24. März 2012

Zitat des Tages: "Mit rechtsstaatlichen Prinzipien unvereinbare Totalüberwachung". Terrorismus und Kinderpornografie im Internet. Was will Sarkozy?

Sarkozys Forderung nach einer Bestrafung von regelmäßigen Besuchern fundamentalistischer Websites würde voraussetzen, das Surfverhalten aller Franzosen kontinuierlich zu überwachen oder zumindest die Voraussetzungen für eine solche Überwachung zu schaffen. (...)

Das Vorhaben würde auch die Erfassung und Prüfung aller von beliebigen IP-Adressen aus aufgerufenen Seiten erfordern - von einer schwarzen Liste mit Seiten mit verbotenen Inhalten einmal abgesehen. Frankreich müsste die digitale Analogie zu einer flächendeckenden Videoüberwachung nicht nur des öffentlichen, sondern auch aller privaten Räume installieren. (...)

... was da vorgeschlagen wird, entspricht in letzter Konsequenz einer digitalen Form dieser mit rechtsstaatlichen Prinzipien unvereinbaren Totalüberwachung.
Stefan Simons und Christian Stöcker gestern in "Spiegel-Online" über die von Präsident Sarkozy als Reaktion auf die Morde von Toulouse und Montauban angekündigten gesetzlichen Maßnahmen.

Kommentar: Man kann diese radikale Befürchtung hegen. Nur gelten exakt dieselben Argumente auch für die Strafbarkeit des Besuchs von Seiten mit Kinderpornografie. Dieser ist in Frankreich wie auch bekanntlich in Deutschland verboten.

Simons und Stöcker schreiben zu diesem Einwand:
Haft oder Gefängnis für das Surfen im Internet? Eine vergleichbare Gesetzgebung gibt es in Frankreich - für den Kampf gegen Kinderpornografie. Artikel 227-23 des Strafgesetzbuches gestattet die Überwachung und Verfolgung von Personen, die entsprechende Internetseiten nutzen. Allerdings mit einem Unterschied: Nur wer die inkriminierenden Fotos auf seinen PC herunterlädt und entsprechende Videos auf seinem Computer speichert, wird für dieses Aufbewahren bestraft.

Dazu kommt: Für Internetseiten mit "Aufrufen zum Hass oder zu Gewalt" dürfte es schwierig sein, die Inhalte in rechtlich handhabbare Kategorien zu fassen.
Der zweite Punkt ist offenkundig irrelevant. Denn bereits jetzt ist in Frankreich der Aufruf zu Haß und Gewalt u.a. aus rassistischen und religiösen Motiven strafbar (Loi Pleven vom 1. Juli 1972). Dort besteht also bereits dasselbe Problem der "rechtlich handhabbaren Kategorien"; wie es im übrigen auch beim deutschen Paragraphen 130 StGB besteht. Offenbar ist es ein lösbares Problem.

Was den Punkt der Speicherung angeht - nach deutscher Rechtsprechung gilt es bereits als Speicherung, eine Seite aufzurufen, weil diese damit in den Arbeitsspeicher des Rechners bzw. in den Browser-Cache geladen wird. Und was den französischen Paragraphen 227-23 betrifft, haben Simons (der Pariser Korrespondent des gedruckten "Spiegel") und Stöcker sich offenbar nicht die Mühe gemacht, einen Blick in diesen Paragraphen zu werfen. Dort nämlich heißt es in Bezug auf Kinderpornografie:
Le fait de consulter habituellement un service de communication au public en ligne mettant à disposition une telle image ou représentation ou de détenir une telle image ou représentation par quelque moyen que ce soit est puni de deux ans d'emprisonnement et 30000 euros d'amende.

Der regelmäßige Besuch eines öffentlichen Kommunikationsdienstes im Internet, der eine solche Abbildung oder Darstellung anbietet, oder die Speicherung einer derartigen Darstellung oder Abbildung auf irgendeine Weise wird mit zwei Jahren Freiheitsentzug und einer Geldstrafe von 30000 Euro bestraft.
Sarkozy will also die Strafbarkeit exakt desjenigen Verhaltens (consulter habituellement), das beim Besuch von Seiten mit Internetpornografie bereits strafbar ist, auf den Besuch von Seiten ausdehnen, die zu Terrorismus und Haß aufrufen. Der Präsident in der betreffenden Ansprache:
Désormais, toute personne qui consultera de manière habituelle des sites Internet qui font l'apologie du terrorisme ou qui appellent à la haine et à la violence sera punie pénalement.

Künftig wird jeder, der regelmäßig Internetangebote besucht, die den Terrorismus rechtfertigen oder die zu Haß und Gewalt aufrufen, strafrechtlich verfolgt werden.



Es geht mir nicht darum, zu diskutieren, ob es solche Gesetze geben sollte - im Fall des Terrorismus; ebenso im Fall der Kinderpornografie. Das sind immer schwierige Entscheidungen, bei denen der Gesichtspunkt der Freiheit und der Gesichtspunkt der Verbrechensbekämpfung gegeneinander abgewogen werden müssen.

Es geht mir darum, daß man nicht mit zweierlei Maß messen darf. Die beiden Autoren von "Spiegel-Online" versuchen Präsident Sarkozy den Versuch einer "mit rechtsstaatlichen Prinzipien unvereinbaren Totalüberwachung" anzudichten, nur weil er das, was bereits beim Kampf gegen die Kinderpornografie geltendes Recht ist, auch auf den Kampf gegen den Terrorismus beziehen will.­
Zettel



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