6. März 2012

Zettels Meckerecke: Rösler und die Kanzlerin, Union und FDP. Die zwei Äffchen. Wie die Medien diese Regierung herunterzuschreiben versuchen

Zum Zirkusimpresario kommt ein Artist und führt ihm seine Nummer vor: Er macht einen einarmigen Handstand. Mit der anderen Hand spielt er Mundharmonika, während er auf der Nase einen Schellenbaum balanciert. Auf seinem linken Fuß hockt ein dressiertes Äffchen und spielt auf einer kleinen Geige. Auf dem rechten Fuß des Artisten macht ein zweites Äffchen ebenfalls seinen Handstand; mit seinen Füßchen bedient es ein kleines Schlagzeug. Gespielt wird "When the saints go marchin' in".

Der Impresario sieht sich das an und sagt: "Wenn die Äffchen jetzt noch den Text singen würden, könnte ich Sie vielleicht vermitteln. Aber bitte akzentfrei".

An diesen alten Witz (so alt, daß der Impresario Impresario heißt und nicht Agent) mag man denken, wenn man sich die Berichterstattung über die Beschlüsse ansieht, die vorgestern von FDP und Union zur weiteren Regierungsarbeit gefaßt wurden.

Nehmen wir "Zeit-Online".

Dort erschien gestern um 14.09 Uhr ein aus Meldungen von dpa und afp kompilierter Artikel, der korrekt auflistete, was alles beschlossen worden war - zur Gebäudesanierung, zur Verbesserung der durch die "Energiewende" gefährdeten Stabilität des Stromnetzes; zu erweiterten Befugnissen des Kartellamts zwecks Verbesserung des freien Wettbewerbs, zum besseren Schutz vor riskanten Geldgeschäften; zur besseren Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern bei den Hochschulen; zum gemeinsamen Sorgerecht von Unverheirateten; zum "Warn-Arrest" für jugendliche Straftäter; zum Verbot gewerblicher Sterbhilfe; zur sogenannten "Kronzeugenregelung".

Man mag für oder gegen jede einzelne dieser beschlossenen gesetzlichen Neuregelungen sein - jedenfalls zeigen sie, daß die Koalition gut zusammenarbeitet; daß sie ohne Einschränkungen handlungsfähig ist. Der Streit über den Kandidaten Gauck hat das Koalitionsklima offenbar keineswegs verschlechtert. Die Kanzlerin hat als Profi akzeptiert, daß die FDP ihre taktisch vorteilhafte Situation geschickt für sich genutzt hat. Jetzt ist man im Kabinett etwas mehr auf Augenhöhe; was bekanntlich einer Zusammenarbeit keineswegs abträglich sein muß.

Kurz - der Artist zeigt sein durchaus bemerkenswertes Kunststück. Und was sagt dazu der Impresario in Gestalt unserer Medien?

Einen Tag nach den zitierten sachlichen und detaillierten Agenturmeldungen erschien heute um 11.29 Uhr bei "Zeit-Online" ein vom "Tagesspiegel" übernommener Artikel des auf Juristisches spezialisierten Journalisten Jost Müller-Neuhof. Überschrift "Schwarz-gelber Schnee von gestern". Vorspann:
Auch Koalitionäre möchten mal gelobt werden. Doch die neuesten Beschlüsse zur Sterbehilfe, zum Jugendstrafe- und Sorgerecht sind wenig revolutionär.
Zu bemängeln hat der Autor im Grunde nichts; "wenig revolutionär" ist ja nicht unbedingt ein Verdammungsurteil. Liest man den Artikel, dann merkt man, daß er eigentlich allen juristischen Beschlüssen - zum Jugendstrafrecht, zum Sorgerecht, zur Sterbehilfe - zustimmt. Aber irgendwie muß er doch kryptisch kritteln:
Ansonsten zeigt sich: Es muss nicht alles unter das Diktat von Alternativlosigkeit und Reformzwang gestellt werden. Besserung kann eintreten, wenn man abwartet. Erregte Diskussionen beflügeln den nötigen politischen Konsens nicht immer. Auch Schnee von gestern ermöglicht die Abfahrt. Die Koalition hat sich ein wenig bewegt, und der Globus hängt noch immer in den Angeln. Gut so. Wer möchte, kann streicheln.
Ich habe zwar nicht verstanden, was Müller-Neuhof uns mit diesem Schlußabsatz sagen will - aber offenbar war das alles mal wieder nichts; so soll es beim Leser hängenbleiben.

Die Äffchen haben ja nicht akzentfrei gesungen.



Und so ist es quer durch die Leitmedien. "Harmonieshow oder zerrüttete Ehe?" fragt "Welt-Online"; so, als ginge es um eine Beziehungkiste und nicht die Sacharbeit einer Regierung. Auch dem Kommentator des ZDF, Lars Seefeldt, fällt zu dem Treffen des Koalitionsausschusses ein: "Wie ein zerrüttetes Ehepaar, das vor den Kindern übers Wetter plaudert, damit es überhaupt etwas zu reden gibt".

Und so fort. "Wichtige Themen schafften es gar nicht auf die Tagesordnung" rügt Robert Roßmann in "Süddeutsche.de". Und wie tief der Graben in der Koalition ist, faßt die Redaktion der SZ in der Überschrift seines Kommentars zusammen: "Koalitionsausschuss - Dissens mit den Frosch-Freunden".

"Gründlich misslungen" nennt Roßmann die Sitzung, auf der doch immerhin die zahlreichen genannten Beschlüsse gefaßt wurden und aus der auch der böswilligste Journalist keinen Streit berichten konnte. Aber was soll's; mißlungen ist sie dennoch:
Ein Vierteljahr ist seit dem letzten Ausschuss vergangen, obwohl sich das Gremium eigentlich in jeder Sitzungswoche treffen wollte. Trotzdem konnten die Koalitionäre an diesem Sonntag nur Mittelprächtiges präsentieren.
Die beiden Äffchen haben nicht gesungen, jedenfalls nicht akzentfrei.

Und die Frösche? Was hat es mit denen auf sich? Diese Geschichte ist mir zu dämlich, um sie zu erzählen. Falls es Sie unbedingt interessiert, wo die SZ die Anregung für ihre Überschrift her hat, dann schauen Sie selbst nach. Wenn Sie jetzt nicht genug von Tiervergleichen haben. ­
Zettel



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