Gestern habe ich, gestützt auf das, was vorab durchgesickert gewesen war, eine Vorschau auf das Interview Nicolas Sarkozys am Sonntagabend gegeben (Sarkozy heute Abend im französischen TV. Was er ankündigen wird; ZR vom 29. 1. 2012). Der Präsident kündigte in der Tat im wesentlich das an, was nach diesen Informationen zu erwarten gewesen war. Einzelheiten können Sie beispielsweise im Figaro und deutschsprachig in der NZZ nachlesen. Ich möchte das jetzt durch meinen persönlichen Eindruck ergänzen.
Ich habe einen anderen Sarkozy erlebt, als ich ihn bisher aus Reden und auch aus den meisten Interviews kannte. Nichts von dem Aufbrausenden, der manchmal etwas hektisch wirkenden Energie dieses Mannes, den ich in seiner Körpersprache gelegentlich mit Louis de Funès verglichen habe (siehe Sarkozy der Kannibale; ZR vom 21. 9. 2007).
Gestern Abend sah man einen ruhigen, offenkundig auf seine präsidiale Würde bedachten, dabei aber auch kaum kampfeslustigen, fast müde wirkenden Sarkozy. Intellektuell brillant wie immer, mit präzisen Formulierungen und ihm stets auch im Detail präsenten Fakten und Zahlen; aber ein wenig so wirkend, als glaube er selbst nicht mehr daran, daß er das noch wird realisieren können, was er in diesem Interview ankündigte.
Und was er ankündigte - das war die zweite Überraschung -, das trug er nicht vor wie ein Präsident nach fünfjähriger Amtszeit, der auf seine Erfolge zurückblickt. Vom bereits Erreichten war kaum die Rede. Sarkozy sprach fast wie ein Kandidat der Opposition, der erläutert, was künftig alles dringend anders gemacht werden muß. (Nebenbei bemerkt: Barack Obama versucht gerade dieselbe Volte; auch er benimmt sich so, als hätte er nicht schon bisher das Land regiert. Charles Krauthammer hat das schon Anfang Dezember analysiert).
Ein weiterer Eindruck: Sarkozy war in diesem Interview nachgerade besessen von Deutschland. Ich habe nicht gezählt, wie oft er Allemagne und les Allemands gesagt hat, aber es war sehr oft. Im Grunde lief fast alles, was er ankündigte (außer einem französischen Alleingang in Richtung Finanztransaktionssteuer) darauf hinaus, man müsse es in Frankreich endlich den erfolgreichen Deutschen nachmachen. Dabei lobte er nicht nur Angela Merkel, sondern mehrfach auch den premier ministre socialiste (so nannte er ihn) Gerhard Schröder, den "sozialistischen Premierminister" Schröder also.
Die Grundidee hinter Sarkozys Ankündigungen entstammte direkt dem Vorbild der Regierung Merkel: Alles tun, um die Wirtschaft anzukurbeln und Jobs zu schaffen - vorausgesetzt, es werden dafür keine zusätzlichen Haushaltsmittel benötigt. Also kein deficit spending nach Keynesianischem Rezept, wie das Obama macht (Sarkozy kündigte vielmehr strikte Haushaltsdisziplin an); sondern eine Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen vor allem durch den Abbau von Wachstumshindernissen.
Die Maßnahmen, die der Präsident nannte, habe ich weitgehend schon in dem gestrigen Artikel aufgeführt:
Mir kommt das alles sehr vernünftig vor. Es ist ein Programm für die überfällige Liberalisierung der französischen Wirtschaftspolitik; wenigstens in einigen Punkten. Sogar die geheiligte 35-Stunden-Woche soll langfristig fallen. Eine "Katastrophe" nannte sie Sarkozy; was eine nur allzu realistische Beurteilung ist (siehe Wie der Sozialismus die französischen Restaurants verändert hat; ZR vom 22. 5. 2007).
Alles sehr schön - nur konnte Sarkozy auf die Frage, warum er das denn nicht schon vor fünf Jahren in Angriff genommen habe, nur ausweichend antworten: Er sei stets bereit, Kritik entgegenzunehmen; er und sein Premierminister Fillon hätten ihr Bestes getan. Und seine Ankündigung, daß die vorgesehenen Maßnahmen erst im August oder gar erst im Oktober in Kraft treten sollen (weil man ja Zeit brauche, die Programme der Computer umzustellen!), weckte auch nicht unbedingt den Eindruck, er wolle das angekündigte Programm wirklich mit Kraft anpacken.
Es war in den letzten Wochen gelegentlich zu lesen, daß Sarkozy gegenüber Vertrauten selbst Zweifel daran geäußert habe, die Wahl noch gewinnen zu können. In der Tat sind die Umfragen für ihn verheerend (siehe Sarkozy am Ende? Frankreich steht vor einem beispiellosen Linksrutsch; ZR vom 2. 1. 2012). Es ist nicht einmal ausgeschlossen, daß die Kandidatin des Front National, Marine Le Pen, ihn bereits im ersten Wahlgang aus dem Rennen wirft (siehe Marine Le Pen - die große Unbekannte. Schon stärker als Sarkozy? Oder darf sie am Ende gar nicht antreten?; ZR vom 17. 1. 2012).
Man könnte die heutigen Ankündigungen angesichts dieser Lage des Präsidenten als so etwas wie einen letzten Aufruf zur Vernunft sehen, und zugleich als eine Art politisches Testament: Wenn, wie zu erwarten ist, vom Mai an François Hollande mit einer sozialistisch-kommunistischen Koalition Frankreich in den wirtschaftlichen Niedergang führen wird, kann Sarkozy immerhin darauf verweisen, daß er es besser gemacht hätte.
Ich habe einen anderen Sarkozy erlebt, als ich ihn bisher aus Reden und auch aus den meisten Interviews kannte. Nichts von dem Aufbrausenden, der manchmal etwas hektisch wirkenden Energie dieses Mannes, den ich in seiner Körpersprache gelegentlich mit Louis de Funès verglichen habe (siehe Sarkozy der Kannibale; ZR vom 21. 9. 2007).
Gestern Abend sah man einen ruhigen, offenkundig auf seine präsidiale Würde bedachten, dabei aber auch kaum kampfeslustigen, fast müde wirkenden Sarkozy. Intellektuell brillant wie immer, mit präzisen Formulierungen und ihm stets auch im Detail präsenten Fakten und Zahlen; aber ein wenig so wirkend, als glaube er selbst nicht mehr daran, daß er das noch wird realisieren können, was er in diesem Interview ankündigte.
Und was er ankündigte - das war die zweite Überraschung -, das trug er nicht vor wie ein Präsident nach fünfjähriger Amtszeit, der auf seine Erfolge zurückblickt. Vom bereits Erreichten war kaum die Rede. Sarkozy sprach fast wie ein Kandidat der Opposition, der erläutert, was künftig alles dringend anders gemacht werden muß. (Nebenbei bemerkt: Barack Obama versucht gerade dieselbe Volte; auch er benimmt sich so, als hätte er nicht schon bisher das Land regiert. Charles Krauthammer hat das schon Anfang Dezember analysiert).
Ein weiterer Eindruck: Sarkozy war in diesem Interview nachgerade besessen von Deutschland. Ich habe nicht gezählt, wie oft er Allemagne und les Allemands gesagt hat, aber es war sehr oft. Im Grunde lief fast alles, was er ankündigte (außer einem französischen Alleingang in Richtung Finanztransaktionssteuer) darauf hinaus, man müsse es in Frankreich endlich den erfolgreichen Deutschen nachmachen. Dabei lobte er nicht nur Angela Merkel, sondern mehrfach auch den premier ministre socialiste (so nannte er ihn) Gerhard Schröder, den "sozialistischen Premierminister" Schröder also.
Die Grundidee hinter Sarkozys Ankündigungen entstammte direkt dem Vorbild der Regierung Merkel: Alles tun, um die Wirtschaft anzukurbeln und Jobs zu schaffen - vorausgesetzt, es werden dafür keine zusätzlichen Haushaltsmittel benötigt. Also kein deficit spending nach Keynesianischem Rezept, wie das Obama macht (Sarkozy kündigte vielmehr strikte Haushaltsdisziplin an); sondern eine Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen vor allem durch den Abbau von Wachstumshindernissen.
Die Maßnahmen, die der Präsident nannte, habe ich weitgehend schon in dem gestrigen Artikel aufgeführt:
Senkung der Arbeitskosten durch Entlastung der Unternehmen bei den Sozialabgaben, finanziert über eine erhöhte Mehrwertsteuer. (Auch hier wieder das deutsche Vorbild: Die seinerzeitig Erhöhung der Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte habe in Deutschland keineswegs die Preise nach oben getrieben - das lasse der Wettbewerb gar nicht zu). Flexibilisierung der Arbeitszeiten, ebenfalls nach deutschen Vorbild; sie sollen direkt innerhalb der Unternehmen ausgehandelt werden können. Die Unternehmensführungen sollen sich mit der Belegschaft beispielsweise auf längere Arbeitszeiten verständigen können, wenn die Auftragslage das verlangt; so, wie andererseits in dem - wie Sarkozy sagte - "weniger wünschenswerten Fall" einer Absatzflaute die Unternehmen mit ihren Mitarbeitern über Alternativen zu Entlassungen verhandeln können sollen. Schaffung zusätzlicher Lehrstellen. Unternehmen, die nicht ausbilden, sollen konsequenter mit Sanktionen belegt werden. Auch hier verwies Sarkozy wieder auf das deutsche Vorbild. Ein wesentlicher Grund für die niedrige deutsche Jugendarbeitslosigkeit sei die weit höhere Ausbildungsquote als in Frankreich. In dem gestrigen Artikel hatte ich nicht näher spezifizierte Maßnahmen beim logement genannt, also im Bereich des Wohnens. Was sich dahinter verbarg, ist interessant, weil sehr französisch:
Die Mieten seien zu hoch, sagte Sarkozy, weil zu wenige neue Wohnungen gebaut würden. Um das zu ändern, sollen die Baugenehmigungen erweitert werden - und zwar durch eine lineare Erhöhung der behördlich genehmigten bebaubaren Flächen um 30 Prozent! Offenbar geht Sarkozy also davon aus, daß bisher Investitionen in Neubauten, die hätte getätigt werden können, allein an bürokratischen Hindernissen scheiterten.
Mir kommt das alles sehr vernünftig vor. Es ist ein Programm für die überfällige Liberalisierung der französischen Wirtschaftspolitik; wenigstens in einigen Punkten. Sogar die geheiligte 35-Stunden-Woche soll langfristig fallen. Eine "Katastrophe" nannte sie Sarkozy; was eine nur allzu realistische Beurteilung ist (siehe Wie der Sozialismus die französischen Restaurants verändert hat; ZR vom 22. 5. 2007).
Alles sehr schön - nur konnte Sarkozy auf die Frage, warum er das denn nicht schon vor fünf Jahren in Angriff genommen habe, nur ausweichend antworten: Er sei stets bereit, Kritik entgegenzunehmen; er und sein Premierminister Fillon hätten ihr Bestes getan. Und seine Ankündigung, daß die vorgesehenen Maßnahmen erst im August oder gar erst im Oktober in Kraft treten sollen (weil man ja Zeit brauche, die Programme der Computer umzustellen!), weckte auch nicht unbedingt den Eindruck, er wolle das angekündigte Programm wirklich mit Kraft anpacken.
Es war in den letzten Wochen gelegentlich zu lesen, daß Sarkozy gegenüber Vertrauten selbst Zweifel daran geäußert habe, die Wahl noch gewinnen zu können. In der Tat sind die Umfragen für ihn verheerend (siehe Sarkozy am Ende? Frankreich steht vor einem beispiellosen Linksrutsch; ZR vom 2. 1. 2012). Es ist nicht einmal ausgeschlossen, daß die Kandidatin des Front National, Marine Le Pen, ihn bereits im ersten Wahlgang aus dem Rennen wirft (siehe Marine Le Pen - die große Unbekannte. Schon stärker als Sarkozy? Oder darf sie am Ende gar nicht antreten?; ZR vom 17. 1. 2012).
Man könnte die heutigen Ankündigungen angesichts dieser Lage des Präsidenten als so etwas wie einen letzten Aufruf zur Vernunft sehen, und zugleich als eine Art politisches Testament: Wenn, wie zu erwarten ist, vom Mai an François Hollande mit einer sozialistisch-kommunistischen Koalition Frankreich in den wirtschaftlichen Niedergang führen wird, kann Sarkozy immerhin darauf verweisen, daß er es besser gemacht hätte.
Zettel
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Siehe zu Präsident Sarkozy auch die Serie Gedanken zu Frankreich.