischen Intervention "Serval" wirtschaftliche Interessen. Fällt Mali in die Hand der Islamisten, sind die Uranminen in Niger nicht mehr zu halten.
Es kam ja bereits lange vor dem Krieg zu Entführungen von Franzosen in der Region, selbst in der nigrischen Hauptstadt Niamey, und ein von Islamisten besetztes Mali wäre für die Sicherheit der Minen im Niger eine nicht hinnehmbare Bedrohung. Und sicher erhofft sich der eine oder andere französische Erdölkonzern für die Zeit nach dem Krieg neue Konzessionen in der malischen Wüste, in der große Erdölkommen vermutet werden.
Dies alles zeigt: Mali ist nicht Herr im eigenen Hause. Die Wirtschaft ist viel zu schwach und unterentwickelt, um international konkurrenzfähig zu sein. Das, was Gewinn abwirft, ist in internationaler Hand.
Ein Wissens- und Technologietransfer findet nicht statt, Eigeninitiativen werden oft durch Korruption und Vetternwirtschaft abgewürgt. Der staatliche Sektor ist aufgebläht, der private Sektor dagegen völlig unterentwickelt. Der Kleinst- und Straßenhandel (Sekundärsektor) ist kein gutes wirtschaftliches Fundament, zumal alle das Gleiche verkaufen und keiner wirklich neue Wege geht, was auch wiederum mit der schon erwähnten Schamkultur zu tun hat.
Den größten Anteil am malischen Bruttoinlandprodukt stellen die Transferzahlungen von Familienangehörigen, die in Frankreich leben und arbeiten. Das zeigt alles.
In Mali fehlt eine solche Mittelschicht nahezu völlig. Mein Nachbar war dafür ein gutes Beispiel. Er konnte fließend Englisch, Französisch, Fula, Tamascheq und Bambara sprechen. Er arbeitete als Übersetzer für einen staatlichen Baumwollproduzenten und war dafür mehrfach im Ausland unterwegs. Er war mir ein guter Freund und hatte keine Probleme damit, mich abends zu besuchen, obwohl er Muslim war. Zu seinen Familienfeiern waren wir genauso eingeladen wie er zu den unseren. Seine Frau nahm an meinem ersten Alphabetisierungskurs teil und hat danach fleißig Nachbarinnen zu einem zweiten Kurs eingeladen.
Beide waren gebildet, weltoffen, gastfreundlich. Sie waren religiös, aber nicht fanatisch. So jemand hätte in vielen Teilen der Welt eine gute Chance, beruflich und gesellschaftlich aufzusteigen. In Mali nicht.
Und mein Nachbar hat eines klar erkannt. Er sagte mir einmal, dass die Malier zwar alle zwei bis drei Handys besitzen, aber keines dieser Handys in Mali hergestellt wird. "Es wird in diesem Land nichts Nachhaltiges produziert", so seine bittere Erkenntnis.
Dabei gäbe es Potential. Die Franzosen haben in der Kolonialzeit weite Flächen am Niger und am Bani (einem Nebenfluss des Niger) plan geebnet, um diese Flächen für den Reis- und den Erdnussanbau nutzbar zu machen. Reis ist neben der Hirse das Hauptnahrungsmittel in Mali und könnte im geringen Maße auch exportiert werden. Doch diese Möglichkeit wird dadurch unterlaufen, dass es Reis aus Vietnam um ein Vielfaches billiger zu kaufen gibt, als der vor der Tür wachsende einheimische Reis kostet.
Welcher Malier mit knappen Mitteln soll guten Reis aus Mali kaufen, wenn es auch billigeren Reis aus Vietnam gibt?
Dort, wo es keine Nachfrage gibt, kann keine wirtschaftliche Entwicklung entstehen, und es wird daher auch nichts hergestellt oder produziert, was über den Eigenbedarf hinausgeht. Gleiches gilt für die Baumwolle. In der Region Koutiala wird Baumwolle produziert, die dann in Ségou und anderswo weiterverarbeitet wird. Auf den Märkten findet man aber sehr oft billige Stoffe aus Übersee, selbst aus Deutschland und Holland, die die einheimischen Stoffe verdrängen. Einheimische Produkte haben keine Chance, sich in einem globalisierten Wettbewerb zu behaupten.
Es gibt eine einzige Firma im Raum Ségou, die im großen Stil Baumwolle zu guten Stoffen verarbeitet, und das zu weltmarktfähigen Preisen. Diese Firma ist aber bezeichnender Weise nicht in malischer, sondern in chinesischer Hand, während die Malier selbst in Ségou noch an mechanischen Webstühlen aus Holz sitzen.
Das gibt für Touristen immer ein schönes Fotomotiv ab, und manch einer der Touristen rühmt die "Ursprünglichkeit und Nachhaltigkeit" dieser Produktionsmethode; aber es ist bitter, zu sehen, dass sich Teile der malischen Wirtschaft noch auf vorindustriellem Niveau befinden und Mali dadurch in einer globalisierten Welt null Chancen hat. Selbst Milchpulver, mit dem sich Mali selbst versorgen könnte, ist starker Konkurrenz ausgesetzt, denn Milchpulver aus Frankreich ist oft billiger zu haben als das aus Mali.
Ausländische Investoren kommen nicht nach Mali, um das Land zu entwickeln, sondern um dort Gewinne zu machen. Im Bereich Tourismus war dies in den vergangenen Jahren gut zu beobachten. Die besten Hotels in Bamako wurden nach und nach von libyschen Investoren aufgekauft. Aus dem Hotel "Kempinsky" wurde z.B. das "El Libya-Hotel".
In den Bereichen, in denen sich Investitionen lohnen, steigen auch Investoren ein, aber nur zu eigenem Nutzen. Das Know How verbleibt bei ihnen, und den Maliern bleiben nur die Brosamen. Nahezu alle Elektronikartikel kommen aus China, Brasilien oder Indien, produziert davon wird nichts (!) in Mali. Für Straßen- und Brückenbau sorgen marokkanische oder chinesische Firmen, die allenfalls malische Arbeiter für einfache Erdarbeiten einsetzen.
Bezahlt werden diese Investitionen mit Geldern aus der (aucb der deutschen) Entwicklungshilfe. Der Banken- und Telekommunikationsbereich ist international. Malische Firmen laufen hier unter "ferner liefen", nur die staatliche Telekom, die Sotelma , hat eine gewisse Bedeutung. Die Goldminen um Kayes im Süden des Landes sind fest in der Hand südafrikanischer Firmen. Die Malier selbst dagegen schürfen in einfachen Erdlöchern um die abgesperrten Minen herum nach Gold.
Natürlich verfolgen auch die Franzosen mit ihrer militärischen Intervention "Serval" wirtschaftliche Interessen. Fällt Mali in die Hand der Islamisten, sind die Uranminen in Niger nicht mehr zu halten.
Es kam ja bereits lange vor dem Krieg zu Entführungen von Franzosen in der Region, selbst in der nigrischen Hauptstadt Niamey, und ein von Islamisten besetztes Mali wäre für die Sicherheit der Minen im Niger eine nicht hinnehmbare Bedrohung. Und sicher erhofft sich der eine oder andere französische Erdölkonzern für die Zeit nach dem Krieg neue Konzessionen in der malischen Wüste, in der große Erdölkommen vermutet werden.
Dies alles zeigt: Mali ist nicht Herr im eigenen Hause. Die Wirtschaft ist viel zu schwach und unterentwickelt, um international konkurrenzfähig zu sein. Das, was Gewinn abwirft, ist in internationaler Hand.
Ein Wissens- und Technologietransfer findet nicht statt, Eigeninitiativen werden oft durch Korruption und Vetternwirtschaft abgewürgt. Der staatliche Sektor ist aufgebläht, der private Sektor dagegen völlig unterentwickelt. Der Kleinst- und Straßenhandel (Sekundärsektor) ist kein gutes wirtschaftliches Fundament, zumal alle das Gleiche verkaufen und keiner wirklich neue Wege geht, was auch wiederum mit der schon erwähnten Schamkultur zu tun hat.
Den größten Anteil am malischen Bruttoinlandprodukt stellen die Transferzahlungen von Familienangehörigen, die in Frankreich leben und arbeiten. Das zeigt alles.
Diarra
© Diarra. Der Verfasser hat von 2004 bis 2008 und wieder von 2009 bis 2012 in Mali gelebt und gearbeitet. Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier. Titelvignette: Ein Baobab (Affenbrotbaum) in Mali. Diese Bäume sehen äußerlich groß, stark und gesund aus, sind innerlich aber oft hohl und werden deshalb von starken Winden leicht umgeknickt - ein Sinnbild für Mali. Eigene Aufnahme des Verfassers. (Für eine vergrößerte Ansicht bitte zweimal auf das Bild klicken).